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Das Glück wohnt im Echsental
ОглавлениеEs ist noch gar nicht lange her, da lebte einmal eine Königstochter. Sie hieß Tara und war über alle Maßen schön. Ihre Eltern waren alt und müde. So bemerkte niemand, wie sie ihr Land nach und nach an steingraue Echsen verloren. Immer schon waren diese Urtiere da und fraßen Blätter von Sträuchern und Bäumen. Die Leute ließen sie gewähren, und auch der König duldete die Fresser. Die Menschen waren sorglos, schauten nur auf heute und wollten einen schönen Tag erleben. Keiner fragte sich, woher die Echsen kamen und wie sie sich so vermehren konnten. Dann waren die Wälder kahl und die ganze Gegend steingrau. So konnten sich die Echsen weiter gut verbergen. Einige mutige Frauen und Männer zogen aus und bekämpften die mächtigen Fresser mit Schwertern, aber sobald sie einen Kopf abgeschlagen hatten, wuchsen zwei andere aus der Wunde nach und fraßen noch gieriger.
Alle, die in die Zukunft schauen konnten, verließen das Land und die Zurückgebliebenen bauten Mauern um ihre Häuser und Gärten.
Tara aber stieg jeden Tag hinauf zum höchsten Turm und schaute über alle Lande, ob nicht von irgendwo Rettung käme. Manchmal schien ihr, als ob drüben – vom Hohenberg her – etwas winkte, aber es war nur die Flagge, die heftig hin- und herschlug.
Als Tara zur Frau gereift war, hielt Ottokar, der König des Nachbarreiches, um ihre Hand an und feierte Hochzeit mit ihr. Jetzt war sie Königin auf Schloss Hohenberg.
Aber sie wurde in König Ottokars Land nicht glücklich. Die Menschen dort arbeiteten immerzu, liefen mit ernsten Gesichtern umher und taten gewichtig. Keiner genoss sein Leben, jeder erzählte nur von den Aufgaben, die noch erledigt werden müssten. Dabei waren die Häuser und Straßen prächtig, und die Gärten blühten bis in den Winter. Doch niemand schien sich daran zu freuen. Immer wieder spähte Tara über die Berge in ihr Echsental und sah, wie es von Tag zu Tag düsterer und kahler wurde. Der Kummer kroch ihr ins Herz und raubte ihr den Schlaf. Ihr Gemahl konnte die Trauer nicht verstehen und wurde zunehmend ärgerlich: »Genügt dir denn mein Reich nicht?«, warf er ihr entgegen. »Hast du denn bei mir nicht alles was du brauchst?«
Die junge Königin wusste keine Antwort, die ihn zufriedengestellt hätte, und so schwieg sie.
Doch unentwegt, auch in ihren Träumen, suchte sie nach einer Lösung.
Da sah sie eines Tages, wie die Leute von Hohenberg grüne Gartenabfälle auftürmten, um sie verrotten zu lassen. Und wie ein Blitz durchzuckte sie ein rettender Gedanke. Sie bat die Gärtner, ihr das Grünzeug zu überlassen, und diese taten es nur allzu gern. Ja, sie liehen ihr sogar Pferde und Wagen, damit sie alle Abfälle wegschaffen konnte.
Einige treuen Knechte und Mägde luden die matschigen Salatköpfe und verrunzelten Rübenblätter auf. Dann zogen sie mit den Pferdewagen hinunter ins Tal. Schon von Weitem konnten sie das hungrige Heulen der Echsen hören. Tara musste ihren Getreuen gut zureden weiterzufahren. Eilig warfen sie das alte Grünzeug von den Wagen und galoppierten davon. Beim Zurückschauen sahen sie noch, wie die Echsen sich auf die Abfälle stürzten und sie gierig herunterschlangen.
Als König Ottokar von ihrem Ansinnen erfuhr, verbot er, es fortzuführen: »Über die Berge werden diese trägen Tiere niemals kommen«, sagte er mit schneidender Stimme, »und was sie mit dem Echsenreich anstellen, wen kümmert es?«
Doch eine wahre Königin gibt niemals auf. So lud sie zu einem großen Fest mit lautem Musikgetöse, mit Gauklern und allerlei Gaumenschmaus. Jedermann hatte alle Hände voll zu tun. Und Tara tanzte unentwegt mit dem König, bis ihm die Füße schmerzten.
So bemerkte niemand bei Hofe, wie die treuen Mägde und Diener der Königin wieder und wieder Wagenladungen mit gärendem Gemüse ins Tal kippten.
Niemand hörte, wie die Echsen vor Schmerzen brüllten, dass es wie Donnerhallen klang und die Berge erzitterten.
Der König schlief ermattet in seinen Daunendecken und wähnte sich sicher. Die gierig schlingenden Echsen aber nahmen in dieser Nacht ein böses Ende. Sie fraßen und fraßen von den faulenden Blättern, bis sich ihre Innereien so aufblähten, dass sie nacheinander zerplatzten.
Im Morgengrauen lag das Tal übersät mit toten, schuppig-grauen Urtieren. Die Leute des Echsentals kamen freudig aus ihren Häusern und bestaunten die reglosen Tierleiber. Und als Tara im Sonnenaufgang mit ihrer weißen Stute über den Berg geritten kam, jubelten sie ihr entgegen.
Es dauerte nicht lange, bis die Tiere vergraben waren und das Schloss wieder im alten Glanz erstrahlte. Jetzt konnte die Königin mit ihrem treuen Gefolge in ihrem angestammten Reiche Einzug halten. Die alten Eltern weinten vor Freude. Von den Steinen der Mauern, die die Leute um ihre Häuser gebaut hatten, ließ die Königin zahlreiche Türme errichten, die weit hinaus ins Land schauten. Und drei Mal im Jahr gab es Wettbewerbe im »Glücksuchen«. Derjenige wurde Sieger, der die Ereignisse am besten auf ihre Glückstauglichkeit abwägen und in die Zukunft deuten konnte. Und alle achteten darauf, dass es ihnen gutging und ihnen nichts mehr über den Kopf wuchs.
Der König von Hohenberg aber schaute jeden Morgen und jeden Abend vom Turm hinab ins Tal und wusste sich keinen Rat. Sein Herz war ihm vor Sehnsucht schwer. Manchmal war er kurz davor, mit seinem Rappen hinunter zu seiner angetrauten Frau zu reiten und mit ihr Versöhnung zu feiern. Doch immer hielt ihn sein Stolz zurück.
Da bemerkte er eines Tages, dass unten auf dem höchsten Turm zwei Fahnen wehten: die von Hohenberg und die von Echsental. Eilig wies er seine Schneider an, auch Flaggen mit dem Wappen von Echsental zu fertigen, und wachte persönlich darüber, dass alle Welt sie sehen konnte.
Wie froh war Tara, als sie das Versöhnungszeichen ihres Mannes erkannte. Noch in der Nacht sattelte sie ihr Pferd und ritt im Morgengrauen los. Mit den ersten Sonnenstrahlen sah sie König Ottokar direkt auf sich zugaloppieren, sodass ihr Herz vor Glück hüpfte.