Читать книгу Scheiß die Wand an... - Heike-S. Rogg - Страница 8
Als ich auf einer Reise nach Venedig unter die Räuber fiel
ОглавлениеUrlaub in Italien ist etwas Besonderes. Da sich verschiedene italienische Agenturen die Urlaubsgebiete aufgeteilt haben, besteht für viele ausländische Reiseunternehmen nur die Möglichkeit Hotels über diese Agenturen zu buchen. So konnten wir bereits öfter erleben, dass diese zugewiesenen Quartiere ein reines Glücksspiel darstellen.
Im Mai führt eine Fahrt nach Venedig. ‚Schön‘, ist mein Gedanke, als der Auftrag eingeht. ‚Endlich Wärme und in Venedig war ich bisher noch nicht.
War bis zu diesem Zeitpunkt klar, die große Mausefalle läge in Paris, muss man ab sofort umdenken. Die Mausfalle gleichen Namens liegt eindeutig in Lido di Jesolo. Aber der Reihe nach:
Am Donnerstag fahren Hannes und ich von zu Hause an die französische Raststätte bei Saverne. Dorthin soll der vorladende Fahrer unseren Bus mit den Fahrgästen bringen. Wir übernehmen den Bus morgens um acht Uhr in Saverne und starten in Richtung Süden.
Schon steht der erste Meckerer vor mir. Eine Frau beklagt sich, dass ihr in der letzten Sitzreihe schlecht würde. Es wären doch noch andere Plätze frei. ‚Das Problem kann schnell gelöst werden‘, denke ich und erlaube natürlich ein entsprechendes Umsetzen.
Die Fahrt geht weiter und der nächste Halt ist die Schweizer Grenze, welche sich wie so oft als Bremsklotz Europas erweist. Zwar haben wir noch eine Zehnerkarte für die Schwerverkehrsabgabe dieses Landes, aber die vier verbliebenen Tage sind nicht mehr nutzbar, da die Dauer auf ein Jahr begrenzt ist. Dieses war gestern vorbei. Also geht Hannes an den zuständigen Schalter um für hundertfünfundsechzig Schweizer Franken eine neue Zehnerkarte zu erwerben.
Auch in der Schweiz hält die Personaleinsparung scheinbar kräftig Einzug. Ein Schalter, ein Grenzwächter und eine Dame mit zweiundfünfzig Flaschen Wein verzögern unser Weiterkommen erheblich. Die Flaschen müssen nämlich aufgrund von Größe und Inhalt wegen der Mehrwertsteuerrückerstattung, einzeln deklariert werden.
Diese Zeit nutzt meine Frau Rosenberg, die Dame aus der letzten Reihe, für den nächsten Vorstoß. Der freie Platz, den sie jetzt besetzt, liegt nämlich entgegen der Fahrtrichtung und so würde ihr erst recht schlecht. Dabei muss ihr allerdings entgangen sein, dass sie auf diesem Platz die letzten zweieinhalb Stunden fest schlafend verbracht hat.
Jetzt will sie einen der anderen freien Plätze. Die in den letzten drei Sitzreihen verteilten neun Damen einer Frauengruppe sind jedoch nicht bereit, die auf den drei freien Plätzen stehenden Kühltaschen wegzuräumen. Enthalten diese doch so lebendnotwendige Dinge wie: Crémant und Lyoner. Auch durch freundliches Fragen meinerseits ergibt sich hier keine Lösung. Alternativ biete ich Frau Rosenberg MCP-Tropfen an, falls ihre Übelkeit stärker wird. Die will sie aber nicht.
Kurz nach dieser Pause unterqueren wir siebzehn Kilometer lang das Gotthardmassiv. Für den nächsten Halt hat Hannes eine Tankstelle kurz vor Mailand ausgeguckt. Ursprünglich als kurze biologische Pause gedacht, gehen die letzten fünfundzwanzig Tassen Kaffee aus der Bordküche raus. Zwischen Tasse siebzehn und achtzehn steht Frau Rosenberg vor mir. Schlecht ist ihr jetzt nicht mehr, aber nun hat sie blaue Flecken, weil sie auf dem Gurtschloss sitzen muss. Müsste sie gar nicht, wenn sie, wie Hannes die Vorschrift erläutert hatte, angeschnallt wäre. Da für den Ausbau ihres Gurtes das Werkzeug fehlt, weise auch ich sie noch einmal auf diese gesetzliche Bestimmung hin.
Bei der letzten kleinen Pause, hundert Kilometer vor unserem Ziel, kommt Frau Rosenberg nun mit der Ankündigung, sie würde sich beschweren. Ihre Tochter kann doch so nicht sitzen. Jetzt bin ich völlig konfus. Wer kann nun warum nicht wo sitzen?
Nach insgesamt elf Stunden Fahrt, die Pausen mitgerechnet, landen wir in Lido di Jesolo. Wer weiß, dass Jesolo nur aus Einbahnstraßen besteht und in welche Richtung diese führen, findet das Hotel auf Anhieb – so wie Hannes.
Und dann stehe ich in der Mausefalle gleichen Namens. Dank der guten Organisation des veranstaltenden Busunternehmens ist innerhalb weniger Minuten die komplette Gruppe eingecheckt und mit einer Plastiktüte voller Zimmerschlüssel geht es in den Bus zurück.
Bereits bei der Verteilung der ersten Einzelzimmer, regt sich Protest. »Wir haben doch ein Doppelzimmer gebucht!«, entrüstet sich ein Herr. Ein Blick auf meine Zimmerliste zeigt aber zwei Einzelzimmer. »Kapiert denn keiner, dass wir verheiratet sind?«, kommt die verzweifelte Entgegnung. Meiner Bitte an der Rezeption Bescheid zu sagen, dass er ein Doppelzimmer bekommt, entspricht er erfolgreich.
Vor dem Bus große Aufregung. Es fehlen Gepäckstücke. Ausgerechnet die von Frau Rosenbergs Clan. Hannes öffnet erneut alle Kofferraumklappen und blickt ratlos auf den leeren Boden. Plötzlich fällt ihm ein, dass dieser Bus ein paar geheime Ecken hat. Und genau dort hinein hat der Sammelfahrer diese Taschen geschoben.
Irgendwann stehen auch Hannes und ich mit Gepäck in unserem Zimmer. Es ist wirklich recht überschaubar. Das Mobiliar besteht aus einem Doppelbett, einem Zusatzbett, einem Wackeltisch auf dem ein Miniröhrenfernseher mit immerhin einem italienischen Programm steht. Um diesen Bericht zu schreiben, muss der Fernseher vom Tisch genommen werden, damit das Notebook Platz findet. Ein Stuhl und ein Schrank komplettieren das Stillleben. Nicht zu vergessen, die beiden Nachtischchen und eine Nachttischlampe. Selbst an Tapete wurde gespart. Die Wände sind einfach weiß getüncht.
Im Bad muss Hannes seitlich rückwärts einparken, um die Toilette zu erreichen. Aufgrund seiner Bekanntschaft mit dem Kasseler Kommissar Faubel, hat Hannes eine strenge Diät hinter sich. Nur diese macht es ihm hier überhaupt möglich, die Dusche zu betreten, ohne irgendwo stecken zu bleiben. Selbst mir bereitet es Schwierigkeiten, gerade auf der Toilette zu sitzen, und das bei Kleidergröße 40. Der Gebrauch von Toilettenpapier artet in eine akrobatische Übung aus. Übrigens, wenn man vergisst, den Klodeckel vor dem Spülen zu schließen, sollte man den Sprung über das Bidet wagen, damit die Füße trocken bleiben.
Andere Fahrgäste erzählen, dass in einigen Zimmern das Toilettenpapier vor dem Duschen zweckmäßigerweise aus der Halterung genommen werden sollte, da man sonst über feuchtes Papier verfügt.
Dass dies ein Standardhotelzimmer und nicht die Busfahrerabsteige ist, erfahren wir, nachdem der Bus auf dem Parkplatz steht. Schon in dieser ersten halben Stunden haben vier Reisegäste ihre Zimmer getauscht. Mindestens zwei Kakerlaken werden uns am nächsten Morgen gemeldet. Leider sind diese bereits erschlagen und an der Rezeption abgegeben. Schade, sie hätten bestimmt ein schönes Foto gegeben.
Schon tritt das nächste Problem auf. Da am folgenden Tag ein großer Ausflug auf dem Programm steht, müssen wir am Hotel um 8.45 Uhr wegfahren. Also bestellen wir das Frühstück für acht Uhr. Prompt wird uns mitgeteilt, dass die komplette Gruppe nur von 7.30 – 8.00 Uhr frühstücken darf. Warum erfahren alle am folgenden Tag. Auch das Abendessen muss gemeinsam in der Gruppe eingenommen werden. Bis auf die Nudeln, die sich als sehr bissfest erweisen, ist dieses jedoch durchaus genießbar. Leider fehlen zwei Portionen Pasta. Als diese endlich eintreffen, sind aus den Spiralnudeln, Bandnudeln geworden und die Soße erinnert an den Spruch: ‚Acht sind geladen, zwölf sind gekommen. Gieß Wasser zur Suppe, heiß‘ alle willkommen.‘
Der zweite Gang besteht aus einer dünnen Scheibe Braten mit Kartoffeln. Vor zwei Wochen in Südtirol gab es davon immerhin drei Scheiben. Auch der mit Wasser gekochte Pudding ist kein Highlight, aber essbar.
*
Freitags geht es nach Venedig. Die Nacht war hart. Zwar kann man in den Betten einigermaßen liegen, aber sie quietschen, wenn man nur den Fuß bewegt. Will man sich gar umdrehen, bedeutet das die ultimative Weckgarantie für den Partner. Hannes geht als erstes unter die Dusche. Die Badeschuhe, die er in Hotels immer benutzt, bleiben auf dem Boden der Dusche kleben. Uns stellt sich nun die Frage, brauchen wir neue Badelatschen oder ist der Boden klebrig?
Beim Frühstück wird Unmut laut, denn nachdem einige aus der Gruppe natürlich nicht um acht Uhr mit Frühstücken fertig sind und wie gewünscht aus dem Speisesaal verschwinden, kommt der große Aha-Effekt. Bestand unser Frühstück aus zwei, sehr kleinen und trockenen Brötchen, einer Scheibe Salami, einer Scheibe Plastikkäse und einer Scheibe Klebeschinken sowie aus Marmeladenportionsdöschen, wird für die anderen Hausgäste groß aufgefahren. Plötzlich stehen Müsli, Croissants und andere feine Dinge auf dem Buffet. Zugegebenermaßen ist zumindest der Kaffee gut, falls man einen bekommt. Für vierzig Leute gibt es zwei langsam arbeitende Kaffeeautomaten. Lange Schlangen wartender Gäste davor sind die Folge. Jedenfalls ist jetzt klar, warum wir vor den anderen Gästen frühstücken müssen.
Mit dem Bus geht es nach diesem frugalen Mahl zum Hafen. Um nach Punta Sabbioni zu gelangen, muss man zuerst die Eintrittsgebühr für den Bus bezahlen. Hannes fährt zum Check Point und wird so auf die Schnelle einhundertsechzig Euro los. Der Parkplatz kostet natürlich extra. Diesmal, man glaubt es kaum – nur fünfundzwanzig Euro!
Wieder ist alles prima organsiert. Das Schiff, das uns nach Venedig bringen soll, ist schnell gefunden. An Bord treffen wir, wie könnte es auch anders sein, eine zweite Reisegruppe aus dem Saarland. Natürlich erfährt unsere Gruppe, dass die Teilnehmer dieser, für den gleichen Preis viel besser untergebracht sind. Ob es stimmt, ist zunächst nicht nachprüfbar. Die Verteilung der Zimmer übernehmen in Italien, wie erwähnt, in der Regel örtliche Agenturen.
Bereits um 10.15 Uhr sind alle auf dem Markusplatz in Venedig versammelt. Nicht vorgesehen ist der gleichzeitige Besuch des italienischen Staatspräsidenten Napolitana. Wir verlassen gerade das Schiff und betreten die Promenade, als scheinbar uns zu Ehren, die Amerigo Vespucci, das große italienischen Segelschulschiff, Salut schießt. So ist das eben, wenn Saarländer reisen.
Leider gilt dieser Empfang dann doch nicht uns. Der Treffpunkt zwischen den zwei Säulen auf dem Markusplatz, wo die Reiseleiterin auf uns warten soll, ist weiträumig abgesperrt. Die mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten sowie viele auffällig unauffällige Leibwächter erwecken nicht den Anschein, als würden sie uns durchlassen. Also bleiben alle erst mal unter einer Laterne stehen.
Von dort aus beobachten wir, wie der italienische Präsident, in einem Golfwagen fahrend, seinen weißen Hut huldvoll schwingend, an uns vorbeifährt. Leider habe ich den Mann vor dem Zug in seiner prächtigen Uniform für den Präsidenten gehalten und somit das falsche Foto geschossen. Naja, in Italien wechseln die Politiker schnell, vielleicht ist er ja irgendwann der Nachfolger.
Während die Fahrgäste weiter auf die Reiseleiterin warten, kommt Hannes Trauma erneut zum Vorschein. Hatte er doch Venedig fünfundzwanzig Jahre lang gemieden, weil ihm damals eine Taube ihre Hinterlassenschaft in seinem Cappuccino hinterließ, so kleckst es heute sogleich auf den Voucher für die Reiseleiterin.
Dann finden wir Maria oder sie uns. Hannes übergibt die Gruppe an die Stadtführerin und schlägt sich zusammen mit mir seitwärts in die Gassen. Schon nach kurzer Zeit ist uns klar, dass die Preise hier doppelt so hoch sind wie in Jesolo. Folglich spare ich viel Geld, indem jeder Kauf boykottiert wird.
Allerdings plagt uns gegen 15.30 Uhr der Hunger. Vorsichtig geworden, nachdem ich die Preise auf einigen Speisekarten gelesen habe, überlegen wir, wo und was wir essen sollen. Da es sinnvoll ist, um diese Zeit als mögliche Ansprechpartner unserer Reisegäste in Hafennähe zu bleiben, studieren Hannes und ich die Preise für die Pizzen auf einem Speisekartenplakat vor dem Gelateria-Ristorante.
Neun Euro empfindet Hannes für Venedig in dieser Lage als durchaus akzeptabel. Demzufolge suchen wir uns einen Platz unter den markanten grünen Markisen und bestellen eine Pizza Margaritha und zwei Cola. Diese kommen tatsächlich als Halbliterflaschen, statt wie sonst üblich in der Dose. Als die Rechnung vor uns liegt, ist der Schock groß. Achtundzwanzig Euro! Die Pizza kostet neun Euro, die Cola hingegen jeweils sieben Euro. Das Coperto beträgt 2,50 Euro pro Kopf. Dass der Kellner uns darauf hinweist, der Service sei nicht inklusive, müssen wir, aufgrund des eben erlebten Schocks, wohl überhört haben. Die Getränkepreise stehen übrigens nicht auf den großen Speisekarten vor den Restaurants.
Als Randnotiz bleibt zu vermerken, dass zwei unserer Fahrgäste dort für einen Cappuccino jeweils 5.50 Euro bezahlen. Am Abend vorher kosteten ein Cappuccino und ein Latte Macchiato zusammen 2.80 Euro. Allerdings in Jesolo.
Nachdem unsere Gruppe vollständig vertreten ist, betreten wir wieder Schiffsplanken. Das Schiff, das uns zurückbringen soll, erweist sich als sehr viel kleiner im Vergleich zu unserem Morgendampfer. Auch ist in der Zwischenzeit der Seegang um Einiges stärker geworden. Die Folge aus beidem sind einige blasse Nasen bei unseren Fahrgästen. Komischerweise hat Frau Rosenberg diesmal keine Beschwerden. Aber vielleicht ist sie ja irgendwo im Süden am Meer aufgewachsen, wo es nur Schiffe und keine Busse gibt.
Mit dem Bus geht es zurück zum Hotel. Da morgen für alle Freizeit angesagt ist, versucht Hannes das Frühstück auf eine moderatere Zeit als heute zu verlegen. Dieses misslingt mit dem Hinweis der Rezeptionistin, dass eine Gruppe, die pro Person nur etwas mehr als zwanzig Euro am Tag bezahlt, eben ein minderwertigeres Frühstück bekommt, als die Hausgäste. Deshalb dürfen Busgruppen ja nicht mit diesen zusammen essen. Die Originalworte der Dame sind: »Es ist uns peinlich, wenn die Reisegäste zusammen mit den Hausgästen frühstücken. Für das Geld, was wir für die Gruppe bekommen, können wir kein anderes Frühstück anbieten.«
Dieser Standardsatz wird auch vor den Fahrgästen ständig wiederholt.
Der nächste italienische Schlag trifft uns, als die Dame an der Rezeption erklärt, was für mich zu zahlen sei. In der Regel muss ich in Hotels nur mein Essen bezahlen, da das Zimmer des Busfahrers bereits bezahlt ist. Selbst in Viersternehotels in Deutschland liegt der Preis dafür bei etwa zwanzig Euro. Hier haben wir jedoch nur am ersten Tag gegessen und uns für die restlichen Essen, inklusive Frühstück, ordentlich abgemeldet. Meine Rechnung weist jedoch für den Essenstag vierzig und für die restlichen Übernachtungen jeweils dreißig Euro auf. Dieser Preis entspricht dem für Privatgäste! Für dieses Zimmer! Noch dazu habe ich nur das frugale Frühstück bekommen, keine Croissants. Auf unseren Protest hin wird die Rechnung auf insgesamt achtzig Euro reduziert. Auch dieser Preis entspricht nicht dem Gruppenpreis.
Nach diesem Ärger gehen Hannes und ich in die Stadt, wo wir in dem kleinen, netten Ristorante Belvedere, in der Via dei Mille, zuvorkommend bedient werden und zu einem angemessenen Preis hervorragend essen. Mich versorgt die freundliche Südtiroler Bedienung zusätzlich mit genügend Platzsets aus Papier, damit ich diese Geschichte aufschreiben kann. Dafür wird nicht einmal Coperto fällig.
Am selben Abend gibt es noch einen handfesten Streit zwischen dem Chef und dessen Nachtportier. Unsere Gäste berichten am nächsten morgen, dass der Nachtportier die Bar, in der sie noch zusammen saßen, schließen wollte, was dem Chef nicht passte. Das ganze Theater spielte sich vor den Hotelgästen ab, die gespannt auf die drohende Prügelei warteten.
*
Der Samstag steht zur freien Verfügung. Die Mitglieder unserer Reisegruppe dürfen heute allein entscheiden, was sie unternehmen wollen. Einige fahren ein zweites Mal nach Venedig, andere besuchen die Inseln Murano und Burano, um die dortige Glaskunst zu bewundern. Ein paar ganz Unverdrossenen gehen an den Strand, obwohl das Wetter nicht schön ist und ständig Regen droht.
Hannes und ich lassen das Frühstück ausfallen, denn wir wollen wenigstens einmal ausschlafen. Ich organisiere zwei Tassen Kaffee aus dem Speisesaal, die ich mit auf unser Zimmer nehme. Das muss bei diesem Preis einfach inklusive sein.
Später führt unser Weg über den Strand, wo einige unserer Hartgesottenen auf die Sonne warten, noch einmal nach Jesolo. In unserer Lieblingsgelateria, auch in der Via dei Mille gelegen, trinken wir Kaffee und frühstücken zwei warme Croissants mit Marmelade. Zusammen kostet uns das mit Trinkgeld sieben Euro. Auch das gibt es.
Im Anschluss an das Frühstück muss Hannes wieder einmal weiter laufen, als sein Bus lang ist, denn aufgrund der Hotelpreise ist ein Bankautomaten von Nöten. Wer jetzt glaubt, in einem Ort wo ein Geschäft neben dem anderen zum Geldausgeben verführt, gäbe es auch an jeder Ecke eine Bank, der irrt. Der Weg ist ziemlich weit, bevor wir in einer Nebenstraße fündig werden. Nachdem aber auch das geglückt ist, kehren wir in unser gastfreundliches Hotel zurück.
Auf der Toilette habe ich jetzt keine Lust mehr auf turnerische Übungen und nehme kurzerhand das Toilettenpapier aus der vorgesehen Halterung. Ab sofort hat es seinen Platz auf dem Rand des Bidets. Allerdings ist nicht mehr viel Papier vorhanden. Da es keine Ersatzrolle gibt, liegt der Verdacht nahe, dass für Gruppengäste nicht nur Brötchen und Wurst abgezählt sind, sondern auch die Blätter des immerhin zweilagigen Toilettenpapiers.
Weil das Hotelzimmer nicht zum Aufenthalt einlädt beschließen wir Siesta zu halten. Mit geschlossenen Augen ist es besser auszuhalten.
Nachdem dann der Bus aufgeräumt und für die Rückfahrt vorbereitet ist, treffen Hannes und ich den anderen Busfahrer aus dem Saarland. Es stellt sich heraus, dass seine Gruppe im Hotel Bettina, gleich nebenan wohnt. Ich nutze die Gelegenheit und frage, ob ich mir denn mal sein Zimmer ansehen dürfte. Da einige unserer Fahrgäste anführen, dass die andere Gruppe zum gleichen Preis viel besser untergebracht sei, muss ich mich davon ja überzeugen.
Und es stimmt tatsächlich. Während sich unsere Fahrgäste abends auf einer harten Holzbank rumdrücken müssen, begrüßt mich im Nebenhotel eine gemütliche, überdachte Veranda mit bequemen Korbmöbeln. Ein sehr freundlicher, deutsch sprechender Chef erlaubt mir ein Hotelzimmer und die Lobby zu fotografieren. Schnell wird der Unterschied deutlich. Helle, freundliche Räume, wohnliche Tagesdecken und Möbel, die zusammen passen und nicht wie bei uns vom Sperrmüll zu stammen scheinen.
Das Bad ist zwar genauso klein wie bei uns, jedoch sauber und modern. Es gibt einen Fön und die Toilette kann gefahrlos benutzt werden. Ich möchte am liebsten gleich umziehen.
Übrigens besichtigen wir den Speisesaal dort während des Abendessens. Es gibt keine Trennung zwischen Busgruppen und Hausgästen. Im Gegensatz zu unseren drei Schüsseln Salat stehen hier mindestens fünfzehn Schüsseln mit etwa zehn verschiedenen Salatsorten auf dem Büffet.
Auch an diesem Abend führt unser Weg wieder in die nette Pizzeria „Ristorante Belvedere“. Das Essen ist genauso gut wie am Vortag. Die Bedienung ebenso freundlich. Allerdings habe ich heute selbst Papier dabei.
Leider erleben wir, dass Jesolo sich durchaus mit dem Ballermann vergleichen lässt. Eine Horde italienischer und österreichischer Stadtcowboys fällt in den Badeort ein. Alle auf Mustangs. Leider haben diese vier Räder, eine leistungsstarke Hupe und sind von Ford. Angesichts eines Spritverbrauchs von mehr als zwanzig Litern stellt sich die Frage, wo die Umweltaktivisten sind, wenn man sie mal braucht.
Auch den Rettungsschirm für Italien sollte man in Frage stellen, so lange sich spätpubertierende Irre, diesen Blödsinn bei einem Spritpreis bis zu 1.90 Euro leisten können. Also Italien muss nicht von Angie gerettet werden.
Sollte an der Theorie, dass das Verhältnis zwischen Potenz und Anzahl an PS antiproportional zueinander steht, etwas dran sein, dann: »Arme Italienerinnen.«
Zeitgleich mit diesem Satz beginnt ganz Jesolo die deutsche Nationalhymne zu singen. Sogar die Österreicher beherrschen den Text und singen mit, weil sie sich sonst an nichts bei der EM erfreuen können. Da sie diesmal nicht mitspielen dürfen, partizipieren sie heute offensichtlich an den Fußballern der Piefkes. Bleibt die Frage, ob sie als Wendehälse morgen die italienische Hymne singen.
In der Lobby sitzen einige unserer Reisegäste, die sich das Fußballspiel ansehen. Mit dabei ist unsere Pärchen, das sich am Vortag in Venedig verlobt hat. Auf die Bemerkung: »Ich mag heute gar nicht ins Bett gehen«, frage ich erstaunt nach. Es stellt sich heraus, dass am Morgen eine Kakerlake ihr Bett erklommen hatte. Im weiteren Verlauf des Gesprächs zeige ich ihnen ein paar meiner Zimmerbilder, worauf die Verlobte meint, das wäre doch ein richtig großes Zimmer.
Neugierig geworden, interessiert es mich, ob ihres denn noch kleiner sei und sie steht auf, um es mir zu zeigen. Schnell hole ich die Kamera. Es ist unbeschreiblich. Unser frisch verlobtes Paar hat ein Zimmerchen, eher eine Kammer, mit getrennten Betten. Die Koffer stehen auf dem Boden, weil einfach kein Platz ist, um sie irgendwo anders hinzustellen. Das Zimmer ist so klein, dass es nicht möglich ist, es im Ganzen zu fotografieren. Im Bad geht das Fenster zusammen mit dem kompletten Rahmen auf, der Duschvorhang ist schimmelig, der Abfluss verstopft, … usw, usw.
An diesem Abend entscheidet unser „liebenswerter“ Nachtportier, der weder deutsch, englisch oder französisch spricht, dass die Gäste ihre Gläser aus der Bar selbst wegräumen. Da er es allerdings auf Italienisch anordnet, kann ihn von den späten Anwesenden leider keiner verstehen. Schon blöd, wenn ihn selbst die Italiener unserer Gruppe nicht verstehen wollen.
*
Für Sonntagmorgen ist die Heimfahrt vorgesehen. Angesichts der langen Fahrt soll die Abfahrt um 7.15 Uhr sein. Kurz nach sechs Uhr ziehen Hannes und ich los, den Bus zu holen. In der Lobby schläft unser freundlicher Nachtportier selig auf einem der Sofas, während die ersten Gäste unserer Gruppe daneben sitzen. Hannes greift zur Selbsthilfe und holt den Schlüssel für den Busparkplatz eigenhändig aus dem Schrank. Seit vier Tagen erzählt man uns, dass das Hotel voll sei. Komisch, dass morgens um sechs Uhr die Hälfte der Schlüssel an der Rezeption hängt. Ob die Hausgäste alle auswärts schlafen?
Um 6.45 Uhr ist das Gepäck verladen. Alle gehen zum Frühstück. Angesichts meines Hotelpreises erlaube ich mir zusätzlich unsere Coffee-to-Go-Becher mit Kaffee zu füllen. Währenddessen holt eine Frau unserer Gruppe für ihre Nichte ein Töpfchen Nutella von einem der Nachbartische. Sogleich steht die Bedienung neben ihr und nimmt die Portionspackung wieder weg. Das Gleiche passiert einem Mann unserer Gruppe. Nutella ist nicht für unsere Gruppe vorgesehen.
Um 7.10 sind vierunddreißig Leute im Bus. Also wird die Fahndung nach den restlichen Sechs eingeleitet. Es fehlt natürlich meine Frau Rosenberg, mit ihrem Clan. Sie sitzen im Speisesaal und erklären, dass die Abfahrt erst um acht Uhr sei. Daher würden sie erst einmal frühstücken. Woher sie diese Uhrzeit hat, ist mir schleierhaft und ich schicke Hannes zu ihr, während ich mich auf die Suche nach den übrigen beiden Fehlenden mache. Die haben verschlafen. Zum Glück ist bereits das Küken unserer Truppe auf die Idee gekommen, dass sie fehlen und hat sie kurzerhand geweckt.
Nachdem Hannes an der Rezeption dann auch noch den fehlenden Schlüssel in einem falschen Fach gefunden hat, kann die Fahrt um 7.32 Uhr endlich losgehen.
Gegen neun Uhr herrscht eine fröhliche Stimmung im Bus. Unsere neunköpfige Frauengruppe unterhält sich angeregt, als von der letzten Bank, ich muss den Namen Rosenberg wohl nicht erwähnen, ein empörter Protest ertönt. Sie könnte bei diesem Lärm überhaupt nicht schlafen, die Frauen sollten endlich mal ruhig sein. Den Gegenvorschlag, ein paar Koffer auf die Rückbank zu stellen und die vier Damen im Kofferraum schlafen zu lassen, muss Hannes leider ablehnen.
Unsere vorerst letzte Kakerlake aus Jesolo findet sich in einem Schuh kurz vor Mailand. Dorthin ist sie, aus einer Handtasche kommend, hineingeklettert. Als erste Selbsthilfe wird der Schuh in eine Mülltüte gesteckt und die dazugehörige Frau hüpft bei der Rast auf einem Bein, um das Insekt in Mailand auszusetzen. Endlich gibt es ein Beweisfoto.
Eine weitere Frau kommt hinzu und meint, falls mir noch ein Bild dieser lieblichen Tiere fehle, würde sie mir ihres von der vorheriger Nacht gern schicken.
Da vor dem Gotthardtunnel wieder einmal im Stau ist und uns nach wie vor die fast zwanzig Minuten vom Morgen fehlen, kommen wir etwas zu spät an der Wechselraststätte in Saverne an. Hier soll es keine Pause mehr geben, nur eine schnelle biologische Entsorgung wird angeordnet. Während alle anderen schon wieder im Bus sitzen, kommt Frau Rosenberg mit Anhang auf die Idee, jetzt könnten sie auch noch gehen. Wieder zehn Minuten, die fehlen.
Hannes und ich verlassen den Bus endgültig und fahren mit einem Sprinter zurück ins Saarland.
***
Auch wenn es sich nach diesem Bericht vielleicht nicht so anhört, es war alles in allem eine schöne Fahrt. Bis auf wenige Ausnahmen, ich nenne hier keine Namen mehr, hatten Hannes und ich eine tolle Gruppe dabei. Diese zeichnete sich vor allem durch den Humor aus, mit dem sie die wirklich extremen Bedingungen in Bezug auf das Hotel hinnahmen. Alles, was wir durch unsere Fahrgäste erfahren haben, wurde uns wertneutral erzählt und kam nicht als bitterböse Beschwerde rüber. Wenngleich alle Beschwerden zu Recht ergangen wären und von uns bestätigt werden können. Die meisten haben sich an den Ausflügen und Aufenthalten außerhalb des Hotels erfreut und ich muss wohl nicht mehr sagen, dass am letzten Abend kaum noch einer beim Abendessen im Hotel erschien. Die wenigen, die es dennoch taten, bekamen ein viertel Hähnchen. Die anderen haben wir in irgendwelchen Restaurants in Jesolo getroffen. Der ‚fischelnde‘ Fisch vom Vorabend war ihnen dann wohl doch zu viel gewesen.
Wir jedenfalls werden um dieses Hotel in Zukunft einen großen Bogen machen, aber unseren Feinden wird es wärmstens empfohlen werden.