Читать книгу Lebendkontrolle - Heike Bicher-Seidel - Страница 10

Kapitel 8

Оглавление

Nina

Samstag, pünktlich um 19.30 Uhr, schellte Tom an meiner Tür. Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht das ganze Wochenende an Julian zu denken und mir ausnahmsweise viel Mühe mit meinem Äußeren gegeben. Ich trug ein kurzes rotes Sommerkleid und hatte auf den üblichen Zopf verzichtet. Ich war nicht der Typ für Schuhe mit hohen Absätzen, also trug ich rote Turnschuhe, aber zu meiner Ehrenrettung kann ich sagen, ich hatte mich geschminkt.

Als ich die beiden Etagen hinunterrannte und die Haustür aufriss, sah mich Tom mit erhobenen Augenbrauen an.

„Wenn ich gewusst hätte, was unter der blauen Uniform steckt, hätte ich dich schon letzte Woche eingeladen.“ Er grinste von einem Ohr zum anderen.

Ich verdrehte die Augen.

„Hallo Tom, wir sollten uns beeilen, sonst bekommen wir keine Karten mehr.“

Er zog zwei Kino-Tickets aus der Tasche seines schwarzen Hemdes.

„Wir haben Zeit und können in aller Ruhe rüber spazieren.“

„Du bist ja der perfekte Gentleman, wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon letzte Woche mit dir ausgegangen.“

Tom machte es mir leicht, vom Berufsalltag zur Freizeit umzuschalten. Er erwähnte die Arbeit und die JVA mit keinem Wort. Stattdessen erzählte er, wie er hier aufgewachsen war, in welchen Kneipen er sich herumgetrieben hatte und es manchmal immer noch tat und stellt viele Fragen nach meiner Kindheit. Ernste Themen sparte er dabei aus und als wir nebeneinander mit Popcorn und Cola im Kino saßen, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Wochen entspannt und sorglos.

Obwohl der Film nicht besonders gut war, hatte ich Spaß und Tom sah so aus, als ob es ihm ähnlich ginge. Nach der Hälfte des Films nahm er meine Hand und strich mit dem Daumen über den Handrücken. Ich zuckte zusammen und dachte sofort daran, wie Julian das Gleiche getan hatte. Unwillig gestand ich mir ein, dass Händchenhalten mit Tom bei weitem nicht die Wirkung auf mich hatte, wie Händchenhalten mit Julian. Da ich keine große Sache draus machen wollte, ließ ich ihm seinen Willen. Ich würde nach dem Film mit Tom reden.

„Gehen wir noch was trinken oder hast du Hunger?“, fragte er, als die Vorstellung zu Ende war.

„Ein Kaffee wäre schön“, erwiderte ich. Er griff wieder nach meiner Hand.

„Was hältst du von einem Eis. Die Eisdielen haben bei dem schönen Wetter bestimmt noch geöffnet.“

„Gern. Aber Tom, hältst du das für eine gute Idee?“ Ich hob unsere ineinander verschränkten Hände.

„Für eine sehr gute Idee sogar!“ Sein Lächeln war entwaffnend und ich bemühte mich, es zu erwidern.

„Ich dachte, wir gehen als Kollegen ins Kino. Das sollte kein Date sein.“

„Ich hab dir keine Blumen mitgebracht, also ist es kein Date und ich hab kein Problem damit, die Hand meiner Kollegin zu halten. Was ist schon dabei.“

Als wir in der Eisdiele saßen und bestellt hatten, nahm er erneut meine Hand, aber diesmal entzog ich sie ihm und lehnte mich zurück.

„Es ist wegen Kanter“, sagte er und sah mich ernst an.

„Es ist nicht wegen Kanter! Wie kommst du auf die Idee?“

„Halte mich nicht für dumm. Ich sehe genau, wie du ihn ansiehst. Du bist die erste Person, die er an sich heranlässt, das ist ein schöner Erfolg, aber ich denke, der Erfolg ist zu teuer erkauft. Du engagierst dich viel zu sehr und es geht dir nicht gut dabei.“

„Es ist nicht Julians Schuld, wenn mir sein Schicksal nahegeht.“

„Julian.“

„Komm Tom, du weißt, wie es ist, wenn man sich über persönliche Dinge spricht. Er hat mich gebeten, ihn Julian zu nennen, wenn wir uns unterhalten und ich sehe kein Problem darin.“

Er schüttelte unwillig den Kopf.

„Wenn du glaubst, was du mir da erzählst, dann belügst du dich selbst.“

„Hast du ihn deshalb am Donnerstag gefilzt?“

„Was? Glaubst du, ich bin eifersüchtig?“

„Bist du’s?“

„Warum ist es Sorge um einen Häftling, wenn du ihn alle zwei Stunden von der Nachtschicht aufwecken lässt und Schikane, wenn ich ihn auf gefährliche Gegenstände überprüfe? Beim letzten Mal hat eine Scherbe gereicht, um ihn beinah ins Jenseits zu befördern. Beim nächsten Mal ist es vielleicht ein rostiger Nagel aus der Bücherei.“

Ich rieb frustriert meine Stirn.

„Tut mir leid, du hast ja recht“, murmelte ich.

„Hat Kanter gesagt, ich hätte ihn kontrolliert, weil ich eifersüchtig bin?“

„Lass es gut sein. Es war richtig, ihn zu kontrollieren. Vielleicht wäre es sogar eine gute Idee, wenn wir uns mal die Zelle vornehmen. Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn.“

Tom legte wieder seine Hand auf meine.

„Wenn Kanter auf die Idee kommt, ich wäre eifersüchtig, meinst du nicht, dass er euer Verhältnis falsch versteht?“

„Was willst du von mir? Soll ich nicht mehr mit ihm reden?“, fragte ich resigniert.

„Ich will, dass du dich professionell verhältst und mich informierst, sobald du das nicht mehr kannst. Ich kann für dich um Versetzung in eine andere Abteilung bitten. Wäre vielleicht sowieso keine schlechte Idee. Ich würde so etwas wie heute gern öfter mit dir tun und da ich dein Chef bin, könnten die Kollegen das für unpassend halten.“

„Ich möchte nicht versetzt werden. Mir gefällt die Arbeit bei euch.“

„Wie du willst. Mit unpassenden Beziehungen hast du ja offensichtlich wenig Probleme.“ Er klang bitter und verletzt.

„Danke Tom. Du bist ein wirklich guter Freund und auch ein guter Chef.“

„Autsch, das war dann wohl der Todesstoß.“

„Ich bin erst vor vier Wochen bei meinem Ex ausgezogen. Wir waren acht Jahre zusammen und ich kann das nicht einfach so abschütteln.“ Erst als ich es aussprach, fühlte ich, dass das so nicht mehr stimmte. Ich hatte die ganze Woche kaum an Marc gedacht. Tom nickte resigniert.

„Verzeih mir, möglicherweise bin ich ja doch eifersüchtig auf Kanter. Ich habe gar nicht daran gedacht, dass du jemanden im Ruhrgebiet zurückgelassen haben könntest. Ich bin ein Arsch.“

„Nein, bist du nicht.“

Als Tom mich nach Hause brachte, war es kurz vor Mitternacht. Trotz des Streits wegen Julian war es ein schöner Abend gewesen und Tom ein aufmerksamer und unterhaltsamer Begleiter. Vor der Haustür zog er mich näher zu sich und strich mein Haar zurück. Er lächelte mich schief an und gab mir dann einen Kuss auf die Stirn.

„Einen richtigen Gute-Nacht-Kuss musst du dir erst noch verdienen“, sagte er.

„Danke für den schönen Abend. Bis Montag.“

Lebendkontrolle

Подняться наверх