Читать книгу Robert Capa und Hemingways Geschichte - Heinz-Joachim Simon - Страница 11

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5.

Guttmann hatte nicht übertrieben. Die Arbeit war hart. Abends fiel er immer todmüde ins Bett, und Zeit für die Bars am Alexanderplatz hatte er auch nicht mehr. Die Arbeit im Fotolabor mochte er wegen der Chemikalien nicht besonders, aber er sah ein, dass sie notwendig war. Er wurde dadurch entschädigt, dass ihn die Fotografen bald wie ihresgleichen behandelten. Sie waren eine fidele Truppe, wenn sie auch alle ihre Sorgen hatten, denn die Konkurrenz war groß. Nicht ohne Stolz zeigten sie ihm bereitwillig ihre persönlichen Arbeitstechniken, sodass er früh lernte, worauf es ankam. Besonders sein Landsmann Janos nahm sich seiner an, den die Kollegen als Meister des Lichts bezeichneten.

„Es kommt darauf an, dass du vorher eine Vorstellung vom Bild hast, du nah genug dran bist und das Licht stimmt. Dies und der Ausschnitt ist die ganze Kunst“, erklärte ihm der Hagere mit dem ausgemergelten Gesicht und der unvermeidlichen Zigarette im Mundwinkel.

Allmählich verbesserten sich auch Andrés Einkünfte. Dabei half ihm ausgerechnet die Witwe. Guttmann gab ihm jeden Tag einen bestimmten Betrag, um Kohle einzukaufen. Als ihm die Witwe erzählte, dass sie einen Verehrer habe, der nicht unweit vom Gendarmenmarkt eine Kohlenhandlung betreibe und ihr Prozente gewähre, handelte er mit diesem einen Preis aus, der ein gutes Stück unter dem lag, den Guttmann veranschlagte, so dass er einen guten Zuverdienst einstrich.

Eines Tages sah er im Schaufenster in dem Schuhgeschäft gegenüber ein Paar Budapester Schuhe, wie sie nur die gut Betuchten trugen, sie sahen elegant, bequem und solide aus, und er sparte auf sie. Jeden Tag ging er an dem Schaufenster vorbei, um zu sehen, ob sie noch im Fenster standen.

Als er endlich das Geld dafür angespart hatte, kam ihm Venus in die Quere, wenn sie auch das Gesicht der Nofretete hatte. Es war das erste Mal, dass er eine Frau auf den ersten Blick leidenschaftlich begehrte, da man Eva der Jugendliebe zurechnen muss. Sie war groß und blond und hatte ein Gesicht, wie er es im ägyptischen Museum gesehen hatte. Sie dünkte ihn wie die Schwester der Nofretete, nur eben blond. Sie trug ein rotes weit ausgeschnittenes Kostüm, und er wunderte sich, warum eine so schöne vornehme Dame dort neben dem Schuhgeschäft stand. Jedes Mal, wenn er abends aus der Dephot trat, traf er sie dort. Es dauerte eine Weile, ehe ihm aufging, dass sie aus beruflichen Gründen dort wartete. Wenn er an ihr vorbeiging, lächelte sie ihn an, und ihm wurde warm ums Herz. Bald verlor er seine Scheu und lächelte zurück. Eines Tages fasste er sich ein Herz und sprach sie an.

„Sie sehen wie eine ägyptische Göttin aus!“, sagte er gerade heraus.

Die Frau stutzte und lachte amüsiert.

„Und du bist ein hübscher Junge. Wenn du einen Zehner hast, können wir eine schöne Stunde verbringen, willste?“

„Morgen bekomme ich meinen Lohn, dann klappt es vielleicht.“

Die Schöne lächelte ihm aufmunternd zu.

„Dann sehe ich dich also morgen um die gleiche Zeit.“

Es machte ihm nichts aus, dass sie eine Hure war. Er träumte nachts von ihr und auch tagsüber dachte er oft an das Dekolleté des tief ausgeschnittenen Kleides. Er malte sich aus, wie es mit ihr sein würde. Eigentlich hatte er sich für das Geld nun die Schuhe kaufen wollen, aber diese, so beschloss er, mussten noch warten. Einen Monat würden die alten noch halten, wenn auch die Schuhsohlen fast durchgelaufen waren.

Als er am nächsten Abend aus der Agentur stürmte, fand er sie nicht vor und auch am nächsten Abend nicht, und so schlug er sich die Schöne aus dem Kopf und kaufte die Budapester aus braunem Leder. Trotzig fand er diese Ausgabe nun allemal sinnvoller als die Investition in eine Stunde Liebe. Mit Frauen, so sagte er sich, hast du kein Glück. Als er die Schöne wieder neben dem Schuhgeschäft sah, blieb er auf seiner Straßenseite und lief mit gebeugtem Oberkörper davon, so sehr schämte er sich. Das Geld für eine Stunde Liebe trug er an den Füßen. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als noch eine Weile in seinem Mönchsdasein zu verharren, denn die Arbeiten im Dephot waren für ihn wie Exerzitien. Er glaubte, der einzige Mensch in Berlin zu sein, der verdammt war. Einige Male noch rief er Eva an, um sich mit ihr zu verabreden. Aber sie hatte immer Ausflüchte und schließlich war sie für ihn nicht mehr erreichbar und ließ sich verleugnen. Sie hatte wohl Angst, Vorwürfe von ihrem Verlobten zu bekommen, und schließlich unterließ er es, sie anzurufen.

Dass es ihm gar nicht so schlecht ging, erkannte er, als ihn Janos im Wedding auf Motivsuche mitnahm und er die Not und Verzweiflung der Menschen sah, insbesondere die der Kinder, die rachitisch und erkältet in den feuchten Wohnungen ihr Elend herausschrien. Janos erklärte ihm lakonisch, wie man dieses Elend auf Fotos bannte, die Mitleid oder Zorn erregten. Auch zu den Kundgebungen, Demonstrationen und Straßenkämpfen durfte er manchmal die Fotografen begleiten, und er erkannte schon bald, wo sie Fehler machten und wo nicht und wer nur gut und wer ein Meister war. Eines Tages war es so weit, und er erhielt die Möglichkeit, sich seinen Ritterschlag zu holen.

Als er in das Atelier kam, war nur Guttmann dort. Mit grimmigem Gesicht und zerrauften Haaren saß er am Telefon und fluchte wie ein Bierkutscher. Ärgerlich warf er den Hörer auf die Gabel.

„Hei sakra, so ein Scheibenkleister! In Neukölln ist eine Straßenschlacht zwischen Nazis und Kommunisten, und keiner der verdammten Teufel ist heute Morgen hier. Ich hatte gerade die Vossische dran. Sie will mit dem Straßenkampf aufmachen und braucht dafür Fotos.“

Er stutzte, kaute auf der Zigarre herum und sah André mit zusammengekniffenen Augen an.

„Hast ja oft genug mit Janos rumgelungert. Kannste denn nun fotografieren?“

„Klar doch!“, erwiderte André selbstbewusst.

„Dann nimm die Voigtländer dort und bring mir ein paar Fotos. Und wehe, du verlierst den Apparat oder machst ihn kaputt!“

André nahm die Voigtländer vom Schreibtisch und überprüfte sie.

„Scheint in Ordnung zu sein. Aber eine Leica wäre mir lieber.“

„Scher dich raus und mach deine Fotos, du unverschämter Kerl! Da hört sich doch alles auf, hat noch kein Foto geschossen und führt sich auf, als wäre er Deutschlands größter Fotograf.“

„Das werde ich auch bald sein“, erwiderte André mit keckem Lächeln, während er den Apparat ans Auge führte und von Guttmann eine Aufnahme machte.

„Raus!“, tobte Guttmann mit rotem Kopf.

André machte, dass er aus dem Atelier kam. Er fühlte sich wie Ivanhoe, wenn er auch nicht die beste Lanze dabei hatte. Keine Frage: Er würde Guttmann ein gutes Foto liefern.

André stieg in der Friedrichstraße in die S–Bahn nach Neukölln. Er sah es als glückliches Omen an, dass es Neukölln war, wo er einst in der Pension dem Hund das Fressen gestohlen hatte. Die Zeiten waren vorbei, und er war nun als Fotograf der Dephot unterwegs. Er war kaum aus dem U–Bahnschacht am Herrmannplatz heraus, als er schon in einen Wirbel von Leibern mit hineingerissen wurde. Es waren Kommunisten, die vor den Nazis flohen. Er ließ sich in dem Menschenstrom mittragen. Vom Hermannplatz wurden sie in eine Seitenstraße gespült. André fotografierte dabei. Wie eine Reliquie hielt er die Kamera mit beiden Händen über die Köpfe und betätigte den Auslöser. Gut, einige Aufnahmen würden unscharf sein, aber sie würden zeigen, was hier passierte.

Plötzlich trafen sie auf einen Kordon von Polizisten, die sie nicht durchließen, die Schlagstöcke zogen und sie den prügelnden Nazis entgegentrieben. Die Menge verkeilte sich und wurde zu einem Mahlstrom, der implodierte.

Die Menschen spritzten auseinander, suchten in Hauseingängen Schutz. André fotografierte unentwegt weiter. Einmal traf ihn der Stock eines Polizisten an der Schulter. Es tat weh. Aber er kümmerte sich nicht um den Schmerz und hielt ihm die Voigtländer entgegen. Dieser wollte wohl nicht gerade als Schläger abgebildet werden und ließ von ihm ab.

Die Kommunisten brachen auf der anderen Straßenseite durch. Von den Dächern wurden die Nazis mit Dachziegeln bombardiert. Überall lagen Menschen auf der Erde, sowohl Kommunisten als auch Nazis und Polizisten. Feuerwehrsirenen heulten.

Nun wurden die Feuerwehrspritzen zweckentfremdet als Wasserwerfer gegen die Kommunisten eingesetzt.

Die Kommunisten fluteten wieder zurück. André rettete sich in einen Hauseingang. Die kostbare Voigtländer durfte nicht nass werden. Aus der Tür hinter ihm trat jemand. Auch er trug eine Uniform. Ein Reichswehroffizier. Mit hochmütigem Blick sah er leidenschaftslos dem chaotischen Treiben zu.

„Ja, fresst euch gegenseitig auf“, brummte er.

André sah sich den Mann genauer an. Ein hartes Gesicht mit einer Narbe auf der Stirn.

„Die Polizei hat sich mit den Nazis verbündet!“, sagte André provozierend.

„Ja. Und mit gutem Grund. Kommunismus bedeutet Chaos und Unordnung und die Missachtung von Recht und Eigentum.“

„Und die Nazis achten das Recht?“, fragte André höhnisch.

„Die sind auch nicht viel besser“, gab der Offizier mit unwilligem Blick zu. „Aber sie sind ein Bollwerk gegen die Roten. Sie sind zwar Pack, aber es ist unser Pack, nützliche Idioten.“

„Soll die Pest mit der Cholera bekämpft werden?“,

Der Offizier reckte sich und sah André aufmerksam an, als würde er ihn erst jetzt bemerken.

„Eine interessante Bemerkung. Jawohl, junger Mann. Darauf läuft es letztendlich hinaus.“

„Und wenn sie euch ansteckt?“, fragte André und setzte den Apparat wieder ans Auge und fotografierte das Durcheinander, das Auf– und Abwogen der Reihen, die blutigen Gesichter und die erhobenen Hände mit den Schlagstöcken. Ein Nazi tauchte vor ihnen auf. Ein breites alltägliches Gesicht mit einem blau geschlagenen Auge. Schon hob er den Schlagstock gegen André.

„Halt und kehrt! Scher er sich davon!“, brüllte der Offizier.

Der Nazi sah ihn irritiert an und bemerkte schließlich die Orden auf der Brust des Offiziers und schrak zurück und stotterte.

„Jawohl, Herr Hauptmann!“

Er salutierte und lief davon.

„Na also, sie parieren noch!“, brummte der Hauptmann. „Ein Roter hätte sich nicht daran gehalten. Die SA–Männer haben alle im Weltkrieg gekämpft, oder zumindest ihre Väter, und etwas davon ist noch in ihnen. Sie wissen, dass man Befehle befolgt. Für wen fotografieren Sie, junger Mann?“,

„Für die Fotoagentur Dephot.“

„Sie haben Chuzpe. Solche Männer brauchen wir bei der Wehrmacht. Wenn erst die Beschränkungen des Versailler Vertrages gefallen sind und wir die Mannschaften verstärken dürfen, kann dort ein Platz für Sie sein.“

„Ich bin Ungar.“

„Ach so. Dann geht es natürlich nicht. Schade. Sie gefallen mir“, sagte der Hauptmann und beobachtete schmunzelnd die Entwicklung des Straßenkampfes.

Die Kommunisten zerstreuten sich und gaben den Kampfplatz frei. Eine rote Fahne lag auf dem nassen Asphalt. Ein Nazi nahm sie auf und schwenkte sie triumphierend. Die Nazis trieben die Kommunisten wieder vor sich her.

„Die Braunen haben gewonnen. Gutes Menschenmaterial!“, kommentierte der Hauptmann.

André fotografierte, wie die Nazis die rote Fahne wie eine Fackel schwenkten. Er sah, wie ein hochgewachsener SA–Mann eine junge Frau zu Boden stieß. André setzte die Kamera ab und sah den Hauptmann herausfordernd an.

„Sie schlagen das Mädchen. Da muss man doch etwas tun.“

„Was treibt sie sich auch mit Kommunisten herum.“

André hängte sich die Voigtländer um, lief zu dem schlagenden Nazi, packte ihn an der Schulter und schleuderte ihn zurück. Der sah ihn erstaunt an.

„Wat willste denn?“

Schon hatte er sich von seiner Überraschung erholt und wollte auf André eindreschen, als ein Ruf ihn stoppte.

„Halt! Lass den jungen Mann in Ruhe und troll dich!“,

Der Hauptmann hatte den schützenden Eingang ebenfalls verlassen und der SA–Mann sah ihn unruhig und ratlos an.

„Was mischen Sie sich …?“

„Verschwinde!“, rief der Hauptmann und verwies auf die Epauletten auf seiner Schulter.

Das reichte dem Nazi an Legitimation, und er fluchte und lief davon.

Der Hauptmann half André das Mädchen hochzuziehen. Es war sehr schön und hatte graue Augen.

„Danke“, sagte sie und klopfte sich die Kleidung ab.

„Haben Sie etwas abbekommen?“, fragte der Hauptmann mitfühlend.

Die Jugend und die Frische des Mädchens schienen auch ihn zu beeindrucken. Er nestelte an seinem Uniformrock und holte ein silbernes Zigarettenetui heraus und bot ihr eine Zigarette an. Sie schüttelte den Kopf.

Der Hauptmann zuckte mit den Achseln, zündete sich eine Zigarette an und stieß den Rauch aus.

„Was haben Sie hier bei der Demonstration zu suchen? Sind Sie eine Kommunistin?“, fragte er misstrauisch.

„Nein. Aber was bleibt einem denn anderes übrig, als sie zu unterstützen? Sie sind die Einzigen, die gegen die Braunen noch ankämpfen.“

„Das ist nichts für eine junge Frau.“

„Wenn mehr Männer wie Sie gegen die Braunen vorgehen würden, brauchten wir es nicht zu tun.“

„Touché!“, sagte André lachend.

„Frauen, die politisieren, sind mir ein Gräuel!“, sagte der Hauptmann frostig und ging zum Hauseingang zurück.

„Nun kommen Sie, sonst werden wir beide noch verhaftet“, forderte ihn das Mädchen auf, nahm seine Hand und zog ihn mit sich.

Sie liefen in den U–Bahneingang. Vor den Kassenschaltern drängten sich Rote und Braune. Aber hier taten sie sich nichts und warfen sich nur Beleidigungen zu. Der Kampf war erst einmal zu Ende. Beide Seiten wussten, dass sie bald wieder aufeinandertreffen würden, aber nun drängte es sie alle zurück, nach Hause oder in ihre Parteibüros. Die einen, um zu feiern, die anderen, um ihre Wunden zu lecken.

André löste auch für das Mädchen eine Fahrkarte. Er stellte sich ihr vor und sie lächelte neugierig.

„Sie sind kein Deutscher?“

„Nein. Ungar.“

„Reporter?“,

Er nickte stolz, denn schließlich hatte Guttmann ihn als solchen hierhergeschickt. Die Arbeit hatte ihm Spaß gemacht. André wusste nun, was er wollte. Er würde mit Fotos die Wahrheit zeigen. Das würde er können. Er würde es so leidenschaftlich mit Bildern sagen wie Kisch und Tucholsky mit Worten.

Er lächelte sein verwegenes Douglas–Fairbanks–Lächeln. Es schien ihr zu gefallen, und sie lächelte zurück.

„Ich heiße Susanne Wiesenstein. Aber alle nennen mich nur Susan.“

„Sie sind Jüdin?“

Sie nickte.

„Und Sie auch, nicht wahr?“

„Ja. Uns Juden geht es in Ungarn auch nicht besonders gut.“

„Nirgendwo geht es unserem Volk gut, bis wir in Erez Israel sind.“

Sie war wohl eine Zionistin.

Die S–Bahn traf ein, und alles drängte in die Wagen. Die Fahnen waren eingerollt und die Stimmung entsprechend friedlich. Doch achteten sowohl die Roten als auch die Braunen darauf, nicht in den gleichen Wagen zu steigen. Einen Sitzplatz bekamen sie nicht mehr. Eng aneinander gedrängt standen sie am Türeingang. Er spürte ihren Körper, und der Hals wurde ihm eng. Sie war größer als André und sehr schlank und hatte die grauesten Augen, die er je gesehen hatte. Ihr blondes Haar wölbte sich wie eine Löwenmähne über der Stirn und fiel zu beiden Seiten golden wie ein Weizenfeld herab.

„Was gucken Sie so?“, fragte sie verlegen, weil er sie unverwandt anstarrte.

„Nichts. Sie sind sehr … schön.“

„Oh, danke.“

„Studieren Sie?“, fragte er neugierig.

„Ja. Noch darf ich studieren. Aber wenn die Nazis an die Macht kommen, wird es damit aus sein.“

„Man wird den Nazis Deutschland nicht überlassen.“

„Nein? Aber die Deutschen sind alle infiziert.“

„Wovon?“

„Von den Tiraden, dass wir Juden an allem schuld sind. Sie wollen sich nicht eingestehen, dass sie selbst die Schuld an ihrem Unglück haben. Sie sind jubelnd in den Krieg gezogen, haben die Siege gefeiert, ihre Generäle vergöttert und sind betrogen worden. Sie haben verloren und wollen es nicht wahrhaben.“

„Die Versailler Verträge sind ungerecht.“

„Ja. Das sind sie. Und sie werden in diesem Volk Schlimmes bewirken. Die Deutschen sind verliebt in ihr Selbstmitleid.“

„Es ist auch Ihr Volk“, sagte er unwillig.

„Ja. Ich bin eine Deutsche. Mein Vater bekam im Weltkrieg das Eiserne Kreuz. Trotzdem verachtet man uns, und wenn es nach den Nazis geht, sind wir …“

„Bazillen. Ich weiß.“

„Bazillen, die man austilgt: Läuse.“

„So schlimm wird es schon nicht werden.“

„Hoffen wir es.“

Sie waren an der Friedrichstraße angelangt.

„Wo wohnen Sie?“, fragte er und hoffte, dass sie nicht gleich verschwand. „In der Charlottenstraße.“

„Gut. Ich muss in die Jägerstraße. Vielleicht können wir uns einmal wiedersehen.“

Sie blieb stehen, sah ihn prüfend an und nickte schließlich zögernd.

„Warum nicht?“, erwiderte sie und sah ihn von unten durch ihre blonden Haare mit einem Blick an, der Scheu andeutete, aber nur Koketterie war, und er verliebte sich in diesen Blick.

„Wann?“, fügte sie hinzu.

„Heute Abend?“

„Nein. Heute Abend bin ich auf einer Versammlung. Morgen Abend?“

„Gut. Morgen Abend.“

„Dann treffen wir uns auf dem Gendarmenmarkt vor dem Schiller–denkmal. Einverstanden?“

„Einverstanden. Was studieren Sie eigentlich?“

„Grafik und Kunst. Also, bis dann“, sagte sie und gab ihm die Hand und ging weiter zum Gendarmenmarkt.

Als André das Atelier betrat, sah er alle Fotojournalisten um Guttmanns Schreibtisch versammelt. Janos zwinkerte ihm zu und rief:

„Wie war’s, Junge?“,

Die anderen drehten sich nun auch nach ihm um und sahen ihn erwartungsvoll an.

Er hielt die Kamera hoch und rief:

„Werden wir gleich sehen. Ich geh in die Dunkelkammer.“

Er betrat den Entwicklungsraum, knipste das Rotlicht an und bereitete die Emulsion vor. Dann zog er den Film heraus und legte ihn in die Entwicklungswanne. Sorgfältig, wie er es von Janos gelernt hatte, tauchte er den Film ein, zog die Uhr auf und wartete und dachte dabei an das Mädchen. Er freute sich darauf, sie wiederzusehen. Noch nie hatte er ein so schönes Mädchen gesehen. Er schmunzelte bei dem Gedanken, denn das hatte er auch von der Hure gedacht. Beide erinnerten ihn an Frauen, die Klimt gemalt hatte. Auch Gerda kam ihnen gleich, aber die war keine Wirklichkeit. Nur ein Bild aus einem Tagebuch.

Die Uhr klingelte. Endlich war es soweit. Er nahm die Filme aus der Emulsion, hielt sie hoch und hängte sie zum Trocknen auf. Mit dem Vergrößerungsglas sah er sich die Streifen an. Sein Herz schlug schneller. Es lag ihm so viel daran, gute Arbeit geleistet zu haben. Zumindest einige Aufnahmen schienen ganz ordentlich zu sein. Er wartete ungeduldig, bis die Filme trocken waren und ging an den Vergrößerungsapparat und bestimmte die Ausschnitte und arbeitete weiter, erregt und doch konzentriert. Er hatte diese Arbeit oft getan. Aber da waren es nicht seine Fotos gewesen. Als er die Abzüge sah, atmete er auf. Die Fotos waren so gut, wie er es sich erhofft hatte. Er nahm den Packen Bilder, öffnete die Tür, schaltete das Rotlicht aus und ging zu Guttmanns Schreibtisch, an dem nur noch Janos stand und erregt mit dem Chef von Dephot diskutierte. Es ging um die Redakteurin von der Vossischen.

„Du hättest sie nicht so vor den Kopf stoßen sollen!“, schrie Janos. „Nun veröffentlicht die Vossische keine Fotos mehr von uns. Dabei brauchen wir jeden Auftrag.“

„Sie ist eine Zicke!“, erwiderte Guttmann herablassend.

Seine Augen hinter den dicken Brillengläsern blitzten noch unheimlicher als sonst.

„Musstest du ihr gleich die Epauletten vom Kleid reißen?“

„Was kommt sie auch mit diesem lächerlichen militärisch aussehenden Kleid zu uns? Sah doch ganz unmöglich aus der Fetzen. Außerdem wollte sie nicht zahlen, was vereinbart war. Und so böse wie sie anfangs tat, ist sie auch schon nicht mehr. Sie hat vorhin angerufen, ob wir Bilder von den Straßenkämpfen in Neukölln haben. Also reg dich nicht so auf.“

„Und jetzt soll uns der Junge bei der Vossischen rausreißen? Wenn sie sich rächt und seine Aufnahmen nicht annimmt, wird ihn das durcheinanderbringen. Du hast das Gemüt eines Nilpferdes. Nein, eines Nilzwerges.“

Guttmann lachte und winkte André heran.

„Na, lass mal sehen, was du verbrochen hast.“

André trat zögernd an den Tisch und reichte Guttmann das Päckchen mit den Bildern. Er hatte sie sorgfältig in Zellophantüten gesteckt. Guttmann grunzte und riss die Fotos ärgerlich aus den Hüllen. Schweigend blätterte er die Bilder durch. Janos hinter ihm nickte André beruhigend zu und hielt hinter seinem Rücken den Daumen hoch. André atmete auf. Wenn Janos mit den Fotos einverstanden war, dann waren sie so gut, wie er geglaubt hatte.

Guttmann legte einige Bilder beiseite und nahm die Negative hoch und hielt sie gegen das Licht.

„Ich glaube, die können wir nehmen. Du gehst damit gleich zur Vossischen und meldest dich bei Fräulein Schnarrenberger und zeigst sie ihr. Vielleicht nimmt sie ja deine Schandtaten.“

André hätte am liebsten einen Luftsprung gemacht. Aber er tat so gelassen, wie er es bei den alten Hasen gesehen hatte, nickte kühl und tütete die Bilder und Negative wieder in die Hüllen und lief hinaus.

„Was soll denn das?“, fragte Janos. „Die Bilder waren sensationell. Besser kann ich es auch nicht machen.“

„Ja. Sie waren ganz ordentlich.“

„Ordentlich? Was soll das? Der Junge ist ein Naturtalent. Er hat ein Auge für die Situation. Man sieht die Leidenschaft, die Angst in den Bildern. Man spürt, was dort auf den Straßen passiert ist. Auch die Ausschnitte hat er wie ein Profi bestimmt.“

„Richtig. Aber soll er größenwahnsinnig werden? Ich schicke den Kleinen zum ersten Mal los, und er bringt Bilder, wie ihr sie alle in letzter Zeit nicht gebracht habt. Der Junge war mittendrin im Getümmel. Ganz nah dran. Er hat noch Biss. Soll ich ihn vorzeitig verderben?“

„Du bist ein Arschloch, Guttmann. Ein verdammtes, verwachsenes Arschloch. Du willst ihn bewusst klein halten, um so lange wie möglich Profit aus ihm zu ziehen. Aber der Junge wird seinen Weg gehen. Das wird ein ganz Großer.“

„Nur zu, beleidige deinen Brötchengeber! Mit mir kann man es ja machen. Dabei würdet ihr alle verhungern, wenn ich nicht die Strippen ziehen würde.“

„Ja, du bist der große Strippenzieher, der Guru der Verdammten.“

„Dabei meine ich es nur gut mit dem Jungen. Was meinst du, kann ich ihn nach Kopenhagen schicken?“

„Du meinst zur Trotzki–Kundgebung? Warum nicht?“

„Ich habe keinen Mann frei. Du bist ausgebucht, und die anderen auch, und gerade jetzt kommt ein Auftrag von der Frankfurter Illustrierten rein. Wichtig für uns. Aber es bedeutet auch eine Menge Verantwortung für den Bengel. Wenn er es verhunzt, sind wir für lange Zeit die Frankfurter los. Du weißt, wie eingebildet die sind.“

„Er schafft es. Gib ihm eine Chance.“

„Der Bursche wird größenwahnsinnig werden. Vom Kohlenschlepper zum Starfotografen, das hat es noch nie gegeben.“

„Er hat ein gutes Auge. Du weißt, dass er es nicht vermasseln wird.“

„Er ist ein Bruder Leichtfuß und hat dauernd Blödsinn im Kopf.“

„Er ist jung und hat gern seinen Spaß. An beides kannst du dich nur nicht mehr erinnern.“

„Eine Menge Bilder sind unscharf.“

„Ja. Das passiert nun einmal, wenn man dicht dran ist, wenn man mittendrin fotografiert, das weißt du doch. Gib ihm eine Leica mit.“

„Eine Leica?“, fuhr Guttmann entsetzt hoch. „Niemals. Eine Voigtländer macht es auch.“

„Du bist ein Schmock, ein armseliger Geizhals!“

„Ja, mach ruhig so weiter. Was muss ich mir nicht alles gefallen lassen. Ihr seid doch alle durch mich große Männer geworden. Wenn ich nicht wäre, würdet ihr verhungern.“

„Und was würdest du ohne uns Fotografen tun?“,

Während André zur Vossischen lief, überlegte er, wie er der Schnarrenberger beikommen konnte. Natürlich hatte er von dem Drachen bei der Vossischen gehört, von ihrer Launenhaftigkeit, ihrer Macht und ihrer spitzen Zunge und auch von dem Vorfall, der eine Woche lang Tagesgespräch unter den Fotografen gewesen war: Wie Guttmann ihr die Epauletten vom Kleid gerissen und sie eine Zicke und anderes genannt hatte. Worauf die Schnarrenberger ihm einige Akten auf den Kopf geknallt hatte und Dephot lange Zeit keine Aufträge bekam. Sie musste in der Zwickmühle sein, dass sie sich nun an Guttmann wandte.

Er meldete sich am Empfang bei einem griesgrämig blickenden Mann mit dem Abzeichen der Nazis am Revers.

„Zur Schnarrenberger willste? Na, Junge, dann will ick mal sehn, obse dir empfängt. Von Dephot kommste? Na, dann seh ick schwarz für dir.“

„Sagen Sie ihr, dass ich prima Aufnahmen vom Straßenkampf in Neukölln habe. Dann wird Sie mich schon empfangen.“

Der Portier stieß seine Mütze in den Nacken. Wählte, meldete André an und machte ein erstauntes Gesicht.

„Gut, ick schick den Bengel hoch.“

Er legte den Hörer auf und schüttelte den Kopf.

„Hat se det Kriegsbeil mit Dephot bejraben? Scheint heute jut jelaunt zu sein. Nimm den Paternoster. Zweiter Stock. Im Redaktionssaal siehste en gläsernes Kabuff, da sitzt se. Pass auf, dass se dir nich verfrühstückt.“

Für einen Nazi fand André den Portier gar nicht so übel. Wer weiß, was ihn in deren Arme getrieben hat, dachte er und zwinkerte dem Mann verschwörerisch zu. Dieser setzte die Mütze ab und wischte sich die Glatze, während er André kopfschüttelnd nachsah.

André hasste Paternoster und fühlte sich in den Kammern immer unsicher. Vorsichtig stieg er hinein. Als er ausstieg, kam er ins Stolpern.

Ein Mädchen mit Akten, das gerade einsteigen wollte, lachte hell.

„Wohl zum ersten Mal bei uns?“

André zuckte mit den Achseln und lief weiter. Der Redaktionssaal war durch eine Fensterwand abgetrennt. Dahinter saß ein Haufen Leute, die telefonierten oder auf ihrer Schreibmaschine herumhackten. Als er eintrat, empfing ihn der Qualm von Zigaretten, Zigarren und Pfeifen. Niemand beachtete ihn. Er ging zu der Stirnwand, an der sich, abermals durch eine Glaswand abgetrennt, das Zimmer der Chefredakteurin befand. Vor ihm blätterte eine ältere, hastig an einer Zigarettenspitze ziehende Frau um die Vierzig in irgendwelchen Papieren. Als er klopfte, sah sie stirnrunzelnd hoch und winkte ihm zu. Er trat ein und sagte artig seinen Spruch auf.

„Vom ollen Guttmann? Ach richtig, er behauptet, dass er was für mich hat. Eigentlich nehme ich ja nichts mehr von dem hässlichen Gnom. Aber die anderen Agenturen haben nur das Übliche geliefert. Tausendmal gesehen. Zeig mal eure Sachen.“

Sie stand auf. Die Schnarrenberger trug einen schwarzen Rock mit einer weißen Rüschenbluse, die den Ansatz ihrer Brüste zeigte. Einst mochte sie eine gut aussehende Frau gewesen sein, und eine Ahnung davon war immer noch sichtbar, wenn auch die Falten um Mund und Augen unübersehbar waren.

Sie drückte die Zigarette aus und steckte eine neue in die Spitze, zog die Bilder aus den Hüllen und zündete sich die Zigarette an.

„Nicht schlecht. Von wem sind die?“, fragte sie, mit zusammengekniffenen Augen die Bilder betrachtend.

Sorgfältig legte sie die Bilder nebeneinander.

„Habt ihr einen neuen Fotografen?“

„Nein. Ja“, stotterte André.

„Was denn nun?“, fragte sie und sah hoch.

„Die Bilder sind von mir. Freut mich, dass sie Ihnen gefallen.“

„Von dir? Du bist der Fotograf?“

Sie musterte ihn ausgiebig, die Hände in die Hüften gestützt.

„Zufall?“

„Nein. Ich habe aufgepasst, worauf es ankommt. Dephot hat ja tolle Fotografen, und ich habe ihnen einiges abgeguckt.“

„Ein Tausendsassa also!“

Sie ging lächelnd um den Schreibtisch und nahm aus ihrer Handtasche einen Lippenstift und Spiegel und zog sich die Lippen nach.

„Na so etwas“, sagte sie dabei. „Ich habe seit Langem nicht so gute Fotos von Dephot bekommen. „Wie spät ist es?“

Sie sah auf ihre Armbanduhr.

„Komm. Ich lade dich ein. Wir gehen ins Adlon und besprechen alles. Wie heißt du eigentlich?“

Er sagte seinen Namen.

Sie nickte gleichmütig und nahm ihre Kostümjacke vom Stuhl und musterte André.

„Ich bin fürs Adlon kaum richtig angezogen“, wandte André mit rotem Kopf ein.

„Mit mir kommst du überall rein, André Friedmann. Wir müssen aber vorher in die Produktion, damit die deine Bilder verarbeiten.“

Seine Bilder würden in der Vossischen erscheinen. Er war nun ein richtiger Fotograf. Es fängt an, dachte er. Es fängt endlich an.

Er kam sich wichtig vor, als sie mit dem Taxi vor dem Adlon vorfuhren und der Portier den Wagenschlag aufriss. Es war das erste Mal, dass er ein solches Hotel betrat. Er bekam keinen Ton heraus, so sehr beeindruckten ihn der Portier und mehr noch die Eingangshalle mit den herumwieselnden Pagen und Kellnern und den vornehm angezogenen Leuten. Es sah noch schöner aus, als er es sich in seinen Tagträumen immer vorgestellt hatte.

Im Restaurant wurden sie mit tiefen Bücklingen empfangen, und er bewunderte die weiß gedeckten Tische, auf denen Gläser und silbernes Besteck funkelten. Auf allen Tischen standen ein Blumenbouquet und große Leuchter. Wie benommen starrte er auf die dicht besetzten Tische, an denen Männer im Smoking und Frauen mit großen weißen Hüten saßen, und ihr Lachen klang warm und fröhlich und reich.

Man gab ihnen einen Ecktisch, von dem man einen guten Blick auf das Brandenburger Tor hatte. Unter den Linden war immer noch dichter Verkehr, obwohl es bereits dunkel wurde. Die Chefredakteurin verfolgte schmunzelnd seine staunenden Blicke, holte ihr Zigarettenetui heraus, klopfte die Zigarette auf dem Tisch ab, steckte sie in die elfenbeinfarbene Spitze und stieß ihm eine Rauchwolke entgegen.

„Nach deinen Blicken zu urteilen, warst du noch nie hier.“

„Nein. Das kann ich mir nicht leisten.“

„Wie lange arbeitest du schon, ich meine, als Fotograf?“

„Es war das erste Mal.“

„Erstaunlich.“

Der Ober eilte herbei.

„Wie immer, gnädige Frau? Einen Cocktail?“

„Ja, wie immer. Was möchtest du, André Friedmann?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht dasselbe, wie Sie“, sagte er errötend und ärgerte sich über seine Unsicherheit.

Er dachte an seinen Vater, der in einer solchen Situation sicher gewandter aufgetreten wäre.

„Sehr wohl!“, wiederholte der Ober, machte einen Diener und gab ihm die Karte.

Als die Schnarrenberger merkte, dass er noch unsicherer wurde, nahm sie ihm lächelnd die Karte aus der Hand.

„Ich nehme die Adlon–Ente. Vielleicht kannst du dich auch dafür erwärmen.“

André nickte eifrig. Er hatte nur Angst, dass er aufwachen würde und alles ein Traum wäre. Aber es geschah tatsächlich. Er war Fotograf, und seine Fotos gefielen der Chefredakteurin der Vossischen! Und jetzt saß er mit ihr im Adlon, im besten Restaurant der Stadt, und der Ober machte eine tiefe Verbeugung vor ihm.

„Die Adlon–Ente ist berühmt“, erklärte die Schnarrenberger. „Du wirst schon sehen, dass du so zartes Fleisch noch nie gegessen hast. Wir müssen allerdings ein bisschen warten. Aber erzähl mir von dir. Was hast du gemacht? Wo kommst du her? Du bist Ausländer, nicht wahr?“

Er erzählte ihr von Budapest und warum er weggegangen war und von dem Studium, das er längst aufgegeben hatte, und von seiner Arbeit bei Dephot.

„Dann hat der gute Guttmann dich ordentlich ausgenutzt, und nun ist er auch noch über eine Goldmine gestolpert“, stellte die Schnarrenberger höhnisch lächelnd fest.

„Kann man so nicht sagen“, verteidigte André den Gnom. „Er suchte jemand fürs Labor und ein Mädchen für alles, und ich war froh, dass ich eine ordentliche Anstellung hatte.“

Die Cocktails kamen, und sie waren klar und kalt und richtig gemixt, wie die Schnarrenberger lobte. André trank erst sehr vorsichtig, fand den Geschmack dann aber angenehm.

„Gut?“, fragte sie und blickte ihn über das Glas fragend an.

„Sehr gut!“, stimmte er zu.

„Dein erster Martinicocktail?“

„Ja. Alles was an diesem Tag passiert, geschieht zum ersten Mal.“

„Du bist ein Glücksjunge und obendrein ein hübscher Kerl, André Friedmann.“

Sie taxierte ihn auf eine Art, die ihm fremd war, und er wurde erneut verlegen und errötete.

„So doll ist es nun auch wieder nicht“, erwiderte er leise.

„Ich glaube, diese dunklen Augen haben schon manchem Mädchen den Kopf verdreht.“

„Davon habe ich nicht viel bemerkt.“

Er erzählte ihr von Eva und ihrem Verlobten und dass er das Gefühl hatte, bei den Mädchen kein Glück zu haben.

„Ach, deine Eva ist eine dumme Pute. Man braucht dich nur in einen schicken Anzug zu stecken, und du wirst den Mädchen der reinste Teufel sein.“

Er lächelte höflich dazu, wusste aber mit dieser Bemerkung nicht viel anzufangen. Sie erzählte nun von ihrer Arbeit und dass sie wohl bald in die Partei eintreten müsse, wenn es mit den Nationalsozialisten so weiterginge.

„Man muss mit den Wölfen heulen“, kommentierte sie.

Der Sommelier kam und fragte nach ihren Wünschen und wollte André die Weinkarte geben.

„Ach, lassen Sie nur. Wir nehmen einen Chateau Lafitte, den von 1925, der passt gut zu der Ente.“

Der Sommelier war über die Bestellung entzückt und rauschte mit freudiger Miene ab.

Nun kam die Ente, die man ihnen erst goldbraun glänzend auf einem silbernen Teller zeigte und dann fachgerecht zerlegte. André gestand freimütig, noch nie so zartes Fleisch gegessen zu haben.

„Das Fleisch vergeht fast auf der Zunge. Zu Hause gab es nur an den Feiertagen Ente. Aber nie so zart.“

So lebten also die Reichen, dachte er. Der Wein, dessen Name sich nach Reichtum und Frankreich anhörte, rundete den Geschmack auf das Vortrefflichste ab, und André wünschte sich, öfter solchen Wein trinken zu können. Ein Wunsch, auf dessen Erfüllung er noch eine Weile warten musste. Er war bereits beschwipst, als die Schnarrenberger als Nachtisch ein Sorbet Blanche bestellte.

„Ich habe zu Hause eine Leica. Sie liegt bei mir nur rum. Wenn du willst, kann ich sie dir ausleihen“, sagte die Schnarrenberger leichthin und zog sich erneut die Lippen nach, gefolgt von einem unzufriedenen Blick in den kleinen Taschenspiegel.

„Oh ja, sehr gern“, sagte er mit glänzenden Augen.

Die sündhaft teure Leica zu besitzen, war schließlich der Traum jedes Fotografen.

„Na, dann komm mit!“, sagte sie und winkte nach dem Ober, und dieser reichte ihr die Rechnung, die sie unterschrieb.

Mit tiefem Bückling nahm der Ober von ihr ein Trinkgeld entgegen, das André mindestens einen halben Monat ernährt hätte. Er staunte, dass sie die Rechnung nicht zu bezahlen brauchte.

„Sie schicken die Rechnungen jeden Monat an den Verlag“, erklärte sie auf seinen verwunderten Blick.

Der Portier begleitete sie zum Taxi.

„In den Grunewald“, sagte sie zum Taxifahrer.

Sie schien müde zu sein, denn sie schwieg die ganze Zeit. Das Taxi hielt in einer stillen Straße mit hohen Laubbäumen. Sie bezahlte das Taxi. André folgte ihr auf einem mit Platten belegten Weg zu einem Haus, das auch im Dunkeln respektabel und nach viel Geld aussah. Sie nestelte in ihrer Handtasche und steckte den Schlüssel ins Schloss. Aber die Tür wurde geöffnet. Ein junges Mädchen, recht hübsch, wie André fand, lächelte sie an, und die Schnarrenberger rauschte an ihr vorbei.

„Wir nehmen im Salon noch einen Kaffee. Dann kannst du ins Bett gehen, Marie.“

Das Mädchen machte einen Knicks und sah André neugierig an und lächelte, und er lächelte mit seinem Douglas–Fairbanks–Lächeln zurück. Ihr gegenüber fühlte er sich selbstsicher.

Der Salon war nach Andrés Empfinden fast ein Tanzsaal. Die Möbel aus rotem Holz, von dem er später wusste, dass es Mahagoni war, erinnerten ihn an die Möbel, die er auf Bildern englischer Schlösser gesehen hatte. Die Schnarrenberger ging an einen Schrank, holte einen Fotoapparat heraus und gab ihn André.

„Eine Leica!“, rief er überflüssigerweise aus, drückte die Kamera ans Auge und schraubte an dem Objektiv. „Fantastisch. Das neueste Modell.“

„Wie gesagt, ich leihe sie dir. Gib acht auf sie.“

„Das werde ich. Ganz bestimmt“, versprach er.

Das Mädchen brachte den Kaffee, und die Schnarrenberger bemerkte dessen Blicke auf André und schickte es barsch hinaus.

„Sie ist manchmal ein wenig neugierig“, kommentierte sie, nachdem sich das Mädchen mit einem Knicks und einem kecken Lächeln zu André hin verabschiedet hatte.

„Ach, wie tut mir der Rücken weh!“, sagte die Schnarrenberger und warf sich in den Sessel und massierte ihren Nacken. „Du kannst mir mal den Rücken massieren, machst du das?“, fragte sie und zog die Kostümjacke aus und beugte sich im Sessel vor.

Ohne zu ahnen, was kommen würde, befolgte André ihren Wunsch. Immerhin hatte sie sein Essen bezahlt und seine Arbeit gelobt und ihm außerdem die Leica geliehen, und er wollte nett zu ihr sein.

„Gut. Das tut gut. Ja, das machst du richtig!“, sagte sie. „Warte einen Augenblick.“

Sie knöpfte ihre Bluse auf und streifte sie ab und zeigte ihm ihre wohlproportionierten Brüste.

„Mach weiter!“, befahl sie, und er tat dies und sah dabei auf ihre Brüste und musste schlucken.

Er hatte noch nie eine Frau gehabt. Sein Herz schlug sehr schnell, denn langsam begriff er, worauf es hinauslief. Plötzlich drehte sie sich zu ihm um, warf das Haar zurück, drückte ihm ihre Brüste entgegen und küsste ihn. Er war viel zu überrascht, um sich zu wehren. Als ihre Zunge in seinen Mund stieß, begriff er, worum es ging und tat es ihr nach.

„Warte!“, keuchte sie und streifte ihren Unterrock ab und stand nun nackt vor ihm und nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Schlafzimmer, das für ihn wie ein Himmelreich aussah mit einem breiten Bett und verspiegelten Schränken, und sie öffnete seine Hose und senkte ihren Kopf in seinen Schoß, und er empfand eine Lust, wie er sie noch nie gekannt hatte, und ergoss sich bald schreiend in ihren Mund.

„Entschuldigung“, stammelte er.

„Macht nichts, mein Kleiner. Es kommt noch schöner.“

Sie bearbeitete sein Glied weiter mit Mund und Hand, und als er wieder bereit war, schwang sie sich auf ihn und eröffnete ihm weitere Paradiese.

Robert Capa und Hemingways Geschichte

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