Читать книгу Scheiß die Wand an... - Heike-S. Rogg - Страница 4
Als ich fast nicht in der Toskana ankam
ОглавлениеSeit einige große Reiseunternehmen ihre Fahrten deutschlandweit anbieten, müssen die Fahrgäste in vielen verschiedenen Orten eingesammelt werden. Wie eine solche Sammeltour aussehen kann, erlebten wir auf einer Reise in die Toskana.
In den letzten Jahren gab es viel für mich zu sehen und zu erleben. Das liegt weniger an meinem Beruf, als an dem meines Mannes. Er ist Reisebusfahrer. Da alle Welt weiß, dass Lehrer häufig Ferien haben, gönne ich mir oftmals den Luxus des Mitfahrens.
So führt eine Fahrt über Silvester in die Toskana. Die warmen Pullover sind eingepackt, denn funktionierende Heizungen sind in Italien nicht so verbreitet wie bei uns. Mein Mann wartet bereits in der Nähe von Rosenheim. Dort musste er übernachten, bevor er den Bus übernehmen darf. Die EU kann einem das Leben schon schwer machen. Nur anhand einer Hotelrechnung oder einer Zugfahrkarte kann er belegen, dass er nicht als Fahrgast von Beginn der Fahrt an mitgefahren ist. Das gilt bereits als Arbeitszeit.
Wenn ein Ziel weit entfernt liegt und die Fahrgäste in verschiedenen Orten zusammengesucht werden müssen, braucht man einen vorladenden Fahrer. Dieser sammelt und fährt so lange es seine Fahrzeit erlaubt. Dann steigt er aus und der Hauptfahrer ein. So werden die Zeitvorgaben bis zum Ziel erfüllt. Da diese Regelung für mich nicht gilt, fahre ich von Beginn an mit.
Morgens um vier steigt dieser Sammelfahrer in den Bus. Sein winterliches Outfit ist durchaus der Außentemperatur angemessen. Warum er es aber auch im Bus trägt, erschließt sich mir nicht. Der Bus ist neu und die Heizung funktioniert. Er aber sitzt im Wintermantel, mit Hut, Schal und Handschuhen am Steuer. Vor allem sein Hut bringt ihm bei den Fahrgästen schnell den Namen „Al Capone“ ein.
Nach Karlsruhe findet er – von Baden-Baden aus – ohne Probleme. Auf die Frage, in Höhe von Heimsheim, ob er denn die Fahrgäste in Pforzheim-West geladen habe, kommt die Antwort: »Wir sind doch erst an Ost vorbei. West kommt noch.« Naja, bisher fuhren wir von West nach Ost und nicht umgekehrt. Außerdem wollen die Fahrgäste eigentlich nach Italien, nicht nach Spanien. Daraufhin verlässt er in Heimsheim die Autobahn, programmiert sein Navi neu und will über die Landstraße nach Pforzheim-West. Er lässt sich jedoch bekehren, wendet und fährt auf der Autobahn in Richtung Karlsruhe zurück.
Wie immer gibt es Baustellen und die, welche uns fast zum Verhängnis wird, liegt an einem Berg. Dicke Finger, dicke Handschuhe und der kleine Hebel für die die Umstellung von automatischer auf manuelle Schaltung am Lenkrad, das kann nicht gut gehen. Natürlich passiert es ihm genau in der Baustelle. Er merkt nicht, dass er statt im Automatikbetrieb mit manueller Schaltung fährt und selber schalten müsste. Folglich würgt den Motor ab. Was bedeutet: dunkler Bus in dunkler Nacht in einer engen Baustelle. Dieser Umstand erfordert einen kompletten Neustart und nur mit Glück gelingt es ihm, den Bus ohne Auffahrunfall wieder zum Laufen zu bringen. Nach diesem Abenteuer schafft er es, die Fahrgäste von Pforzheim-West einzusammeln.
Nur eine halbe Stunde Verspätung!
Die nächste Station ist Stuttgart, SI-Zentrum. Da mir die Strecke bekannt ist, erkläre ich ihm, wo er von der Autobahn abfahren muss. Das schafft er. Aber dann will sein Navi anders fahren als ich und das geht prompt schief. „Al Capone“ überfährt vier rote Ampeln, weil er auf den Bildschirm statt auf die Lichtzeichen guckt, und fährt so dreimal im Kreis durch Stuttgart.
Eine Stunde Verspätung!
Eine Gruppe warten in Göppingen am Bahnhof. Eigentlich ganz einfach zu finden, wenn man den Schienen nachfährt. Unser „Mafioso“ fährt aber nach Navi und folglich gerade entgegengesetzt. Plötzlich ertönt aus dem Navi: »Sie haben ihr Ziel erreicht.« Klar! Der Bus steht vor einem Diskounter in dem es gekauft wurde. Der Bahnhof liegt allerdings wieder elf Kilometer entfernt.
Zwei Stunden Verspätung!
Ohne größere Probleme sammelt er die Wartenden in Ulm und Augsburg ein. Endlich ist die Gruppe vollständig. Noch in Augsburg kommt unser geschulter Fahrer auf den Gedanken, dass er Pause machen muss, da der erste Teil seiner Fahrzeit abgelaufen ist. Also verlässt er am nächsten Rasthof die Autobahn. Besonders die Augsburger sind darüber sehr erfreut.
Zweieinhalb Stunden Verspätung!
Nach dieser Pause erreichen wir komplikationslos Rosenheim. Dort ist seine Fahrzeit endgültig abgelaufen und er will aussteigen. Statt wie üblich auf den nahegelegenen Rastplatz zu fahren, auf dem Hannes wartet, finden wir uns plötzlich mitten in Rosenheim wieder. Direkt am Bahnhof, schräg in einer Einfahrt, das Heck noch weit auf der Straße. Hannes, der vergeblich am Rastplatz wartet, muss nun mit einem Taxi nach Rosenheim kommen.
Drei Stunden Verspätung!
Normalerweise nimmt man bei einem solchen Wechsel sein Gepäck aus dem Kofferraum und geht. „Al Capone“ aber stellt seinen Koffer vor den Bus und öffnet ihn. Neben dem kostbaren Billig-Navi muss auch ein Teller mit dem restlichen Essen, das er auf der Raststätte nicht geschafft hat, eingepackt werden. Diesen hat er der Einfachheit halber mitgenommen und in eine Plastiktüte gesteckt. Warum er dazu seinen kompletten Hausrat ausräumen muss, übersteigt unseren Horizont. Von hinten meint eine Frau: »So ein schöner roter Koffer. Nein, den kann man nicht einfach so mitnehmen…«
Dreieinhalb Stunden Verspätung!
Endlich ist Hannes da. Er steigt ein und übernimmt die Regie. Erleichterung breitet sich aus. Jetzt fährt der Bus endgültig in die richtige Richtung. Da wir die fast vier Stunden Verspätung nicht aufholen können, landen wir folgerichtig erst nach dreiundzwanzig Uhr am Ziel.
Obwohl Hannes und ich seit Beginn der Reise wissen, dass „Al Capone“ die Fahrgäste auch auf dem Rückweg wieder verteilen wird, haben wir ihnen noch nichts gesagt. Wir trauen uns nicht. Auf uns wartet am Irschenberg ein Auto, mit dem wir ganz privat nach Hause fahren werden. Zum Glück hat es nur zwei Sitzplätze.
***
Solche Geschichten passieren, wenn man für wenig Geld viel haben möchte. Es gibt einige große Reiseveranstalter, die bundesweit mit billigen Reisen werben. Dafür müssen die Fahrgäste dann in ganz Deutschland zusammengesammelt werden. Das bedeutet, dass man im schlimmsten Fall bereits fünf Stunden im Bus sitzt, bevor die eigentliche Reise beginnt. Ich jedenfalls bevorzuge Fahrten, bei denen ich eine angemessene Anfahrtszeit habe.