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Kapitel 3: Eine Verzweiflungstat

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Gregor Baier war verzweifelt. Der Buchmacher ließ sich nicht mehr länger hinhalten und er musste die 300 Riesen so schnell als möglich auftreiben.

Aber wie?

>Läppische 150.000! Aber das war ja auch nicht anders zu erwarten bei diesem Sonderling<, dachte Gregor.

Nervös zog er an seiner Zigarette. Geistesabwesend starrte er durch die Windschutzscheibe seines BMW Z4. Seit einer Stunde stand er vor der Auffahrt von Sondra Wielands Haus.

>Ihr Haus!< Er lachte verzweifelt.

Drei Tage waren vergangen und Gregor hatte alles versucht um Geld zu beschaffen.

Er war bei seiner Mutter, die ihm jedoch ihr Leid klagte, dass sie ja arm wie eine Kirchenmaus war.

Er war bei seinem Bruder Paul, der ihm einfach nur die Tür vor der Nase zuschlug.

Er war sogar bei dem Patriarchen, bettelte förmlich auf Knien um das Geld.

Der Patriarch hatte nur gelacht. Kalt und humorlos.

Als Gregor ihn anflehte und ihm sagte, dass er sonst durch den Buchmacher eventuell zum Krüppel geschlagen oder einige Körperteile verlieren würde, ja sogar vielleicht getötet, da sagte der Patriarch: „Das ist dein Problem, nicht meines. Wende dich doch an deine Cousine. Vielleicht hat die ja Mitleid.“

Gregor hasste die Vorstellung, vor Sondra zu Kreuze zu kriechen, aber ihm blieb einfach keine Wahl.

Langsam fuhr er die offene Auffahrt hoch und parkte das Auto ein wenig abseits von der Haustür. Es war ein ungewöhnlich kalter und nasser Septemberabend. Gregor hasste dieses Wetter und wollte lieber auf Ibiza in der Sonne liegen.

>Südafrika wäre auch mal toll<, dachte er.

Gregor nahm noch rasch das Mundspray aus dem Handschuhfach und versuchte damit, seinen Alkoholgeruch zu überdecken.

Er klingelte, wusste, dass sie da war.

Das Licht im Flur ging an. „Wer ist da?“, hörte Gregor Sondras Stimme fragen.

„Ich bin es, Gregor. Bitte Sondra, ich muss mal mit dir reden. Ich werde auch ganz artig sein!“

>Artig? Was ist denn das jetzt, du Hornochse<, dachte er. Irgendwie sind ihm diese Worte einfach raus gepurzelt, bevor er nachdachte.

Aber offensichtlich verfehlten sie ihre Wirkung nicht.

Sondra öffnete die Tür. „Du kannst artig sein? Na dann, versuchen wir´s mal.“

Sie führte ihn ins Wohnzimmer. Gregor war schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen und war umso erstaunter, wie stilvoll es eingerichtet war.

„Wow! Ich muss schon sagen, ihr beide habt es euch hier richtig schön gemacht.“

„Danke. Aber du bist doch nicht hier, um mir Komplimente zu machen oder Smalltalk zu halten?“

>Ich unterschätze sie jedes Mal<, dachte Gregor.

„Nein.“ Gregor holte tief Luft, wagte es aber nicht, Sondra in die Augen zu sehen. Sein Blick blieb auf ihrem T-Shirt hängen.

Besser gesagt, an ihrem Ausschnitt.

>Ich wusste ja gar nicht, dass sie so ´ne tolle Figur hat<, dachte er.

„Ich warte“, sagte Sondra.

Gregor fühlte sich zwar ertappt, versuchte aber wieder seine ´Prince-Charming`-Masche.

„Sondra, Liebes. Ich weiß, dass wir nie besonders nett zu deinem Vater und zu dir waren. Ich war auch ein totaler Idiot und habe viele Fehler gemacht. Aber ich habe mich geändert. Ich weiß jetzt, dass der Patriarch ein kaltherziger Mistkerl ist. Es tut mir wirklich leid. Alles, was ich dir jemals angetan habe.“

Sondra sah Gregor an. Sie wusste genau, worauf er hinaus wollte, dachte aber, dass sie ihn aussprechen lassen sollte.

Gregor wusste, dass er jetzt sein Anliegen vorbringen musste, oder sie würde ihn rausschmeißen.

„Sondra, ich bitte dich, nein, ich flehe dich an! Ich schulde einem Buchmacher eine Menge Geld und ich habe schon in der ganzen Familie gebettelt. Selbst dem Patriarchen bin ich schon zu Kreuze gekrochen, aber der hat mich kalt abserviert. Bitte, Sondra!“

Soviel Ehrlichkeit hatte sie so schnell nicht von ihrem Cousin erwartet. „Wie viel?“, fragte sie ruhig.

„Etwa 300.000 Euro.“

Leise pfiff Sondra durch die Zähne. Gregor war erstaunt, dass sie das konnte.

„Was bietest du mir als Gegenleistung?“

Auf diese Frage war er nicht vorbereitet.

„Ich kann die meinen Z4 als Sicherheit geben oder ich kann dir das Geld wiedergeben, wenn der Patriarch tot ist und ich meinen Anteil bekommen habe.“

Sondras grüne Augen funkelten leicht.

„Nein. Ich will keine Rückversicherung finanzieller Art. Ich mache dir einen Vorschlag. Nimm ihn an und du bist alle deine Schulden los. Lass es sein, und dein Buchmacher kann seine Jungs auf dich hetzen.“

Gregors Mund wurde trocken und er spürte, wie die Hitze in ihm aufstieg. „Was verlangst du?“

Sondra nahm einen Schluck von ihrem Tee. „Als erstes meldest du dich in einer Suchtklinik für Alkohol- und Spielerprobleme an. Dann gehst du zur Polizei und stellst dich wegen dem Unfall mit Fahrerflucht, den du vor zwei Jahren begangen hast. Ich werde dir dafür sogar noch einen guten Anwalt besorgen und bezahlen, wenn du es möchtest. Du musst für das, was du getan hast Verantwortung übernehmen. Dann helfe ich dir.“

Gregor vergaß zu atmen. „Woher weißt du von dem Unfall?“

Seine Stimme war fast gebrochen. Sondra beobachtete ihn und dachte bei sich, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, Gregor eingelassen zu haben.

„Hör mal. Wir machen alle mal Fehler. Steh zu deinem und du kannst ganz neu von vorn anfangen.“

Mit dem plötzlichen Überfall hatte Sondra nicht gerechnet. Gregors Hand schloss sich um Sondras Hals, er warf sie zu Boden und kniete fast auf ihrer Brust.

„Du sagst mir jetzt, woher du das weißt!“, brüllte er.

Sie röchelte. „Lass mich los. Bist du irre?“, quetschte sie hervor. Sie schlug nach ihm, aber Gregor schlug mit der Faust zurück und traf ihre Wange. Er ließ ihren Hals los, packte ihre Arme und verdrehte sie so, dass sie unter ihrem Rücken waren. Sondra merkte erst jetzt, dass sie von der Couch auf den Boden gerutscht waren.

„Du blödes Flittchen! Ich mach dich fertig!“

Sondra spuckte ihn an, das einzige, was sie im Moment tun konnte. Wieder schlug Gregor zu, diesmal mit dem Handrücken. Sondra schmeckte Blut auf ihrer Lippe und wurde wütend.

„Du sollst mich loslassen, Gregor!“, brüllte sie.

Dann tat Gregor etwas, womit sie gar nicht gerechnet hatte. Hart presste er seinen Mund auf ihren, so dass die Zähne aneinander knirschten. Seine freie Hand zerrte an ihrem T-Shirt bis es riss.

>Das kann doch nicht wahr sein! Er will mich vergewaltigen!<, dachte sie erschrocken.

„Wenn sie dich finden, werden die denken, dass ein Einbrecher im Haus war. Ich werde alles so aussehen lassen“, keuchte Gregor.

Er versuchte mit seiner freien Hand seine Hose zu öffnen und ließ dadurch eine kleine Lücke zwischen seinen Beinen. Sondras Knie schnellte mit aller Kraft, die sie hatte hoch und traf seinen Unterleib.

Gregor jaulte auf und sein Griff lockerte sich. Das reichte Sondra. Sie befreite ihre Arme aus der rückwärtigen Stellung und stieß ihn von sich. Schnell sprang sie auf und wollte aus dem Zimmer rennen, aber Gregor warf sich ihr japsend in den Weg. Ohne nachzudenken nahm sie die Holzfigur mit afrikanischem Motiv von dem Sideboard und schlug damit zu.

Sie traf Gregor am Kopf und er fiel um wie ein nasser Sack.

Keuchend stand Sondra da, mit der zerbrochenen Holzfigur. Schnell ließ sie sie fallen, rannte zu den Vorhängen und riss die Schnüre und Kordeln runter.

Gregor stöhnte, war aber zu benommen, um sich zu wehren, als Sondra ihn fesselte.

Als er wie ein Postpaket verschnürt am Boden lag, widerstand Sondra dem Verlangen, nach ihm zu treten. Zitternd ging sie zum Telefon. Sie war gerade dabei, die Handynummer von Andreas Laurenz einzutippen, als sie innehielt.

>Das bringt ihn vermutlich in Schwierigkeiten<, dachte sie.

Sie rief bei Holger Kolbrink an und berichtete kurz.

„Du rufst sofort die Polizei an, machst dich nicht sauber oder so. Die Spuren an dir müssen so bleiben. Ich bin unterwegs zu dir.“

Sondra tat das, was Holger ihr geraten hatte. Sie legte sich lediglich eine Decke um die Schultern, weil sie auf einmal entsetzlich fror.

Zehn Minuten später war der erste Streifenwagen da, wenig später ein zweiter und die Spurensicherung. Dann kam noch ein ranghoher Polizist dazu und endlich tauchte Holger Kolbrink auf.

Alles um Sondra herum passierte wie in einem Film. Der ranghöchste Beamte stellte Fragen, Sondra antwortete wahrheitsgemäß. Die Spurensicherung nahm Fingerabdrücke, machte Fotos vom Wohnzimmer und von Sondra, insbesondere ihre Verletzungen und Blutergüsse.

Dann wurden diverse Gegenstände wie die kleine Holzfigur und auch Sondras Kleidung sichergestellt. Eine Beamtin war mit Sondra in ihr Schlafzimmer gegangen und tütete die Kleidung ein.

Danach wusch sich Sondra erstmal, zog sich saubere Kleidung an und packte einen kleinen Rucksack. Sie wollte heute Nacht nicht hier bleiben. Bestimmt konnte sie bei Holger und Renate Kolbrink übernachten.

Auf dem Weg zu Kolbrinks Haus schwiegen sie. Holger konzentrierte sich auf die Straße, aber sein angespanntes Gesicht und die Knöchel an seiner Hand, die weiß hervortraten, als sie das Lenkrad des Mercedes umklammerten, sprachen für sich.

Sondra hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf den Geruch des Leders der Autositze. Sie zuckte zusammen, als ihr Handy klingelte.

Holger Kolbrink bemerkte das leichte Lächeln, als Sondra das Display las und ran ging.

„Hallo, Andreas….Ja, ich bin in Ordnung. Mir ist nichts passiert….Ich übernachte bei Holger und seiner Frau….Morgen?...Ja, okay. Ich muss morgen früh noch eine Aussage auf dem Revier machen, aber morgen Nachmittag könnten wir uns treffen….Bei dem Italiener von neulich?... Gut. Also bis morgen.“

„Andreas Laurenz mag dich wirklich“, sagte Holger Kolbrink.

„Ja. Kann schon sein.“

„Warum war er nicht bei dem Polizeiaufgebot?“

Sondra musste wieder lächeln, bereute es aber gleich, da ihr Gesicht höllisch wehtat.

„Andere Abteilung. Wenn er gekommen wäre, hätte es eine Leiche gegeben.“

Sie schwiegen wieder. Sondra hörte an Holgers Atmung, dass er mit sich kämpfte.

„Spuck es aus“, forderte sie ihn auf.

„Warum hast du Gregor überhaupt ins Haus gelassen? Bist du so leichtsinnig? Was sollte das?“

Sondra seufzte. „Ich weiß auch nicht. Ich hatte diese kleine Idee, dass er vielleicht bereit sein würde, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe diesen Glauben, das in jeden Menschen etwas Gutes steckt.“

Wieder Schweigen.

„Auch in Menschen der Familie väterlicherseits. Dieser Fehler wird mir nicht noch einmal passieren“, schloss sie.

Sie gelangten an die Sondra so vertraute Toreinfahrt zu dem Grundstück der Kolbrinks.

„Du wirst dein Gesicht kühlen müssen. Brauchst du eine Schmerztablette?“

Sondra verneinte. An der Haustür wartete schon Renate Kolbrink. Sie war der absolute mütterliche Typ. Etwas klein, etwas untersetzt und immer um alles bekümmert.

Sondra liebte diese Frau wie die Mutter, die sie nie hat kennen lernen dürfen.

Sanft nahm Renate Kolbrink Sondra in die Arme, führte sie hinein und brachte sie in das Gästezimmer, das immer für sie bereit stand.

>Ich blöde Gans<, schimpfte Sondra mit sich selbst, als sie später im Bett lag. Eiswürfel waren in Küchenhandtücher gewickelt und sie legte sie sanft auf ihr Gesicht.

Kurz bevor sie vor Erschöpfung einschlief, dachte sie noch an Andreas und seine sanften braunen Augen.

Den nächsten Vormittag verbrachte Sondra damit, auf dem Polizeirevier eine Aussage zu machen und Anzeige gegen ihren Cousin Gregor Baier zu stellen. Holger Kolbrink hatte ihr einen Strafverteidiger zur Seite gestellt, der mit Gewaltdelikten vertraut war.

„Ich bin zwar auch Anwalt, aber im Strafrecht kenne ich mich nicht mehr so aus. Sandmann ist genau der Richtige für dich, Sondra“, hatte Holger gesagt.

Sondra war gerade mit dem ganzen Papierkram fertig und wollte eine Unterschrift setzen, als eine durchdringende Stimme ihren latenten Kopfschmerz wieder hochfahren ließ.

Die Beschimpfungen, die Gisela Baier über Sondra ergoss, hätten so manche Bordsteinschwalbe der Reeperbahn erröten lassen. Sondra biss sich auf die Zunge, weil sie sich die Antworten einfach ersparen wollte. Thomas Sandmann, ihr Anwalt, ermahnte Gisela jedoch immer wieder, dass jede Beleidigung ihrerseits eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen würde. Gisela war aber so hysterisch, dass Vernunft bei ihr abprallte.

Sondra konnte Gisela sogar ein bisschen verstehen, schließlich war Gregor Giselas Sohn und ihr Junge war in Schwierigkeiten. Nur war er erwachsen und inzwischen für seine Handlungen definitiv selbst verantwortlich.

Seufzend unterschrieb Sondra ihre Aussage und die Anzeige. Dann stand sie auf, nahm ihre Jacke und ging mit ihrem Anwalt aus dem Polizeirevier.

„Nette Verwandte haben Sie. Kolbrink hat mich ja schon gewarnt, aber die Live-Show war beeindruckend“, sagte er.

Sondra grinste, bereute es aber gleich wieder, da ihre rechte Wange höllisch wehtat.

Thomas Sandmann war Anfang dreißig und machte den Eindruck, als ob er Anwalt mit Leidenschaft war. Er wirkte nicht unbedingt wie jemand, der auf den Paragraphen herum ritt und das BGB und das StGB als Bibel betrachtete. Der Ring an seinem rechten Ringfinger war mehr als deutlich und innerlich seufzte Sondra deshalb ein wenig.

>Mann, musst du das nötig haben<, dachte sie.

„Kolbrink hat mir erzählt, dass sie verreisen wollten. Diese Pläne müssen Sie jetzt um mindestens einen, vielleicht sogar zwei Monate verschieben.“

Sondra wurde abwechselnd kalt und heiß. „Das geht nicht, ich … ich muss verreisen. Ich werde erwartet.“

Thomas Sandmann schüttelte den Kopf. „Ich versuche den Prozess so schnell als möglich zu bekommen oder auf das nächste Frühjahr zu verlegen. Ich weiß trotzdem erst in zwei bis drei Wochen - frühestens -, wann der Termin sein wird.“

Sondra überlegte und setzte sich ihre dunkle Sonnenbrille auf. An diesem trüben Septembertag war das eigentlich nicht nötig, aber Teile ihres Gesichtes nahmen langsam eine Färbung an, die man mit der Palette eines Malers vergleichen konnte.

„In Ordnung“, sagte sie. „Versuchen Sie den Termin ins nächste Frühjahr zu verlegen. Ich muss diese Reise machen und werde einen oder zwei Monate weg sein. So bin ich dann garantiert zum Prozess wieder hier. Aber der Patriarch wird wahrscheinlich alles versuchen, um den Prozess entweder vorzuverlegen oder gar nicht stattfinden zu lassen.“

„Sondra!“

Die vertraute Stimme ließ sie lächeln. Andreas Laurenz kam gerade aus dem Gebäude raus. Sein Gesicht wirkte ein wenig besorgt und seine Augen blickten prüfend in ihr Gesicht.

Sondra machte die beiden Männer kurz miteinander bekannt.

„Wir sind ja soweit durch, Frau Wieland. Meine Karte haben Sie ja. Wenn Ihnen noch irgendwas einfällt oder unklar ist, melden Sie sich bei mir, ja?“

Sondra fiel auf, das er das Wort ´Ja` gerne benutzte.

Beim Italiener suchte Sondra sich eine stille, kaum einsehbare und dunkle Ecke aus. Als ihr Wasser kam, fischte sie die Eiswürfel aus dem Glas, wickelte sie in die Serviette und presste das ganze gegen ihr Gesicht.

„Lassen Sie mal sehen“, forderte Andreas sie auf.

„Ich glaube, dass haben Sie in Ihrem Beruf schon mehrfach gesehen.“

Andreas Laurenz gab einen unbestimmten Laut von sich, griff über den Tisch und nahm Sondra sanft die Brille ab. Scharf zog er die Luft zwischen den Zähnen ein und schluckte krampfhaft. Vorsichtig setzte er die Sonnenbrille wieder auf Sondras Nase.

„Was ist passiert?“, fragte er leise.

Sondra erzählte noch einmal, was passiert war. Sie merkte auf einmal, dass es ihr jetzt schwerer fiel als vorher auf dem Polizeirevier. Plötzlich war ihr zum Heulen zumute, aber sie beherrschte sich.

Andreas sah erneut ein Leuchten auf der Haut von Sondra, aber diesmal war es anders. Es wirkte eher dunkel, traurig. Verwirrt blinzelte der Kommissar.

„Ich könnte mich jetzt noch ohrfeigen, weil ich Gregor ins Haus gelassen habe“, sagte sie zwischen zwei Bissen gebratene Leber.

„Ich habe das mit der Fahrerflucht recherchiert. Die Frau, die Gregor damals angefahren hatte, hat zwar überlebt, muss aber für den Rest ihres Lebens im Rollstuhl sitzen. Das bedeutet, da kommt ein weiterer Prozess auf Gregor Baier zu. Da kann auch der Patriarch nicht viel machen.“

Andreas steckte sich das letzte Stück Thunfischsteak in den Mund und kaute geistesabwesend.

„Woran denken Sie?“, fragte Sondra nach einer Weile.

„An Ihre Reisepläne.“

Sondra runzelte die Stirn. Sofort zog ein heftiger Kopfschmerz von ihren Schläfen in den Nacken. Sie musste wohl einen Laut von sich gegeben haben, denn Andreas griff ihre Hand.

„Alles in Ordnung?“

„Er hat wohl heftiger zugeschlagen, als ich dachte“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

„Soll ich Sie in ein Krankenhaus bringen, oder ….“

„Nein, nein. Wirklich nicht nötig. Ich brauche nur etwas Ruhe und Schlaf“, unterbrach sie ihn.

>Ein Krankenhaus, das fehlte noch. Ein Blick auf mein Blutbild und dann werden Fragen gestellt, die ich nicht beantworten kann.<

Sie lehnte sich ein bisschen zurück und schloss die Augen. Dabei rutschte ihre Hand aus der Hand von Andreas, was sie irgendwie bedauerte.

„Ich muss meine Reisepläne um bis zu zwei Monate verschieben. Leider!“, sagte sie leise.

Sie öffnete ihre Augen wieder leicht und bemerkte, wie Andreas sie mit leicht schrägem Kopf musterte.

„Was?“, fragte sie verunsichert. Andreas hatte eine Art sie anzusehen, die sie bisher von keinem Menschen gewohnt war: direkt in die Augen, ohne zu blinzeln und eine Reihe von Fragen mit möglichen Antworten in seinem Blick.

Sondra bemerkte, dass ihr Mund trocken wurde.

„Es ist jetzt nicht der richtige Augenblick, Sie mit meinen Fragen zu bombardieren. Das kann warten, bis es Ihnen besser geht.“

„Wenn es dienstliche Fragen sind, nur raus damit“, forderte sie ihn auf. Aber Andreas Laurenz schüttelte den Kopf. „Sie sind nicht dienstlich“; sagte er nur.

Einen Moment schwiegen sie, dann räusperte sich Andreas.

„Soll ich Sie noch zu dem Anwesen der Kolbrinks fahren oder wollen Sie zu sich nach Hause?“, fragte er.

„Es wäre sehr nett, wenn Sie mich zu Holger und Renate Kolbrink fahren würden.“

Er nickte, rief den Kellner und bezahlte. Dann stütze er Sondra, die beim aufstehen ein wenig schwankte.

„Ganz sicher, dass Sie keinen Arzt wollen?“, fragte er sanft.

„Ganz sicher.“

Vor dem Haus der Kolbrinks hielt er an und half Sondra aus dem Wagen.

„Ich glaube, jetzt kann ich alleine gehen“, murmelte sie und presste ihre Hand auf die Stirn. Sie hatte wirklich rasende Kopfschmerzen.

„Das glaube ich kaum“, sagte Andreas und fing Sondra gerade auf, als ihre Beine nachgaben.

Die Haustür ging auf und Renate Kolbrink stand in der Tür. Sie wurde schlagartig blass, als sie sah, das Sondra auf den Armen eines ihr fremden Mannes war. Andreas Laurenz stellte sich kurz vor und erklärte die Situation, während er Sondra hineintrug. Sie war nicht bewusstlos, aber kaum ansprechbar. Renate Kolbrink zeigte Andreas den Weg in das Gästezimmer und ging dann schnell in die Küche, um eine Kühlkompresse zu holen.

Vorsichtig legte Andreas Sondra auf das Bett. Sanft strich er über das Gesicht und einen kurzen Moment sahen zwei hellgrüne Augen dankbar in seine braunen Augen.

Dann schloss Sandra mit einem Seufzer die Augen, drehte sich um und war sofort eingeschlafen.

„Sie ist eingeschlafen, Frau Kolbrink. Vielleicht sollte später doch ein Arzt nach ihr sehen.“

Andreas Laurenz und Renate Kolbrink gingen zur Haustür.

„Sondra ist, was Ärzte betrifft, extrem misstrauisch. Aber ich werde sehen, was ich tun kann.“ Sie sah seinen prüfenden Blick in Richtung Gästezimmer, als er sich umdrehte, um sich von Renate Kolbrink zu verabschieden. „Keine Sorge, Herr Laurenz. Ich passe auf sie auf. Sondra ist für mich wie eine Tochter.“

Andreas lächelte und merkte, dass er rot geworden war.

„Sondra ist etwas besonderes, Frau Kolbrink. Ich habe noch nie jemanden wie sie getroffen.“

Renate Kolbrink sah dem jungen Mann lächelnd nach.

Andreas Laurenz kaute auf seiner Unterlippe, während er in seinem Golf zu sich nach Hause fuhr. Er grübelte immer noch, als er die drei Treppen zu seiner Wohnung hoch lief, die Wohnungstür aufschloss und hineinging. Automatisch schloss er die Tür, zog seine Jacke aus und warf sie über die Garderobe. Nachdem er seine Schuhe in die Ecke geworfen hatte, ging er zum Kühlschrank und schnappte sich eine Cola. Seine Mutter hätte ihm jetzt die Leviten gelesen, weil er direkt aus der Flasche trank, aber Andreas war mit seinen Gedanken woanders.

>Verdammt, ich kann doch nicht dermaßen falsch liegen<, dachte er sich.

Seufzend nahm er seine Lesebrille aus seiner Jacke und setzte sie sich auf die Nase.

>Warum wolltest du nicht in ein Krankenhaus, Sondra? Würden die Ärzte etwas finden, was nicht gefunden werden sollte?<

Seufzend ging er zu seinem Bücherregal im Wohnzimmer. Er griff nach einem Buch, das schon ziemlich abgenutzt aussah. Auf dem Einband stand ´Thorben Wieland – Weltenwanderer-Chroniken Band 1`.

„Dann fange ich eben noch mal von vorn an. Die Antworten liegen hier drin, das weiß ich!“

Weltenwanderer-Chroniken I

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