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Während der folgenden Wochen wurde die Bloundino mehrmals, und von mehr und mehr Personen gesichtet. Sie schien immer weniger menschenscheu und erschien an einem Tag hier und am Nächsten dort rund um das Tal von Vicdessos. Manchmal sogar in der Nähe der von Reisenden und Fuhrleuten benutzten Pfade und Wege. Einige konnten sie von Weitem im offenen Gelände über den Dörfern beobachten.

Ihr Aussehen erweckte nicht nur bei den ähnlich gesinnten wie Marcel Estebe, das Fantasiebild einer Hexe, sonder auch bereits bei denen, die bisher noch nicht an eine solche Erscheinung geglaubt hatten. Manche Eltern fanden, für ihre ungehorsamen Sprösslinge, in Bloundino die ideale Figur, welche mit Erfolg den bösen Wolf und den Bären ablösen konnte. Eigentlich waren, zu diesem Zeitpunkt, nur die Sippen der Gevatterinnen, wie Pauline Denjean, Helene Dedieu, Berthe Bernados und einige Andere, davon überzeugt, dass es sich um eine waschechte Hexe handelte. Nichts und niemand vermochte sie von diesem Gedanken abzubringen.

Einige, nicht besonders Zahlreiche, betrachteten das Geschehen aus einem anderen Blickwinkel. Unterweisung hatten sie nicht mehr als alle Andern im Tal, doch sie dachten sachlich, stellten sich Fragen und versuchten zu verstehen.

Unter diesen war auch Mathias Peinado. Er lebte mit seiner Gattin Irene zum Meiler Lercoul. Ihr Nachbar Blaise war ein Einzelgänger, ein alter Bergbewohner, wie er selber sagte. Er hatte noch nie eine Stadt gesehen und für alles, was außerhalb seines Tales vorging, zeigte er kein Interesse. Jedoch dieser Mann war keinesfalls als geistesschwach abzustempeln. Er kannte und wusste Vieles, was Andere nicht einmal ahnten, solche die Schlauköpfe zu sein glaubten.

Die einigen Schritte von seiner bescheidenen Behausung, welche nicht mehr als ein verbessertes Orrys darstellte, bis zu den Peinados machte er jeden Abend, und dass schon seit Jahren. Man bastelte und erzählte Geschichten, selbst wenn man sie schon mehrmals erzählt hatte, denn Neues gab es nicht jeden Tag.

An diesem Abend kam Blaise frühzeitig, jedenfalls früher als zur gewohnten Stunde. Irene war damit beschäftigt den Tisch abzuräumen und Mathias zündete gerade seine Pfeife an, was im Allgemeinen seine erste Geste nach dem Abendbrot war.

Irene und Mathias wussten, dass jedes Mal, wen Blaise vorzeitig auftauchte, gab es irgendeinen Grund.

„Du bist aber früh dran heute Abend.“ Sagte Irene. „Hast du wenigstens etwas gegessen?“

„Och, ich habe eigentlich keinen großen Hunger.“ Antwortete Blaise und lies sich ohne weiteren Kommentar auf seinem gewohnten Schemel am Feuer nieder.

„Iss wenigstens einen Teller Suppe, sie ist noch warm.“

„Oh …, ja, warum auch nicht, wenn’s dir Freude macht.“

„Was hast du gemacht? Man hat dich den ganzen Tag nicht gesehen.“ Fragte Mathias.

„Um ehrlich zu sein, eigentlich nichts besonders …“, sagte Blaise, indem er seinen Schemel an den Tisch heranrückte und Irene ihm einen bis zum Rand gefüllten Teller Suppe hinstellte. „…Ich habe nur einen kleinen Ausflug gemacht.“

„Den ganzen Tag?“

„Ja …, ich habe einen kleinen Abstecher bis zum Pic Rouge gemacht.“

„Sapristi …! Das ist aber schon ein schönes Stück Weg.“

„Und selbstverständlich ohne etwas zu essen.“ Fügte Irene hinzu.

„Aber nein, Irene! Mach dir mal keine Sorgen, ich hatte genügend Proviant eingepackt.“

„Aber was zum Teufel, war’s du bloß da oben suchen?“ Fragte Mathias.

Einige Tage vorher hatte Mathias die Neuigkeit aus Vicdessos, von der in den Bergen wild lebenden Frau, auch nach Lercoul gebracht. Neugierig, wie Blaise nun mal war, hatte er entschieden, obwohl da oben in Lercoul man die ganze Geschichte als unglaublich betrachtete, einen ausgedehnten Spaziergang durch die Gegend zu unternehmen. Nur mal so, um die Gerüchte zu überprüfen. Er war sich bewusst, dass die Möglichkeiten gering waren, selbst wen sie wirklich existierte, der Frau zu begegnen, oder gar sie nur zu Gesicht zu bekommen. Er hätte es wenigstens versucht.

„Oh, weist du Mathias, ich hatte nicht wirklich vor bis zum Pic Rouge vorzudringen. Eigentlich hatte ich gar kein genaues Ziel vor Augen. Doch nun mal unterwegs, die Aussicht genoss, indem ich einen Fuß vor den Andern setzte, bin ich eben dort oben angekommen.

„Ich bin davon überzeugt, dass du doch irgendetwas im Schilde führtest. Oder etwa nicht?“

„Hm …, na ja …, wen du denkst.“

„Und ich würde meine Hand ins Feuer legen, wen das nicht etwas mit dem zu tun hat, was ich dir vor ein paar Tagen erzählt habe. Hab ich recht?“

„Du bist ein kleiner Schlauberger Mathias!“

„Was ist das denn nun wieder für eine Geschichte?“ Mischte sich Irene ein.

„Du weist doch Irene, ich hab dir doch gesagt, was man so da unten erzählt. Du kannst dich doch sicher daran erinnern? Die Geschichte von der Frau die …“

„Ah ja! Und es war das, was dich dazu gebracht hat, den ganzen Tag in den Bergen herumzustrolchen? Hör doch auf Blaise! Du machst mir doch nicht weiß, dass du …, gerade du, an diesen Blödsinn glaubst.“

„Nun …, um ehrlich zu sein, ich glaubte auch in der Tat nicht daran, aber …, heute Abend kann ich euch versichern, sie existiert wirklich, diese Frau.“

„Das ist doch nicht möglich!“ Irene war überrascht. Sie kannte Blaise zu gut, um zu wissen, dass was er erzählte, der Wahrheit entsprach.

„Nun …, ja meine Freunde, diese Frau existiert wirklich. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen.“

„Wo hast du sie gesehen?“

„Am See von Garbet.“

Diese Enthüllung brachte Aufregung in das abendliche Gespräch. Blaise hatte seine Suppe scheinbar genossen, wen auch mit kurzen Unterbrechungen und man rückte die Schemel ans offene Fenster, durch welches ein erfrischendes Lüftchen in den Raum wehte.

„Hast du sie von Nahem gesehen?“ Fuhr Mathias mit seinen Fragen fort.

„Von Nahem wäre vielleicht zu viel gesagt. Ich hielt mich versteckt auf respektablem Abstand, um mich nicht bemerkbar zu machen und natürlich wollte ich sie ja auch nicht verscheuchen. Ich befand mich in etwa …, wie weit ungefähr …? Vielleicht dreißig oder vierzig Schritte.“

„Oh ja, in diesem Abstand konntest du sie allerdings genau sehen.“

„Ich kann nur sagen, es war wunderbar, unglaublich. Man muss es gesehen haben um es glauben.“

„Und …, was ist es den nun endlich?“ Fragte dann Irene. „Ist es wirklich eine Frau?“

„Ah das …! Das kann ich euch auf das Grab meiner Mutter schwören. Möge der Herr mir verzeihen. Und es stimmt auch, dass sie keinerlei Kleidung trägt. In dem Moment, wo ich sie erblickt habe, saß sie auf einem Felsen. Sie bewunderte scheinbar die Oberfläche des Sees. Dann plötzlich stand sie auf und tauchte mit einem weiten Sprung ins Wasser. Es war wunderbar zu sehen, wie sie lang gestreckt aus mindestens zwanzig Fuß in den See schnellte. Währendem schwebte ihr Haar wie ein Umhang über ihrem Rücken. Als sie dann nach einer geraumen Zeit, endlich wieder auftauchte, schaute sie sich zunächst vorsichtig um, bevor sie an Land schwamm. Sie war unglaublich lange unter Wasser geblieben. Ich glaubte schon, sie sei verschwunden. Sie schwamm mit der Geschmeidigkeit einer Otter. Und stellt euch vor, sie hatte eine schöne Forelle gefangen, die sie zwischen den Zähnen hielt und die sie, sobald am Ufer angekommen, zu essen begann.“

„Was du nicht sagst!“ Rief Irene erregt. „Was ...! Sie aß den Fisch roh, so ganz ohne ihn auszunehmen, scheußlich!“

„Selbstverständlich …, sie hielt ihn mit beiden Händen und zerriss in mit den Zähnen, genau so, wie die Bären das machen.“

„Das kann nur eine verwilderte Frau sein.“ Meinte Mathias.

„Das ist auch meine Meinung.“ Erwiderte Blaise.

„Vielleicht ist sie sogar gefährlich.“

„Man kann nie wissen. Jedenfalls hatte sie keine Waffe, kein Speer, keine Lanze, kein Messer, nichts. Aber es ist auch möglich, dass ihr Verhalten, dem unserer Bären ähnelt. Vielleicht wird sie gefährlich, wen sie sich bedroht fühlt …, schwierig zu sagen, wie sie dann reagieren würde. So wie ich sie gesehen habe schien sie dennoch absolut friedlich. Aber sie ist sehr groß und sehr kräftig gebaut. Was mich angeht, ich würde auf keinen Fall das Risiko eingehen mich ihr gegenüberzustellen.“

„Es wäre doch schrecklich, wenn sie von übel wollenden Jägern zur Strecke gebracht würde.“

„Oh ja! Das wäre wirklich schade. Es ist eine prachtvolle Frau. Aber ich kenne Einige, die durchaus imstande wären so etwas zu Tun.“

„Du hast recht Blaise, die kenne ich auch.“ Fügte Mathias hinzu. „Es gibt ja auch welche die behaupten es handele sich um eine Geisteskranke …“

„Ah nein Mathias, da unterbreche ich dich sofort. Eine Geisteskranke …, nein, nein …, das ist unmöglich. Das kann keine Schwachsinnige sein.“

„Man hat auch von einer Hexe gesprochen, glaube ich.“ Fügte Irene hinzu.

„Aber Irene, du doch wenigstens nicht. Sag mir nicht, dass du noch an solches Geschwätz glaubst.“

„Nein, bestimmt nicht. Aber du musst doch zugeben, dass das eine ganz kuriose Erscheinung ist. Man weiß überhaupt nichts von dieser Frau. Wo kommt sie plötzlich her, und wer ist sie? Niemand weiß etwas Genaues. Oder?“

„Das stimmt schon. Aber warum versucht man nicht, sie zu fragen? Das müsste doch möglich sein. Man spinnt die unglaublichsten Geschichten, aber keiner versucht irgendetwas Genaueres zu erfahren.“

„Du hast recht Mathias!“ Erwiderte Blaise scheinbar interessiert. „Man müsste versuchen sich ihr zu nähern und versuchen sie ruhig und vernünftig anzusprechen. Es wäre ja möglich, dass sie sprechen kann und uns sagen kann, wer sie ist und woher sie kommt.“

„Aber ja! Das ist eine Idee, die man sich mal überlegen sollte.“

„He! He! Ihr beiden, nicht so schnell!“ Fuhr Irene hoch. „Was plant ihr da? Das kommt nicht infrage!“

„Ja, ja … ich weiß …, man kann aber doch sicher noch darüber diskutieren.“

„Diskutieren ja, einverstanden. Nur es bleibt dabei. Die Frau hat euch nichts getan, also lasst sie auch in Ruhe. Wenn sie so ist, wie du sagst, Blaise, und wen sie darüber hinaus ohne Kleidung herumläuft. Es gibt genug von diesen Besessenen und Süchtigen, die versuchen werden, sie zu necken, ohne dass ihr beiden euch auch noch einmischt.

Nun, Blaise, du kannst machen, was du willst, aber du Mathias, du bleibst hier.“

„Ja, ja, es ist ja nichts entschieden. Wir sehen das später.“

„Oh ja …, das sehen wir später.“

Wen Irene sich auch nicht besonders angetan von einer derartigen Planung zeigte, war das Thema noch lange nicht abgehakt. Blaise, der alte Fuchs, schien wie verzaubert von seiner Entdeckung. Innerlich hatte er bereits seine Endscheidung getroffen. Da Mathias wohl kaum die Zusage seiner Gattin erkämpfen könnte, würde er im Alleingang einen pazifistischen Annäherungsversuch wagen.

„Und wenn sie dich angreift?“

„Dann haue ich einfach ab.“ Meinte Blaise.

„Ah ja …, und wenn sie schneller läuft als du, was dann? Du solltest nicht vergessen, dass du keine zwanzig mehr hast, mein lieber Blaise.“

„Nun, ich hoffe natürlich das Beste. Das Letzte wäre natürlich …, ich meine das Allerletzte, im schlimmsten Falle habe ja immer noch mein Gewehr. Meiner Ansicht nach dürfte es doch nicht gefährlicher sein, als einem Bären gegenüberzutreten.“

Das Für und Gegen wurde noch eine ganze Weile gewogen. Irene fand die Idee nach wie vor unsinnig. Die beiden Männer dagegen verteidigten weiterhin ihren Standpunkt, sodass trotz allem am Ende dieses Abends immer noch einige Fragen offenblieben.

Unbekannt und Heimatlos

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