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Kapitel 3: „Hat dir die Krankheit den Brägen püriert?“

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Das Restaurant lag in der Nähe des Großen Wannsee direkt am Havelufer. Es gab zwei Bootanlegeplätze und ein kleines Bootshaus. Wenn man wollte, konnte man sich entweder ein Ruderboot oder ein Tretboot mieten.

Vom Wasser gingen steinerne Stufen zu dem Restaurant hinauf, das eine riesige Terrasse hatte. Markisen, die je nach Wetterlage ein- oder ausgefahren werden konnten, leuchtete in gelb und weiß. Überall standen Blumenkübel und –kästen, deren Pflanzen und Blumen sehr gepflegt wirkten. Vor der Terrasse gab es noch eine große, freie und gepflegte Rasenfläche, die allerdings etwas uneben erschien.

„Was meinst du, Tobi? Kann man hier ein transportables Tanzparkett auslegen?“ Jan hatte sich hingehockt und strich mit seiner Hand über den Rasen. Tobias hockte sich neben seinen Freund, strich über den Rasen, nahm etwas Erde in seine Hände und begutachtete die Ebenmäßigkeit der Fläche.

„Man müsste ein Gitter legen, das ausbalanciert werden sollte. Dann kann man darauf den Steckparkett legen. Alles in dem Erdboden verankern und es hält.“

„Könntest du dich darum kümmern, mein Trauzeuge?“ Jan grinste seinen Freund entwaffnend an.

„Wusste ich doch, dass die Trauzeugennummer in Arbeit ausartet.“ Tobias grinste zurück. „Klar doch. Aber wie ich euch beide kenne, gibt es noch mehr, was ich und auch Hanna tun sollen, stimmt´s?“

Jan kratzte sich verlegen am Hinterkopf, sah seine Verlobte Hilfe suchend an. „Na ja, da gibt es schon noch ein paar Punkte.“

„Monika, könnten wir uns demnächst zusammensetzen und über die Blumenarrangements reden?“ Helena sah die ältere Frau bittend an. „Ich meine, du bist Floristin und hast immer so einen tollen Geschmack und so.“

Monika lachte laut los. „Aber ja doch. Du musst mir nur definitiv sagen, welche Blumen oder Pflanzen auf gar keinen Fall dabei sein dürfen und welche auf jeden Fall dabei sein müssen. Und über die Farben müssen wir uns Gedanken machen.“

„Und ich?“ Hanna sah ihre Freundin leicht misstrauisch an.

„Also, wir brauchen Hilfe bei der Sitzplatzbelegung. Und da ist dein Organisationstalent dringend gefragt. Außerdem musst du mit mir mein Brautkleid aussuchen gehen. Und wir beide müssen dein Kleid als Trauzeugin aussuchen, in Ordnung?“

„Gern. Hast du schon ein paar Brautgeschäfte ausfindig gemacht, die in Betracht kommen würden?“

Helena schüttelte den Kopf.

„Ich habe einige Adressen.“

Alle sahen erstaunt zu Tobias. Er lächelte verlegen.

„Na ja. Einige meiner Angestellten haben in den letzten zwei Jahren eine Art Hochzeitsmarathon aufgestellt. Die kann ich fragen, welches Geschäft sie empfehlen. Außerdem kenne ich selbst zwei Geschäfte, wo wir bei Turnieren und Auftritten fündig werden. Vielleicht hilft das auch.“

Helena strahlte. „Klasse Tobi!“

„Und es wäre toll, wenn du uns bei der Entscheidung für das Catering hilfst, Hanna“, sagte Jan und legte seinen Arm um Helenas Taille.

Hanna nickte. „Mache ich. Aber erwartet nicht, dass ich mich überall durch futtere. Das geht höllisch auf die Figur.“

„Da kann ich helfen!“, meldete sich wieder Tobias, wurde aber etwas rot, als Hanna ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah. „Ich meine, beim Probieren kann ich helfen. Ich kann unheimlich viel Essen und nehme einfach nicht zu.“

>Witzbold! <, dachte Jan.

>Ist doch wahr. Seitdem ich diese Visionen habe ist mein Grundumsatz erheblich gestiegen. Da kann ich mich doch durchfuttern.<

„Da ist noch etwas.“ Helena druckste herum, sah Jan vorsichtig an.

„Wir wollen die Party mit einem speziellen Tanz eröffnen. Einem Tango“, sagte der Bräutigam.

„Wow!“ Hanna riss die Brauen hoch. „Du kannst Tango tanzen, Jan?“

„Ja. Ich brauche nur eine Auffrischung. Tobi?“

„Klar. Ich denke, zwei oder drei Termine müssten bei dir reichen, Kumpel. Helena?“

„Ich brauche auch nur eine Auffrischung. Aber ….“ Sie schielte zu Hanna hinüber und wurde rot.

Hanna gefiel dieser Blick nicht. Ganz und gar nicht. „Lena?“

„Wir möchten einer Tradition folgend den Tanz gemeinsam mit den Trauzeugen eröffnen.“

Janniks Ansage bescherte Hanna ein heftiges Rauschen in den Ohren. Sämtliches Blut wich aus ihrem Gesicht und landete in den Füßen. Der Mund war staubtrocken und weit aufgerissen.

„Hat dir die Krankheit den Brägen püriert?“, donnerte Hanna Helena entgegen.

Die Heftigkeit, mit der Hanna diese sehr unfreundlichen Worte ausstieß, verwunderte alle, bis auf Monika und Helena.

„Johanna! Das kannst du doch nicht sagen!“ Monika war trotzdem schockiert.

„Und ob. Das kann nur ein sehr verspäteter Aprilscherz sein!“ Hannas Stimme klang leicht schrill vor Panik.

„Hanna. Bitte. Es würde mir so viel bedeuten.“ Helena ließ Jannik los und nahm die Hände ihrer Freundin in ihre.

„Lena, ich verstehe deinen Wunsch, wirklich. Aber wie um Himmels Willen willst du dieses Wunder geschehen lassen, häh?“

Helena blickte zaghaft lächelnd zu Tobias. „Könntest du ihr das Tanzen bei bringen, Tobi? Ich meine, es sind noch über neun Wochen bis zur Hochzeit und sie muss ja auch nur die Grundlagen tanzen können.“

Tobias hatte seine Augenbrauen hochgezogen und bisher kein Wort gesagt. Es verwunderte ihn nur zutiefst, mit welcher Vehemenz Hanna reagiert hatte. Vorsichtig drang er in Hannas Gedanken ein, kam aber nicht weit. Ein unglaubliches Durcheinander an Gefühlen und Gedanken schleuderten ihn regelrecht zurück.

„Whoa!“

„Siehst du? Er findet die Idee auch nicht berauschend!“ Hanna funkelte Helena wild an.

„Das meinte ich eben nicht, Hanna. Wirklich nicht. Ich bin nur über deine heftige Reaktion überrascht.“

„Helena nicht, denn sie weiß, warum ich so reagiere, nicht wahr?“

„Süße, die Tanzlehrer damals waren eben nicht wie Tobi. Er ist wirklich geduldig und einfühlsam. Er schafft das ganz bestimmt.“

„Vor oder nachdem ich ihm aus Versehen irgendwelche Knochen gebrochen habe?“

Helena blickte betreten zu Boden.

Monika bekam einen Lachanfall. Sie stand da und schüttelte sich regelrecht. „Meine Güte! Du denkst doch etwa nicht an diesen Vorfall?“

„Vorfall?“ Hannas Stimme kiekste etwa zwei Oktaven höher als sonst. „Ich habe es in drei Tanzschulen versucht. Dem letzten Tanzlehrer habe ich den Mittelfußknochen gebrochen, als ich ihn mit meinem Absatz traf! Eure Haftpflichtversicherung musste dem Mann Schmer­zensgeld zahlen.“

Tobias sah Hanna erstaunt an, schmunzelte dann aber. „Interessant.“

Hannas Augen gingen auf Halbmast. „Bist du masochistisch oder was?“

Tobias rieb sich mit der Hand über den Mund, blickte kurz zu Lyssa, die ein paar Meter weiter auf einer Schaukel saß und aufmerksam zugehört hatte.

„Kommt darauf an, um was es geht.“ Seine Stimme war sehr leise.

Hannas Kinnlade klappte runter und sie wurde puterrot. Die Deutlichkeit, die hinter der Aussage stand, war ihr nicht entgangen.

„Tobias!“ Helena blitzte Jans Freund an.

>Was denn? Sie hat angefangen!<, wollte er eigentlich sagen, aber Janniks kaum merkliches Kopfschütteln bremste ihn.

„Entschuldige, Hanna. Das war unpassend. Ist mir so rausgerutscht.“

Bevor Hanna irgendetwas sagen konnte, zog Helena sie ein paar Meter weit weg. „Nana. Du bist meine beste Freundin. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es mir erstens nicht unglaublich wichtig wäre und ich zweitens nicht davon überzeugt wäre, dass Tobi es schaffen kann. Das du es schaffen kannst! Bitte!“

Helenas dunkle Augen waren eine Nuance heller geworden, so schien es Hanna. Sie schimmerten sogar leicht silbrig. Aber das war es nicht, was Hannas Gemüt beruhigte.

Seit ihrer Kindheit war es Helena, die immer für Hanna da gewesen war. Ob es um Hilfestellung bei dem Schulstoff ging, andere Mädchen, die Hanna ärgerten oder die erste Liebe, die ihr fast das Herz gebrochen hatte. Immer war es Helena, die da war und sie aufgefangen hatte. Und Helena hatte nie etwas im Gegenzug verlangt. Sie war einfach nur da.

Hanna schämte sich plötzlich. War es denn wirklich zu viel verlangt, wenn sie einmal über ihren Schatten springen würde?

„Okay, ich mache es.“ Hanna umarmte Helena. „Entschuldige. Ich habe Panik bekommen. Ich habe dich nicht verdient, Süße. Es tut mir Leid.“

„Ich muss mich entschuldigen, Nana. Ich hätte dich damit nicht so überfallen sollen.“

Die beiden Frauen standen eng umschlungen da und ließen die Freundschaft, die zwischen ihnen war wie einen schützenden Kokon neu wachsen.

„Ich will ja nicht taktlos sein,“, begann Tobias, als die beiden Frauen zur Seite gegangen waren. „aber hat Hanna wirklich einem Tanzlehrer den Fuß gebrochen?“ Seine grünbraunen Augen blickten Monika Martens fragend an.

Monika lächelte ihn verlegen an. „Allerdings. Hanna hat fast kein Gespür für Musik und Tanz. Kein Rhythmusgefühl. Sobald es heißt: `Lass uns tanzen! ´ versteift sie sich.“

Tobias zog kurz die Augenbraue hoch. „Jetzt verstehe ich auch, warum sie sich so hartnäckig geweigert hatte, mit mir in der Disko zu tanzen. Armes Ding.“

Jan verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn einer es schafft, Hanna das Tanzen beizubringen, dann du, Meister.“

Tobias warf Jan einen vernichtenden Blick zu. >Ich werde tun, was ich kann. Aber neun Wochen sind eine verdammt kurze Zeit, Bruder!<

>Lass dir was einfallen, mein Trauzeuge. Ich werde schließlich nur einmal heiraten.<

Tobias konnte das Knurren nicht unterdrücken und Jan grinste breit.

Hanna und Helena kamen zurück. Lyssa war von der Schaukel gesprungen und umarmte ihre Mutter stürmisch.

„Entschuldigt bitte meine heftige Reaktion, Leute“, sagte Hanna zerknirscht. „Es war unangebracht, unpassend und unnötig.“

Tapfer sah sie Tobias in die Augen. „Ich würde mich freuen, wenn du mir das Tanzen beibringen könntest, Tobias. Ich möchte meiner Freundin und ihrem Bräutigam die Freude machen und auf ihrer Hochzeit tanzen.“

Tobias lächelte die kleine Frau sanft an. Es imponierte ihn, dass sie ihren Stolz überwand und sich nicht nur entschuldigte, sondern ihn direkt ansprach und um Tanzunterricht bat. Schnell überflog er im Kopf seine Termine.

„Wenn du willst, können wir gleich am Dienstagabend beginnen.“

Hanna bekam wieder Herzrasen bei der Vorstellung, aber sie beherrschte sich. „Ich … muss nur wegen Lyssa ….“

„Lyssa kann am Dienstag bei mir übernachten!“, meldete sich Monika. Sie grinste ihre Enkelin breit an. „Wir verstehen uns schließlich prächtig. Und Mittwoch früh bringe ich sie zur Schule. Kein Problem.“

Tobias sah Hanna erwartungsvoll an.

„Also, wenn das so ist.“ Hanna blickte etwas unsicher zu Boden, schluckte.

„Ach, Mama! Ich bin gerne bei Oma. Das ist okay, wirklich.“

Lyssa sah ihre Mutter mit großen blauen Augen an und lächelte entwaffnend.

Hanna seufzte und ließ die Schultern sinken. „Also gut!“

Tobias verkniff sich ein triumphierendes Grinsen und kramte eine Visitenkarte von sich hervor. „Hier steht die Adresse meiner Tanzschule. Sagen wir … so gegen acht?“

Zögernd nahm Hanna die Karte entgegen. „Werden da noch andere Kurse stattfinden? Ich meine, wird es Zuschauer geben?“ Sie konnte nicht verhindern, dass sie sehr ängstlich klang.

Tobias legte den Kopf etwas schief. „Wir beide werden unter uns sein. Die beiden anderen Kurse werden in Saal 1 und 2 abgehalten. Wir haben den kleinen Saal 3. Der dient meistens nur als Aufwärmraum. Ich werde dafür sorgen, dass uns niemand stört. Versprochen.“

Seine Rücksichtnahme verblüffte Hanna. „Danke“, sagte sie leise.

„Bring deinen Terminkalender mit. Wir müssen abstimmen, wann wir trainieren. Ohne dir zu Nahe treten zu wollen, aber mit einer Übungsstunde ist es nicht getan.“

Hanna nickte. Sie wusste, dass er Recht hatte und nahm es ihm nicht krumm. Außerdem hatte er es völlig neutral und ohne jede Wertung gesagt.

„Wann machst du Freitag Feierabend?“, fragte Helena plötzlich.

Hanna überlegte schnell. „So gegen 16.00 Uhr. Warum?“

„Dann können wir vielleicht ein paar Brautgeschäfte unsicher machen. Ich hole dich von der Arbeit ab und wir steuern die Geschäfte direkt an. Ich gucke vorher im Internet nach, wo es sich lohnt und wo nicht, dann grenzen wir die Geschäfte ein.“

„Ich kann Lyssa vom Hort abholen und dann zu mir nehmen“, bot Monika an.

„Dann kann ich dir im Laden helfen, Oma!“ Das Kind war wirklich schnell zu begeistern. Sie liebte den Blumenladen ihrer Oma, die Farbenvielfalt, die Düfte.

Hanna warf die Arme in die Luft. „Also gut. Und ich werde morgen gleich versuchen, meinen Urlaub in den Sommerferien ein wenig umzuschubsen, damit es wegen der Hochzeit passt.“

Helena umarmte ihre Freundin erneut und lachte glücklich.

Wenn Vampire Tango tanzen

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