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Kapitel 2

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Nina

„Verdammt!“, fluchte ich und stolperte zur Wohnungstür, „wehe, das ist nicht wichtig“. Es war erst 11.00 Uhr und nach der gestrigen Nachtschicht war ich noch lange nicht ausgeschlafen.

„Ja“, blaffte ich in die Gegensprechanlage.

„Ich bin‘s, Marc.“ Völlig perplex brauchte ich einen Augenblick, um mich zu sammeln. Was machte mein Ex vor meiner Tür?

Vor drei Wochen war ich aus unserer Wohnung in Essen ausgezogen, aber die Beziehung hatte bereits Monate vorher schon nur noch pro forma bestanden. Mehr als Hallo und Tschüss hatten wir uns nicht mehr zu sagen gehabt, deshalb war die Funkstille seit meinem Auszug auch keine Überraschung für mich gewesen, hatte aber dennoch nicht weniger wehgetan.

Acht gemeinsame Jahre und Marc hatte mich einfach kommentarlos gehenlassen. Kein Versuch, mich zum Bleiben zu überreden, keine Liebesbeteuerungen. Dass er mit meinem Auszug nicht einverstanden war, hatte ich nur daran gemerkt, dass er mir nicht beim Packen half und ich meine wenigen Habseligkeiten allein schleppen durfte. Erst als es erneut klingelte, drückte ich den Türöffner der Haustür und öffnete die Wohnungstür.

„Hallo Kätzchen, ich dachte schon, du lässt mich nicht rein.“ Marc spazierte mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein an mir vorbei und wartete, bis ich die Wohnungstür hinter ihm schloss.

„Was...“, machst du hier, sollte eigentlich folgen, aber er schnitt mir das Wort ab, indem er mich in seine Arme zog und mir einen Kuss auf die Lippen drückte.

„Ich hab dich vermisst“, sagte er.

Automatisch schlang ich meine Arme um Marcs Taille und legte den Kopf an seine Schulter. Die Umarmung fühlte sich gut an.

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie einsam ich mich in den vergangenen Wochen gefühlt hatte.

Ich hatte nicht nur ihn in Essen zurückgelassen, sondern auch jeden Kontakt zu unseren Freunden abgebrochen und Verwandte hatte ich nicht mehr. Er roch angenehm nach Marc und Zuhause. Trotz der Enttäuschung über sein ignorantes Verhalten nach dem Unfalltod meiner Eltern vor drei Jahren, hatten wir auch gute Zeiten gehabt. Wenn er jetzt, nur für mich, 350 Kilometer fuhr, war er vielleicht doch bereit, an unserer Beziehung zu arbeiten und meine Entscheidungen zu akzeptieren oder wenigstens Kompromisse zu suchen. Fernbeziehungen waren schwierig, aber eine langsame Wiederannäherung war möglicherweise genau das, was wir brauchten.

Ich lehnte mich in Marcs Arm zurück, um ihn anzusehen. Seine blonden Haare waren wie immer akkurat geschnitten, die blauen Augen strahlten mich an und seine Lippen umspielte ein wissendes Lächeln.

„Du hast mich auch vermisst.“

Ich nickte und lächelte vorsichtig zurück.

„Mein dickköpfiges Kätzchen, warum hast du mich nicht einfach angerufen, als du es endlich eingesehen hast.“ Er strich meine vom Schlaf zerzausten Haare zurück und mir wurde bewusst, dass ich nur mein altes Schlafshirt trug.

„Sorry, für den Aufzug. Ich hatte Nachtschicht und bin noch nicht richtig wach.“

„Das macht doch nichts. So verschlafen bist du besonders niedlich.“ Sein nächster Kuss war fordernder und ließ mich alles andere als kalt. Seine Hände strichen über meinen Rücken bis zum Po und er drückte mich an sich. Ein angenehmer Schauer durchlief mich, als ich Marcs Erregung fühlte. Ohne darüber nachzudenken klammerte ich mich an ihn. Er hob mich mühelos hoch und ich schlang die Beine um ihn.

„Schlafzimmer?“, murmelte Marc an meinen Lippen. Ich wies ihm die Richtung und er trug mich zum zerwühlten Bett. Als er mein Shirt abgestreift hatte, betrachtete er mich einen Augenblick.

„Du bist dünn geworden. Liebeskummer?“

Ich sah ihn unwillig an, er lächelte.

„Nicht böse sein. Steht dir gut, wirklich. Ich fand deine Pölsterchen sexy, aber jetzt. Wow!“

„Marc, ich weiß nicht, ob das hier eine gute Idee ist.“

Er legte sich neben mich und küsste mich zärtlich.

„Das hier ist die beste Idee, die wir seit Monaten hatten. Ich liebe dich und du liebst mich. Warum quälst du uns beide. Lass es geschehen, du willst es doch auch.“

Seine sanfte Stimme, unterbrochen von liebevollen Küssen und streichelnden Berührungen, lullte mich ein. Marcs Nähe fühlte sich so vertraut an und Sex war nie unser Problem gewesen. Also ließ ich los, ließ mich trösten von seiner Zärtlichkeit und aus meinem einsamen neuen Leben davontragen. Als er meinen schwindenden Widerstand spürte, streifte er seine Kleidung ab.

„Kätzchen, ich bin so froh, dass du es endlich eingesehen hast und ich jetzt nicht mehr ohne dich leben muss.“ Sein Körper war warm, ich fühlte das Spiel der durch zahlreiche Besuche im Fitnessstudio definierten Muskeln unter meinen Händen und in diesem Moment wollte ich ihn genauso wie er mich.

„Du hast mir so gefehlt“, flüsterte er, als er sich hingebungsvoll meinen Brüsten widmete. Ich kicherte, weil es kitzelte und er grinste diabolisch. Seine Hände wanderten an meinem Körper nach unten und ich bog mich der Berührung entgegen. Unser beider Atem beschleunigte und ich zog ihn ungeduldig zu mir. Marcs Blick glühte, als er sich zwischen meinen Schenkeln platzierte und in mich eindrang.

„Du gehörst mir, Nina“, keuchte er und bewegte sich mit steigendem Tempo. „Sag, dass du mir gehörst“, forderte er schmeichelnd. Ich schloss die Augen und versuchte, mich nur auf meinen Körper zu konzentrieren.

„Sag es!“ Seine Stimme eine Nuance schärfer, störte meine Konzentration.

„Nicht reden. Bitte“, hauchte ich und versuchte, wieder in den Taumel aus Leidenschaft zurückzufinden, in dem ich eben noch versunken war. Doch Marcs fester Griff in meinen Haaren und sein schneidender Ton holten mich wieder in die Realität zurück.

„Du gehörst mir und wirst ab sofort Vernunft annehmen.“ Ich legte meine Hände auf seine Brust und versuchte, ihn von mir zu schieben, aber er war wesentlich stärker als ich und unter ihm gefangen hatte ich keine Chance, zu entkommen.

„Du willst spielen?“, fragte er mit einem dunklen Lächeln und griff nach meinen Handgelenken, um sie links und rechts neben meinem Kopf auf die Matratze zu drücken.

„Lass mich los!“, fauchte ich. Verwirrt sah er mich an und nur langsam dämmerte ihm, dass ich meine Meinung zu unserem Versöhnungssex geändert hatte.

Er ließ mich los und zog sich von mir zurück. Ich rutschte von ihm fort und zog die Decke schützend über mich.

„Aber du wolltest es doch auch!“, sagte er konsterniert.

„Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun sollen“, antwortete ich. Er stand auf und zog sich an. Aus Verwirrung war inzwischen Wut geworden.

„Verdammt, Nina. Du tust, als hätte ich dich vergewaltigt. Du hast mich doch sofort besprungen, als ich kaum durch die Tür war!“

„Du hast ja recht, ich habe da wohl falsche Signale ausgesandt.“

Fassungslos sah er auf mich hinunter.

„Falsche Signale? Noch eine Minute und du wärst so laut gekommen, dass es die ganze Nachbarschaft mitbekommen hätte!“ Da hatte er nicht ganz unrecht und sofort beschlich mich ein schlechtes Gewissen. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und er ließ sich zögernd auf der Bettkante nieder.

„Wir müssen reden. Ich ziehe mich schnell an und dann klären wir das“, erklärte ich. Er nickte und sah mir traurig nach, als ich ins Bad huschte.

Als ich zurück ins Schlafzimmer kam, war Marc nicht mehr da. Schnell zog ich Jeans und T-Shirt über und ging barfuß nach nebenan. Er saß mit einem Kaffee an meinem Esszimmertisch und hatte auch eine Tasse für mich hingestellt.

„Danke“, sagte ich und trank einen Schluck. „Warum bist du gekommen?“, fragte ich, ohne aufzusehen.

„Ich dachte, du wärst endlich zur Vernunft gekommen.“ Er klang bitter und verletzt.

„Das eben tut mir wirklich leid. Es war meine Schuld. Verzeihst du mir?“, fragte ich. Als ich aufblickte, nickte er und atmete tief durch.

„Hör zu. Ich war nicht auf Sex aus, als ich herkam. Ich wollte mit dir reden. Gegen Versöhnungssex nach dem Gespräch hätte ich natürlich nichts gehabt.“ Sein jungenhaftes Lächeln ließ meinen Widerstand bereits wieder schmelzen.

„Und worüber wolltest du mit mir reden?“ Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum.

„Frank, der mit dem Malergeschäft, hat mir erzählt, dass er den Auftrag bekommen hat, dein Elternhaus zu streichen und zwar nicht von dir.“

Ich kaute unschlüssig auf meiner Unterlippe, antwortete aber schließlich doch.

„Ich habe es verkauft.“

„Das habe ich mir schon gedacht.“ Er wartete auf eine Erklärung, aber was hätte ich sagen sollen? Seit ich das Haus vor drei Jahren geerbt hatte, lag er mir mit dem Verkauf oder zumindest mit einer Vermietung in den Ohren. Er hatte nie nicht verstanden, warum ich das Haus leerstehen ließ, während wir nur ein paar Kilometer weiter zur Miete wohnten. Immer wieder hatten wir uns deshalb gestritten und mit jedem Streit war meine Verbitterung über sein nicht mal rudimentär vorhandenes Verständnis für meine Trauer gewachsen.

„Seit ich mitbekommen habe, dass du endlich auf mich gehört hast, habe ich auf eine Nachricht von dir gewartet, Kätzchen. Ich dachte, vielleicht wolltest du deine Fehler damit wiedergutmachen.“ Er griff nach meiner Hand.

„Welche Fehler?“, fragte ich irritiert.

„Na, wegzulaufen, zum Beispiel. Die bescheuerte Idee, dein Studium hinzuschmeißen und dich stattdessen um diese Asozialen zu kümmern.“ Ich zog meine Hand aus seiner und endlich dämmerte mir, was mich vorhin so gestört hatte.

„Ich habe mein Studium mit dem Bachelor in Sozialpädagogik beendet und nicht geschmissen und ich liebe meinen Beruf. Das waren keine Fehler.“ Er winkte ab und lehnte sich zurück.

„Ich will dich doch gar nicht daran hindern, dich selbst zu verwirklichen.“ Er deutete mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft an. „Ich verdiene genug für uns beide, von mir aus musst du gar nicht arbeiten. Such dir eine Beschäftigung, die dir Freude macht, vielleicht etwas mit Kindern, aber doch nicht mit Verbrechern.“

Mit offenem Mund starrte ich ihn an.

„Wenn wir erst verheiratet sind und Kinder haben, hat sich das doch sowieso erledigt. Ich verstehe nicht, warum du so ein Theater veranstaltest“, ergänzte er.

„Und was erwartest du jetzt von mir?“, fragte ich. Sein Lächeln kam zurück.

„Pack deine Sachen und wir fahren nach Hause. Du bist noch in der Probezeit und kannst diesen sinnlosen Job schnell loswerden. Bis zum Ende der Kündigungsfrist besorgen wir dir eine Krankmeldung und für deine Wohnung finden wir bestimmt einen Nachmieter. Ist ja ganz hübsch und zentral gelegen.“ Er sah sich zum ersten Mal wirklich um.

„Das ist eine Eigentumswohnung“, sagte ich, noch immer geschockt über seine Ignoranz.

„Bist du bescheuert? Was hast du dafür bezahlt?“

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

„Du kannst doch nicht einfach unser Geld zum Fenster rauswerfen, ohne mich zu fragen!“, sagte er mit erhobener Stimme.

Es war einer dieser Momente, in denen man sein Leben von oben beobachtet und endlich das ganze Bild sieht. Warum hatte ich acht Jahre gebraucht, um zu sehen, dass Marc sich nur für einen Menschen auf der Welt interessierte und das war er selbst. Ernüchtert sah ich ihn an.

„Warst du schon immer so ein Arschloch und ich zu blöd, um das zu bemerken oder ist das neu?“

„Was?“ Eben noch in Rage, war er jetzt nur noch verwirrt.

„Du solltest gehen. Danke für deinen Besuch.“ Ich ging zur Wohnungstür und öffnete sie.

„Aber ich bin drei Stunden gefahren, nur um mit dir zu reden!“

„Du hättest vorher anrufen sollen.“ Ich nickte zur offenen Tür. Wütend stapfte er an mir vorbei und verließ ohne ein weiteres Wort mein Leben.

Als ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, räumte ich die Kaffeetassen in die Spülmaschine und ging dann hinaus auf meine Dachterrasse. Ich drehte mich einmal im Kreis. Das hier war jetzt mein Leben. Mein altes Leben war vorbei. Endgültig. Ich war allein, hatte keine Verwandte, keine Freunde, aber ich hatte auch niemanden mehr, der mir das Leben schwermachte. Ich hatte einen Job, der mir Freude bereitete, Kollegen, die mich mochten. Der Rest würde sich ergeben. Ich musste nur daran glauben, daran arbeiten. Dann würde ich bald auch nicht mehr so allein sein. Ganz sicher. Trotzig sah ich auf den Park unter mir und blinzelte die Tränen fort, die meinen Blick verschleierten.

Lebendkontrolle

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