Читать книгу Crime Collection III - Heinz von Wilk - Страница 19
ELF
ОглавлениеAm nächsten Morgen konnte sie es kaum erwarten, Völker zu sprechen. Voller Ungeduld klingelte sie Sturm bei ihm und rannte die Treppen hoch.
»Die Durchsuchung, was hat das zu bedeuten«, überfiel sie ihn.
Er schien auf ihr Vorpreschen vorbereitet zu sein. »Hier«, sagte er und drückte ihr ein kleines, ziemlich zerknittertes Foto in die Hand. »Das habe ich immer in meiner Brieftasche. Es ist siebzehn Jahre alt. Wurde kurz nach unserer Hochzeit aufgenommen, am Schwarzen Meer. Trixi hat das Bild für sich vergrößern und rahmen lassen. Sie hat es damals mitgenommen, als sie mich verließ. Hier habe ich es noch nicht gefunden. Wahrscheinlich hat die Polizei es konfisziert.«
Neugierig betrachtete Lea das Bild aus der Nähe. Trixi und Uli Völker standen nebeneinander auf einem großen, leeren Platz und lächelten verkrampft in die Kamera. Trixi war erheblich kleiner gewesen als ihr Mann, und sie schmiegte sich an ihn, als brauche sie ihn, um überhaupt stehen zu können. Sie sahen trotz des unsicheren Lächelns glücklich aus, als würden sie sich gut ergänzen. Lea versuchte sich auszumalen, was die beiden wohl getan hatten, nachdem das Bild geschossen worden war. Wahrscheinlich waren sie irgendwo Eis essen gegangen, und ihr Lächeln war wieder ganz natürlich und unbeschwert geworden.
Lea konnte nicht erkennen, was an dem Foto so Ungeheuerliches war, dass es die Polizei zu einer Hausdurchsuchung veranlasst hatte. Es gab nur wenige Gründe, eine solche Maßnahme anordnen zu dürfen: Wenn die Polizei in der Wohnung einen flüchtigen Verdächtigen, das Tatwerkzeug oder Beweismittel vermutete. Alle Gründe erschienen Lea haltlos.
»Was soll das? Was ist mit der Aufnahme?«
Völker tippte auf die Bildmitte. »Da. Herr Gottlieb meint, ich hätte damals einen geflochtenen Gürtel getragen.«
»Die mutmaßliche Tatwaffe!« Lea hob überrascht den Kopf.
»Genau so hat er das auch formuliert. Ich dachte, sie sei erwürgt worden ...?« Er stockte.
»Erwürgen wäre Strangulation mit den Händen. Ihre Frau wurde von vorne mit einem geflochtenen Gürtel erdrosselt. Ach du lieber Gott!«
Völker war schon wieder bleich wie die Wand und drohte zusammenzusacken. Mit einem Satz war Lea bei ihm und stützte ihn. »Schnell, setzen Sie sich. Tut mir Leid. Ich hätte das nicht so ausführlich ...«
»Schon gut. Das ist es nicht. Es ist vielmehr, also, o Gott!« Völker stöhnte. Er hatte eine Fahne, aber offenbar stammte sie von der Nacht zuvor, denn er schien vollkommen nüchtern. Er sah verzweifelt aus. »Ich habe sie nicht umgebracht, meine Trixi. Das ist doch vollkommen absurd. Warum sollte ich so etwas tun?«
Lea wusste keine Antwort. Aber wenn Gottlieb einen Zusammenhang mit Völker vermutete, dann tat er das wahrscheinlich nicht ausschließlich wegen dieses Fotos. Er musste noch mehr belastendes Material gegen Uli Völker gesammelt haben, wenn auch nicht so viel, dass es bereits für eine Festnahme reichte. Es war höchste Zeit, Völkers Glaubwürdigkeit abzuklopfen.
»Sie haben mir in Leipzig gesagt, Sie hätten für den Abend des siebten Mai ein Alibi«, begann sie vorsichtig. »Stimmt das?«
»Alle im Killiwilly können bezeugen, dass ich an dem Abend dort war. Das habe ich auch dem Kommissar gesagt. Ich dachte, damit wäre der Fall erledigt. Warum verdächtigt er mich? Wegen dieses Fotos?«
»Ehrlich gesagt fürchte ich, er hat noch mehr gegen Sie in der Hand. Aber was?«
Völker stand auf und begann, durch die Wohnung zu wandern. »Meinen Sie, er kann mich verhaften? Ich habe den Gürtel seit zig Jahren nicht mehr. Aber wie soll ich das beweisen? Ich bin doch kein Mörder. Das ist doch lächerlich. Ich kann nicht mal einer Fliege etwas zu Leide zu tun, oder einer Spinne.« Ein flüchtiges Lächeln stahl sich in sein Gesicht. »Trixi hat sich immer vor Spinnen gefürchtet. Sie hat geschrien, wenn sie eine gesehen hat. Ich habe sie vorsichtig gefangen und rausgesetzt.«
Lea versuchte, sich in Gottliebs Gedankengänge einzufinden. Aber es fiel ihr schwer. Es gab kein Motiv; Uli Völker hatte seine Frau geliebt. Er hatte ein Alibi. Warum dann aber die Hausdurchsuchung und der Vernehmungstermin in wenigen Minuten? Das Motiv. Vielleicht gab es doch eines: verletzte Eitelkeit, weil Trixi ihn verlassen hatte. Plötzlich fiel ihr ein, was sie ihn schon immer hatte fragen wollen. »In der Todesanzeige stand ein merkwürdiger Satz von Ihnen ...«
»Meine Liebe war dir nicht genug.« Völker grinste schief.
»Waren Sie sehr verletzt, als sie ging?«
»Was für eine Frage. Natürlich. Ich bin aus allen Wolken gefallen.«
»Haben Sie sie zur Rechenschaft gezogen?«
»Wie denn. Ich wusste ja nicht mal, wo sie war. Erst nach einem Jahr kam eine Postkarte aus Baden-Baden. ›Alles Gute, Trixi‹, hatte sie draufgekritzelt.«
»Ich wäre ziemlich wütend darüber geworden«, versuchte Lea, auf den Busch zu klopfen.
Völker wehrte ab. »Wütend nicht. Traurig. Es war so endgültig. Ich bin dann zu einem Anwalt gegangen.«
»Sie haben die Scheidung eingereicht? Himmel, warum sagen Sie das nicht gleich.« Wenn Gottlieb das wusste, war für ihn die Frage nach dem Motiv fast geklärt.
»Mann, das war doch ganz anders gemeint. Ich hatte seit über einem Jahr nichts von ihr gehört außer dieser blöden Ansichtskarte. Ich hatte keine Adresse, keine Telefonnummer. Sie stand nicht im Telefonbuch. Das Einwohnermeldeamt verweigerte mir die Auskunft. Wie hätte ich sie denn ausfindig machen können außer mit einem behördlichen Schreiben?«
»Aber doch nicht gleich mit einem Scheidungsantrag!«
»Das hat mir der Anwalt so vorgeschlagen. Er hatte ja Recht. Das war doch keine Ehe mehr. Außerdem hatte ich plötzlich eine ganz blöde, kleine Hoffnung. Aber ich glaube, die erzähle ich lieber nicht. Würde mir ja doch niemand abnehmen.«
»Welche Hoffnung?«
»Na ja ...« Völker drehte seine gefalteten Hände so fest, dass die Fingergelenke knackten. »Ich dachte, sie würde durch den Brief aufwachen und merken, was sie da aufs Spiel setzt. Vielleicht wäre sie zurückgekommen.«
Lea runzelte die Stirn. »Ziemlich weit hergeholt. Ob Gottlieb Ihnen das abnimmt? – Wie hat Trixi denn auf das Schreiben reagiert?«
»Sie hat sich eine Anwältin genommen, und die schrieb, ich solle Gründe für eine Scheidung nennen.«
Was dann folgte, konnte sich Lea lebhaft vorstellen. Viele Anwälte taten so, als gäbe es das Schuldprinzip bei der Scheidung noch. Dabei war es den Richtern vollkommen egal, warum es zwischen zwei Menschen nicht mehr klappte, Hauptsache, man bezeugte, dass die Ehe seit über einem Jahr zerrüttet war. Man wollte dadurch das Waschen schmutziger Wäsche vor Gericht vermeiden und den ehemaligen Partnern die Gelegenheit geben, halbwegs in Frieden auseinander zu gehen. Manche Anwälte aber sahen sich als Rächer ihrer Mandanten und schürten das Feuer noch richtig an.
»Und Ihr Anwalt hat dann etwas Deftiges geantwortet, oder?«
Völker blieb am Fenster stehen und nickte. Leise antwortete er: »Sie glauben nicht, was der alles geschrieben hat. Vor allem hat er Trixi die Schuld an der Sache mit der Wohnung gegeben. Das hab ich gar nicht gewollt.«
Lea sah all ihre Erfahrungen bestätigt. »Sie haben ihm alles geschildert, und er hat dann den Brief formuliert und ihn gleich weggeschickt, richtig?«
»Genau. Ich habe die Kopie zur gleichen Zeit bekommen wie Trixi das Original. Ich konnte nichts mehr ändern. Dabei hatte ich gedacht, er schreibt nur etwas Juristisches zurück. Aber dann diese Vorwürfe und diese Häme. Ich hätte gerne alles rückgängig gemacht.«
Konnte Gottlieb aus diesem missglückten Scheidungspapier ein Mordmotiv herleiten?
»Haben Sie Schulden?« Schulden waren für die Polizei immer ein brauchbares Motiv für Straftaten aller Art.
»Natürlich. Sie wissen doch, die Wohnung. Und dann noch die laufenden Ausgaben. Als Trixi noch da war, kamen wir schon nicht über die Runden. Aber danach ... Ein paar Mal hat sie mir Geld überwiesen, aber dann war Schluss. Ich komme schon lange nicht mehr zurecht.«
»Wovon leben Sie dann?«
»Wovon schon. Sozialhilfe. Keine Ahnung, was passiert, wenn Hartz IV kommt.«
»Hm. Klingt doch aber nicht so, als würden Sie deswegen jemanden umbringen. Ich glaube, Sie brauchen vor der Polizei keine Angst zu haben. Gottlieb will wahrscheinlich nur der Vollständigkeit halber wissen, was mit dem Gürtel passiert ist. Aber bloß, weil Sie den nicht mehr haben, kriegt er keinen Haftbefehl für Sie. Oder verschweigen Sie mir noch etwas?«
Völker wurde rot und wich ihrem Blick aus. »Nein, wieso auch.«
Und plötzlich war es da, das Misstrauen. Von einer Sekunde auf die andere, angeknipst wie eine Lampe. Wenn Völker bei der Vernehmung durch Gottlieb ähnlich reagierte, war es kein Wunder, dass die Polizei nicht locker ließ. Selbst sie hätte jetzt große Lust, ihn alles noch einmal erzählen zu lassen, und das, obwohl er nach ihrem Ermessen als Täter ausschied.
Völker sah auf die Uhr und griff nach den Schlüsseln. »Danke jedenfalls für die Aufmunterung. Dann lasse ich Sie jetzt allein und gehe in die Höhle des Löwen. Wenn Sie hier fertig sind und ich noch nicht da sein sollte, ziehen Sie einfach die Tür ins Schloss.«
»Rufen Sie auf jeden Fall an. Ich will unbedingt wissen, wie es mit Gottlieb gelaufen ist«, rief sie ihm noch nach, dann war sie endlich allein in Trixi Völkers Wohnung. Die Suche nach den versteckten Beweisen konnte beginnen.
Als Erstes fiel ihr auf, wie ordentlich die Frau offenbar gewesen war. Das hatte sie nicht erwartet. Wenigstens in den Schränken hätte ein mildes Chaos herrschen können, wie es bei ihr selbst und wahrscheinlich bei vielen der Fall war, deren Schranktüren kein anderer öffnete. Hier aber saß die wenige Wäsche Kante auf Kante wie beim Militär. Nur Uli Völker hatte bereits Spuren seiner Anwesenheit hinterlassen: Das Bett war zerwühlt, Socken lagen auf dem Boden, auf dem Nachttisch befand sich eine angefangene Skizze von Trixis Profil.
Im Wohnzimmer standen etliche Taschenbuchbestseller im Regal, auch sie aufgereiht wie die Zinnsoldaten. Ähnlich die Videokassetten, die von weitern wie Buchrücken aussahen. Sie hatte eine stattliche Sammlung gehabt, Klassiker von »Casablanca« bis »Zwölf Uhr mittags«, nach Alphabet geordnet. Die Küche war ähnlich tiptop.
Nebenan hörte sie Hefendehls Telefon klingeln. Der Mann nahm ab. Sie konnte jedes Wort verstehen. Offenbar gab ihm seine Mutter eine Einkaufsliste durch und erklärte ihm anschließend noch etwas Überraschendes, das er mit einem lauten »Na so was!« quittierte. Dann legte er auf und verließ die Wohnung.
Die Wände zwischen den Wohnungen waren wirklich so extrem dünn, dass man sie genauso gut hätte entfernen können. Von Privatsphäre jedenfalls keine Spur. Wie hatte Trixi hier nur über ein Jahr leben können? Na gut, sie war die meiste Zeit außer Haus gewesen, bei Mennicke. Aber trotzdem. Lea wäre hier keine vier Wochen geblieben.
Viel wichtiger aber war: Wo steckte der Beweis, von dem Trixi gesprochen hatte? Und: Was war es überhaupt? Ein Stück Papier? Ein Tonband? Eine Diskette? Ein Foto?
Lea machte sich daran, die Schubladen von Trixis Schreibtisch näher zu untersuchen, und schlug ungeduldig die ersten Aktenordner auf. Sie war überrascht, wie voll die Ordner waren. Sie hatte schon befürchtet, die Polizei könnte alles leer geräumt haben, was interessant gewesen wäre. Allerdings fand sie ausschließlich Kopien. Wahrscheinlich hatte die Polizei die Originale beschlagnahmt und die Zweitschriften hier gelassen. Kein Mensch machte doch von sämtlichen wichtigen Dokumenten Kopien. Aber vielleicht hatte die Tote aufgrund ihrer eigenen Diebstahlsmarotte eine kleine Neurose entwickelt. Wie auch immer. Lea schickte Trixi Völker für deren sonderbares Verhalten ein Dankesgebet in den Himmel und machte sich an die Arbeit.
Zwei Stunden später war Uli Völker immer noch nicht zurück, aber Lea ein ganzes Stück schlauer.
Bis Mennickes Tod hatte Trixi von ihm, offenbar in bar, ein Gehalt bezogen, nicht üppig, aber es reichte für die Miete, das Leben und sieben Überweisungen von jeweils hundert bis vierhundert Euro auf das Konto von Uli Völker. Einen Monat nach Mennickes Tod hatte sie sich arbeitslos gemeldet. Der folgende Papierkrieg muss zeitraubend und sehr mühsam gewesen sein, aber sie hatte alles mit ihrer akkuraten Handschrift gewissenhaft ausgefüllt.
Im Ordner »Finanzamt« waren ein halb ausgefüllter Lohnsteuerantrag sowie zahlreiche Portoquittungen von der Post, Quittungen über Büromaterial und eine Bahnfahrtkarte von Baden-Baden nach Leipzig und zurück abgeheftet.
Ein neuer, dünner Ordner mit der Aufschrift »Scheidung« beinhaltete Uli Völkers Antrag, den Gegenbrief ihrer Anwältin und ein wirklich bissiges Antwortschreiben aus Leipzig, ferner Kopien des Kaufvertrags für die Leipziger Wohnung sowie ein Testament, das sie zwei Tage nach dem Tod Mennickes und ironischerweise drei Tage vor Erhalt des Scheidungsbegehrens aufgesetzt hatte und in dem sie ihren Ehemann als Alleinerben einsetzte. Eine Woche nach Erhalt des Scheidungsbriefs hatte sie ein zweites Testament verfasst, in dem sie festlegte, dass Uli Völker auch im Falle einer Scheidung alles erben sollte.
Lea schwirrte der Kopf. Alles, was sie gefunden hatte, war merkwürdig. Warum machte Trixi Völker ein Testament? Warum setzte sie ihren Mann als Erben ein? Sie besaß doch so gut wie gar nichts, gerade mal zweitausenddreihundert Euro auf der Bank. Warum hatte sie sich erst einen Monat nach Mennickes Tod arbeitslos gemeldet? Hatte sie gehofft, sie könnte ihre Arbeit als Archivarin bei Mennicke nach seinem Tod fortführen? Oder hatte sie auf eine Erbschaft spekuliert, war dann aber leer ausgegangen?
Auch die Scheidungskorrespondenz war seltsam. Trixi hatte sich gegen die Scheidung gewehrt. Warum? Sie war doch weggegangen und hatte offensichtlich weit über ein Jahr nichts von ihrem Ehemann wissen wollen. Allerdings hatte sie ihm Geld überwiesen. Da passte doch nichts zusammen.
Und dann die Fahrkarte. Lea betrachtete sie näher. Sie war am 3. April ausgestellt, einen Tag nach Mennickes Trauerfeier und genau an dem Tag, an dem sie wohl das Scheidungsschreiben aus Leipzig bekommen hatte. Sie war sofort hingefahren und noch am selben Tag zurückgekommen. Was hatte sie dort gemacht? Ihren Mann zur Rede gestellt? Aber das hätte er doch erwähnt!
Lea rief sich zur Ordnung. Sie war nicht hier, um hinter Trixi und Uli Völker herzuspionieren, sondern sie wollte einen Beweis für ein Mordkomplott gegen Mennicke und damit vielleicht auch eine Spur zum Mörder finden.
Doch so gründlich sie alles durchsah, sie konnte nichts finden. Das musste sie sich eine Stunde später eingestehen. Sie hatte alle Schubläden, Schränke, möglichen Verstecke durchsucht, unter die Matratze gesehen und oben auf die Küchenschränke. Sogar die Hängeleuchten und den Spülkasten im Bad hatte sie kontrolliert. Sie gab sich geschlagen: Gottlieb und seine Leute hatten wohl doch ganze Arbeit geleistet. Hier war nichts.
Ihre Hoffnungen schnellten noch einmal in die Höhe, als sie im Wohnzimmer hinter einem Vorhang zwischen Couch und Heizung eine Umzugskiste entdeckte. Zuerst fürchtete sie schon, Völker habe mit dem Zusammenräumen bereits begonnen, doch als sie die Kiste öffnete, erkannte sie sofort, was sie beinhaltete: Trixis Beutestücke. Nicht so viele wie in der Leipziger Wohnzimmervitrine, aber sie war ja auch erst ein Jahr in Baden-Baden gewesen. Da sie laut Zeugenaussagen keinen Besuch bekam, also auch vermutlich nur wenige oder keine Freunde besaß, hatte sie vermutlich einen Teil ihrer Beute mitgebracht, denn Lea fand einen gestrickten Schal, eine Zahnspange, etliche Briefbeschwerer, eine Pfeife, einen Elefanten aus Ton, einen anderen aus Porzellan, ein altes Lebkuchenherz mit der Aufschrift »Mein Schatzi«, ein Plüschpferdchen, zwei Vasen, mehrere Feuerzeuge ... Sie kramte in der halb gefüllten Kiste und fragte sich, wer die Besitzer dieser Souvenirs wohl sein mochten. Die Pfeife zumindest konnte sie klar zuordnen.
Sie reihte alle Gegenstände auf der Couch auf, zog ihre Kamera aus dem Rucksack und fotografierte sie. Dann legte sie alles in die Kiste zurück. Bei jedem Stück fragte sie sich, welches Mennicke gehört haben könnte, welches Frau Büdding und welches Nowak oder Wiesinger. Nach welchen Kriterien hatte Trixi zugegriffen? Bei der Pfeife von Reinthaler hatte sie jedenfalls etwas erwischt, das dem Besitzer wichtig war.
Einem plötzlichen Impuls folgend, steckte Lea die Pfeife in ihren Rucksack. War das Beweisvernichtung? Wohl kaum. Die Polizei hatte sicherlich jeden Gegenstand katalogisiert. Außerdem stand der Karton nicht in der Asservatenkammer, also maß man nichts davon die geringste Bedeutung zu. Schließlich hatte man die gesamte Wohnung zum Ausräumen freigegeben.
Lea sah sich auch das Bücherregal noch einmal genauer durch. Hatte Trixi vielleicht eine Originalausgabe von Goethe mitgehen lassen? Eine Handschrift von Luther? Mennicke hatte doch solche Kostbarkeiten gesammelt. Aber es waren tatsächlich nur Bestseller und Liebesromane. Vorsichtshalber öffnete Lea jedes Buch und schüttelte es vorsichtig, aber es rutschte weder ein wertvoller Text noch ein Hinweis auf einen Mord heraus.
Sie war zutiefst enttäuscht. Sie hatte sich so viel von einem Besuch in der Wohnung versprochen. Und jetzt? Nichts. Es fiel ihr schwer, sich dieser Niederlage zu beugen.
Wo Völker nur blieb? Er war jetzt seit über drei Stunden weg. So lange dauerte keine Vernehmung über einen verschwundenen Gürtel. War er irgendwo in einer Kneipe versackt?
Sie holte ihr Handy aus dem Rucksack und bemerkte, dass sie am Morgen vergessen hatte, es einzuschalten. Die Mailbox hatte fünf Nachrichten für sie. Schon nach der ersten schaltete sie um und wählte die Nummer des Lokalchefs.
Zu ihrer Überraschung hob Franz ab. Er ließ sie gar nicht zu Wort kommen. »Lea, verdammt, wo steckst du? Du hast Nerven! Das gibt einen Riesenärger, sag ich dir.«
»He, he, mal langsam. Ich habe gerade deine erste Nachricht abgehört. Die vier Ws bitte: Wer, was, wo, warum.«
»Die vier Ws? Gottlieb hält um drei Uhr eine Pressekonferenz ab.«
Lea blieb das Herz stehen. Gottlieb? Pressekonferenz? Was ging hier vor?
»Himmel noch eins, Franz, jetzt rede endlich. Was ist los?«
»Ich kann ihn über das normale Festnetz nicht erreichen. Du hast doch seine Handynummer. Er hat jedenfalls per Fax diese Pressekonferenz anberaumt. Rundfunk und Fernsehen haben ihn zwischenzeitlich offenbar erreicht, denn da hat er durchsickern lassen, dass er auf der Konferenz den Mörder von Trixi Völker bekannt geben will. Alle bringen das, jede halbe Stunde, Radio Regenbogen, SWR, Antenne eins. Nur wir wissen von nichts. Das musst du ändern!«
O ja, das würde sie!