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6. Der Durchbruch

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Eine junge leichtbekleidete Frau, die lässig einen aufgespannten japanischen Lackschirm über der Schulter trägt, posiert mit einem kleinen blondgelockten Mädchen vor dem Strand von Swinemünde – ihr linkes Bein hat sie kokett vorgestreckt und dabei den Fuß wie bei einem Tanzschritt leicht angehoben, sodass nur die Zehenspitzen den Sand berühren. Marie Magdalene Sieber, bekannt unter ihrem Künstlernamen Marlene Dietrich, und ihre dreijährige Tochter Maria während ihres Ostseeurlaubs im Sommer 1928 – fotografiert von ihrem Mann Rudolf Emilian Sieber, den sie »Rudi« nennt und gern auch »Papi«.


Mutter und Tochter am Strand (1928).

Ein Foto fürs Familienalbum und ein eher seltenes Bild. Denn allzu oft hat Marlene in diesen Tagen keine Zeit für ihre Familie, und meistens müssen ihr Scheinwerfer die Sonne ersetzen.


Marlene mit ihrem Mann Rudolf Sieber in Swinemünde (1928).

Sie dreht einen Film nach dem anderen, tanzt, singt und spielt Theater – nicht nur in Berlin, sondern auch in Wien oder bei Außenaufnahmen im holländischen Scheveningen. Sie ist gefragt, und es sind nicht mehr nur Nebenrollen, die ihr angeboten werden. Ihr Stern ist gestiegen und steigt weiter, ihr Gesicht ziert Illustriertenseiten – von den Beinen ganz zu schweigen. Gerade hat sie gemeinsam mit Hans Albers in Prinzessin Olala vor der Kamera gestanden, bald werden die Dreharbeiten zu Ich küsse Ihre Hand, Madame beginnen, dem Film zum bekannten gleichnamigen Schlager des inzwischen zu einem der großen Popstars der zwanziger Jahre avancierten Richard Tauber. Ihren bisher größten Erfolg aber feiert sie gerade mit einer Revue: Es liegt in der Luft – ein übermütiges Spiel mit den Reizen, Absurditäten und Verlockungen der aufblühenden Konsumgesellschaft, das den Nerv der Zeit trifft. Die Bühne der Berliner »Komödie« ist als Warenhaus dekoriert, und Marlene tänzelt in wechselnder Kostümierung durch die verschiedenen Abteilungen dieses Einkaufsparadieses, präsentiert sich mit frechen Songs als Kleptomanin, als Scherzartikel und als singende Säge – mit einer echten Säge, die sie wie eine Geige zum Klingen bringt. Besonders umjubelt ist sie als beste Freundin in einem Duett mit der berühmten Kollegin Margo Lion:

Wenn die beste Freundin

mit der besten Freundin …

… und weiter:

Früher gab’s den Hausfreund,

doch der schwand dahin.

Heute statt des Hausfreunds

Gibt’s die Hausfreundin.

Das Lied lässt unverblümt die Reize der lesbischen Liebe anklingen, und Marlene und ihre Freundin spielen offensiv mit der kess vorgetragenen Botschaft, indem sie beide einen großen Strauß Veilchen ins kichernde Publikum halten – ein Erkennungszeichen »jener Damen«, die sich »so furchtbar gut« vertragen.

Maria Riva erzählt in ihrem Buch, dass Margo Lion die Familie gelegentlich besuchte und dass sie und Marlene dann ihr Lied von den besten Freundinnen auch bei Tisch trällerten. Und zwar so oft, dass Maria es schon als kleines Mädchen selbst singen konnte. Nur habe sie damals nicht verstanden, warum sich die Leute vor Lachen schüttelten, wenn sie den Schlager zu Hause vortrug.

»Meine beste Freundin« war bald so populär, dass eine Studioaufnahme mit den beiden Revuegirls produziert wurde. Marlene Dietrichs erste Schallplatte – ein Duett mit Margo Lion – erschien und fand reißenden Absatz.

Es liegt in der Luft wurde vom Publikum und von der Kritik gleichermaßen gefeiert und zog weitere Engagements nach sich. 1929 drehte Marlene Dietrich gleich drei Filme, wirkte als Nebendarstellerin in Frank Wedekinds Theaterstück Der Marquis von Keith mit und übernahm zudem noch eine tragende Rolle in Zwei Krawatten, einem Revuestück von Georg Kaiser, in dem sie unter anderem – wieder als Partnerin von Hans Albers – die Nummern von Gewinnlosen verlas. Damit es sich weltläufig anhörte, auf Englisch: »Three … three … and three! Three cheers for the gentleman who has drawn the first price.«

Unter den Besuchern im »Berliner Theater« war eines Abends auch ein gebürtiger Österreicher, der sich schon einen Namen als Filmregisseur in Hollywood gemacht hatte: Josef von Sternberg. Der Sohn eines orthodoxen Wiener Juden und einer Seiltänzerin hatte gerade mit der 1917 gegründeten Ufa (Universum Film AG) einen Vertrag über die Verfilmung des Romans Professor Unrat von Heinrich Mann geschlossen und suchte eine geeignete Hauptdarstellerin. Fest stand, dass der Weltstar Emil Jannings den Studienrat spielen sollte. Das Drehbuch, an dem unter anderem Carl Zuckmayer mitgearbeitet hatte, war aber ebenso auf die Barsängerin Rosa Fröhlich, genannt Lola Lola, zugeschnitten. Und da der Streifen nicht nur als einer der ersten deutschen Tonfilme konzipiert war, sondern gleich auf Deutsch und Englisch gedreht werden sollte, drängten sich etliche namhafte Schauspielerinnen um die Rolle – unter anderem Heinrich Manns Freundin Trude Hesterberg und die junge, ehrgeizige Nachwuchsschauspielerin Leni Riefenstahl. Nachdem von Sternberg aber Marlene Dietrich als Mabel in Zwei Krawatten gesehen hatte, war er überzeugt, die Richtige gefunden zu haben. Um Marlene näher kennenzulernen, lud er sie sofort in sein Produktionsbüro ein.

Glaubt man von Sternbergs Erinnerungen, zeigte sich Marlene Dietrich alles anderes als begeistert von der Einladung. Mürrisch und gleichgültig sei sie gewesen, schrieb er später in seiner Autobiographie. »Als Fräulein Dietrich am späten Nachmittag vor mir saß, tat sie nicht das Geringste, um mein Interesse zu wecken.« Offenbar habe sie gemeint, sie werde wieder einmal mit einer Nebenrolle abgespeist. Darauf habe er, von Sternberg, energisch widersprochen – aber mit geringem Erfolg: »Ich wiederholte, es sei die Hauptrolle, und sie sei ideal für das, was mir vorschwebe. Das schien sie nur zu ärgern, als hätte ich sie beleidigt.« Auf die Frage nach ihren bisherigen Filmen antwortete sie geradezu angewidert. »Ach, die taugen doch alle nichts.«

Doch von Sternberg ließ sich davon nicht abschrecken. Der herbe Charme, das selbstbewusste Auftreten seiner Besucherin gefielen ihm. Er schnappte noch nicht einmal ein, als sie ihm sagte, sie habe einige seiner Filme gesehen und zweifle stark daran, ob er überhaupt mit Frauen umgehen könne. Und er nickte brav, als Marlene von ihm verlangte, dass er sich erst mal drei ihrer Filme anschauen müsse, bevor er mit ihr ins Geschäft kommen könne. Sie meinte ihre letzten Stummfilme – alles Produktionen, in denen sie schon eine etwas größere Rolle spielte. Von Sternberg sah sie sich alle an und musste Marlene recht geben: Die Filme waren furchtbar, Marlene sah schrecklich darin aus. Aber er spürte, dass sich mehr aus dieser Nachwuchsschauspielerin machen ließ. Viel mehr. Ein Geheimnis lag in ihrem Gesicht verborgen, fand er, eine Aura, die es ins rechte Licht zu setzen galt. Und obwohl er längst davon überzeugt war, dass Marlene Dietrich die Idealbesetzung für seine Lola sein würde, lud er sie zu Probeaufnahmen ein.

Wie sich die Probeaufnahmen im Einzelnen abgespielt haben, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren. Marlene Dietrich selbst hat von diesem denkwürdigen Wendepunkt ihrer Karriere in immer neuen Versionen erzählt. Doch die Probeaufnahme ist erhalten, und manche Details ziehen sich durch alle Darstellungen, sodass sie als halbwegs verbürgt betrachtet werden können. Fest steht, dass von Sternberg Marlene erst einmal in das paillettenbesetzte Flitterkleid einer Hafendirne steckte und ihr Haar mit einer Brennschere wellen ließ, dass es qualmte. »Dann warf ich sie in das Feuer meiner Konzeption und verschmolz ihr Bild mit meinem«, erinnert sich von Sternberg in seiner Autobiographie. »Ich tauchte sie in Licht, bis die Alchemie gelungen war.« Marlene sei förmlich zum Leben erwacht: »Sie reagierte auf meine Anweisungen mit einer Leichtigkeit, wie ich es bislang noch nie erlebt hatte.«

Der Regisseur fordert sie auf, ein englisches Lied zu singen. Sie wählt »You’re the Cream in My Coffee«. Die amerikanische Aufnahme kennt sie gut, sie hat den Schlager oft zu Hause vor sich hin geträllert. Da dem Pianisten die Melodie nicht geläufig ist, klimpert sie ihm die ersten Takte auf dem Klavier vor.

Jetzt wird es ernst. Als sie ein Zeichen bekommt, dass die Kamera mit der Tonspur läuft, zieht sie noch mal schnell an ihrer Zigarette, legt die brennende Kippe auf den Rand des Klavierdeckels, zupft sich Tabakbrösel von der Zunge, guckt nach links und rechts und nickt dem Pianisten zu. Sie ist nicht hundertprozentig textsicher, dichtet die erste Zeile um in »You’re the cream of my coffee«, verrät aber keinerlei Unsicherheit, sondern lässt ihren unterkühlten Charme spielen. Als sich der Klavierspieler in den Akkorden verheddert und in die falsche Tonart abrutscht, ist es vorbei mit der Nonchalance. Sie unterbricht ihren Gesang, und ihre Stimme klingt auf einmal ganz anders. »Soll Musik sein, ja?«, herrscht sie den Pianisten an, während sie die Zigarettenasche über die Klaviertasten stäubt. »No’ mal!«

Aber es wird nicht besser. Schließlich hört sie erneut zu singen auf, beugt sich wutschnaubend über das Klavier und faucht den Pianisten mit zusammengekniffenen Augen an: »Mensch! Was fällt dir eigentlich ein? Soll das Klavierspielen sein? Zu dem Dreck soll ich singen? Gehört an’n Waschtrog, aber nich hier, vastehste?! Dussel!« Nach der Schimpftirade bäumt sie sich förmlich auf, zieht an ihrer Zigarette und bläst voller Verachtung den Rauch aus; daraufhin haut sie auf den Klavierdeckel, spuckt einen Tabakkrümel aus und kommandiert: »Noch mal!«

Als auch der dritte Versuch in Missklang endet, explodiert sie. »Himmelherrgott«, schnauzt sie den Klavierspieler an. »An dir is wohl ’n Genie verlorengegangen. Wegen dir muss ich jetzt noch mal den ollen Quatsch singen. Den kannste.« Und mit den Worten: »Wenn du jetzt aber falsch spielst, vastehste, dann gibt’s ’n Tritt« schwingt sie sich aufs Klavier, zieht einen Seidenstrumpf übers Knie, schlägt kokett die Beine übereinander und singt:

Wer wird denn weinen,

wenn man auseinandergeht,

wenn an der nächsten Ecke

schon ein andrer steht.

Sternberg amüsiert sich köstlich. Genauso schnoddrig, respektlos und ordinär hat er sich seine Lola vorgestellt. Auch so selbstbewusst und verführerisch. Es hat fast den Anschein, als habe der Aristokrat aus Hollywood sie mit Absicht so in Rage versetzt und die Schimpftiraden aus ihr herausgekitzelt. Auf jeden Fall sieht sich der Regisseur in seiner Wahl bestätigt. Umso erstaunter ist er, als sich die anderen Mitglieder seines Stabs, unter anderem Produzent Erich Pommer und sein maulender Star Emil Jannings, bei der Sichtung der Probeaufnahmen einstimmig für eine Mitbewerberin aussprechen. »Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen«, erinnerte sich von Sternberg später, »denn auf der Leinwand hatten wir unverkennbar eine einzigartige Persönlichkeit gesehen.« Die Kollegen seien konsterniert gewesen, als er seine Entscheidung für Marlene bekannt gegeben habe, berichtet Sternberg: »Man hörte nur noch Emil Jannings, der mit einer dunklen Stimme, die Kassandra zur Ehre gereicht hätte, murmelte, ich würde den Tag noch bereuen.«

Als Marlene zu Hause Rudi von ihrem Erfolg erzählt, ist von Gleichgültigkeit nichts mehr zu spüren. Sie jubelt, schwärmt in den höchsten Tönen von Sternberg und begießt das nun sichere Engagement mit Champagner. Nicht im Traum habe sie zu hoffen gewagt, diese Rolle zu kriegen, sagt sie. Darum habe sie sich auch gar nicht besonders bemüht. Wahnsinn! Und dann die Gage! Fünftausend Dollar seien ihr angeboten worden. Fünftausend! Dass Jannings das Zehnfache bekommen soll, hat man ihr natürlich nicht gesagt. Aber es wäre auch vollkommen unwichtig. Eine neue Welt steht ihr offen.

In den nächsten Wochen ist Josef von Sternberg häufiger Gast am Familientisch in der Kaiserallee. Das Drehbuch wird besprochen und verändert, ein Arbeitsplan für die Aufnahmen in den Neu-Babelsberger Tonkreuzateliers der Ufa entworfen. Empört lehnt Marlene das Kostüm ab, in das man sie als Hafendirne stecken will, und stößt damit bei ihrem Regisseur auf Verständnis. Als sie dann ihre Schränke, Kommoden und Hutschachteln nach billigem, aber aufreizendem Flitter aus früheren Filmen und Varietéauftritten absucht und ihm ihre eigene Kostümkreation vorführt, lässt Sternberg seiner Begeisterung freien Lauf: »Herrlich, Marlenchen, herrlich. Einfach herrlich!«

Bei den folgenden Dreharbeiten gibt der Regisseur den Ton an. Josef von Sternberg modelliert und dirigiert Marlene ganz nach seinen Vorstellungen. Er bringt ihr bei, wie sie beim Gehen noch mehr ihren Sexappeal zur Geltung bringen kann oder die nackten Beine verführerisch übereinanderschlägt. Vor allem aber setzt er sie ins rechte Licht. Er beleuchtet ihre hohen Wangenknochen, lässt ihre herzförmigen Lippen glänzen, ihre Nase von einem Halbschatten umspielen. Er lässt sie in Nahaufnahmen elektrisierend die Augen aufschlagen, überredet sie, sich vier Backenzähne ziehen zu lassen, um ihr Gesicht schmaler zu machen, er lässt sie gleichzeitig vulgär und geheimnisvoll erscheinen, verleiht ihr den Heiligenschein einer Dirne. Kurz: Josef von Sternberg, dieser Magier des Lichts, formt Marlene nach seinem Bilde, macht sie zur Femme fatale. Dabei kriecht er selbst in Kamerakästen, klettert auf Leitern und Gerüste und schreit seine Regieanweisungen durchs Studio, dass manchem angst und bange wird.

Auch Marlene wird nicht geschont. Immer wieder muss sie die gleiche Szene wiederholen und sich von ihrem Regisseur anbrüllen lassen. »Zieh die Hose rauf, du Sau, man sieht ja schon die Haare«, soll er ihr zugerufen haben. Marlene lässt es mit sich geschehen. »Sie verhielt sich, als sei sie mein Dienstmädchen«, schrieb Sternberg später. »Sie wehrte sich nicht im Geringsten, wenn ich ihre Lola gestaltete.«

Die Aufnahmen, die von Sternberg ihr abends vorführt, gefallen ihr. Sie knistern vor Erotik, sie sind die Mühe wert und beweisen ihr, dass sie es mit einem Meister zu tun hat. »Dieser Mann ist ein Gott«, soll sie nach den Erinnerungen ihrer Tochter ihrem Mann gesagt haben. Und so schlüpft sie in Seidenstrümpfe und Strapse, setzt sich einen Zylinder auf und lässt sich in die fesche Lola verwandeln, die den Männern den Kopf verdreht und einen stockkonservativen, obrigkeitshörigen Studienrat in den Wahnsinn treibt.

Emil Jannings, der eigentliche Hauptdarsteller und Star, spürt, dass Marlene dabei ist, ihm die Schau zu stehlen. In einer Szene, in der er über sie herfällt und sie würgt, soll er so fest zugepackt haben, dass ein paar Tage lang echte blaue Flecken ihren Hals zierten, die mit reichlich Make-up verdeckt werden mussten. »Jannings hasste mich und prophezeite mir, ich würde nie im Leben Erfolg haben, wenn ich mich weiterhin den Anordnungen dieses ›wahnsinnigen‹ von Sternberg fügte«, schreibt Marlene Dietrich in ihrer Autobiographie Nehmt nur mein Leben. »Niemals würde ich es im Film zu etwas bringen.« In ihrem »besten und höflichsten Deutsch« habe sie Jannings daraufhin aufgefordert, sich zum Teufel zu scheren. Wie sehr ihr der Kollege zuwider war, drückt sich auch darin aus, dass sie von Jannings als einem »manchmal geradezu psychopathischen Hauptdarsteller« spricht, der oft bis zu zwei Stunden auf sich warten ließ, bis er sich dazu bequemte, am Drehort aufzukreuzen. Sternberg habe seine ganze Überredungskunst aufbieten müssen, um ihn zum Arbeiten zu bewegen. »Er gab ihm sogar Peitschenhiebe – auf dessen ausdrücklichen Wunsch.«

Dass Marlene den so berühmten Partner im Blauen Engel überstrahlte, hatte auch mit ihren Liedern zu tun, die der noch junge Komponist Friedrich Hollaender komponierte. Hollaender, der sich einen Namen in der Berliner Kabarettszene gemacht hatte, Revuen schrieb und Filme vertonte, probierte seine Melodien im Studio mit Marlene aus, studierte sie mit ihr ein und begleitete sie am Klavier, während sie die Hände in die Hüften stemmte, die Beine spreizte und sang: »Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison.« Oder: »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.«

Nach der gleichen Melodie sang sie: »Falling in love again …« Denn nach der deutschen Fassung musste sie ihre Songs auch auf Englisch zum Besten geben. Die gesamten Dialoge waren in zwei Sprachen zu produzieren, was manchen auf eine harte Probe stellte. Emil Jannings soll nicht nur mit dem »th« Probleme gehabt haben.

Marlene Dietrich kam dagegen mit dem Englischen gut zurecht. Die Fremdsprache half ihr, in die von Sternberg kreierte und auf sie zugeschnittene Rolle der Femme fatale zu schlüpfen.


Die fesche Lola aus dem Nachtclub »Blauer Engel« (1930).

Und sie sollte sie weiterspielen, nachdem der Film längst abgedreht war. Sie wurde zu ihrem zweiten Ich und machte sie auch auf der anderen Seite des Atlantiks berühmt.

Schon bald nach Abschluss der Dreharbeiten erhielt sie ein Telegramm. »Würden uns freuen, Sie in die glanzvolle Reihe der Paramount-Schauspieler aufnehmen zu dürfen«, hieß es darin. »Bieten Siebenjahresvertrag mit Anfangsgage von fünfhundert Dollar die Woche.« Für die Überfahrt erster Klasse werde man sorgen. »Gratulation. Bitte kabeln Sie Ihr Einverständnis.«

Marlene zeigte sich anfangs nur mäßig erfreut. Nicht nur die niedrige Gage stieß sie ab, sondern auch der überhebliche Ton, in dem die Hollywoodfirma an sie herantrat. »Was die sich einbilden! Mir schon zu gratulieren! Die tun ja, als ob ich den Quark gar nicht ablehnen könnte.«

Im Grunde aber kam ihr das Angebot ganz gelegen. Die Ufa hatte ihr bisher keinen Folgevertrag angeboten, neue Theaterengagements waren nicht in Sicht. Außerdem bedrängte Sternberg sie, diese großartige Chance nicht vorbeiziehen zu lassen – und weitere Filme mit ihm zu machen. Denn dass er schon in den nächsten Tagen nach Amerika zurückkehren würde, stand fest. Und der Regisseur schätzte sie nicht nur als Schauspielerin. Er war auch in sie verliebt.

Marlene zögerte. Amerika war ihr nicht geheuer. Ein Land, in dem ein Schäferhund zu einem Filmstar namens »Rin Tin Tin« werden konnte! Noch schwerer ins Gewicht fiel die Sorge um ihre Tochter. Was sollte aus Maria werden? Doch ihr Mann stellte sich auf Sternbergs Seite, betonte, dass die Trennung nur vorübergehend sei, und zerstreute schließlich ihre Bedenken.

In der Nacht zum 1. April des Jahres 1930 ging Marlene Dietrich in Bremerhaven an Bord des Atlantikriesen »Bremen«. Wenige Stunden vorher war sie noch in Hermelinmantel und weißem Seidenkleid zur Galapremiere des Blauen Engels in den Gloriapalast in Berlin geeilt – begleitet von Rudi und ihrer stark erkälteten Tochter Maria. Im Publikum saßen auch Liesel und ihre Mutter.

Die Premiere wurde zu einem Triumph – aber nicht der als prominentester Darsteller und Attraktion des Films angekündigte Emil Jannings stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern die fesche Lola. »Marlene, Marlene«, riefen die Zuschauer, als sie sich nach der Vorführung mit den anderen Darstellern auf der Bühne zeigte. Wie im Rausch badete sie in einem nicht enden wollenden Beifallssturm und Blitzlichtgewitter, im Arm einen großen Strauß roter Rosen. Ein neuer Star war geboren.

In ihrem Kopf hallen noch der Applaus und die Begeisterungsrufe nach, als sie auf der »Bremen« ihre Suite bezieht. Das Doppelbett ist groß, die Schränke riesig, das Bad verfügt über eine Wanne mit vergoldeten Armaturen. Sogar ein Schminktisch steht bereit. Sie fühlt sich trotzdem unglücklich in diesem leicht schwankenden Luxuskabinett, das vom Duft der mitgebrachten Rosen erfüllt ist. Sie muss an die fiebrige Maria denken, die sie in Berlin zurückgelassen hat. An Rudi. Der wird sich jetzt wahrscheinlich noch mehr mit seinen Tauben beschäftigen, die er unterm Dach hält. Vielleicht wird er sich aber auch mit Tami trösten, dem aus Weißrussland stammenden Kindermädchen Marias, das eigentlich Tamara Nikolajewna Matul heißt. Es ist unübersehbar, dass sich da etwas anbahnt. Tami, diese gertenschlanke Grazie, die als Tänzerin nach Berlin gekommen ist, von ihren Gagen aber nicht leben kann, himmelt Rudi schon eine ganze Weile mit ihren dunkelbraunen Augen an, und es scheint, dass Rudi sie nicht zurückweist.

Marlene blickt gedankenverloren durch das Kabinenfenster auf den nächtlichen, spärlich erleuchteten Hafen. Vielleicht ist das ja sogar der Hauptgrund, warum ihr Mann ihr, ohne zu zögern, zugeraten hat, nach Amerika zu gehen. Um sturmfreie Bude zu haben. Aber natürlich hat sie kein Recht, ihm böse zu sein. Schließlich hat sie sich ja selbst so manche Freiheit herausgenommen. Trotzdem hängt sie an ihrem »Papi«. Sie vermisst ihn. Wann wird sie ihn wiedersehen? Sie vermisst auch ihre Mutter. Und Liesel, dieses unglückliche Menschenkind mit dem schrecklichen Kerl. Ihr kommen fast die Tränen, als sie daran denkt, wie Liesel ihr einst auf Schritt und Tritt gefolgt ist. Wahrscheinlich hat sie wirklich gemeint, sie müsse ihre kleine Schwester beschützen. Wie gern würde sie sie jetzt in den Arm nehmen. Und Maria auf den Schoß. Stattdessen ist sie unterwegs in ein Land, das sie ganz gewiss nicht mit offenen Armen empfangen wird.

In solche wehmütigen Gedanken mischen sich Bilder der gerade zurückliegenden Filmpremiere. Es war grandios. Aber wirklich freuen kann sie sich darüber nicht.

Da sie sowieso keinen Schlaf findet, schreibt sie Rudi ein Telegramm:

1. April 1930 3.16 Uhr

Vermisse Dich sehr Papilein Stop Bedaure Reise schon Stop Sag meinem Engel dass ich den Film nie sah und nur an sie dachte Stop Gutenachtküsse

Mutti

Am nächsten Morgen ist ihre Stimmung so trübe wie der Himmel über der Nordsee.

1. April 1930 11.48 Uhr

Guten Morgen Stop Schiff schaukelt Wetter schlecht Stürmisch Stop Bin allein mitten auf dem Ozean und könnte doch zu Hause sein Stop Küsse

Mutti

Einige Stunden später klopft es an der Kabinentür. Der Steward schlägt ehrerbietig die Hacken zusammen und überreicht ihr auf einem Silbertablett ein Telegramm aus Berlin. Eine Nachricht von ihrem Mann.

1. April 1930 13.17 Uhr

Vermiss Dich Mutti Stop Kritiker liegen Dir zu Füßen Stop Jannings lobend erwähnt Aber es ist kein Emil-Jannings-Film mehr Stop Marlene Dietrich läuft ihm den Rang ab Stop Dem Kind geht es gut Stop Küsse Dich sehnsüchtig

Papi

Es folgen weitere Telegramme aus Berlin. Die Kritiker überschlagen sich. Das Reichsfilmblatt ist »überwältigt von Fräulein Dietrichs Darstellung«. Der später als Begründer der Filmsoziologie bekannt gewordene Feuilletonchef der Frankfurter Zeitung, Siegfried Kracauer, feiert sie als »neue Verkörperung des Sinnlichen«, und die Berliner Zeitung spricht vom »ersten Kunstwerk des Tonfilms« und hebt ebenfalls Marlene Dietrich hervor: das »narkotisierende Spiel des Gesichts, die dunkle, aufreizende Stimme«. In der Neuen Leipziger Zeitung vom 5. April ist auch eine Besprechung von Erich Kästner zu lesen. Der Film sei enttäuschend, schreibt der Autor, aber: »Marlene Dietrich als Lola ist ausgezeichnet, auf harmlose Art ordinär und aufreizend kostümiert. Ihr Wuchs, ihre Beine und Schenkel spielen die Hauptrolle. Das wirkt.«

Während Rudi sie über das Presseecho in Berlin auf dem Laufenden hält, meldet sich Josef von Sternberg mit verheißungsvollen Nachrichten aus den Vereinigten Staaten. Der blaue Engel ist dort zwar noch nicht angelaufen, doch der sensationelle Erfolg hat sich schon auf der anderen Seite des Atlantiks in der Fachpresse herumgesprochen. Solche Nachrichten helfen Marlene über die Ungewissheit und die Melancholie hinweg. Wird ihr Traum vom Ruhm nun tatsächlich Wirklichkeit werden?

Fesche Lola, brave Liesel

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