Читать книгу Wenn Vampire Tango tanzen - Heike Möller - Страница 8
Kapitel 5: „Lass dich einfach fallen!“
ОглавлениеDieser Saal war deutlich kleiner als der Saal im Erdgeschoss. Es war lediglich eine Wand entfernt worden, aber auch hier befand sich an der gegenüberliegenden Seite eine Spiegelfläche und eine Ballettstange.
>War so ´ne Stange auch in dem anderen Saal? <, fragte sich Hanna, die plötzlich wieder Panik bekam. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu hyperventilieren.
Der Raum war etwas stickig und Tobi ging zu den Fenstern, die auf den Hof führten. „Was dagegen, wenn ich ein Fenster öffne?“
„Nö!“ Hanna konnte jetzt nicht mehr verhindern, dass ihre Stimme vor Angst kiekste.
>Scheiße! Das endet in einer Katastrophe!<
Tobias öffnete ein Fenster und ging zu einer kleinen, aber modernen Stereoanlage, die auf der rechten Seite zwischen zwei Fenstern stand. Er drückte auf `Play´ und ein gleichmäßiger Rhythmus auf Pauken geschlagen erklang. Keine Melodie, nichts, was irgendwie an Musik erinnerte.
Nur ein Rhythmus.
Leichtfüßig kam Tobias auf Hanna zu, stellte sich hinter sie. „Okay. Beginnen wir mit ein paar kleinen Regeln.“
„Regeln gibt es auch?“ Hanna blickte mit weit aufgerissenen Augen über ihre Schulter nach hinten. Ihr Mund war plötzlich staubtrocken und sie wünschte sich, etwas Wasser trinken zu können. Dummerweise hatte sie die Flasche zusammen mit dem Handtuch und den Taschentüchern gleich neben der Tür abgelegt.
Tobias verkniff sich ein Schmunzeln und sah Hanna todernst an. Er konnte die Panik der Frau fühlen, ihre Angst riechen.
Ihren Duft.
Rasch verschloss er sich vor diesen Eindrücken und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe.
„Regel Nummer eins: Bedingungsloses Vertrauen mir gegenüber. Ich weiß, was ich tue und wie ich es dir vermitteln kann. Also brauchst du mich nicht in Frage stellen, klar?“
„Klingt ein wenig despotisch, findest du nicht?“ Hanna spürte einen Unmut, der sich auf den Weg vom Magen nach oben machte.
„Regel Nummer zwei: Blöde Bemerkungen und Respektlosigkeit sind ab sofort einzustellen, solange du dich im Tanzunterricht befindest. Hinterher kannst du mir gerne Gemeinheiten an den Kopf werfen, aber hier drin habe ich das sagen. Klar soweit?“
Hanna schnappte ein paar Mal, als ob sie etwas sagen wollte, aber der Blick aus den grünbraunen Augen bohrte sich regelrecht in ihre.
„Okay“, sagte sie leise. „Alles klar.“
„Regel Nummer drei: wenn du Schmerzen hast, ich meine richtige Schmerzen, sage mir sofort Bescheid. Ich will dich nicht unnötig quälen.“
„Danke. Denk´ ich.“
„Regel Nummer vier: Das Denken übernehme ich.“
Hanna würgte sich eine bissige Bemerkung hinunter, nickte nur stumm. >Das bekommst du wieder!<
„Gut. Stelle dich einfach hier hin. Ganz locker, lass die Arme schwer fallen, die Schultern. Nur stehen.“
Hanna pustete kurz, stellte sich mit leicht auseinander stehenden Beinen hin und versuchte zu entspannen. Aber sie merkte, wie die Verkrampfung nicht aus ihren Schultern wollte. Sie schüttelte ihre Arme, bewegte die Schultern, atmete erneut durch.
Tobias entging Hannas innerer Kampf nicht. Er legte seine Hände von hinten auf ihre Schultern. „Schließe die Augen. Vertrau mir.“
Seine Stimme strich sanft an ihrem Ohr, die warmen Hände auf ihren Schultern fühlten sich wider Erwarten gut und vertraut an. Obwohl ihr Verstand sagte, sie solle die Augen gefälligst offen lassen, hörte sie auf eine innere Stimme, die ihr neu war.
Hanna schloss die Augen.
Und entspannte sich kurze Zeit später.
„Sehr gut, Hanna. Und jetzt: atme. Ganz ruhig und gleichmäßig. Ein … und aus. Ein … und aus.“
Tobias ließ seine linke Hand auf Hannas linker Schulter liegen. Die rechte strich langsam an ihren Arm hinab. Ihre Haut war kühl und leicht feucht. Die Schwüle des späten Frühlings ging auch an ihr nicht spurlos vorbei.
„Immer weiter atmen. Höre deinem eigenen Atem zu. Ein … und aus. Ein … und aus.“
Hanna hatte das Gefühl, dass Tobias´ Stimme in ihrem Kopf war und nicht an ihrem Ohr. Aber es fühlte sich gut an. Sie spürte, wie sie immer mehr entspannte, dabei sowohl ihrer Atmung als auch Tobis leiser, weicher Stimme zuhörte.
„Ich werde jetzt meine Hand auf deinen Bauch legen. Du konzentrierst deine Atmung auf meine Hand. Ich will deine Atmung in meiner Hand fühlen.“
Seine Hand glitt zwischen ihrem rechten Arm und der Taille nach vorn, ganz langsam. Seine Hand legte sich warm und leicht auf ihren Bauch oberhalb des Nabels.
„Ein … und aus. Ein … und aus.“
Hanna spürte die Hand, spürte, wie ihr Bauch sich seinem Rhythmus folgend in seine Hand dehnte und wieder entspannte.
„Und jetzt lasse deine Atmung den Rhythmus folgen, den du von der Musik hörst.“
Die Stimme wehte leise und warm in ihr Ohr. Hanna hörte plötzlich eine Musik im Hintergrund. Leise, mit dem gleichmäßigen, fast trägen Rhythmus der Pauken. Sie folgte dem Rhythmus mit ihrer Atmung, atmete in ihren Bauch, in Tobias´ Hand.
„Gut so. Immer weiter.“
Die linke Hand strich ebenfalls langsam an Hannas Arm hinab, schob sich an der Taille entlang auf ihren Bauch. Er brachte seine Lippen jetzt dicht an ihr Ohr. „Spürst du den Rhythmus als Erschütterung im Fußboden?“
Hanna lenkte ihre Konzentration von ihrem Bauch auf ihre Beine, auf die Füße. Ein leichtes Vibrieren kitzelte in regelmäßigen Abständen die Fußsohlen.
„Ja“, flüsterte sie.
„Gut. Lass diesen Rhythmus in dir stärker werden. Fühlen, nicht denken. Fühlen, nicht hören. Ein … und aus. Ein … und aus.“
Hanna hatte nach einigen Minuten das Gefühl, dass ihre Füße und Beine in einem schwachen Strombad stehen würden. Es kribbelte aufwärts, über die Knie hinweg.
Es war ein schönes Gefühl, befreiend und befriedigend zugleich. Sie gab sich nun völlig dem Rhythmus hin, spürte nur noch das Beben in den Füßen und die Hände auf ihren Bauch.
Tobias lächelte leicht. Er hätte nicht gedacht, dass Hanna sich ihm so schnell öffnen würde. Er hatte wesentlich mehr Widerstand erwartet. Aber offensichtlich wollte Hanna für Helena die Sache mit dem Tanzen wirklich durchziehen.
Er atmete kurz durch die Nase ein und wäre fast aus dem Takt gekommen. Der Duft, der von Hannas Haut ausging, war ungewöhnlich und intensiv. Eine Mischung aus wilder Pflaume und Zimt, mit einem Hauch Vanille.
>Oh Mann, jetzt fantasiere ich auch noch!<
So schnell, wie seine Unsicherheit aufkam, so schnell schüttelte er sie wieder ab. Er fing an, Hanna in seinen Armen im Rhythmus der Musik hin und her zu wiegen.
„Deine Füße sind so leicht wie Luft, Hanna. Sie fühlen den Rhythmus, aber sie schweben dicht über dem Boden. „Ein … und aus. Ein … und aus.“
Tobias merkte, dass seine Stimme heiser war. Aber er wagte es nicht, sich zu räuspern. Er wollte Hanna nicht aus diesem Zustand reißen.
„Lege deine Hände auf meine. Lass dich einfach fallen.“
Hanna kam der Aufforderung umgehend nach. Tobias zuckte kurz zusammen, als ihre kühlen Hände seine Haut berührte. Seine Schaukelbewegungen wurden großzügiger.
Der Rhythmus der Musik änderte sich etwas. Der Takt wurde etwas schneller und Tobias änderte die Schaukelbewegung dem neuen Takt entsprechend.
„Du bist wie eine Schaumkrone auf der Welle, tanzt über dem Wasser, gleitest dahin. Aber du hast noch Spannung in dir, bestimmst das Tempo selbst.“
Hanna hatte das Gefühl, in einen Schwebezustand zu geraten. Ihr Unterbewusstsein bekam mit, dass die Pauken immer leiser wurden und sich der Musik, die erklang, immer weiter unterordneten.
„Eins und zwei. Eins und zwei. Eins und zwei.“ Tobias Stimme wehte in ihr Ohr und unwillkürlich begann sie, den Rhythmus nachzusprechen, war nach wenigen Takten synchron mit ihm.
Tobias drückte Hanna sanft bei den Schaukelbewegungen in eine Aktion. Sie begannen, kleine, rhythmische Seitenschritte zu machen.
Die Musik wurde etwas schneller, war aber immer noch leicht nachvollziehbar. Hanna glaubte, einen Walzer herauszuhören.
Tobias ergriff mit seiner rechten Hand Hannas linke Hand, drehte sie langsam während der wiegenden Schritte in seinen Arm herum. Dann nahm er ihre rechte Hand und legte sie auf seine Schulter. Langsam glitt seine Hand wieder auf ihre Taille.
„Eins und zwei. Eins und zwei.“
Ihre synchron gesprochenen Worte gaben den Rhythmus des Walzers perfekt wieder. Tobias führte Hanna jetzt langsam und in kleinen Schritten über das Parkett.
„Öffne deine Augen, Hanna.“
Vorsichtig blinzelte sie zwischen ihren Lidern hindurch … und vergaß zu zählen.
Ihre Füße brauchten den angesagten Rhythmus nicht mehr, denn sie machten von allein die Bewegungen und folgten dem Rhythmus. Erstaunt sah sie in Tobias´ Gesicht. Er lächelte zufrieden, seine grünbraunen Augen blickten sie warm an.
„Fühlst du den Rhythmus immer noch, Hanna?“
„Ja!“ Hanna konnte nur leise flüstern. Sie glaubte gerade nicht, was hier geschah. Vor elf Jahren hatte sie entnervt die Versuche, tanzen zu lernen, aufgegeben. Sie hatte einfach kein Gespür für Rhythmus entwickeln können. Zwar konnte sie einen Walzer von einem Cha-Cha-Cha und einem Tango unterscheiden, aber das war es auch schon.
„Ein guter Anfang. Wirklich gut.“ Tobias umfasste Hanna jetzt etwas fester. „Stelle dich mit deinen Füßen auf meinen.“
Ohne nachzufragen folgte Hanna der Aufforderung. Sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte, dass er wusste, was er tat. „Achte mit deinen Füßen darauf, welche Schritte ich mache. Das ist ein einfacher Walzer.“
Tobias fing an, im Walzerschritt durch den Raum zu gehen. Dabei hielt er Hanna an Taille und Hand fest und sicher.
„Rechtsherum, rechtsherum, dumdidum“, sang er leise mit.
Hanna wollte etwas sagen, aber sie hatte Angst, aus der Konzentration zu fallen. Also kniff sie lächelnd ihre Lippen zusammen und klammerte sich an Tobis Schulter und Hand fest.
>Sie fühlt sich gut an. In meinen Armen. Irgendwie … genau richtig.<
Der Duft der wilden Pflaumen stieg wieder in seine Nase. Verwirrt schüttelte er den Geruch aus seiner Nase und die Gedanken aus seinem Gehirn.
Die Pauke war komplett aus der Musik verschwunden. Nur Klavier und Geige war noch zu hören. Als die Musik aus war, hielt Tobias nicht sofort an, sondern machte noch ein paar kleine Drehungen. Dann hielt er an, ließ Hanna aber nicht los.
„Wow“, sagte sie leise und strahlte ihn an.
„Ja.“ Er räusperte sich. „Du, ähm … kannst wieder von meinen Füßen runter.“
„Häh?“ Hanna sah nach unten. Sie stand immer noch auf dem Spann seiner Füße. „Ach herrje! Entschuldige.“ Schnell stieg sie von seinen Füßen und untersuchte umgehend, ob sie ihm auch nicht wehgetan hatte. Nicht einmal Druckstellen waren zu erkennen.
„Du bist ziemlich kräftig.“
Irritiert schloss Tobias kurz die Augen. „Was?“
Verlegen löste sie sich aus seinem Griff. „Na ja. Ich bin nicht gerade ein Federgewicht.“
Verständnislos sah Tobias in Hannas braune Augen. Waren kleine blaue Sprenkler in der Iris?
„Warum glauben Frauen, die absolut richtig proportioniert sind, immer, dass sie zu dick sind?“
„Liegt vielleicht daran, dass ich wirklich ein paar Kilo zu viel wiege.“
Tobias war klug genug, mit Hanna keine Diskussion über weibliche Kurven anzufangen. „Glaube mir nur eins, Hanna: ich habe dein Gewicht nicht gespürt.“
>Heißt das jetzt, ich habe Gewicht und er ist nur zu höflich, um es mir nicht unter die Nase zu reiben? Oder war das ein Kompliment?< Hanna hasste es, verwirrt zu werden.
Tobias verschloss sich vor Hannas Gedankengänge. Er empfand sie als Schwindelerregend und unpassend. „Ich habe mit dem Walzertakt angefangen, weil ich ihn am einfachsten von allen Takten und Rhythmen empfinde. Wie hat man bisher versucht, dir das Tanzen beizubringen?“
„Schritte.“
Tobias machte eine wedelnde Handbewegung. „Bitte einen kompletten Satz, Hanna.“
Sie grinste. „Die bisherigen Tanzlehrer haben mir von Anfang an versucht, Schritte beizubringen. Du weißt schon, aufgemalte Füße auf dem Boden, die man nachlaufen muss.“
Tobias grunzte etwas Unverständliches. „Dilettanten!“, kam letztendlich heraus.
Hanna lag eine sarkastische Bemerkung auf der Zunge, aber sie verkniff sie sich. „Ich gebe gern zu, dass ich positiv überrascht bin.“ Sie ging zu ihrer Wasserflasche und gönnte sich einen großen Schluck.
„Inwiefern?“
„Ich habe nie ein Gefühl von Rhythmus vermittelt bekommen. Okay, in der Schule wurde beim Musikunterricht ein Metronom eingeschaltet. Aber das hatte eine eher einschläfernde Wirkung auf mich. Ich habe verschiedene Instrumente ausprobiert, und jedes Mal waren die Lehrer und die Mitschüler froh, wenn ich es wieder abgegeben hatte. Singen war die gleiche Katastrophe.“
Tobias schüttelte den Kopf und ging zu der Stereoanlage. „In jedem Menschen steckt ein Hauch von Musikalität. Es braucht den richtigen Schlüssel, um aus dem Hauch eine Brise oder einen Orkan zu machen. Du liebst doch Musik, nicht wahr?“
Hanna nickte. „Na klar! Ich höre die ersten Sekunden eines Liedes im Radio und ich weiß, welches Lied es ist und wer es singt. Selbst die Unterschiede zu den Coverversionen habe ich schnell raus. Aber sobald ich anfange mitzusingen ….“
Tobias grinste. „Komm. Lass uns noch mal den Walzer tanzen. Fühle dich wieder in den Rhythmus hinein.“
Hanna schraubte die Wasserflasche zu und stellte sie wieder hin. Dann ging sie in die Mitte des Saales zurück und wartete auf Tobias, der sich ihr mit federnden Schritten näherte, nachdem er erneut die `Play´-Taste gedrückt hatte.
„Darf ich bitten?“ Er reichte ihr die rechte Hand, die sie mit einem schiefen Lächeln ergriff. Langsam, und dieses Mal mit geöffneten Augen, ließ Hanna sich von dem Rhythmus wieder mittragen.
Hanna saß mit dem Rücken an der Wand neben der Tür gelehnt. Auf ihren Knien hatte sie ihren Terminkalender, in der Hand einen Stift. Das Handtuch lag um ihren Nacken.
Tobias kam aus einem Raum, der hinter der Spiegelwand lag. Er hatte zwei kleine Flaschen Mineralwasser dabei.
„Danke.“ Hanna nahm ihm eine Flasche ab und stellte sie neben sich. Sie hatte gerade ihre Wasserflasche ausgetrunken und hatte im Moment keinen heftigen Durst mehr.
Tobias setzte sich neben sie und überkreuzte seine Beine an den Knöcheln. Nachdenklich öffnete er die Flasche und trank mehrere Schlucke.
„Was glaubst du, wie oft müssen wir üben?“ Hanna sah ihn von der Seite her an. Kleine Schweißperlen glänzten an seiner Schläfe und auf der Nase, ansonsten wirkte er aber nicht sehr angestrengt.
Sie hingegen war fix und fertig. Sie freute sich schon jetzt auf den morgigen Muskelkater.
„Wenigstens zweimal die Woche. Jeweils zwei Stunden. Und Hausaufgaben für dich.“
Überrascht klappte ihr die Kinnlade herunter. „Hausaufgaben?“
Tobi nickte. „Ich gebe dir ein paar CDs mit, die du dir abends, wenn Lyssa im Bett ist, anhören solltest. Lege dich dann flach auf den Boden, konzentriere dich auf die Rhythmen und atme mit den Rhythmen mit. Dabei legst du dir deine Hände auf den Bauch.“
„Oh! Okay, das klingt … machbar.“
„Wir könnten jeden Dienstag zusammenkommen. So wie heute. Wie sieht es da bei dir aus?“
Hanna blätterte in ihrem Terminkalender. „Alles frei bis zur Hochzeit. Dienstag ist gut. Ich muss nur meine Mutter für diese Tage als Babysitter gewinnen.“
„Stellt das ein Problem dar?“ Tobi winkelte seine Beine an und legte die Arme auf seine Knie. Dann blickte er Hanna von der Seite an.
„Nö. Glaube ich nicht. Welcher Tag würde noch für dich passen?“
Tobias überlegte kurz. „Samstag. Zwischen 12 und 14 Uhr.“
„Ich muss mal sehen, was ich dann mit Lyssa mache.“ Sie blätterte kurz in ihrem Kalender. „Am 18. Juli habe ich Dienst.“
„Was arbeitest du eigentlich? Ich habe dich das damals, glaube ich, nicht gefragt.“
„Ich bin Apothekerin.“
Tobi grinste plötzlich. „Ich sollte dich vielleicht lieber nicht ärgern, sonst verabreichst du mir noch Rizinusöl oder so was.“
„Interessanter Gedanke. Aber es gibt andere Methoden, um sich für Gemeinheiten zu rächen.“ Hannas Augen blitzten schelmisch.
„Möchte ich das wissen?“
„Nein!“, sagte Hanna mit Bestimmtheit.
Tobias lachte ein trockenes, kehliges Lachen. „In Ordnung. Was hältst du davon, wenn du Lyssa am Samstag mitbringst? Ich habe einen Kindertanzkurs, der von 12 bis 13.30 Uhr geht. Vor einem Monat hat der Kurs erst begonnen und die Altersklasse ist von sechs bis zehn. Vielleicht macht es ihr Spaß!“
Hanna klopfte mit ihrem Kugelschreiber an ihre Lippe. „Na gut. Aber ich bezahle Lyssas Stunden.“
Tobias nickte. „Einverstanden. Fangen wir gleich diesen Samstag an. 12 Uhr hier im Studio. Der Kindertanzkurs ist eine Etage tiefer im Saal 2. Ich kläre das mit Silke, die den Kurs leitet und dann kann es losgehen.“
Hanna notierte es sich in ihrem Kalender.
„Danke, Tobi.“
„Wofür?“
„Du hast mir die Panik genommen. Ich habe immer noch Angst, aber die Panik ist weg.“ Sie griff nach der Wasserflasche und öffnete sie.
„Auf den Fortschritt!“, sagte Tobias und hielt seine Wasserflasche zum Anstoßen hin.
Hanna kicherte kurz auf. „Auf den Fortschritt!“ Sie stieß mit Tobi an.
„Gibst du mir deine Telefonnummern, falls irgendwas mal dazwischen kommen sollte?“, fragte er nach einigen Augenblicken des Schweigens.
„Gern.“ Hanna schlug die letzte Seite ihres Kalenders auf. Dort waren die Seiten für Notizen. Rasch schrieb sie ihre Festnetz- und Handynummer auf, riss das Papier aus dem Kalender und gab es Tobias. „Kann ich dich was fragen?“
Er grinste. „Tust du doch schon.“
Hanna verzog das Gesicht. „Schlaumeier!“
Tobias kicherte leise. „Schieß los.“
„Wohnst du auch in diesem Haus?“
Er nickte und zeigte mit dem Finger nach oben. „Willst du die Wohnung sehen?“
Aus irgendeinem Grund wurde Hanna unruhig. „Ähm … heute nicht.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war schon 23 Uhr durch. „Ist schon spät. Ich muss noch ein bisschen mit der U-Bahn fahren.“
„Ich fahre dich gern nach Hause.“ Sein Blick hing ruhig in ihrem Gesicht.
>Die Augen schimmern golden. Das ist schön!<
„Danke, aber nein danke. Ist nicht nötig. Ich bin ein großes Mädchen.“
Sein Mundwinkel zuckte kurz. „Ich weiß. Trotzdem: ich fahre dich gern nach Hause.“
Hanna klappte ihren Terminkalender zu. „Gute Nacht, Tobi.“
Sie stand auf und ging in den kleinen Korridor. Dort verstaute sie ihre Sachen ordentlich in die Sporttasche, zog eine Strickjacke hervor.
„Habe ich was Falsches gesagt?“
Hanna zuckte zusammen, als die Stimme dicht hinter ihr ertönte. „Nein!“ Verlegen fischte sie mit dem Fuß nach ihrer Sandale. „Ich bin nur ziemlich kompliziert. Du weißt schon, Unabhängigkeit, niemanden etwas schuldig sein wollen und so.“
Tobias verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Türpfosten. „Stimmt. Du bist kompliziert. Aber ich mag Menschen, die mich überraschen können.“
Hanna starrte ihn kurz an. „Okay!“, sagte sie gedehnt. Und dann lachte sie dieses kurze, trockene Lachen, das beinahe spöttisch klang.
Vor drei Monaten in der Diskothek, da hatte sie auch dieses kleine Lachen gelacht. Das hatte ihn neugierig gemacht.
`Diese Frau wird dich in Grund und Boden diskutieren! ´, hatte Jan damals gesagt.
>Das werden interessante Wochen!<, dachte Tobi und senkte breit grinsend den Kopf.
„Darf ich fragen, warum du grinst?“ Hanna hockte sich hin und schloss ihre Sandalen.
„Du fragst bereits.“
Sie verdrehte die Augen, ersparte sich diesmal aber einen Kommentar.
„Ich bringe dich noch runter. Ich muss sowieso die Haustür aufschließen. Ist keiner mehr da.“ Er schlüpfte in seine Halbschuhe und fischte einen Schlüssel aus der Hosentasche.
„Ist es nicht ziemlich gruselig, so ganz allein in diesem Haus zu wohnen?“
Tobias konnte nicht verhindern, dass er erstarrte.
„Entschuldige, geht mich nichts an.“ Hanna hatte den angespannten Gesichtsausdruck sehr wohl bemerkt.
„Nein, ist schon in Ordnung, Hanna. Und nein, es ist nicht gruselig. Ich … liebe die Ruhe.“ Er wagte es nicht, in ihre Augen zu sehen.
>Ich ziehe die Einsamkeit vor. Ich bin gern allein. Ich brauche niemanden um mich herum! <
Diese Litanei redete er sich jetzt seit etwa zwei Jahrhunderten ein. Schweigend gingen sie die Treppen hinunter. Tobias schloss die schwere Haustür auf und ließ Hanna raus.
„Hanna!“
Sie drehte sich noch einmal auf der Straße um und sah ihn in der Haustür stehen. „Ja?“
„Ich … habe den Abend wirklich sehr genossen. Und … danke, dass du mir nicht mehr böse bist. Wegen dem Vorfall in der Disko.“
>Verdammt! Warum bin ich nur so verlegen?<
„Mir hat der Abend auch gefallen. Bis Samstag!“ Sie winkte ihm zu und ging.