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Kapitel 3: Unverhoffter Besuch

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„Kannst du mir mal verraten, warum wir nach zwei Jahren immer noch wie die Karnickel übereinander herfallen?“ Andreas lag mit angewinkeltem Bein im Hausflur auf dem Rücken. Sein Atem ging stoßweise und er hatte einen Arm über seine Augen gelegt. Mit dem anderen Arm hielt er Sondra fest, die sich an seine schweißnasse Brust kuschelte.

„Drei Jahre! Du vergisst Vilgard!“, keuchte sie. „Aber die Antwort lautet: keine Ah­nung! Und ich will mehr davon.“

Andreas gab einen verzweifelten Laut von sich. „Tod durch Sex. Wenigstens eine schöne Art zu sterben“, schnaufte er.

„Du brauchst mehr Training, das ist alles.“ Sie hob ihren Kopf und stützte sich auf seine Brust ab. Dabei grinste sie ihm frech ins Gesicht.

„Ich sagte gestern schon, dass du ein Biest bist.“ Dann zuckte er zusammen, als Sondra ihm in die Brustwarze biss.

„Wir müssen für Tom ein nettes Mädchen finden, Andi.“

Verblüfft sah er sie an. „Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf diese Idee?“

„Ich bin eine Frau. Wir können nicht nur Multi Tasking agieren, sondern auch den­ken.“

Resignierend schüttelte Andreas den Kopf. „Es gibt da schon jemanden. Das Problem ist nur, dass Tom nicht mehr mit ihr redet.“

„Wer ist es?“ Sondra konnte ihre Neugierde kaum verbergen.

„Du kennst sie nicht. Tom und Stevie waren in der Schulzeit beinahe ein Paar. Dann kam der Unfall und Tom verschloss sich Mädchen gegenüber. Stevie war wirklich beharrlich und geduldig. Da er fast neun Monate nicht in der Schule sein konnte, fuhr sie dreimal die Woche ins Krankenhaus und später zur Reha, um ihn mit dem Unterrichtsstoff auf dem Laufenden zu halten. Er schaffte tatsächlich den Klassenabschluss und wir drei wurden ein sehr eng agierendes und eingespieltes Team.“

„Was ist dann passiert?“

Andreas drehte sich auf die Seite, stützte sich auf den Ellenbogen und legte seinen Kopf in seine Hand. Mit der anderen Hand streichelte er gedankenverloren über Sondras Hüfte.

„Tom mochte Stevie, aber wollte sie nicht an sich heran lassen. Er dachte, dass er nach dem Unfall kein richtiger Mann mehr sei und er wollte Stevie nicht eine mögliche glückliche Zukunft verbauen. Er stieß sie regelrecht zurück, als sie sich ihm öffnete und ihre Gefühle gestand. Das tat ihr dermaßen weh, dass sie sich von uns beiden zurückzog. Gleich nach dem Abitur heiratete sie einen anderen Mitschüler von uns, Robert. Sie bekamen zwei Kinder, sie studierte Jura, Robert schlug sie und als sie genug von den Schlägen hatte, schmiss sie ihn raus und ließ sich scheiden.“

„Armes Mädchen. Das hat sie echt nicht verdient, oder?“

Andreas gab einen verneinenden Laut von sich. „Das schlimmste kommt ja noch. Ich habe dir doch von einer alten Schulfreundin erzählt, deren Tochter knapp dem Serien­mörder entkommen ist.“

Entsetzt blickte Sondra ihren Verlobten an. „Stevie ist diese Schulfreundin? Grund­gütiger, warum muss sie all das durchmachen? Das ist nicht fair!“

„Nein, ist es nicht. Ich habe Tom vor kurzem erzählt, dass ich Stevie wieder getroffen habe, aber er wollte nicht über sie reden.“

„Hast du ihm gesagt, dass sie die Frau ist, deren Kind die Entführung durch diese Bestie überlebt hat?“

„Nein, dazu kam ich gar nicht. Er lehnt ein Gespräch über sie kategorisch ab.“

Sondra überlegte einen Moment. „Ich weiß, dass die Frage ein wenig indiskret ist, aber kann Tom eigentlich…? Na du weißt schon, was ich meine.“

Andreas grinste sie an. „Ja, er kann. Die Lähmung betrifft ausschließlich seine Beine und nichts anderes. Er war damals gerade sechzehn, als es passierte. Jungs in dem Alter denken nun mal Schwanz gesteuert.“

Sondra ließ ihren Blick an Andreas hinunter gleiten. „Nicht nur sechzehnjährige Jungs, würde ich sagen“, bemerkte sie trocken, als sein Steh-auf-Männchen genau dieses gerade tat. Sie drängte sich ihm entgegen und streichelte seinen Oberkörper mit ihren Lippen.

„Sondra!“

„Ja?“

„Bekommst du nie genug?“

Sie blickte ihm in die braunen Augen und versuchte dabei unschuldig zu gucken. Dann zeigte sie an ihm herunter. „Er hat doch angefangen und mit einer Einladung gewunken!“

„Hexe!“, sagte er zärtlich und zog sie an sich, um sie erneut mit Küssen zu über­häufen.

Einige Sekunden später erstarrte Sondra. Andreas bemerkte es und erkannte auch den Grund. „Ich wusste gar nicht, dass heute Vollmond ist.“

Die Holzdielen im Flur hatten zu vibrieren begonnen. Dadurch, dass sie mit nackten Körpern auf dem Boden lagen, spürten sie die Vibrationen sofort. Und sie wussten auch, dass die Vibration aus dem geheimen Keller kam.

Vom Tor nach Vilgard!

„Vollmond ist erst nächstes Wochenende, Andi“, sagte Sondra ernst und ihre Stimme klang total ernüchtert. In diesem Moment fingen die Tätowierungen, die Sondra und Andi unterhalb des linken Handrückens hatten, zu brennen an.

Andreas sprang auf, warf Sondra sein Hemd zu und schaffte es, im Laufen seine Boxer-Shorts anzuziehen. Sondra schlüpfte in Andis Hemd und zog sich rasch ihren Slip wieder an. Während sie zu der Kammer unter der Treppe lief, knöpfte sie das Hemd ein wenig zu. Sie riss die Tür auf und zerrte das Schwert von der Wand. Während sie in Richtung Küche lief, zog das Schwert aus der Scheide. Als sie gerade an der Küchentür war, stürmte Andreas mit seiner Dienstwaffe aus dem Arbeits­zimmer, ließ das Magazin einschnappen und spannte den Lauf.

Schwer atmend gingen die beiden langsam in die Küche. Sondra knipste das Licht an. In der Küche war alles so, wie sie es gestern verlassen hatten. Die Frühstücksbretter standen noch in der Abtropfschale, ebenso die Kaffeetassen.

Die Vibrationen hörten so plötzlich auf, wie sie angefangen hatten.

Andreas hatte seine Waffe auf ein unscheinbares Wandregal mit vier antiken Metallhaken gerichtet, an denen Küchenhandtücher hingen. Kurz blickte er fragend zu Sondra hinüber. Sie nahm das Schwert in die linke Hand und ergriff einen der Metallhaken, drehte ihn herum. Ein Knirschen mit anschließendem ´Pling` sagte ihnen, dass der Mechanismus jetzt offen war.

Sondra sah Andreas an, der seine Waffe weiter auf die Tür gerichtet hielt. Er nickte kurz und sie zog die geheime Tür auf.

Die Dunkelheit des Weinkellers schlug ihnen entgegen, sonst nichts. Sondras An­spannung legte sich für einen kurzen Moment und sie tastete um den Türrahmen herum greifend nach dem Lichtschalter. Das Licht ging flackernd an und Andreas schob sich langsam voran, durchquerte den Türrahmen und stand auf der obersten Stufe der Treppe, die in den alten Weinkeller führte.

„Wenn irgendetwas passiert, rennst du! Nimm das Auto und fahr weg, ohne dich umzusehen!“, raunte er ihr zu.

Sondra schüttelte den Kopf. „Kannst du vergessen!“, zischte sie. Ihr Adrenalinspiegel war in die Höhe geschossen. Ihre Haut, die bei positiven Emotionen schimmerte bis hell erleuchtet war, hatte jetzt einen fast dunkelvioletten Farbton angenommen, der bedrohlich glomm. Andreas registrierte das und musste kurz grinsen. Dann war er wieder hochkonzentriert und ging die Kellertreppe hinunter.

Alles schien in Ordnung zu sein. Die Glühlampen knackten ein wenig, irgendwo gab eine Flasche Wein singende Geräusche von sich, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Wein nicht mehr genießbar war.

>Werde ich morgen wohl entsorgen müssen! <, dachte Sondra.

Am anderen Ende des Weinkellers stand die übergroße Front eines Weinfasses. Lang­sam gingen die beiden darauf zu. Andreas hielt immer noch die Waffe im Anschlag und versuchte alles andere um sich herum auszublenden. Sondra, die ihr Schwert schlagbereit erhoben hatte, näherte sich dem Rahmen des Fasses. Vorsichtig löste sie eine Hand von dem Schwert und berührte das Fass. Sie spürte nichts ungewöhnliches, nur das ständige leichte Vibrieren, das von dem Tor hinter dem Fass ausging.

Sondra wollte gerade ihr Schwert zur Seite stellen, um den geheimen Mechanismus des Fasses zu betätigen, als die Hölzer sich wie von Geisterhand zur Seite bewegten. Sie sprang zur Seite und blickte erstaunt auf die Paneele, die sich schneckenartig zurückzogen und das nackte Felsgestein freilegten.

Andreas spannte sich noch mehr an und atmete schnell.

Mit einem letzten Knirschen rastete der Mechanismus ein und es war still. Zu still. Dann wurde die Felsentür von innen aufgestoßen.

Sondra hob ihr Schwert, bereit, zuzuschlagen.

Als erstes sah sie zwei schmale, hellhäutige Hände, die den Felsen aufdrückten. Ge­folgt von zwei Armen, die mit Leinen umhüllt waren. Der Oberkörper des Mannes, der jetzt sichtbar wurde, steckte in einem dunkelgrünen Wams mit silberfarbener Borte. Lange dunkelblonde Haare fielen ihm über die Schultern. Die schlanke Gestalt richtete sich auf und blickte erschrocken in den Lauf von Andreas´ Waffe. Dann sah er nach links und erblickte eine Frau, die mit erhobenem Schwert vor ihm stand.

Sondra sah in die Augen des Mannes und ihre Kinnlade fiel herunter. Ein blaues Auge mit silbernen Punkten und ein goldenes Auge mit blauen Punkten.

„Elsir?“, fragte sie vorsichtig.

Der junge Mann vor ihr starrte sie an, dann grinste er ein wenig und auf seiner linken Wange bildete sich ein unglaubliches Grübchen. „Sondra?“, fragte er mit einer war­men und weichen Stimme zurück, die Sondra schlichtweg umhaute.

„Ich glaube es einfach nicht!“, quietschte sie, ließ ihr Schwert fallen und sprang dem ihr völlig fremden Mann einfach in die Arme.

„Ähm!“, machte der junge Mann und schloss automatisch die Arme um die Frau. Erst wurde er blass, dann aber knallrot, als er merkte, dass sie nur spärlich bekleidet war.

„Wie ist das möglich? Wie bist du hierher gekommen? Du bist ja inzwischen ein Mann! Deine Augen! Daran habe ich dich erkannt! Erzähl doch endlich!“

Sondra hing dem Elfen am Hals und plapperte auf ihn ein, ohne zu bemerken, dass hinter ihm noch jemand den Weinkeller betrat. Als sie ihn schließlich bemerkte, vergaß sie völlig, was sie sagen wollte und erstarrte mit offenem Mund.

Andreas hatte seine Waffe inzwischen gesichert und runter genommen. Seine An­spannung ließ er hinaus, indem er schwer atmend seine Hände auf die Knie abstützte und die Augen schloss. „Hättet ihr nicht ´ne Karte oder so was schicken und uns vorwarnen können?“ Dann erst bemerkte er, dass Sondra den zweiten Neuankömmling einfach nur anstarrte. Andreas nahm ihn näher in Augenschein.

Der zweite Elf war weit über einen Meter neunzig groß und hatte breite Schultern. Seine Haut hatte einen olivfarbenen Ton und das Gesicht war wie bei allen Elfen Bartlos. Pechschwarze lange Haare waren zu einem Zopf geflochten und dichte schwarze Augenbrauen gaben ihm etwas Düsteres.

Doch das bemerkenswerteste an ihm waren seine Augen: leuchtendes Bernstein!

„Heilige Scheiße“, stöhnte Andreas. „Du musst Koljas Sohn sein!“

Der dunkelhaarige Elf lächelte leicht und nickte. „Dann bist du wohl Andreas.“ Er stellte es einfach fest. Keine Frage, keine Unsicherheit.

Sondra schluckte. Die Stimme des anderen war eine einzige Versuchung. Männlich, tief und warm mit einem Charme, der ihm angeboren schien.

>Was allerdings merkwürdig ist, wenn ich an Kolja denke. Kolja und Charme passen nicht wirklich zusammen. <

Jetzt erst bemerkte sie, dass Elsir sie die ganze Zeit festhielt, aber versucht war, seine Hände nicht an Körperregionen Sondras zu halten, die unter Umständen kom­promittierend waren. „Entschuldige, Elsir. Ich habe mich nur so gefreut und da ist mein Temperament mit mir durchgegangen.“

Der dunkelblonde Elf lächelte wieder und sein zauberhaftes Grübchen erschien auf der Wange. „Die Begrüßung fand ich gar nicht schlecht. Hätte ich in der Form auch nicht erwartet.“ Seine verschieden farbigen Augen blitzten schelmisch auf.

„Das letzte Mal, als ich dich sah, warst du erst ein paar Monate alt und lagst in meinen Armen! Und jetzt….“

Sondra trat ein paar Schritte zurück und betrachtete ihn ausführlich. Mit einer eleganten Verbeugung fing er an, sich um sich selbst zu drehen.

„Zufrieden?“, fragte er dann.

„Allerdings!“ Sondra trat zurück und suchte Halt bei Andreas. Der starrte immer noch den anderen Elf an.

„Ich heiße Bijae“, sagte dieser und streckte den beiden seine Hand entgegen.

Andreas ergriff sie als erster. „Verzeihung, aber wir sind total überrascht. Also ich bin Andreas und das ist meine Verlobte Sondra.“

Bijae ergriff auch Sondras Hand und sie hatte das Gefühl, unter Strom gesetzt zu werden. „Willkommen auf der Erde, meine Freunde“, sagte sie heiser. „Willkommen in Deutschland!“

Elsir blickte sich neugierig um. „Ein Weinkeller! Das ist stilvoll für ein Tor.“

Sondra kicherte verunsichert. „Tarnung ist alles. Wollt ihr nicht nach oben ins Haus kommen? Dort können wir uns in Ruhe unterhalten. Ihr habt doch bestimmt Hunger und Durst.“

Die beiden Elfen nickten und folgten Andreas die Treppe hinauf zur Küche. Sondra verschloss die steinerne Tür und schloss auch die Paneele. Einige Sekunden später war nur wieder das Weinfass zu sehen. Dann hob sie ihr Schwert auf und folgte den Männern.

Die beiden Elfen sahen sich erstaunt in der Küche des Hauses um. Zwar gab es in Vilgard in den meisten Häusern Wasser durch ein Pumpensystem, aber als Andreas einfach den Wasserhahn anhob und ein Wasserstrahl herauskam, waren die beiden etwas beeindruckt.

„Lass nur, ich mache das schon“, sagte Sondra und nahm die Butter aus dem Kühlschrank. „Kannst du bitte das Schwert wegbringen?“

„Na klar. Ich ziehe mir auch was über und bringe dir deinen Bademantel.“ Er küsste sie kurz auf die Stirn und ging dann aus der Küche.

Elsir nahm den Kühlschrank ins Visier. Als er ihn öffnete und in den erleuchtenden Schrank sah, gab er einen verblüfften Laut von sich. „Es ist kalt da drin!“

Sondra lächelte. Ihre Welt musste den beiden mehr als nur fremd vorkommen. „Das ist ein Kühlschrank. Da bewahren wir hier auf der Erde Nahrungsmittel auf, damit sie länger halten. Das Licht geht aus, wenn der Schrank geschlossen wird.“

„Sitzt ein kleines Männchen da drin, das es an- und ausmacht?“

Sondra kicherte. „Nein. Auf der Erde gibt es keine Magie oder Wichtel oder ähnliches. Wir Erdmenschen haben Dinge entwickelt, die uns im täglichen Leben hel­fen, es vereinfachen sollen. Sieh mal.“

Sondra öffnete den Kühlschrank erneut und drückte gegen die Taste, die das Licht ausmachte. Dann ließ sie die Taste wieder los und das Licht ging an. „Die Sache, die das und anderes ermöglicht, nennen wir Elektrizität.“

Elsir war sehr begeistert und widmete sich jetzt dem Wasserhahn.

Bijae hatte inzwischen seinen Wams ausgezogen und ordentlich zusammengefaltet über eine Stuhllehne gelegt. Er sah sich ebenfalls in der Küche um, allerdings war ihm nicht die unverhohlene Neugier Elsirs zu Eigen. Bijae blieb ruhig und distanziert, dabei band er seine Hemdsärmel auf und rollte sie hoch.

Sondras Blick fiel auf seine muskulöse Unterarme. Adern traten leicht unter der olivfarbenen Haut hervor und die Handgelenke waren mit Tätowierungen umrankt. Unterhalb des linken Handrückens hatte er die gleiche Tätowierung wie Sondra und Andreas: zwei schmale Hände, die eine stilisierte Sonne hielten.

„Du bist also ein Druide“, sagte Sondra, während sie Teller und Besteck auf den Tisch stellte.

„Ja, bin ich.“

„Der begabteste Druide seit Jahrhunderten!“, sagte Elsir, der sich jetzt die Mikro­welle genauer ansah.

Bijae rollte mit den Augen. „Musst du immer gleich so übertreiben?“

Elsir grinste und sein Grübchen trat wieder hervor. „Ich übertreibe nicht. Bijae hatte schon als kleines Kind erstaunliche Fähigkeiten. So eine Art magisches Gespür. Zum Beispiel kann er andere dazu bringen, ihm alles zu erzählen, was er wissen will. Und er kann mit einigen Tieren sprechen. Und die Sprache der Greife kann er auch. Und er ….“

„… kann leider nicht verhindern, dass sein Cousin plappert wie ein Waschweib“, ergänzte der große Elf resignierend.

Sondra grinste jetzt auch. Andreas war inzwischen wieder hereingekommen. Er hatte sich rasch seine Jogginghose und ein T-Shirt übergestreift und half Sondra in ihren Bademantel.

„Dieses magische Dingsbums mit der Sprache scheint auch in umgekehrter Richtung zu funktionieren“, sagte er und holte ein Laib Brot aus dem Brotkasten.

Sondra, die gerade Wurst und Käse aus dem Kühlschrank geholt hatte und ebenfalls auf den Tisch gelegt hatte, blickte erstaunt zu den Elfen. „Du hast Recht, Andi. Das ist mir noch gar nicht aufgefallen!“

Bijae runzelte kurz die Stirn. „Wie meint ihr das?“

„Merkst du das nicht? Ihr sprecht im Moment nicht den Hauptdialekt aus Vilgard, sondern Deutsch! Mit einem ganz entzückenden Akzent, übrigens.“ Sondra grinste Bijae frech an, was dieser mit einer einzelnen hochgezogenen Augenbraue quittierte.

„Als wir nach Vilgard kamen, sprachen wir automatisch nicht mehr unsere Sprache, sondern eure. Das muss an der Magie des Tores liegen“, erklärte Andreas. Er legte das Brot in die Brotschneidemaschine und betätigte den Knopf.

„Was zum großen Schöpfer ist das denn?“ Elsir sprang panisch zum anderen Ende der Küche und hatte riesige, erschrocken dreinblickende Augen. Bijae hatte lediglich seine Hände um die Stuhllehne gekrampft und beide Augenbrauen in die Höhe gerissen.

„Oh, ähm. Es tut mir leid. Ich vergaß, das ihr so was ja nicht kennt!“ Andreas blickte zerknirscht in die Gesichter der Besucher. „Das ist eine Maschine, die Brot und auch Fleisch schneiden kann. Etwas, das unseren Alltag ein wenig erleichtert. Ich wollte euch nicht erschrecken.“

Elsir hatte seine Hand auf seine Brust in Höhe seines Herzens gelegt und kam wieder näher.

„Interessant!“, sagte Bijae nur und das Thema war für ihn erledigt.

„Ich mache die Maschine jetzt noch mal an, also bitte keinen Schreck bekommen. Elsir, nimm deine Finger da weg, sonst hast du bald keine mehr!“ Elsir wollte die Brotschneidemaschine gerade berühren, als Andreas sie wieder anmachen wollte. Im letzten Moment sah Andreas, was Elsir vorhatte und warnte ihn.

„Die Kreisklinge ist wirklich sehr scharf und rotiert mit großer Geschwindigkeit. Damit kann man auch kleinere Knochen durchsägen. Also auch Finger. Ich zeige dir lieber, wie man sie benutzt, ohne sich dabei selbst zu verletzen, Elsir.“

Während Andreas Elsir zeigte, wie er mit einer Brotschneidemaschine umging, ohne sich dabei zu verstümmeln, stellte Sondra Gläser auf den Tisch und zwei Flaschen stilles Wasser.

„Elsir ist wirklich sehr wissbegierig“, sagte sie zu Bijae.

„Ja. Damit hat er uns auch schon in Schwierigkeiten gebracht.“ Bijae nahm eine der beiden Flaschen in die Hand und fuhr mit seinen Fingern über das Plastik. Vorsichtig drückte er die Flasche ein wenig und die Oberfläche gab leicht nach. „Erstaunlich!“

Stolz stellte Elsir den Brotkorb auf den Tisch. Tatsächlich hatte er noch alle Finger beisammen.

„Können wir uns vielleicht irgendwo erfrischen, bevor wir essen?“, fragte Bijae.

„Kommt mit, ich zeig euch das Badezimmer“, sagte Andreas und ging mit den beiden aus der Küche.

Während die Männer die Küche verließen, machte Sondra den Wasserkocher an. Sie füllte eine Kräuterteemischung in die Teekanne und holte vier Teepötte heraus, stellte sie neben die Gläser. Dabei fiel ihr Blick auf die beiden Rucksäcke ihrer Gäste. Sie waren aus Hirschleder und dunkelgrün eingefärbt. Elsirs Rucksack wirkte etwas neuer als der von Bijae, aber beide hatten eine gerollte Wolldecke oben drauf geschnallt. Sie waren gefüllt, aber es sah so aus, als ob noch Platz in ihnen wäre.

„Wo habt ihr eure Waffen?“, fragte sie, als die Elfen mit Andreas zurückkamen

„Die sind unten in eurer Höhle. Wir haben sie abgelegt, weil wir dachten, ihr könntet einen falschen Eindruck bekommen, wenn wir mit gezogenen Schwertern aus der Höhle treten.“

„Eure Toiletten und die Wasserversorgung sind ja himmlisch!“, schwärmte Elsir.

Sondra musste wieder grinsen. „Ich mache mir langsam Sorgen, dass Elsir zu viel Input bekommt, Andi.“

Andreas nickte leicht und lachte. „Könnte schon sein, aber wie wollen wir das verhin­dern?“

Der Wasserkocher ging aus und Sondra goss das heiße Wasser über den Tee. Dann setzte sie sich an den Tisch. Elsir und Bijae hatten höflich gewartet, bis Sondra Platz genommen hatte, dann setzten sie sich auch.

„Wie habt ihr eigentlich den Mechanismus gefunden, der die steinerne Tür öffnet?“, fragte jetzt Andreas.

Bijae, der sich gerade eine Scheibe Schinken auf sein Brot gelegt hatte und interes­siert daran schnupperte, errötete tatsächlich, was Sondra wiederum verwunderte.

>Ich dachte eigentlich, dass ihn nichts aus der Ruhe bringen kann! <

„Ich sagte doch, dass er erstaunliche Fähigkeiten hat. Das Licht ging einfach an und wir entdeckten die Tür. Aber kein Schloss. Also legte er seine Hände auf den Fels und murmelte etwas. Frag mich bitte nicht was! Ich verstehe diese Magiersprache nicht. Jedenfalls fand er den Mechanismus und wusste auch gleich, was zu machen ist.“

Elsir steckte, während er sprach, immer wieder Brot und Käse in den Mund. „Das schmeckt großartig!“, sagte er und nahm sich noch eine Scheibe Brot.

Nach ihrer sportiven Einlage im Hausflur und dem Adrenalinschub durch die Torak­tivierung hatten Sondra und Andreas auch etwas Hunger bekommen. Sie bestrichen sich ihr Brot mit Butter und belegten es mit Schinken.

„Wieso seid ihr hier?“, fragte Sondra. Sie stand auf, um die Teekanne zu holen. Sofort sprangen Elsir und Bijae auch auf. „Bitte, bleibt sitzen. Das ist wirklich sehr nett von euch, aber nicht nötig.“

Zögernd setzten die beiden sich wieder hin. Sondra entfernte das Teesieb aus der Kanne und goss den Männern und sich selbst ein. „Vorsicht, der Tee ist wirklich sehr heiß!“, warnte sie, als sie sah, dass Elsir sofort zu der Tasse griff. Bijae rollte wieder mit den Augen.

„Wir sind hier, weil wir eure Hilfe brauchen.“ Im Gegensatz zu Elsir, der inzwischen sein drittes Brot belegte, kaute Bijae langsam und bedächtig auf seinem Essen herum. Deshalb konnte er auch zwischendurch antworten. „In Shilfar ist ein Wolfsmensch aus Versehen durch ein Tor gegangen und in eure Welt gelangt. Da wir nicht wissen, auf welchem Gebiet Vala in eure Welt geraten ist, riet Fnir uns, euch um Hilfe zu ersuchen.“

>Kurz und knapp. Alles Wichtige in drei Sätzen. Typisch Kolja! <, dachte Sondra.

„Fnir schickt euch?“ Die Stimme von Andreas klang auf einmal leicht gereizt. Sondra blickte ihn überrascht an, aber er wich ihrem Blick aus.

„Ja. Wir sollen die Wölfin zurückbringen. Wenn möglich, lebend.“

„Also gibt es im Osten auch mindestens ein Tor. Das ist ja großartig!“ Sondra war von dieser Erkenntnis begeistert.

„Vilgard hat Kontakt mit Bewohnern aus Shilfar aufgenommen?“, fragte Andreas.

Bijae nickte und aß stumm weiter. Andreas und Sondra warteten, dass er mehr er­zählen würde, aber er tat es nicht.

„Wie wäre es, wenn ihr uns beide erzählen würdet, was in den letzten vierund­zwanzig Jahren in Vilgard, Ylra, Yldag, Iskand und im Sikhara-Gebirge alles passiert ist? Und wie kommt es zu den Kontakten? Habt ihr neue Verbündete oder zumindest Handelspartner?“

Sondra hoffte, dass sie jetzt die richtige Frage gestellt hatte, um bei den Elfen einen Redefluss auszulösen, der die primären Fragen beantworten würde.

Elsir lehnte sich zurück und klopfte sich auf seinen schlanken Bauch. „Hatte ich einen Hunger. Das war mir gar nicht bewusst. Danke, für das gute Essen!“ Er nahm die Teetasse und nippte vorsichtig an dem immer noch heißen Getränk.

Sondra trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. Bijae, der gerade sein zweites Brot belegte, bemerkte es und grinste breit.

„Fnir erzählte mir, dass du mit einer unglaublichen Geduld alte Texte übersetzt hättest. Wo ist deine Geduld in den letzten Jahren geblieben?“

Sondra setzte ihre Augen auf Halbmast und setzte zu einer Antwort an, die für ir­dische Verhältnisse schlimmstenfalls vulgär gewesen wäre, aber für jemanden aus Vilgard geradezu eine Beleidigung dargestellt hätte. Andreas umfasste rasch Sondras Handgelenk, da er einen schwach violetten Farbton auf ihrer Haut wahrnahm.

„Bijae, ich bitte dich. Erzähl´ uns einfach alles.“

Bijae biss von seinem Brot ab, kaute und holte durch die Nase tief Luft.

„In Ordnung. Nachdem ihr vor vierundzwanzig Jahren Vilgard verlassen hattet, wur­den zuerst Freundschaftsverträge mit den Lykienern und den Swara ausgehandelt. Das sind Völker südlich von Vilgard. Die Lykiener….“

„…sind einäugige menschenähnliche Wesen und die Swara Echsenwesen. Wissen wir. Bei der Hochzeit deiner Eltern haben wir diese Völker kurz kennen gelernt. Wei­ter!“

Der Druide runzelte die Stirn. Er wurde selten unterbrochen und noch seltener von einer Frau. Aber seine Mutter und vor allem sein Vater hatten ihm von der Frau aus der anderen Welt Geschichten erzählt, die darauf hinwiesen, dass Sondra ihren eige­nen Kopf hatte. Und das dazugehörige Mundwerk!

„Die Lykiener sind sehr zuverlässige Verbündete und Handelspartner, wollte ich sagen!“, fuhr er fort und funkelte die Menschenfrau an.

Sondra versuchte den vorwurfsvollen Blick des Elfen zu ignorieren.

„Meine Schwester Sina hat einen Lykiener-Prinzen geheiratet“, meldete sich Elsir zu Wort. „Die beiden haben sich bei einer Jagd kennen gelernt. Sinas Pferd ist durch­gegangen und Que hat sie gerettet. Sie haben sich verliebt und ganz nebenbei wurde dadurch sogar der Freundschaftsvertrag noch verstärkt.“

„Hauptsache, die Hochzeit war nicht nur politisch“, sagte Sondra. „Das Mindeste, was zwischen zwei Partnern dieser Art sein muss, ist gegenseitiger Respekt und Zu­neigung. Alles andere wäre doch erzwungen.“

„Du hast keine Ahnung, Frau!“, knurrte Bijae..

Überrascht sah Sondra ihn an. „Was soll das denn bitte schön heißen?“

„Respekt muss man sich verdienen und Zuneigung und Liebe werden total über­bewertet.“

Sondra klappte der Unterkiefer runter, Andreas runzelte die Stirn und Elsir schloss genervt die Augen.

„Jae, du bist der unromantischste, unsensibelste und blödeste Mann den ich kenne!“ Elsirs Stimme klang ein wenig erzürnt, sein blaues Auge mit den silbernen Punkten funkelte extrem bedrohlich. Es schien beinahe, als ob die Punkte ein Eigenleben füh­ren würden. Wie damals bei seiner Mutter Syra, als diese sich nicht nur als liebende Gefährtin sondern auch als entscheidungsfähige Königin offenbarte.

Bijae setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich aber noch einmal.

„Vor acht Jahren hatten wir dann zum ersten Mal nach tausenden Jahren Kontakt mit dem Volk der Harpyien. Sie leben im südlichen Teil Shilfars, das Land hinter dem gleichnamigen Gebirge im Osten von Vilgard. Die Harpyien verhandeln nur mit uns Elfen und den Greifen, der Rest Vilgards interessiert sie zurzeit noch nicht. Es besteht ein lockerer Handel, mehr aber auch nicht.

Durch die Harpyien gelang es aber Fnir Kontakt mit den Wolfsmenschen aufzu­nehmen. Das war vor etwas mehr als zwei Jahren. Bisher verweigern die Wolfs­menschen jedoch jeden weiteren Kontakt mit der Bevölkerung Vilgards.“

Als Fnirs Name fiel, richtete sich Andreas ein wenig auf und blickte zu seiner Ver­lobten hinüber. Für einen kurzen Moment sah er ein leichtes Glitzern in den Augen von Sondra, mehr allerdings nicht.

>Ich bin immer noch eifersüchtig<, stellte Andreas fest. >Auf einen Greif! <

„Wie kommuniziert Fnir denn mit den Wolfsmenschen? Leben sie in größeren Ge­meinschaften oder in mehreren kleineren? Haben sie Städte oder Dörfer?“

Sondra war wirklich neugierig. „Und was ist mit den Harpyien? In unseren Legenden bestehen Harpyien ausschließlich aus weiblichen Exemplaren. Gibt es auch männ­liche? Wenn nein, wie pflanzen sie sich dann fort?“

Bijae seufzte. „Stellst du immer so viele Fragen?“

„Natürlich! Nur wenn man Fragen stellt, kann man auch nach Antworten suchen.“

Elsir schmunzelte. „Diese Fragen werden wir noch beantworten, Sondra. Aber du solltest Jae jetzt ausreden lassen, sonst explodiert er!“

Sondra sah in die bernsteinfarbenen Augen des Druiden. Drei mögliche Antworten spukten in ihrem Kopf, aber sie holte tief Luft und biss sich demonstrativ auf die Zunge. Mit einer Handbewegung forderte sie Bijae auf, weiter zu erzählen.

„Vor über acht Monaten, Fnir war gerade wieder zu Gesprächen bei den Wolfsmen­schen geladen, waren einige der Mitglieder eines der wichtigsten Rudel auf der Jagd. Har, ein Cousin des Anführers Arom, führte selbst eine Gruppe aus zehn Wolfsmen­schen an. Bei der Jagd bleiben die Wolfsmenschen der Einfachheit wegen lieber in der Gestalt eines Wolfes. Vala, eine Cousine Hars und Schwester Aroms, trennte sich kurzfristig von der Gruppe. Sie hatte wohl etwas gerochen und wollte der Spur nachgehen.

Als sie nach einiger Zeit nicht nachkam, suchte das Rudel sie. Die Spur führte in eine Höhle. Die Wolfsmenschen nennen diese Höhle seit Jahrhunderten die Verbotene Höhle. Sie ist eigentlich tabu für ihr Volk. Aber Vala ist hineingegangen.“

„Darf ich raten?“ fragte Andreas.

Bijae nickte.

„Zum einen war an diesem Tag Vollmond des gelben Mondes. Und zum anderen steht in der Höhle ein Torbogen, der so ähnlich aussieht wie der Torbogen in unserem Keller.“

„Beide Annahmen sind richtig“, bestätigte Bijae.

„Und die Spur Valas endete genau an dem Tor“, schloss Sondra.

Bijae nickte ihr zu. „Als Fnir von dem Vorfall hörte, ließ er sich von den Wolfsmen­schen zu der Höhle bringen und nahm sie selbst in Augenschein.“

Sondra überlegte kurz, wie groß die Höhle sein musste, damit der riesige Greif da hinein passte.

„Fnir klärte die Wolfsmenschen über die Tore und den Weltenwanderer auf und Arom bat ihn daraufhin, dich um Hilfe zu bitten, Sondra.“

„Ich wüsste nicht, wie ich helfen könnte“, wand Sondra konsterniert ein.

Elsir lächelte Sondra zuversichtlich an. „Fnir sagte, dass du eventuell in der Lage wärst, Vala in dieser Welt ausfindig zu machen und sie nach Shilfar oder Vilgard zu­rückzubringen.“

Sondra starrte die beiden Elfen einen Moment an. Dann schüttelte sie den Kopf. „Unsere Welt ist so viel größer. Wo soll ich da mit der Suche anfangen?“

„Ich wüsste schon wo“, warf Andreas ein. Verblüfft sah Sondra ihn an.

„Habt ihr zufällig eine Karte von Vilgard und Shilfar dabei?“

Bijae nickte und ergriff seinen Rucksack. Vorsichtig nahm er ein zusammengefaltetes Stück Pergament heraus. Dann stand er auf und breitete das Pergament auf dem Fußboden aus. Sondra und Andreas standen auf und hockten sich neben Bijae auf den Boden.

„Hier ist Iskand und hier ist unser Zugang zu deiner Höhle, Sondra.“ Der Druide zeigte auf eine Stadt im nördlichen Bereich der Karte und auf einen kleinen Gebirgszug, der noch weiter nordöstlich lag.

„Ja, ich erkenne es“, sagte Sondra und deutete auf ein Gebirge im Südwesten. „Hier ist das Sikhara-Gebirge. Dieser Fleck hier soll wohl Yldag darstellen?“

Bijae sah missbilligend an. „Fleck?“, fragte er.

„Entschuldige bitte. Und das hier ist Ylra.“ Sie überging seinen Unmut und deutete auf die Stadtzeichnung östlich vom Sikhara-Gebirge.

„Genau. Hier im Süden befindet sich Ruwu-ul, das Land der Lykiener und der Swara. Und hier im Osten liegt Shilfar. Der südliche Teil an der Grenze zu Ruwu-ul gehört den Harpyien, alles, was darüber liegt, gehört den Wolfsmenschen und den Drachen.“

„Drachen?“ Andreas riss erstaunt die Augen auf. „Davon hast du bisher aber nichts gesagt.“

„Ist auch nicht notwendig. Fnir hat versucht mit ihnen in Kontakt zu treten, aber sie haben sehr deutlich gemacht, dass sie keinen Kontakt wünschen. Sein Gefieder war … angesengt.“

Sondra erschrak. „War er sehr schwer verwundet?“

„Nein. Die Drachen wollten ihn nicht töten, sondern ihm lediglich klarmachen, dass sie in Ruhe gelassen werden wollen. Also lassen wir sie in Ruhe.“

„Wo ist denn jetzt das Tor, durch das Vera verschwunden ist?“, fragte Andreas.

„Vala“, korrigierte Bijae und zeigte auf einen Punkt, der praktisch in der Achse genau zwischen Iskand und Ylra im Gebirge von Shilfar lag.

Andreas sah sich einen Moment die Karte an und grübelte. „Ich komme gleich wieder“, sagte er, stand auf und verschwand aus der Küche. Als er wiederkam, hatte er einen alten Weltatlas in der Hand. Er legte ihn neben die Karte Vilgards und schlug die Übersichtskarte Europas auf.

„Sieh mal, Schatz, hier wohnen wir!“ Er zeigte auf einen Punkt in Norddeutschland in der Nähe von Flensburg. „Deine Höhle in Irland ist hier. Wenn man das jetzt in Relationen zu Vilgard sieht und deine Höhle ihren Ausgangspunkt hier hat, “, er zeigte auf Bijaes Karte oberhalb Iskands. „und wir davon ausgehen, dass die Höhle in Irland auf der Westseite des Sikhara-Gebirges liegt wegen der Nähe zu Yldag, können wir vielleicht ungefähr bestimmen, wo die Höhle des Shilfar-Gebirges liegen muss.“

Sondra sah ihren Verlobten lächelnd an. „Du bist doch ein verdammt cleverer Mann.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Und attraktiv noch dazu“, raunte sie ihm ins Ohr. Allerdings nicht leise genug, denn Bijae bekam rote Ohren und Elsir grinste sehr breit.

Schnell wendeten sie sich wieder der Karte Vilgards und der Ansicht Europas zu. Sondra nahm ein Fingermaß und versuchte die Abstände der Entfernungen zuein­ander zu schätzen. Von Iskand aus maß sie zweieinhalb Finger nach Ylra. Ebenfalls von Iskand ausgehend maß sie vier Finger zum Sikhara-Gebirge und nach Yldag. Dann ging sie von Iskand aus mit demselben Fingermaß nach Shilfar zu der Höhle. Andreas hatte vorsichtshalber einen Block und einen Kugelschreiber mitgebracht, den Sondra jetzt für ihre Berechnungen brauchte.

Dann übertrug sie ihre Berechnungen auf die Europakarte, von ihren Punkt bei Flensburg ausgehend. Sie überprüfte zuerst den Abstand von ihrem Standpunkt nach Irland, zu den Slieve Beagh. Zufrieden brummte sie und nickte.

„Darf ich fragen, was du da machst?“, fragte Elsir.

„Ich versuche den möglichen Standort des Tores aus Shilfar hier bei uns auf der Erde ein wenig einzuengen.“ Sondra ging wieder auf ihren Ausgangspunkt zurück und schlug jetzt den Weg nach Südosten ein. Als sie ihrem Ergebnis folgend an einem bestimmten Punkt ankam, pfiff sie anerkennend durch die Zähne.

Andreas blickte über ihre Schulter. „Das könnte kompliziert werden“, brummte er. Sondras Finger war quasi an einem Punkt gelandet, wo drei Länder aufeinander trafen: Polen, die Slowakei und Tschechien.

„Die Karpaten“, sagte Sondra. „Das ergibt sogar Sinn. Das Gebirge ist durchwoben von Geschichten und Märchen. Ideal für ein Tor.“

„Es ist Osteuropa, Sondra! Wie willst du da einen einzelnen Wolf finden?“

Sondra sah ihren Verlobten an. „Internet. Es gibt dort, soviel ich weiß, ein Schutz­gebiet für Wölfe. Das heißt, die Wölfe werden beobachtet. Falls es im letzten Monat außergewöhnliche Sichtungen oder Vorfälle in Verbindung mit einem oder mehreren Wölfen gegeben hat, müsste ich das herausbekommen.“

„Angenommen, du findest den Wolf, was dann? Du kannst ihn…“

„Sie!“, rief Elsir dazwischen.

„…sie nicht einfach an die Leine nehmen und sie mit nach Deutschland führen.“

Sondra schüttelte den Kopf. „Wir müssen in das Gebiet reisen, Vala finden und sie und die beiden hier durch dasselbe Tor zurückschicken. Übrigens, Bijae. Wie hast du das Tor überhaupt aktiviert?“

„Ich habe alte Aufzeichnungen aus Yldag durchgelesen und offensichtlich die richtige gefunden. Ein wenig Übung und magische Asche waren nötig, und hier sind wir jetzt.“

Sondra bewunderte Bijaes Art, seine respektablen Leistungen als alltäglich und ge­wöhnlich hinzustellen.

„Ich sagte doch, dass er der größte Druide und Magier seit Jahrhunderten ist“, meldete sich Elsir zu Wort. Bijae funkelte ihn finster an.

„Wie willst du denn mit Elsir und Bijae nach Polen reisen? Auch wenn durch das Schengener Abkommen eine Reise durch viele Länder Europas ohne Pass möglich ist, so gibt es doch Ausnahmen. Was willst du also tun?“ Andreas war aufgesprungen und wedelte mit den Armen. Das tat er immer, wenn er aufgeregt und ratlos war.

Oder wenn er merkte, dass Sondra kurz davor war, eine ihrer Ideen zu bekommen. Eine Idee, die sie durchaus in Schwierigkeiten bringen konnte.

Wie zur Bestätigung grinste Sondra ihn an. „Nun, ich brauche für die beiden inner­halb von zwei Tagen sowohl einen gültigen Pass, der nicht zu neu aussieht und ein Kurzaufenthalts-Visum Typ C, Andi. Wir beide haben ja unsere Pässe.“

„Ich kann aber Deutschland jetzt nicht verlassen!“

Sondra fühlte sich, als ob ihr jemand einen Eimer kalten Wassers über den Kopf aus­gekippt hätte. „Stimmt ja! Der Prozess! Verdammt.“

Bestürzt sah sie ihren Verlobten an. Andreas wiederum blickte starr in Sondras Au­gen, dann nickte er nach einer Weile.

„Also gut, wir machen folgendes. Ich werde morgen die nötigen Papiere organisieren, dazu benötige ich allerdings Holgers Hilfe. Du fährst morgen Vormittag gleich zu Tom und lässt Passfotos und so weiter von den beiden machen. Spätestens morgen Nachmittag werde ich sie brauchen. Dann werdet ihr drei in die Karpaten fliegen und Wanja suchen.“

„Vala“, verbesserte Elsir. Die beiden Elfen waren in den vergangenen Minuten auffal­lend still gewesen.

„Ich muss zuerst im Internet gucken, ob sich die Suche nach dem richtigen Ort ein­engen lässt. Vielleicht gibt es eine Ortschaft, die verstärkt ungewöhnliche Berichte verbreitet.“ Sondra fing an, den Esstisch abzuräumen, während sie nachdachte. „Tom wird bestimmt Fragen stellen, wenn ich mit Elsir und Bijae auftauche.“

Andreas schüttelte den Kopf. „Wird er nicht, Sondra. Er weiß Bescheid.“

Wie angewurzelt blieb Sondra stehen und starrte Andreas an. Verlegen blickte er nach einer Weile zu Boden.

„Als du letztes Jahr in Irland warst, hatte Tom mich hier ein paar Mal besucht. Ein­mal war Vollmond und das Haus vibrierte. Er merkte es und stellte die richtige Frage. Ich kann Tom nicht anlügen, Sondra!“

Stumm stellte sie den Aufschnitt und die Butter in den Kühlschrank, stellte das dreckige Geschirr in die Spülmaschine.

„Sondra, es tut mir leid. Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte und dann habe ich es irgendwie … verdrängt.“

Sondra wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und blickte Andreas in die Augen. Elsir, der bemerkt hatte, dass zwischen den beiden Menschen eine Un­stimmigkeit herrschte, kümmerte sich intensiv um die Erforschung der Kochstelle mit den Ceranfeldern. Bijae faltete seine Karte vorsichtig zusammen, steckte sie wieder in seinem Rucksack und betrachtete den Weltatlas der Erde.

„Was für eine Frage?“, fragte Sondra ruhig.

Andreas schluckte kurz. „Du warst nicht in Südamerika, sondern in Vilgard, hab ich Recht?“

Sondra schürzte ihre Lippen und zog beide Augenbrauen hoch. „Heißt das, Tom hat früher auch die Bücher meines Vaters gelesen?“ Ihre Stimme war immer noch ruhig.

„Ja.“

„Vertraust du ihm?“

„Natürlich!“ Andreas war überrascht, dass Sondra ihm diese Frage überhaupt stellte. „Ja, ich vertraue ihm. Ich habe ihm alles erzählt und ihm sogar das Tor gezeigt. Er weiß, was auf dem Spiel steht, wenn die Öffentlichkeit davon erfährt.“

Sondra nickte nach einer Weile. „Na gut, dann will ich ihm auch vertrauen.“ Damit drehte sie sich um und goss den Rest Wasser aus dem Wasserkocher in den Ausguss.

Andreas ging zu Sondra und umarmte sie von hinten. „Es tut mir wirklich leid, Schatz. Bitte entschuldige“, sagte er leise.

Sie drehte sich um und blickte ihn von unten nach oben an. „Hast du wenigstens ein schlechtes Gewissen?“

„Ja“, sagte er zerknirscht.

„Gut.“ Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf sein Kinn und richtete ihre Aufmerk­samkeit wieder den beiden Gästen aus Vilgard.

„Es ist schon spät und wir können jetzt nichts mehr erreichen. Als erstes werden wir morgen in eine Boutique fahren und euch Kleidung der Erde besorgen. Da jetzt Herbst ist, wird es in Ordnung gehen, wenn ihr wegen der Ohren Mützen tragt. Andreas, kann ich morgen den Tuareg haben und du nimmst den Käfer? Ist bequemer für die beiden.“

„Natürlich, Sondra. Das geht klar.“

Sondra ging zur Küchentür. „Kommt mit, Jungs. Ich bringe euch in das Gästezimmer. Ich hoffe es macht euch nichts aus, euch ein Zimmer miteinander zu teilen. Wir haben nur ein Gästezimmer.“

„Das macht uns nichts aus, Sondra“, beeilte sich Elsir zu sagen. „In den letzten Wochen haben wir entweder unter freiem Himmel oder in Tavernen oder Scheunen geschlafen. Deshalb…“

„…danken wir für eine Unterkunft, egal wie einfach sie ist“, ergänzte Bijae. „Ihr seid sehr gastfreundlich und habt uns schon sehr gut bewirtet.“

„Ich gehe schon mal nach oben“, meldete sich Andreas. Er wirkte immer noch ein wenig zerknirscht. „Gute Nacht, Elsir. Gute Nacht, Bijae.“

Als Andreas die Treppe hinauf ging, grinste Sondra plötzlich über die ganze Breite ihres hübschen Gesichts.

„Das tat gut!“, murmelte sie und öffnete die Tür zum Gästezimmer, das im Erdge­schoss neben dem Wohnzimmer lag. Sie knipste das Licht an, ging zum Fenster und öffnete es.

„Das ist aber schön“, sagte Elsir mit großen Augen, als er das Doppelbett sah.

Sondra schmunzelte etwas. „Falls es einem von euch unangenehm ist, zusammen im Bett zu schlafen, kann ich auch die Couch im Wohnzimmer zum Bett umgestalten.“

Bijae sah sie einen Moment verwirrt an. Elsir wiederum grinste breit.

„Wir haben schon als Kinder zusammen in einem Bett geschlafen und es ist noch nie etwas zwischen uns passiert. Ich glaube, wir können uns beherrschen.“

Bijae lief dunkelrot an, sagte aber nichts. Sondra biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszulachen. Sie erklärte den beiden Elfen kurz den Mechanismus vom Fenster und wie der Lichtschalter funktionierte.

„Ach und Elsir!“

„Ja?“ Elsir studierte gerade den Heizkörper.

„Vermeide es bitte, deine Finger in die Steckdose zu stecken oder an Knöpfe zu drehen wie an dem Heizkörper vor dir, in Ordnung?“

Jetzt grinste Bijae, weil zur Abwechslung Elsir errötete.

„Also schlaft gut, ihr zwei.“ Sondra drehte sich um und ging zur Treppe.

„Sondra, einen Moment bitte noch!“ Bijae war hinter sie getreten, berührte kurz ihre Hand, um sie aufzuhalten. Bei dieser flüchtigen Berührung zuckte Sondra zusammen, als hätte sie einen kleinen elektrischen Schlag bekommen.

„Als Andreas dir vorhin gebeichtet hatte, dass er einem Freund euer kleines Torge­heimnis erzählt habe, wusstest du das schon längst, nicht wahr?“

Die Augen aus goldgelbem Bernstein bohrten sich prüfend in ihre grünen.

„Ja, schon eine ganze Weile“, gab Sondra zu. „Aber es hat mir ein bisschen Spaß ge­macht, ihn in Verlegenheit zu bringen.“

Sie grinste den großen Elf an und er schmunzelte mit geschürzten Lippen zurück.

„Meine Eltern hatten Recht, du bist gerissen!“

Da fiel Sondra etwas ein. „Ich habe euch gar nicht nach euren Eltern gefragt. Wie geht es Elgar und Syra und Kolja und Elana?“

Kurz zogen sich Bijaes Brauen zusammen. „Elgar hatte vor zehn Jahren als König abgedankt und die Krone Elram übergeben. Bis zu seinem Tod vor vier Jahren fungierte er noch als Berater für Elram. Syra starb nur wenige Monate nach Elram. Sie konnte und wollte nicht ohne ihn leben.“

Sondra drehte ihren Kopf zur Seite, damit Bijae nicht sah, dass Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie schluckte hart und holte tief Luft. „Und deine Eltern?“

„Meine Mutter hat sich mit meinen drei Geschwistern auf den Hof meines Vaters zurückgezogen, als er vor zwei Jahren starb. „Mein Bruder Hrab wird den Hof über­nehmen, da ich, obwohl ich der älteste bin, als Druide keine Zeit für Landwirtschaft habe. Sabo, mein zweiter Bruder, fängt dieses Jahr bei der Armee an und meine kleine Schwester Fula ist einfach … ein Sonnenschein.“

Die Zärtlichkeit, mit der Bijae von seiner kleinen Schwester sprach, überraschte Sondra. Nachdenklich blickte sie dem Druiden in die Augen.

„Ich habe noch so viele Fragen, Bijae. Aber ich bin einfach zu müde, um alle Antworten zu hören.“

„Jae. Meine Freunde sagen einfach nur Jae zu mir.“ Er lehnte lässig gegen die Korri­dorwand und hatte seine Arme verschränkt. Er setzte gerade an, um noch etwas zu sagen, als es im Gästezimmer schepperte.

„Nichts passiert!“, rief Elsir aus dem Zimmer.

Bijae rollte seufzend mit den Augen. „Ich fessele ihn besser, bevor er das Haus ab­reißt“, sagte er lakonisch und ging in das Gästezimmer.

Lächelnd ging Sondra die Treppe hinauf ins Schlafzimmer.

Weltenwanderer-Chroniken II

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