Читать книгу Heinrich Mann - Sämtliche Romane - Heinrich Mann - Страница 13
Оглавлениеbefindet sich in fortwährendem Wechsel. Unsere geringste Tat wird sofort ein Stück von uns und unserm Leben, durch sich selbst und durch das, was sie hinterläßt; durch ihre Folgen und Einflüsse: wie hätte eine Reihe so bedeutender Handlungen und Erlebnisse, wie die in Wellkamps Leben durch sein Verhältnis zu Dora hervorgerufenen, jemals ihre Bestimmung verfehlen können. Man geht nicht durch das Feuer einer Leidenschaft, ohne in irgendeinem Sinne von ihm ungeschmiedet zu werden.
Sei es aber auch, daß Anna durch eine, vielleicht nicht unedle, Eigentümlichkeit ihres Charakters und ihrer innern Lebensweise daran verhindert worden wäre, Ahnung und Einsicht in das ihr Verheimlichte zu erlangen, so wäre jenes Beginnen darum nicht weniger umsonst gewesen. Er selbst hätte sich gegen all sein Bemühen immer an einem Glücke gehindert, das auf einem Grunde von Täuschungen und Schuld hätte ruhen müssen. Das Vertrauen und die Liebkosungen seiner reinen Gattin hätte er niemals ohne Bangen und Widerstreben zugleich ertragen, da er sie nicht verdiente, und da sie nicht dem galten, der er war. Um sie froh genießen zu können, hätte er die beschränkte und glückliche Brutalität der Männer haben müssen, die, in zeitweiligem Überdruß, ihre Frau zu betrugen, zu ihr zurückgekehrt, schon zufrieden sind, wenn sie ihrer Ahnungslosigkeit versichert sind. Dagegen hätte seine gern sich ausdehnende und mitteilende Natur eben an ihrer Ahnungslosigkeit Anstoß genommen, und er wäre niemals über seinen Wunsch hinweggekommen, nicht so von seiner Gattin geliebt zu werden, wie sie ihn sich vorstellte, sondern so, wie er war, mit seinen Fehlern und mit seiner Vergangenheit. So wäre eine dauernde Zufriedenheit gerade durch das Feinere und darum auch Bessere in seiner Natur ausgeschlossen worden. Sind es nicht in solcher Weise häufig eben unsere Tugenden, welche die Folgen unserer Fehler erst recht grausam machen?
Wenn daher die entschiedene Abrechung über alles Geschehene, die er so gern vermieden gesehen hätte, auf alle Fälle bevorstand, so wäre sie doch sicherlich durch eine sofortige Entfernung um unbestimmte Zeit verzögert worden. Da indes teils der noch recht rauhen Witterung wegen, teils aus Rücksicht auf den Major, der sich nur schwer an den Gedanken einer Trennung von seiner Tochter gewöhnen würde, ihre Abreise von Anna auf vier Wochen hinausgeschoben worden, so blieb es wahr, daß der enge Kreis, der sich nach wie vor um ihn, seine Mitschuldige und die von ihnen Hintergangenen schloß, seine treibende, beschleunigende Wirkung auf die notwendige Entwickelung der Ereignisse ausübte. Durch die Reibungen des alltäglichen Verkehrs, durch die tausend Kleinlichkeiten des engen Zusammenlebens wurden bei seinem nervösen, noch mehr als sonst empfänglichen Zustande seine Empfindungen erhitzt und, ehe er sich dessen versah, zu Gewaltsamkeiten gereizt.
Eine von vornherein unnatürliche Ruhe war über die nächsten Tage gebreitet, nachdem Wellkamp aus jener bewegten Unterredung mit seiner Gattin hervorgegangen. Durch jene halbe, erfolglose Aussprache meinte er nun wirklich von dem so lange erlittenen Druck befreit, allem bisher für ihn Verhängnisvollen bereits entrückt und unzugänglich gemacht zu sein, und suchte sich dies auf jede Art zu beweisen. Er blieb jetzt häufig, besonders in den Abendstunden, die er in letzter Zeit, durch seine Nervosität entschuldigt, meist allein auf seinem Zimmer verbracht, mit den beiden Frauen in Unterhaltung zusammen; Herr v. Grubeck, der neuerdings wieder über rheumatische Schmerzen klagte, pflegte sich früh zurückzuziehen, nachdem er tagsüber meist einsilbig gewesen. Mit dem durch Trotz und Selbsttäuschung unterhaltenen Anspruch, seine Beziehungen zu Dora unmittelbar als nichtig zu betrachten, sie am liebsten völlig zu verleugnen, richtete er nun zuweilen das Wort an seine bisherige Geliebte mit einer Gleichgültigkeit und Sicherheit, mit welcher etwa der Schlafwandelnde über die gefährlichsten Stellen schreitet, als befände er sich auf ebenem Wege, und durch welche die junge Frau selbst anfänglich getäuscht werden mußte. Bei der Zunahme dieser Neigung zog er bald auch die bevorstehende Reise ins Gespräch, über die er bisher mit Anna sich wenig unterhalten, und die er vor Dora instinktiv noch unerwähnt gelassen. Sie waren eines Abends im Speisezimmer, das der Major bereits verlassen, eine Weile schweigend sitzen geblieben, als Wellkamp ohne Übergang begann:
»Es ist doch sonderbar, daß wir noch gar nicht das Ziel unserer Reise überlegt haben. Man sollte glauben, wir wollten so planlos in der Welt herumfahren. Wenn wir aber einen dauernden Aufenthalt beabsichtigen, muß er mit allem Bedacht ausgewählt werden. Es gibt dabei für Zwei noch mehr zu überlegen, als für Einen.«
»Ich überlasse Dir gern die Wahl; ich werde mich überall einleben«, bemerkte Anna.
»Dann würde ich es für einen passenden Einfall halten, nach Kreuth zurückzugehen. Man sollte auf die Orte, an denen man liebe Erinnerungen hat, immer aufs neue zurückkommen. Sie geben einem gleichsam Mut und guten Zuspruch wie ein lieber Bekannter.«
Er hatte während dieser Worte, um sich besser der Versuchung, dabei nach Dora hinüberzusehen, zu erwehren, den Kopf leicht in die Hand gestützt und völlig zu Anna hinübergewendet. Diese senkte unter seinem Blick mädchenhaft errötend die Stirn. Ein unbestimmtes, ihr selbst nicht erklärliches Schamgefühl verbot ihr, die Zärtlichkeit, welche die Worte des Gatten in ihr erregten, in Gegenwart dieser Frau merken zu lassen. So blieb es einen Augenblick still, bis sich unerwartet die ganz ruhige Stimme Doras hören ließ.
»Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, so wüßte ich nichts besseres zu empfehlen, als den Genfer See. Ich war mit meinem Vater einmal gerade in jetziger Jahreszeit dort und vergesse nie diesen entzückenden Frühling.«
»Aber daß ich daran nicht gedacht habe!« fiel Wellkamp, sich umwendend, hastig ein.
»Es gibt ja keine so ideale Frühlingslandschaft als das schöne Land von Waadt, besonders die Gegend von Montreux und dann das unvergleichliche kleine Ouchy mit seinen zackigen Quais am Fuße der Weinhügel.«
Er erging sich in einer Beschreibung der Gegend und erreichte wirklich damit, das Gespräch in Fluß zu bringen und seine augenblickliche Verlegenheit zu verdecken. Als man sich trennte, meinte er, ohne nachhaltigen Eindruck von dieser Szene geblieben zu sein. Sie hatte aber dennoch ihren Stachel in ihm zurückgelassen, den er bald genug fühlen sollte. Seine unangenehme, fast peinliche Überraschung, als er Dora auf die unvermutete Ankündigung seiner baldigen Abreise so unbewegt hatte erwidern hören, wiederholte sich bei anderen Gelegenheiten sehr verstärkt. Der instinktiven Regung gegenüber war er machtlos; er mißgönnte ihr diese innere Ruhe, wiewohl sie ihn in der seinigen, falls diese aufrichtig war, hätte bestärken müssen. Es war kein Zweifel, daß seine Eitelkeit verletzt war, die Eitelkeit des Liebhabers, der nicht dulden mag, daß die von ihm verlassene Frau sich allzu schnell über ihn tröste. Wenn er schon sich selbst auch innerlich von ihr losgesagt haben wollte, so hätte er doch gewünscht, sie gekränkter, leidender zu sehen. Noch verletzender für seine Eigenliebe war der Gedanke daran, mit wessen Hilfe sie seinen Verlust zu verschmerzen gedachte. So galt also er ihr nicht mehr als dieser alte, von ihm kaum je beachtete Mann! Denn er glaubte zu bemerken, daß sich Dora mehr als je früher mit ihrem Gatten beschäftigte. Es war, als bereitete sie sich schon darauf vor, für die Zukunft, die sie allein in seiner Gesellschaft leben sollte, eine größere Intimität zwischen ihnen herzustellen. Sie schien ihm dabei nahezu aufdringlich vorzugehen, so daß sich Herr v. Grubeck mit einer an ihm längst nicht mehr wahrgenommenen Regung von Selbständigkeit ihrer Annäherung entzog. Auch kam Wellkamp einmal über einen Wortwechsel hinzu, in dem seine Gattin gegen Frau v. Grubeck das Recht verteidigte, in ihres Vaters Zimmer aufzuräumen, den Schreibtisch von Staub zu befreien und die übrigen dort stets von ihr geübten Geschäfte zu verrichten, welche nun plötzlich von Dora in Anspruch genommen wurden. Solche Vorfälle versetzten ihn in eine gehässige, zu eigener und anderer Schädigung und Verwundung treibende Aufregung. Im Sturm war er abermals von der Eifersucht auf den Gatten erobert, die er während seines Lebens trotz aller Reflexion noch niemals in dem Falle, verleugnen zu können gewesen war. Sie mußte ihm eingeboren sein, wenn er sich auch hier, bei der ihr unter den vorhandenen Umständen innewohnenden Lächerlichkeit, von ihr überwältigen ließ; zugleich aber war sie jetzt gefährlicher, zerstörerischer als gewöhnlich, da es Eifersucht ohne Liebe war, einem Feuer vergleichbar, das unter einem leeren Kessel entzündet ist. So bedurfte es nur noch eines geringen Vorfalls für seinen Zustand, um einen gewaltsamen Ausbruch herbeizuführen.
Es war an einem Abend, als man, zu früh mit der Mahlzeit fertig, um sich schon zurückzuziehen, noch in Doras Boudoir hinübergegangen war. Indes wollte keine rechte Unterhaltung zustande kommen, hauptsächlich durch Schuld des Majors, der bereits bei Tische in gereiztem, merklich störendem Schweigen verharrt hatte. Wellkamp begann den alten Mann, der mit seinen greisenhaften Leiden seine Umgebung nervös machte, vollends unleidlich zu finden. Endlich jedoch, als zufällig mit ein paar Worten von Musik die Rede gewesen war, machte Herr v. Grubeck, vielleicht nur, um seine üble Stimmung nicht zu auffällig werden zu lassen, ein Vorschlag.
»Du könntest uns etwas Musik machen«, sagte er zu Dora gewendet.
Wellkamps immer auf der Lauer befindliche Leidenschaft erhielt neue Nahrung, als er die junge Frau ohne weiteres annehmen sah. Sie hatte bisher in den seltensten Fällen, selbst wenn er zur Zeit ihres glücklichsten Verhältnisses darum gebeten, eingewilligt, in Gesellschaft zu spielen. Sie hatte ihm gesagt, sie könne nur in Gegenwart eines einzigen, nur in der Gegenwart dessen spielen, dem sie etwas zu sagen habe. Sie fühle dann, wie er ihr im Herzen erwidere, und so sei die Musik für sie ein Liebesaustausch wie ein anderer.
Es traf sich, daß Dora an diesem Abend, der Bequemlichkeit halber, wie sie sagte, jenes hell-violette Gewand angelegt, das mit dem Ton des Musikzimmers harmonierte und das sie an jenem ersten Morgen ihrer Intimität getragen. Schon dies erschien dem Eifersüchtigen als Entweihung, ja Beleidigung, und er überlegte, während er als der Letzte hinüberging, ob es würdiger wäre, der Schamlosen, wie er sie nannte, dadurch seine Nichtachtung zu bezeigen, daß er sich sogleich verabschiedete. Aber er brachte es, mit der schrecklichen Neugierde des Leidens, nicht über sich, seine Pein abzukürzen, und blieb. Er saß in sich versunken an Annas Seite, ohne zu fühlen, wie die junge Frau ihn berührte, um ihn näher an sich zu ziehen, als fürchtete sie von der Musik und zumal von derjenigen, welche Dora wählte, einen schlimmen Einfluß auf seine Erregbarkeit. Und so hörte er Dora nun dieselben Lieder singen, die sie ehemals für ihn gehabt, »mit denen sie ihn besser betört«, sagte er sich mit Bitterkeit. Nach jedem Stücke sah er sie dankbar ihrem Gatten zulächeln, der ihr, da die beiden Anderen schwiegen, als der, welcher aufgefordert, wohl einige Artigkeiten sagen mußte: jetzt war das alles für ihn berechnet, dachte Wellkamp. Das letzte war jenes »Lied der Ghawâze«, in dessen Vortrag er diesmal, vielleicht nur von seiner eigenen Stimmung hinzugefügt, noch mehr Ausdruck zu finden meinte, als damals. Aufblickend gewahrte er wieder wie damals über ihr mattblondes Haar die Lichtreflexe spielen, die er so oft mit seinen Lippen verfolgt hatte, und auf ihren Wangen sah er dieselbe leichte, wie angehauchte Röte liegen wie einst, als sie ihm, nur ihm allein ihre Liebe sang.
»Komödiantin!«
Er fuhr erschreckt zusammen, in Zweifel, ob das Wort etwa gehört sei. Aber es war ihm nur wie ein Seufzer entfahren. Er war sehr blaß geworden und es schwindelte ihm, so daß er sich ohne Weigerung von Anna, die seinen Arm fest in dem ihren hielt, hinausgeleiten ließ. Es war nur Dora da, um zu bemerken, wie Herr v. Grubeck den Beiden mit einem Ausdruck nachsah, in welchem Bitterkeit und Mitleid mit einer tiefen, peinigenden Ratlosigkeit gemischt erschienen.
Die Nacht brachte Wellkamp unter dem inneren Aufruhr zu, den diese für sein Gefühl abscheuliche, frevelhafte Szene hervorgerufen. Durch lange Stunden fand er immer nur den einen, verzweifelt wiederholten Ausruf, den er in den Kissen erstickte: »Es ist unerträglich! Es ist unerträglich!« Was und warum, hätte er entweder nicht zu sagen gewußt oder er mochte es sich nicht gestehen. Und eben wegen ihrer Unvernünftigkeit war er gegen die Forderungen seines Instinkts um so ohnmächtiger. Was ihm einst als großes und unvergängliches Glück erschienen und was in jedem Falle eine starke Leidenschaft gewesen, nun mit so dumpfer Ruhe ersticken, von Heuchelei und Gleichgültigkeit langsam, langsam zugedeckt werden zu sehen, war ihm in Wahrheit das Unerträglichste. Und in langen Stunden befestigte sich seine Sehnsucht nach einem heftigen Ausbruch aller Feindseligkeit und Eifersucht, nach einer großer Abrechnung.
Als er am Morgen, noch immer mit starr gegen die Decke gerichteten Augen auf dem Rücken liegend, die Tür leise öffnen hörte, wandte er sich unwillkürlich und schnell ab, um sich schlafend zu stellen. Kaum wußte er Anna wieder aus dem Gemache entfernt, als er sich im Bette emporwarf, angestrengt horchend, ob seine Gattin mit ihrem Vater das Haus verlasse. Nun hörte er ihre Schritte, die sich abwärts entfernten, und war auch schon aufgesprungen, sich eilig in seine Kleider zu werfen. Zwei Minuten später stand er in ihrem kleinen Gemache seiner bisherigen Geliebten gegenüber.
Dora war selbst kaum eingetreten, sie war im Begriffe, fröstelnd sich vor dem Kamin zurechtzurücken. Als sie ihn in einer Verfassung, welche die Kämpfe der vergangenen Nacht bezeugte, bleich, der Blick starr, Haar und Kleider in Unordnung, auf sich zu stürzen sah, hatte sie jenen in hochmütigem Triumph abweisenden Blick der Frau, die ihre innere Erregung bei der Rückkehr eines treulosen Geliebten verbergen will. Von einem spöttischen Lächeln halb verdeckt, war dennoch eine kleine leidenschaftliche Bewegung ihrer Lippen bemerkbar, als hielte sie den Ausruf zurück: »Du liebst mich noch!«
Nein, er liebte sie nicht mehr, er dachte in diesem Augenblick an nichts weniger als daran, daß er sie jemals geliebt. Ihr Empfang hatte, indem er ihm noch einmal ihre heuchlerische Ableugnung aller ihrer gemeinsamen Beziehungen zu bekunden schien, seine Wut erhöht. Er empfand nichts mehr, als das Bedürfnis, sie, bevor er sie verließe, zu erniedrigen, wie noch nie eine Frau erniedrigt wäre. Sein Taumel ging bis zur Selbstvernichtungslust, er hatte alles vergessen, was ihn von dieser Frau trennen mußte, was ihm die Zukunft lieb und wünschenswert machte, Anna selbst. Sie sollte sehen, daß er nach wie vor die rücksichtsloseste Gewalt über sie besaß, und er warf sich auf sie, die durch seine verzerrte Miene, seinen abwesenden Blick erschreckt und vorbereitet, ihn mit aller Kraftanstrengung von sich stieß. Durch den erlittenen Stoß halb ernüchtert, begann er nun, ihr einen Haufen entwürdigender Ausdrücke in Gesicht zu werfen.
»Du – Du widerstehst mir, Du wagst mir zu widerstehen?« brachte er dann mühsam hervor.
»Aber ich will Dir zeigen, wer Du bist und was ich aus Dir machen kann, sobald ich will. Dein Mann wird alles erfahren!«
Er hatte die unsinnige Drohung, die er niemals hätte verwirklichen können, ausgestoßen, so wie er einem Feinde einen ungeladenen Revolver entgegengehalten hätte. Er verweilte jedoch sogleich dabei, als er die Wirkung bemerkte, die seine Worte auf die bisher bewegungslos Gebliebene ausübten. Dora war womöglich noch bleicher als er geworden; einen Arm, welcher bebte, streckte sie wie flehend gegen ihn aus, um ihn sofort wieder zurückzuziehen, entmutigt unter der Furchtbarkeit seiner Worte. Jedes von ihnen verursachte ihr eiskalte Fieberschauer der Furcht, der unsäglichen Furcht vor den Folgen eines Schrittes, wie er ihn in Aussicht stellte.
Und er fuhr fort, doch nun ohne erregte Zufälligkeiten, mit kalter Bosheit seine Sätze überlegend und immer dasselbe wiederholend, wie wenn er in einer glücklich entdeckten wunden Stelle immer aufs neue das Geschoß herumwendete. Er sagte alles, was der seine Stellung mißbrauchende, umbarmherzige Mann zu sagen hat und was stets darauf hinauslief, sie als Frau wisse am besten, daß sie allein die Folgen zu tragen haben werde.
»Für mich ist dies ein Abenteuer wie ein anderes gewesen, für Dich dagegen ist es das Ende.«
Er wußte nicht, wie sehr er wenigstens mit diesen letzten Worten recht hatte.
Sie hörte ihn an, je nachdem sie der Klang seiner Stimme in einem wilden Flüstern oder in lautem, rücksichtslosem Schreien traf, entsetzt und furchtsam auffahrend oder ganz in ihren Sessel zusammensinkend, während ihre Lippen nichts hervorbrachten als ein tonloses, ganz leises: »Ich bitte Dich, ich bitte Dich …«
Die Grausamkeit des Auftritts wäre nicht vollständig gewesen, wenn nicht in ihnen Beiden, während sie sich so, Opfer und Peiniger, in die Augen sahen, das namenlose Bewußtsein sich geregt hätte, daß sie hier das Nachspiel zu dem aufführten, was einstmals ihre Liebe gewesen.
Aber diese unschönen Todesschreie eines Verhältnisses, das nie hätte leben sollen, trafen das Ohr einer Frau, welche nicht die Erfahrung besaß, die berechtigt hätte sie zu hören, und welche, an das Leben in hoher reiner Luft gewöhnt, hier unvermutet in einen Abgrund blickte, dessen dumpfer, verpesteter Hauch sie zu ersticken drohte. Anna hielt sich schwindelnd an dem Pfosten der nur flüchtig zugeworfenen Tür, unfähig einen Schritt vor- oder rückwärts zu tun. Sie hatte sich nicht, wie Wellkamp in seiner Ungeduld angenommen, schon in Begleitung ihres Vaters zum Ausritt entfernt. Sie war nur, um nach den Pferden zu sehen, hinabgestiegen, während Herr v. Grubeck seine Toilette vollendete. Zurückgekehrt, hatte sie ihren Gatten einen Dienstboten schelten zu hören gemeint, wobei sie zwar überrascht war, daß seine laute angestrengte Stimme aus Doras Boudoir hervorging. Ihre Hand, welche schon auf dem Türgriff lag, war plötzlich, wie bei der Berührung eines glühenden Gegenstandes, wieder zurückgefahren, als ihr einige der gesprochenen Worte verständlich wurden. Im selben Augenblick war schon keine Kombination, keine Vermutung mehr nötig und kein Zweifel, keine Hoffnung möglich: was sie vernahm, war zu nackt, zu hart, zu vernichtend. Da sie eine Minute lang nur das Flehen Doras hörte, das nicht mehr von Wellkamps Stimme verdeckt wurde, nahm sie, von wilder Furcht, überrascht zu werden, erfaßt, ihre letzen Kräfte zusammen, um zu flüchten. Ohne Überlegung, ohne bestimmte Absicht, nur um dem fürchterlichen Tonfall der Worte, der ihr noch immer, nun sie die Worte selbst nicht mehr vernahm, gleich Schlägen aufs Haupt fiel, zu entgehen, eilte sie in das Zimmer ihres Vaters. In dieser Stunde, da sie die jugendliche, frühreife Überlegenheit ihres Geistes so jäh beschämt und getäuscht fühlte, und da so unbekannte, ungeheuerliche Erfahrungen über ihr Herz hereinbrachen, ward sie wieder Kind, ohne Herrschaft über Andere, noch weniger über sich selbst, und mit dem unsäglichen, alles überflutenden Bedürfnisse, in die Arme genommen und getröstet zu werden.
Sie war im Unglück glücklich genug, die Arme, die sie suchte, sogleich voll Verständnis geöffnet zu finden. Es war abermals eine Demütigung, aber eine süße, ihre Hingebung vervollständigende, wie sie ihren stillen alten Vater, den sie stets ein wenig auf sich gestützt zu fühlen gewohnt gewesen, und für den sie Liebkosungen gehabt, welche denen einer Mutter ähnlicher als denjenigen eines Kindes waren, nun überlegen und gefaßt fand, wo sie selbst überrascht und ratlos war. In ihrer unbewußten Selbstsucht eines verwundeten Kindes, das seine Umgebung mit nichts anderem als mit seinem eigenen Schmerz beschäftigt glauben kann, kam ihr keinen Augenblick der Gedanke, was ihr Vater selbst gelitten haben müsse, wenn er alles Vorgefallene, das ihn selbst am schwersten kränkte, und das er vor ihr, seinem Kinde verheimlichen mußte, gekannt. Erst später, mehr gereift und imstande, das Zurückliegende mit Ruhe zu übersehen, sollte sie erkennen, mit einem wie glücklichen Temperament sie diese kritischen Zeiten durchschritten, da sie niemals dasjenige, dessen Fehlen eben das Problematische, die Angst und die Verzweiflung aller an solchem Zustande Beteiligten ausmacht, nämlich die Gewißheit verloren. Wie hart und grausam der Schlag, den sie soeben erhalten, sein mochte, so war doch durch ihn die positive, innere Gewißheit, die die junge Frau bisher von der Treue ihres Gatten, von der Reinheit ihres ehelichen Verhältnisses und der Familie bewahrt, einfach in ihr Gegenteil verwandelt; und der unvermittelte Übergang von einer Gewißheit zur anderen hatte auf alle Fälle das Gute, ihr die langsam aufsteigenden Zweifel, den beschämenden Verdacht, kurz jene Leiden zu ersparen, welche der langwierige Todeskampf des Glaubens mit sich bringt. Dieser letztere aber war es, welchen der alte Mann erlitten, der vor ihr neben dem Sofa kniete und ihre kalten Hände streichelte, mit denen sie ihr Gesicht bedeckt hatte, während sie leise weinte.
Herr v. Grubeck hatte unmöglich wie seine Tochter ohne Ahnung bleiben können von dem, was um ihn her vorging, von der Heimlichkeit und dem Verrat, die ihn Tag und Nacht umgaben, die ihm ins Auge sahen und ihm die Hand drückten. Zwar hatte er die Täuschung dadurch erleichtert, daß er, so vollständig getrennt wie er von ihr zu leben gewohnt war, seiner Gattin nicht mehr als die unbedingt nötige Aufmerksamkeit widmete. Er kannte nicht ihre Beschäftigungen, kümmerte sich nicht um ihre Tageseinteilung, ihre Ausgänge und er sah sie kaum anders denn als einen Tischgast an, wenn er sie vor der Tafel wie nachher höflich begrüßte. So lange als die Schuldigen sich in seiner Gegenwart noch den Zwang wie in der ersten Zeit ihres Verhältnisses auferlegt, hatten sie von ihm nichts zu befürchten gehabt. Die größere Vertraulichkeit Wellkamps mit Anna, durch die er während der Mahlzeiten zuweilen überrascht ward, sowie Doras besseres, lebhafteres Aussehen nahm er für Zeichen eines beginnenden glücklicheren Verhältnisses im Leben der Familie. Er glaubte endlich den von ihm so lange erhofften Erfolg der Heirat seiner Tochter, den Einfluß, welchen der junge Haushalt auch auf die Stimmung seiner eigenen Ehe ausüben sollte, zu bemerken. Seltsame Ironie, die ihn zu jener Zeit zufriedener und verhältnismäßig glücklicher sein ließ als voroder nachher.
Indes traten jene Krisen ein, da die beiden von ihrer Leidenschaft in Anspruch Genommenen zu sehr damit beschäftigt waren, sich gegenseitig leiden zu machen, um noch in Gegenwart des Gatten und Vaters viel an Vorsicht und Selbstüberwindung zu denken oder sie auch nur für notwendig zu erachten. Damals war es, daß Herr v. Grubeck zum ersten Male aus einzelnen, zwischen seiner Gattin und seinem Schwiegersohn ausgetauschten, plötzlichen und heftigen Blicken und Gesten schloß, daß ein näheres Verhältnis unter ihnen bestehen müsse, als sie öffentlich zugaben. Immerhin war er weit entfernt, das Schlimmste zu befürchten. Wie sich ihm Dora von jeher gezeigt, mußte er sie allerdings für unfähig halten, ihn zu betrügen. Er kannte nur nicht den Hintergrund ihrer Persönlichkeit, wußte nicht, unter welchen Prüfungen und Versuchungen sie die auf ihre Ruhe bedachte, zurückgezogen, fast strenge lebende Frau geworden war, als die er sie kannte. Er ahnte nichts von der Größe der Leidenschaftlichkeit, welche sie von Hause aus in sich zu unterdrücken gehabt, und noch weniger kannte er die Macht, welche noch dicht vor jenem verhängnisvollen Übergang zum Matronenalter alles so lange Bezwungene und Verleugnete an Lebenswillen und -begierde beim ersten Anlaß hervorbrechen ließ.
Natürlich war es dem Gatten dennoch unmöglich, sich bei seiner vermeintlichen Erkenntnis ihres Charakters zu beruhigen. Der Zweifel, der scheinbar eine bewußte Arbeit unserer Seele darstellt, senkt sich vielmehr so heimlich in ihren Grund, daß er gerade in den Augenblicken, wo wir ihn am aufrichtigsten leugnen, sein schlimmstes Werk tut. Wenn Herr v. Grubeck sich heute für sein ihn selbst beschämendes Mißtrauen gescholten, so war er morgen um so scharfsichtiger geworden. Denn es waren nicht leere Vermutungen, mit denen er dem, was sich vor seinen Augen entwickelte, zusah. Einmal aufmerksam geworden, erhielt er überraschend schnell die Eigenschaften zurück, welche nach dem Austritt aus seinem ehemaligen Lebenskreise aus Mangel an Verwendung in ihm eingeschlafen waren. Es erwachte in ihm der alte Kavalier, der, an Medisance und gesellschaftlicher Beobachtung geübt, den Kampf der Geschlechter instinktiv für das Feld nimmt, auf dem sich alles um ihn her Vorgehende abspielt, und auf das er alle Lebensäußerungen ohne weiteres zurückführt. In dem Maße, wie diese Neigung nun wieder in ihm erstarkte, erschien es ihm unnatürlicher und törichter, die Schuld der beiden jungen Leute noch in Zweifel zu stellen, und um so weniger vermochte er dem Triebe, sich völlige Gewißheit zu verschaffen, zu widerstehen.
Die heftigsten inneren Kämpfe waren für ihn diejenigen gewesen, in denen er die Skrupel zu unterdrücken hatte, welche ihn von der Spionage zurückhielten. Wie viel er unter den traurigen Umständen seiner Ehe von seinen ritterlichen Ehrbegriffen geopfert haben mochte, so waren sie in diesem Punkte bisher unangetastet geblieben. Noch mehr dieserhalb als aus Furcht vor dem Erfolge hatte er den endlich beschlossenen entscheidenden Schritt mit dem Herzklopfen eines Jünglings getan. Eines Morgens hatte er Unwohlsein vorgegeben, um sich der Begleitung seiner Tochter auf ihrem Spazierritte zu entziehen. Ihrer Sorglichkeit war er verdrießlich und selbst schroff genug begegnet, um sie für den Augenblick von sich abzustoßen. Sie hatte sich allein entfernt, und er hatte ihre Abwesenheit benutzt, um seine Vermutung der morgendlichen Zusammenkünfte endlich zu bestätigen. Nach den ersten Worten, die er vernommen, war die Scham, mit der er hinter die Tür getreten, vernichtet von der jähen, maßlosen Wut, in die eine mit einer gewissen Grundlage von Ungestüm ausgestattete Natur auch nach der längsten Vorbereitung durch solche Gewißheit versetzt werden wird. Er hatte eine Bewegung von solcher Heftigkeit gemacht, daß die beiden im Zimmer Befindlichen sie bei einer weniger erregten Unterhaltung hätten bemerken müssen. Doch ließ er den Türgriff sofort wieder fahren; in sein wütendes, rücksichtsloses Begehren nach Rache, das sich bereits nicht anders als in einer äußersten Gewaltsamkeit befriedigen zu können schien, war unvermutet der Gedanke an seine Tochter geglitten. Was sollte aus Anna werden, wenn sie dieser Schlag traf, so fragte er sich in einer tiefen Ratlosigkeit. Sollte er, ihr Vater, es sein, der ihr die Illusionen entrisse, in denen sie zweifellos befangen war? Galt es nicht viel besser, sie in ihnen fortleben zu lassen, so lange wie möglich? Vielleicht nahm ohnehin alles bald ein Ende, ohne daß sie jemals nötig haben würde, etwas davon zu erfahren. Er erinnerte sich ähnlicher Fälle aus seinem ehemaligen Bekanntenkreise. Zwar war andererseits die Möglichkeit vorhanden, an die er nur mit Grauen dachte, daß sie das langsame Großwerden des Verdachtes, noch unsäglich schmerzvoller als er selbst, an sich erführe. Aber wenigstens konnte alles ein gutes Ende nehmen.
Es ist wahr, daß er in diese Berechnung, der im Augenblicke ihres Entstehens nur die zärtliche Rücksicht auf seine Tochter zu Grunde lag, bald auch sein eigenes Interesse einschob. Einmal wieder in der Einsamkeit seines Zimmers, wurde ihm die soeben empfundene Regung seines Willens zum persönlichen Eingreifen mit jeder Minute unbegreiflicher. Er schrak bei dem Gedanken zusammen, daß er jenem ersten Antrieb hätte folgen können. Dann hätte er jetzt vor seiner Gattin gestanden, deren Blick, den er fremd und hochmütig auf sich gerichtet fühlte, er nicht hätte ertragen können. Was war denn er ihr, und welche Pflichten hatte sie gegen ihn? War er ihr nicht von jeher alles schuldig geblieben, was er ihr verdankte? Die besonderen unglücklichen Umstände, unter denen sich ihr Eheleben entwickelt, hatten in Herrn v. Grubeck ein für allemal ein Schuldbewußtsein befestigt, das ihm jedes Gefühl seiner Autorität, ja nahezu jeden Glauben an seine Rechte benahm. Wie hätte er wagen dürfen, seine Gattin zur Verantwortung zu ziehen, da vielmehr sie von ihm Rechenschaft fordern konnte!
Diese Idee, daß einzig durch die Verhältnisse, für die er sich selbst alle Schuld beimaß, Dora aus der rechten, alltäglichen Bahn fortgedrängt, ließ ihm in natürlicher Folge auch die Schuld Wellkamps geringer erscheinen. In seiner qualvollen Mutlosigkeit, die durch jahrelanges Verbleiben in einer falschen, sein ritterliches Gewissen bedrückenden Lage genährt war, fand er eine traurige Befriedigung darin, den Verführer seiner Gattin zu entschuldigen. Die Aussicht ward ihm immer unwahrscheinlicher, vor den Beleidiger seiner Hausehre, so wie es seine Vergangenheit erfordert hätte, hinzutreten. Gab es für ihn eine Hausehre wie für einen Anderen, und durfte er Richter über sie sein?
In solchen Gedanken fühlte er sich in seinem Hause weniger als jemals heimisch. Die gereizte Stimmung, die man an ihm wahrgenommen, verbarg seine vollständige Mutlosigkeit, die in einen endgültigen Verfall seines Willens überzugehen schien. Von der schmachvollen Gewohnheit des Spionierens hatte er sich nicht mehr loszumachen vermocht. Sobald er sich ungestört wußte, verbrachte er als Lauscher an den Türen Stunden der schmerzlichsten Selbsterniedrigung. Er ward gehetzt, vielleicht nicht weniger als die Schuldigen selbst es in jener Zeit waren, von der Angst, es könne das Verhältnis eine unerwartete, noch gefährlichere Wendung nehmen. Und es war nochmals die seltsame und grausame Ironie, die ihn, den Betrogenen und Geschädigten, gleichsam zum Mitschuldigen gemacht, daß er am Ende die gleiche Erleichterung wie Wellkamp in jener scheinbaren Lösung der furchtbaren Situation fand, die Annas Entschluß, abzureisen, brachte. Er zählte bis dahin die Tage, fortwährend davor zitternd, daß der ruhige Verlauf der Dinge dennoch zuletzt durch irgendein gewaltsames Ereignis unterbrochen werden könnte. Indes hatte er die größte Gefahr, eine endliche Entdeckung des Geheimnisses durch Anna, kaum vorgesehen. Die harten Kämpfe um seinen eigenen innern Frieden hatten eine Zeit lang das Interesse für die unschuldige Ruhe seiner Tochter verdrängt. Um so unumwundener trat dagegen dieses letztere in den Vordergrund, als er am heutigen Morgen Anna ins Zimmer stürzen und auf sich zueilen sah, mit einem Gesicht, dessen Züge von einer plötzlichen schweren Erfahrung gespannt und beinahe großer geworden erschienen, und mit Augen, denen ein neues, furchtbares Wissen einen unbekannten Ausdruck gab.
Alles was es in Herrn v. Grubecks Natur an natürlich väterlichen und an edel männlichen Instinkten gab, ward beim Anblick seiner Tochter aufs lebhafteste erregt. Er hatte in dieser Minute sämtliche Skrupel, Zweifel, Widersprüche, die ihn seit langen Wochen zu jeglicher Willensäußerung untauglich gemacht, besiegt, und all sein Denken und Empfinden war einzig auf die Verteidigung seines Kindes gerichtet. Er war ihr natürlicher Beschützer, und man hatte sie zu kränken gewagt; dadurch hatte sich unvermutet alles gelöst. Seine nunmehr auf ein festes Ziel gerichtete, innerliche Energie verlieh ihm eine kaum jemals besessene Macht über die so eigenmächtige Natur Annas. Er vermochte sie mit wenigen Worten und Liebkosungen zur Besinnung zu rufen, und sie gehorchte seiner Ermahnung, ihn ruhig zu erwarten, während er ihre Sache in Ordnung brächte. Sein Entschluß war gefaßt; dies verlieh seinem Auftreten eine gewisse Kürze und Entschiedenheit, die Wellkamp dennoch ein wenig stutzig machte. Im übrigen fragte dieser nach der stattgehabten Szene mit Dora kaum noch nach einer Aussprache mit ihrem Gatten; die Überreizung, in der er sich befand, war unmöglich noch zu steigern. Aus Doras Zimmer, wo er sie in völliger Vernichtung, vom Sessel auf die Knie niedergesunken, zurückgelassen, ins Vorzimmer getreten, traf er hier mit dem Major zusammen, dem er auf ein kurzes Wort hin mechanisch folgte, als handelte es sich um die gleichgültigste Angelegenheit. Tatsache war, daß er, so schmerzlich es ihm stets gewesen, seine Frau zu hintergehen, des Gatten seiner Geliebten in dieser Beziehung niemals besonders gedacht. Er war auch jetzt weit entfernt, seine Schuld ihm gegenüber drückend zu empfinden. Es lag dem nichts anderes als das stumme Achselzucken zu Grunde, mit dem der Geliebte jedesmal dem Gatten gegenübersteht: »Warum hast Du Dein Eigentum nicht besser bewahrt?« Auch hier verleugnete sich nicht die, dort wo es unter Männern zur Entscheidung kommt, stets zu Tage tretende, brutale Auffassung des Weibes als Beute, die man sich gegenseitig abjagt. Das ist ehrlicher Kampf, und die Forderung, welche in den günstigeren Fällen folgt, setzt diesen Kampf nur von der anderen Seite fort.
Diese instinktive Auffassung der Sachlage mochte es sein, in der Wellkamp, als sie im Speisezimmer, wohin ihn der Major, um möglichst unbelauscht zu bleiben, geführt hatte, einander gegenüberstanden, sogleich das Wort nahm: »Natürlich bin ich zu jeder Genugtuung bereit«, sagte er einfach.
»Genugtuung?« fragte Herr v. Grubeck mit einer flüchtigen Betonung, als handelte es sich um etwas, daran er bisher nicht gedacht und das er sogleich zurückzuweisen gedenke.
»Genugtuung?« wiederholte er. »Was verstehen Sie darunter? – Ist Ihnen die Lage der Angelegenheit so wenig gegenwärtig, daß Sie meinen, alles, was Sie bisher zerstört haben, mit ein paar Pistolenschüssen wieder herstellen zu können? Das Duell ist geschaffen für Leute, die eine gute Sache zu verteidigen glauben. Von alle dem, was ich während der ganzen Zeit, da ich von dem Geschehenen unterrichtet war, von meiner Gewissensruhe geopfert habe, würde ich nichts zurückerhalten, wenn ich Sie jetzt nachträglich über den Haufen schösse. Oder sollte ich mein Kind, das ich dort drüben so zurückgelassen habe, daß Sie es nicht wiedererkennen würden, von Ihnen, der ihr alles genommen hat, auch noch der letzten Stütze, des Vaters, berauben lassen? Und wünschen Sie, der an dem Unglück schuld – aber vielleicht sind weder Sie noch Ihre Mitschuldige allein schuld daran – doch gleichviel, wünschen Sie unsere Schande zu offenbaren, Zeugen zu suchen, die Öffentlichkeit dafür zu interessieren? Nein, mein Lieber, die Angelegenheit hat ja ganz unter uns gespielt, in der Familie; machen wir also auch die Abrechnung unter uns ab …«
Der Major holte tief Atem. Seine Brust erschien nichts weniger als eingefallen, er hatte sich straff aufgerichtet und blickte auf Wellkamp wie auf einen Untergebenen herab. Seine Sprache war gleichfalls von einer längst verlorenen Festigkeit. Er hatte harte und zum Schlusse ironische Töne gefunden, und nur einmal, als er seine eigene Mitschuld andeutete, war seine Stimme leiser und stockender geworden.
Wellkamp war von Auftreten und Sprache seines Schwiegervaters anfangs überrascht, dann beunruhigt und endlich besiegt. Er ward plötzlich gewahr, daß er alles geschehene Unglück stets nur unter dem Gesichtswinkel seines eigenen Leidens betrachtet. Es hatte ihn gepeinigt, in einer durchseuchten Atmosphäre zu leben, in der er von seinen Leidenschaften mehr und mehr beschmutzt und erniedrigt ward, darum hatte er sich aufgebäumt. Der Gedanke, daß er an Anderen Unrecht verübte, hatte ihm Gewissensbisse verursacht, und auf eben diese seine eigenen Schmerzen beschränkte sich sein Gefühl. Er hatte sich das Leid der Anderen vorgeworfen, aber niemals hatte er es sich so wie jetzt während der Anrede des alten Mannes, so nahe, so körperlich wirklich vorgestellt. Wann täten wir übrigens dies jemals?
Mehr als alles andere hatte den Schuldigen die Erwähnung Annas tief erschreckt. Der Gedanke, daß sie nun wirklich alles wisse, war ihm von einer seltsamen Unbegreiflichkeit, wie uns wohl Ereignisse ganz unvorbereitet treffen, die wir längst hätten voraussehen können. Es konnte nicht wahr sein, denn es wäre zu furchtbar gewesen. So groß seine Schuld sein mochte, die Strafe, sie zu verlieren, war dennoch übermäßig schwer. Angesichts dieses Gedankens war er nahe daran, alles Geschehene als ein leichtsinniges Spiel zu betrachten, das er kaum ernstgenommen, und das er jedenfalls unterlassen, wenn er des Einsatzes gedacht hätte, dessen er nun verlustig gehen sollte. Hatte er denn wirklich um Leben und Tod gespielt? In Wahrheit kam bei dieser Frage Todesangst über ihn, und diese war der Boden, aus dem sich zum ersten Male eine große, von allen sie umringenden Umständen losgelöst mächtige Liebe zu seiner Gattin in ihm erhob.
Indessen stand er, den Kopf wie unter Nackenschlägen geneigt, ohne zu wagen, den Blick, den er bei den ersten Worten seines Schwiegervaters gesenkt, wieder zu erheben. Während kalter Schweiß auf seine Stirn trat, hörte er den Anderen mit hartem, nun trocken und wie geschäftsmäßig gewordenen Tone die Bestätigung dessen aussprechen, was er am meisten fürchtete.
»Ich denke«, fuhr der Major fort, »daß eine sofortige Trennung Ihnen jetzt ebenso erwünscht sein wird, wie mir. Ich glaube leider, daß meine Tochter sich nur dann beruhigen wird, wenn Ihre Abwesenheit eine definitive ist. Um sie also beschleunigen zu können, werden wir von einer plötzlichen Krisis in Ihrem Befinden sprechen. Unsere Angelegenheiten dürften sich brieflich am besten ordnen lassen. Wenn Sie in eine Scheidung willigen, so stimmen wir hoffentlich darin überein, sie wenigstens ein halbes Jahr hinauszuschieben. Es kommt darauf an, alles möglichst unauffällig einzuleiten. – Also Sie reisen?«
»Ich werde reisen«, sagte Wellkamp ganz leise, doch noch immer mit der schwachen, gleichsam eine letzte Bestätigung erwartenden Frage im Ton seiner Stimme. Wie eine Antwort hörte er im gleichen Augenblick Anna, welche unbemerkt die Tür geöffnet, sagen:
»Du wirst reisen, aber nicht ohne mich.«
Die beiden Männer starrten sie an wie eine Erscheinung. Den Einen von ihnen enttäuschte sie über seine ganze Auffassung der Dinge, brachte seine Festigkeit zugleich mit dem Ziele ins Wanken, auf das sie gerichtet gewesen; dem Anderen kam sie unverhofft zurück, nachdem er sie in diesen bangen Minuten schon lange, so lange verloren zu haben gemeint.
Während Herr v. Grubeck, ohne ein Wort des Widerspruchs, mit unmerklich schwankender Haltung ans Fenster trat, an das er sich, dem Zimmer den Rücken gewandt, lehnte, war Wellkamp ohne einen Gedanken, wie unter der Gewalt des Schicksals, auf die Knie gesunken. Er verstand nichts mehr. Jenes erste Mal, als er, wie jetzt wieder, ihre Hand mit seinen Tränen benetzte, hatte er, im Spiel seiner Phantasie, sie mit seiner halben Hingebung zurückzugewinnen geglaubt. Heute fand er für das, was geschah, keine Erklärung in sich selbst. Damals hatte Anna ihn nicht begreifen können, da er sie täuschte; er dagegen begriff sie heute nicht, weil sie ganz aufrichtig war.
»Nicht ohne mich!« wiederholte sie fast bittend.
»Du hast mir viel, viel Leid zugefügt. Aber ich fürchte, Dir selbst fast noch mehr. Ich glaube – heute Morgen gehört zu haben, daß Du unglücklich bist. Wenn wir es also Beide sind, könnten wir dann nicht zusammen auch wieder glücklich werden?«
Wie der Klang ihrer Worte, so war das Gesicht der jungen Frau sehr ruhig, vielleicht noch klarer, in irgendwelcher Weise freier. Es schien etwas wie der Schatten eines kleinen, geistigen Hochmuts von ihrer Stirn genommen. Die letzten Erfahrungen, die sie in ihrem Stolze ebensosehr enttäuscht, wie sie ihr Herz verwundet hatten, schienen sie sanfter, ihre Empfindung weicher gemacht und ihr ein schönes Verständnis für menschliche Schuld und menschliches Leid geschenkt zu haben.
Wie hätte sie früher Verständnis für die Schuld Anderer besitzen sollen, da sie Niemandens Schuld kannte. Sie hatte noch wie ein Kind alles mit den Augen ihrer Sympathien und Antipathien angesehen, und so hatte sie von dem, was ihren Gatten seit so langer Zeit von ihr trennte, nichts ahnen können. Es gibt solche Naturen, die nicht überragend groß – denn zur Größe gehört auch das Verständnis der Schuld und vielleicht die Schuld selbst – aber rein genug sind, eine noch so geheime Verdächtigung des geliebten Gegenstandes als eine Beschimpfung ihres innersten Heiligtums und ihrer selbst zu empfinden. Man führe sie dicht an das vor ihnen, in ihrem intimsten Kreise aufgerollte Problem der Schuld heran, so werden sie es übersehen. Man öffne ihnen mit Gewalt die Augen, so werden sie mehr ihrem Gefühl als ihren Augen glauben. Das Geständnis endlich des Schuldigen selbst wird sie nur dazu vermögen, im eigenen Herzen Buße zu tun und ihm seine Schuld tragen zu helfen. Dabei können sie im Alltagsleben nüchtern erscheinen, und nichts liegt ihnen ferner, als der tägliche Kultus des Gefühls, seine Anbetung mit Gesten und Empfindsamkeiten. Aber der Glaube an das Gefühl selbst ist in ihnen unzerstörbar; er ist der Grund, in den ihr Sein gesenkt ist. Es sind sozusagen protestantische Naturen.
Dem Manne zu ihren Füßen fehlte die Erklärung. Er kniete jetzt noch vor ihr, wie wohl ein Beter vor einer Madonna, die ein Wunder getan. Aber er hatte ein Leben vor sich, um sich aufzurichten an der Stärke eines Frauenherzens, welches liebt und vergibt.