Читать книгу Ein einziges Wort - Heidy Spaar-Lindenberger - Страница 8

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Im Reisebüro

Das Kalenderblatt zeigt Mittwoch, den 13. November 1991 im Reisebüro Media Lingua. Dienstbeflissen unterbreitet uns der Herr hinter der Theke die Prospekte und sagt: „Das Forester Instituto ist die beste Schule, ich kenne den Direktor persönlich. Der Aufenthalt ist bei einer Gastfamilie, die wird genau nach euren Bedürfnissen ausgesucht.“ Ich gebe ihm meine Wünsche an: Brauche eine rundliche weiche Mama mit erwachsenen Kindern, bin Raucherin und das Einzige, was ich nicht esse, sind Spaghetti. „Können Sie alles haben, die Familien sind auf die Bedürfnisse der SprachstudentInnen maßgeschneidert. Ihr werdet in einer Familie aufgenommen, weil das ein wichtiger Teil ist, eine Sprache in kurzer Zeit zu lernen.“ Danach wollte ich endlich genau wissen, wo dieses Land liegt. Es ist die Brücke zwischen Nord- und Südamerika. Die Flugstrecke ist Zürich-Madrid-Costa Rica. Während er mit den Fingern über die Karte fährt, sehe ich Miami. „Wieso nicht nach Miami und von dort nach Costa Rica?“ „Können Sie haben.“ „Gut, das passt mir, sollte es mir in diesem Land nicht gefallen, habe ich in Nordamerika noch Freunde, die ich besuchen kann.“ Da bemerkt Gita: „Also totale Absicherung.“ „Ja, warum nicht, ich habe doch keine Ahnung, was auf mich zukommt.“ „Das Mädchen vom Lande braucht in einer fremden Stadt Stationen, die es kennt. Ich meinte, du hast Lust auf Abenteuer?“

„Ja gewiss, jedoch nicht ohne Rückfahrtkarte. Ich bin voller Übermut, nichts kann mich mehr bremsen.“ Gita betrachtet mich mit kritischem Blick. „Willst du das wirklich?“ „Ja ich will, in guten wie in schlechten Zeiten und jetzt ist die Zeit besonders gut für etwas Neues. Zudem bist du ja bei mir, Gita, sprichst perfekt Englisch, kannst für mich dolmetschen und mich ein bisschen bemuttern.“ Sie beginnt zu stänkern. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie du Spanisch lernen willst, die Schule übersetzt nur in Englisch.“ „Dann lerne ich eben Englisch und Spanisch.“ „Ich verstehe noch immer nicht, wieso du überhaupt Spanisch lernen willst.“

„Gute Frage, ich habe bis heute immer gelernt, was ich brauche. Nun will ich etwas lernen, das total unwichtig ist, ohne zu fragen, ob ich es jemals brauchen kann oder nicht.“

Da unterbricht der Verkäufer unsere Unterhaltung.

„Es gibt einen Flug am 4. Januar, das wäre optimal, denn am 6. beginnt die Schule. Ich würde vorschlagen, acht Wochen Schule und fünf Wochen bleiben offen zum Reisen. Es ist ein fantastisches Land, unverdorbene Naturschönheiten, Regenwälder und Vulkane. Es grenzt an zwei Meere, die Karibik und den Pazifik.“

Es hört sich fantastisch an. „Gut“, sage ich, „stellen Sie das Programm zusammen, informieren Sie uns über Flug, Schule, Gastfamilie und Kosten. Geben Sie uns morgen Bescheid.“

Ich hake mich bei Gita ein, jetzt gehen wir in die nächste Buchhandlung, kaufen einen Reiseführer und schmökern uns durch eine neue Welt. „So langsam glaube ich“, meint Gita, „dich hat es gepackt.“ „Ja, und ich brauche drei Wörterbücher: Deutsch-Englisch, Englisch-Spanisch, Spanisch-Deutsch.“

Mich hat die Idee für eine Reise nach Costa Rica so sehr beflügelt, dass ich in den nächsten 24 Stunden keiner Vernunft mehr Einlass gewähre. Meine Entscheidung ist gefällt. War mir bis gestern nur das Wohl und die Gaumenfreude meiner Liebsten, der reibungslose Ablauf im Geschäft und die Zufriedenheit meiner Kunden wichtig gewesen, ist all das jetzt weit in den Hintergrund gerückt. Ich stehe auf der Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, genau wie der schmale Streifen Erde zwischen Nord- und Südamerika. Ich fühle, es hat alles seine Richtigkeit.

Als der zweitbeste aller Ehemänner von der Arbeit nach Hause kommt, bitte ich ihn ins Wohnzimmer, zwecks wichtiger Besprechung. Ich lege ihm meine Pläne dar, die ersten drei Monate im neuen Jahr möchte ich in Costa Rica verbringen. Er hört mir aufmerk­sam zu, seine Antwort darauf: „Wenn das für dich Glück bedeutet, werde ich dir nicht im Wege stehen. Wie verbinden sich deine Pläne mit dem Geschäft?“ „Das lasse mal meine Sorge sein.“ Überschwänglich umarme ich den besten Ehemann der Welt.

Beim Abendessen erzähle ich die Neuigkeiten unseren Kindern. Jene flippen total aus und zum ersten Mal entdecke ich so etwas wie Bewunderung für ihre Mutter. Danach sprudeln sie wie wilde Bergbäche und erzählen über ihre eigenen Sprachaufenthalte. Familie Tell ist in Hochform, jeder freut sich über die Veränderung.

Zwei Tage später kommt das OK vom Reisebüro. Freudestrahlend un­terbreche ich meinen Mann beim Zeitung lesen. „Du, es hat geklappt, wir fliegen am 4. Januar.“ Er schaut kurz auf: „Das ist nicht die Wirklichkeit.“ „Doch, es ist so, wie ich dir erzählt habe.“ Er murrt: „Mach mal halblang, das ist alles Unsinn, das kannst du nicht tun.“ „Nein, glaube mir, es ist die Wahrheit, ich gehe. Du kannst Abflug und Ankunft in deine Agenda eintragen.“ Sein entsetzter Blick streift mich langsam von unten nach oben, er bewegt den Kopf hin und her, ohne seine Augen von meinen zu lösen. Seine Lippen beben, langsam spuckt er die Worte aus und schreit: „Ich kann es mir nicht vorstellen! Was soll das ganze Theater?“ Seine Miene verfinstert sich. Er ähnelt einem wütenden Pferd, dessen Nüstern flattern und Dampf ablassen. „Was ist das für ein Hirngespinst!“ „Riecht ganz nach Abenteuer. Du hast es erraten, mich reizt es, hinauszuspringen, um zu sehen, wo ich lande, ohne meine geliebte Bande.“ Sein Ton wird richtig hart. „Was gefällt dir hier eigentlich nicht mehr?“

„Das ist es ja gerade, mir geht es sehr gut und es gibt nichts, was mich hier vertreibt. Das ist das Reizvolle, ich habe kein Alibi für meine Idee. Siehst du, reine Lust und Neugierde verführen mich.“ Er kann es nicht verstehen, wendet sich kopfschüttelnd ab und brummt, die Tagesschau beginnt. Er schaut nochmals zurück. „Was kann dich aufhalten?“ „Nichts!“

Mein Herz hüpft, lacht und jubelt, während ich meine täglichen Pflichten erfülle. Drei Monate, eine kurze Zeit und dann bin ich wieder da.

Weihnachten steht vor der Tür und ich habe alle Hände voll zu tun. Genau vier Wochen vor meinem Abflug gebe ich eine Party für meine Freundinnen. Ich lasse den Tisch mit Orchideen schmücken, bestelle Champagner und lege vor jeden Teller ein kleines Couvert. Nach dem ersten Schluck Champagner bitte ich sie, den Umschlag zu öffnen. Darin steht die neue Adresse. Ein paar verdutzte Gesichter. „Was soll das, willst du uns auf den Arm nehmen?“ Mit schelmischen Lächeln beobachte ich sie und beantworte ihre Fragen. Von Begeisterung ihrerseits ist nicht viel zu spüren. Das Essen wird serviert, die Freundinnen unterhalten sich gegenseitig über ihre Alltagssorgen, wobei sie kaum Interesse für mein bevorstehendes Unternehmen zeigen, was meine Vorfreude keineswegs schmälert. Lasse mich von ihrem Alltagskram berieseln, sie hatten weiß Gott andere Sorgen als meine Abenteuerlust

Kurz vor Weihnachten benachrichtige ich meine Kunden. Voller Begeisterung erzähle ich von meinem bevorstehenden Projekt. Die Meisten nehmen es mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. Die einzige Frage, die gestellt wird: Was sagt Ihr Mann dazu? Mein Mann würde es nie erlauben! Ich kann es nicht verkneifen zu sagen: Haben Sie Ihn schon mal gefragt, ob er Ihnen eine Auszeit bewilligen würde? Eine Kundin jagt es förmlich vom Stuhl, sie schreit, das können sie nicht machen, was passiert mit ihrem Geschäft und zudem stehen wir kurz vor einer Rezession. Ihre jungen Mitarbeiterinnen haben keine Ahnung, wie man ein Geschäft führt. Zudem, wer soll mich bedienen, wenn sie nicht da sind? Es braucht einige Überredenskünste, bis sie sich wieder beruhigte.

Nun musste noch meine Mutter informiert werden. Meine ganze Familie im Schlepptau begleitet mich. Ich wusste zum vorherein, dass sie mit meinem Vorhaben nicht einverstanden sein würde. Bei Rösti mit Geschnetzeltem in ihrer heimeligen Küche eröffne ich ihr meine Pläne. Sie ist so schockiert, dass ihr das Essen im Hals stecken bleibt und einen Hustenanfall auslöst. Nachdem sie sich beruhigt hatte, geht sie zur Tagesordnung über und beschäftigt sich mit ihren Großkindern. Grinsend beobachtete ich meine Mutter: Dinge, die sie nicht annehmen will, verdrängt sie in die unterste Schublade. Als wir später nach Hause fahren, sage ich zu meinem Mann: „Sie wird Anfang Januar anrufen und mich ans Telefon verlangen, weil sie einfach nicht wahrhaben will, dass ich wirklich das Feld für ein paar Monate räumen werde.“

Ein einziges Wort

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