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Splitternackt lagen sie auf den gestärkten, weißen Bettlaken ihres neuen Quartiers. Über ihnen zogen die hölzernen Rotationsblätter des Ventilators unermüdlich ihr Kreise, um die feuchte Mittagshitze zu vertreiben. Leises Surren erfüllte den Raum. Obschon ihr neues Hotelzimmer auch über eine Klimaanlage verfügte, hatte Klara beim Eintritt darauf bestanden, diese durch den Ventilator zu ersetzen. Unmittelbar nachdem sie die Unterkunft bezogen hatten, hatten sie sich geliebt, stürmischer als seit langem. Jetzt lagen sie da auf dem Rücken, Arme und Beine weit von sich gestreckt, um die letzte Kühle der Bettlaken über die Haut aufzunehmen. Lass uns bitte wieder die Klimaanlage einschalten, bat Tobias mit geschlossenen Augen. Mir wäre es lieber, wenn nicht. Wir werden sonst erst recht unter der Hitze leiden, wenn wir gleich das Zimmer verlassen. Sie richtete sich in den gestärkten, weißen Kissen auf und sog begierig am Strohhalm des Willkommensdrinks. Kokosmilch mit Ananas und etwas Süßem, das sie nicht benennen konnte. Zufrieden seufzte sie. Der Empfang gefiel ihr, das Zimmer auch, das solide wirkende Mobiliar aus rotbraunem Holz und die dunkelblaue Polsterung der Couchgarnitur ließen sie an eine Schiffskajüte denken, wenngleich sie niemals zuvor in einem Passagierschiff gereist war. Alles war hier deutlich luxuriöser als in ihrem vorherigen Taucherhotel und hatte augenscheinlich nichts mit dem alltäglichen Leben der Mauritianer zu tun, das sie im Norden kennengelernt hatten. Mit Ausnahme des Hotelpersonals würden sie hier wohl auch kaum auf Einheimische treffen. Denn während der Norden der Insel um Port Louis urbanisiert war und Palmen, Akazien sowie die derzeit feuerrot blühenden Flamboyants die Straßen zierten, war der Küstenstreifen, je weiter sie von ihrem Shuttleservice in den Südwesten gebracht worden waren, von Zuckerrohrplantagen geprägt und nur dann und wann eine ärmliche Wellblechhütte zu sehen gewesen. Klara hatte sich ernsthaft gefragt, ob darin noch Menschen wohnten. Zu gegensätzlich waren ihr diese armseligen Behausungen zu den Wohnhäusern im Norden vorgekommen. Tobias hielt die Augen geschlossen, sein Gesicht wirkte entspannt auf dem schneeweißen Kopfkissen. An Wangen und Kinn waren erste Anzeichen von Bartwuchs erkennbar, das Rasieren hatte er heute erstmals ausfallen lassen. Ein leichtes knatterndes Geräusch ging von ihm aus, das mehr an das Schnurren einer Katze als an Schnarchen erinnerte. Wer ihn nicht kannte, mochte denken, er befände sich in einem tiefen Schlaf. Doch Klara wusste, sobald das leichte Schnurren einer ruhigen regelmäßigen Atmung gewichen war, war sein Sekundenschlaf schon wieder beendet. In dieser Form von Halbschlaf vermochte er Stunden an den Wochenenden zu verbringen und so seine Batterien nach einer strengen Woche aufzuladen. In ihren gemeinsamen Studienjahren hatte er noch nicht diese Angewohnheit besessen. Vielmehr hatte Klara ihn damals für seine Agilität und seine vielseitigen Interessen bewundert. Wahrlich war ihm das Studium in weiten Teilen leichter gefallen als ihr. Meist war er es gewesen, der die ehrgeizige Klara hinter ihren Büchern hervorgelockt hatte, sie noch Studentin im Grundstudium, teils verunsichert allen Anforderungen gerecht zu werden, er wenige Semester vor dem Abschluss, viel souveräner. Sie waren ins Theater oder Kino gegangen, sie hatte ihn und seine Bandkollegen bei ihren Gigs durch die Studentenszene begleitet. An den Wochenenden im Sommer hatten sie sich regelmäßig ein Segelboot geliehen, um auf der Alster, dem See inmitten von Hamburg, einen Törn zu machen. Segeln, das war Klaras Domäne, aufgewachsen nahe der Ostsee hatte sie es Tobias, aus Süddeutschland stammend, maßgeblich beigebracht. Nach seinem Berufseinstieg hatten dann die Aktivitäten abgenommen, zuerst die Musik und die langen Nächte, später vermehrt kulturelle Unternehmungen und das Segeln. Kaum verwunderlich, da sich alle gemeinsamen Aktivitäten und Verpflichtungen zwangsläufig auf die Wochenenden konzentrieren mussten. Zudem galt es für ihn den Schlafmangel der Woche aufzuholen. Meist, wenn Klara Samstags morgen nach dem Yogaunterricht gegen zwölf Uhr zu Hause eintraf, fand sie Tobias noch immer im Pyjama und mit zerknittertem Gesicht auf dem Sofa liegen. Dorthin hatte er sich nach der ersten Tasse morgendlichen Kaffees begeben. Es schien ihr als hätten ihn die Berufsjahre von sich selbst und ihr entfremdet. Wieder erfasste Klara die Sehnsucht, mit Tobias über diese Entfremdung und das zunehmend unerträglich werdende Gefühl, allein zu sein, zu reden, derweil ihr Blick durch das Hotelzimmer streifte. Nicht jetzt, obgleich sie sich eben so nahe gewesen waren, ermahnte sie ihre innere Stimme. Sie sollte ihm zunächst eine Verschnaufpause gönnen, er war doch eben erst dabei im Urlaub anzukommen. Tobias hatte noch mit verschlossenen Augen seine Hand auf die ihre gelegt. Hast du denn gar keinen Hunger?, fragte er schläfrig und öffnete langsam seine Augen. Ich könnte für meinen Teil jetzt sehr gut eine Kleinigkeit essen. Auch Klara verspürte Hunger, ihr einfaches Frühstück aus Marmeladentoast und Kaffee lag schließlich schon einige Stunden zurück. Fröhlich willigte sie ein, aufzubrechen.

Kurz darauf fanden sie sich im Hotelrestaurant in Strandlage wieder. Auf der Veranda saßen unter emsigen Ventilatoren Hotelgäste vor Longdrinks und Snacks. Obschon es später Nachmittag war und das inbegriffene Abendbuffet nicht mehr fern, bestellten sie Fisch und Wein. Plausch über ihre neue Unterkunft, dann über die Überfahrt vom Cap in den Süden, dann kam das Essen. Der Red Snapper, im Ganzen gegrillt, schmeckte ausgezeichnet. Den Chablis hielt Tobias für eine tolle Ergänzung, Klara befand ihn als zu intensiv zu dem Fisch. Ferner Gespräche über ihre neue Wohnung und die Einrichtung. Klara mochte fast alle ihrer Bilder nicht mehr leiden, diese Kunstdrucke waren eben nicht originell. Stattdessen hatte sie die Idee, auf Flohmärkten nach Gemaltem Ausschau zu halten, ihre beste Freundin Antonina hatte sie auf diese Idee gebracht. Tobias wiegte den Kopf. Ich weiß, du hältst große Stücke auf Antoninas Geschmack, aber ob so alte Schinken, wirklich zu unseren neuen Möbeln passen, die nun mal sehr modern sind? Ich bezweifele es. Ich fände schwarzweiß Fotographien besser. Erinnerst du dich an den Laden in der Schanze, wo wir neulich diese Fotos vom Hamburger Hafen gesehen haben? Die waren stark und da sie auflagenlimitiert sind, sind sie auch durchaus individuell. Also für meinen Geschmack sind diese Hafenaufnahmen zu sachlich, zu unterkühlt, ereiferte sich Klara. Die Kombination von Neuem mit Altem kann doch viel reizvoller sein, als diese Konformität aus Mobiliar und Wanddekoration! Tobias zeigte sich amüsiert über ihren Eifer. Offenbar, merkte er an, und Klara meinte einen Funken von Spott herauszuhören, waren Antoninas Flohmarktfunde extrem überzeugend. Ich hatte bisher nicht gewusst, dass du dich für gebrauchte Sachen interessierst. Geschmack ändert sich eben, Klara zuckte die Achseln und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie kamen dennoch überein, einige Kunst- und Flohmärkte in den anstehenden Frühlingsmonaten aufzusuchen, dann stießen sie an. Im Laufe des Abends wurde die Stimmung vergnügt, die Gespräche geradezu geistreich.

In den folgenden Tagen kamen sie noch des Öfteren auf die Wohnungseinrichtung zu sprechen. Ob Lampen, Spiegel oder Schuhablagen, es gab noch viele fehlende Details und es gab vor allem genügend Zeit, um insbesondere während der Mahlzeiten ausführlich darüber zu reden. Die Tage flossen gemächlich dahin. Wenn sie nicht im oder auf dem Wasser waren - der Korallengarten der Lagune bot auf engem Raum großen Artenreichtum, Segeln indes war langweilig, weil die Lagune einem Planschbecken glich, ihr Verlassen jedoch strengstens verboten war - hielten sie sich meistens vor ihrem Strandpavillon auf. Klara pflegte auf dem beigen Sofa auf der Veranda zu sitzen, oftmals in ihr dickes Buch vertieft. Tobias hatte es sich im Schatten der Sträucher und Palmen im Liegestuhl bequem gemacht. Die Rastlosigkeit der zurückliegenden Tage hatte ihn verlassen. Er begnügte sich mit einigen kurzen Checks der Emails über sein Smartphone, die mitgebrachte Biographie nahm er eher selten in die Hand. Stattdessen lag er stundenlang da, mit Blick in Richtung Meer und Horizont, gar dösend, schlafend. Was er wohl so dachte? Wenn Klara nicht las, fotografierte oder frühmorgens ihre Yogaübungen auf dem dichten, einem Teppich gleichenden Rasen vor ihrem Bungalow praktizierte, war sie mit ihren Gedanken meist in der Zukunft. Sie stellte sich vor, Tobias hatte seine Tätigkeit gewechselt. Er war schließlich schon sieben Jahre Unternehmensberater, die durchschnittliche Verweildauer der Angestellten deutlich kürzer, damit sein baldiger Ausstieg nichts Ungewöhnliches. Mit dieser Referenz würde es für ihn ein Leichtes sein, in einem renommierten Unternehmen eine gutbezahlte Position zu finden, womöglich sogar in Hamburg. Sie würden jeden Morgen gemeinsam aufstehen und frühstücken können, die Küche von Kaffeeduft und Radioklang erfüllt, Tobias hinter ausgespannter Zeitung, Klara beschäftigt mit Notizen für den Tag. An den Abenden hätten sie die Möglichkeit, etwas zusammen zu unternehmen, vielleicht Kino oder Theater, oder sie würden einfach nur den Abend auf der Couch bei einem Glas Wein ausklingen lassen. Nach wie vor könnten sie genügend Freiräume für sich haben. Klara würde weiterhin alleine zum Yoga gehen oder Freundinnen treffen, Tobias möglicherweise einen langen Abend im Büro einlegen oder sich ein Hobby suchen. Vorbei wäre wohl die Beklemmung, die sich stets am Sonntagabend bei ihr einstellte in Aussicht auf die anstehende Woche als Strohwitwe, vorbei womöglich auch ihre unterwöchige Rastlosigkeit, wenn sie alltäglich in die leere Wohnung zurückkehrte und nur auf den Widerhall ihrer eigenen Schritte traf. Doch war nicht Tobias gerade drauf und dran seine Karriere erfolgreich fortzusetzen und eine Abkehr des eingeschlagenen Weges unwahrscheinlicher denn je? Sie stellte sich vor, Tobias würde erfolgreich zum Partner gewählt werden. Partner, gewisse Bekannte würden ihm mehr denn je ihre Achtung zollen, manch einer mehr würde ihn beneiden. Dieser Aufstieg würde ihn noch stärker beruflich fordern. Auf seine Tagesordnung kämen Treffen der Partnerschaft, Kontaktpflege mit Wirtschaftsvertretern und Verbänden. Klara würde ihn vielleicht zu Abendveranstaltungen quer durch die Bundesrepublik begleiten. Bisweilen würde sie an den Unterhaltungsprogrammen für die fast ausnahmslos weiblichen Ehegatten teilnehmen müssen. Womöglich hätte sie Gelegenheit, neue, interessante Kontakte zu knüpfen, mit wichtigen Menschen. Wäre es nicht dann an der Zeit, eine Familie zu gründen? Tobias wünschte sich schon seit längerem ein Kind. Vermehrt hatte er in den letzten Monaten diesen Wunsch geäußert und sie hatte ihn dann stets auf später vertröstet, später dann, wenn die anhaltende Fernbeziehung endlich ein Ende hätte. Mit betretenem Schweigen hatten diese Gespräche geendet. Nun schien das Ende ihres bisherigen Lebensstils wieder in weite Ferne zu rücken. Wenn schon Tobias weiterhin auf Reisen sein würde, so wäre sie selbst zumindest nicht mehr so einsam mit einem Kind. Dumm nur, durchfuhr es Klara, dass sie, aus welchem Grund auch immer, gar keinen innigen Kinderwunsch in sich verspürte. Erneut horchte sie in sich hinein. Da war nicht dieses Entzücken für diese kleinen unbeholfenen Geschöpfe, nicht im Gedanken, nicht wenn sie Säuglinge oder Kleinkinder von Freunden auf den Arm nahm, nicht wenn sie mit ihnen spielte. Sie hatte nichts gegen Kinder. Sie verbrachte gerne einen Nachmittag spielend mit ihnen. Ungeachtet dessen war der Wunsch nach einem Kind nicht in ihr erwachsen. Es gab da doch noch so viele Dinge im Leben zu entdecken. Wahrlich konnte ein Kind auch nicht der Ausweg aus der Kälte des Alleinseins sein. Außerdem würde sie lediglich ihr Alleinsein gegen die Rolle einer meist alleinerziehenden Mutter eintauschen. Die Vorstellung, Kind und Beruf auf sich alleine gestellt in Einklang bringen zu müssen, löste Unbehagen in ihr aus, auch der Gedanke, ihre Selbständigkeit durch Aufgabe des Berufs zumindest temporär zu verlieren. Schlummernde Vorwürfe gegenüber Tobias erwachten zu neuem Leben. Sie verspürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge und schluckte. Er hatte doch nur seine Karriere im Kopf, er war viel traditioneller in seinen Familienvorstellungen als sie es für möglich gehalten hatte.

Eines Nachmittags, sie waren schon eine Weile schweigsam entlang des pudrig weißen Strandes spaziert, mit dem Ziel, die gesamte Länge der Halbinsel abzuwandern, fragte Klara geradezu beiläufig. Wie lange eigentlich willst du diesen Job noch machen? Ich bin eigentlich immer davon ausgegangen, fuhr sie fort, ohne ihren Blick von dem feinen, nass glänzenden Sand vor ihren Füßen abzuwenden, dass du diese anstrengende Tätigkeit nur wenige Jahre auf dich nehmen wirst, um damit eine gute Referenz und ein Karrieresprungbrett zu haben. Nun sind es bereits an die sieben Jahre. Einen Moment lang hielt sie inne. Da Tobias seinen Weg ungerührt fortsetzte, fuhr sie fort. Willst du denn nun, falls du Partner wirst, wirklich dort noch weiter bleiben? Oder wäre das nicht der richtige Zeitpunkt, sagen wir mal in einem Jahr, um etwas Neues anzugehen? Etwas, was möglicherweise auch mit weniger Reisetätigkeit verbunden ist? Nach dem Studium dachte ich auch, dass nach zwei, drei Jahren Schluss sein wird, lenkte Tobias ein, ohne sein Schritttempo zu ändern. Er ging dazu über in einem sachlichen Ton zu erläutern, wie gut ihm jedoch seine Tätigkeit gefalle, die permanenten Kontakte zu vielen hochrangigen Wirtschaftslenkern, die Chance, direkt an den obersten Beschlüssen mitzuwirken, ja diese geradezu fast selbst herbeizuführen, die Möglichkeit in den Entscheidungszentren unterschiedlicher Unternehmen und Branchen ein- und auszugehen. Welche Tätigkeit sollte ihm etwas Vergleichbares in seinem Alter bieten können? Kurzum, resümierte er, wobei er stehen blieb und Klaras Blick suchte, ich will weitermachen. Natürlich weiß man nie, wie lange es gut geht. Bekanntlich wird die Luft dünner nach oben und wenn etwas schief geht, kann das schnell das Aus bedeuten. Ich sehe aber derzeit wirklich keine Veranlassung, mich nach etwas Anderem umzusehen. Die Dinge laufen gut, sogar sehr gut, fügte er mit Genugtuung hinzu. Klara war neben ihm stehen geblieben und schwieg. Ihre Lippen hatten sich zu einem dünnen Strich geformt, ihre Stirn lag in Falten. Nun, ich weiß, räumte Tobias ein und legte Klara einen Arm auf die Schulter, du bist nicht besonders glücklich mit unseren Lebensumständen. Die letzten Wochen waren wohl besonders hart, mit dem Umzug und Wohnungseinrichtung, alles nebenbei und meist ohne mein Dazutun. Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber aus meiner Sicht sind wir ein ganzen Stück vorangekommen. Ja schon, pflichtete Klara ihm zaghaft bei und machte sich daran ohne Aufzublicken ihren Rossschwanz zu richten. Tobias zog seinen Arm zurück. Es war wirklich viel geschafft. Sie hatten jetzt eine komfortable und schöne Wohnung, auch die Lage war super, Cafes, Restaurants und Geschäfte alles fußläufig, bekräftigte sie. Ausgehen auf einen Sprung, kein Problem. Nichtsdestotrotz, ich würde mir wünschen, nicht immer die ganze Woche ohne dich verbringen zu müssen. Es wäre schön, wenn sich nicht immer unser gesamtes Leben auf das Wochenende konzentrieren müsste. Es geht ja nicht darum ständig etwas zu unternehmen, allein ein gemeinsamer Abend gemütlich auf der Couch wäre schön und das Gefühl nicht jeden Abend in eine leere Wohnung heim zu kehren. Es ist ja nicht so, dass ich mich langweile ohne dich. Klar, ich mache Sport, treffe Freunde und mache alle Besorgungen und den Haushalt, damit wir möglichst viel freie Zeit am Wochenende haben. Aber dir machen diese Dinge doch auch Spaß, wandte Tobias ein, sein Blick fragend auf sie gerichtet. Ja schon, entgegnete Klara, ihre Augen wanderten weg von ihm Richtung türkisblaues Meer. Wie sollte sie ihm nur ihre innere Unruhe verständlich machen, an der sie zunehmend litt, die sie quälende Rastlosigkeit, die mit den Jahren des Alleinseins gewachsen war und immer stärker an ihren Kräften zerrte. Hinzu kommt, fuhr sie fort und mied dabei weiterhin Blickkontakt, obschon man durch ihrer beider Sonnenbrillen nur begrenzt in den Augen des anderen lesen konnte, dass aus meiner Sicht die Wochenenden ziemlich eintönig geworden sind. Klar, du musst dein Schlafdefizit aus der Woche nachholen, aber ich würde gerne einmal wieder etwas anders unternehmen, als lediglich Spaziergänge und Fernsehabende. Klaralein, nun übertreibst du aber wirklich!, warf Tobias belustigt ein und schickte sie an aufzuzählen, was sie in letzter Zeit alles an den Wochenenden unternommen hätten. Klara erinnerte sich währenddessen an die Streitigkeiten, die mit diesen Unternehmungen einhergegangen waren. Tobias hatte ihr mehrfach verärgert vorgehalten, immer die Wochenenden zu verplanen und sie wiederholt gebeten, dies zukünftig nicht zu tun. Sie zwang sich ihren Blick vom Meer wieder auf Tobias zu richten, als sie mit leicht zittriger Stimme zugab, dass sie an der Richtigkeit ihrer gegenwärtigen Lebensweise immer mehr zweifelte. Ihre Beziehung litt ihrer Meinung nach, sie selbst fühlte sich müde, erschöpft, offenbar war sie für eine derartige Lebensführung nicht gemacht. Tobias zog Klara an sich. Klaralein, mir scheint, du machst dir einfach selbst zu viel Druck. Ich denke, du hast sehr hohe Ansprüche und Erwartungen in Bezug auf dich selbst und bist unglücklich, wenn nicht alle deine Planungen so aufgehen, wie du sie dir vorgestellt hast, raunte er ihr ins Ohr während der Umarmung. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Schulter, ihre Lippen zitterten. Es war schon etwas Wahres dran, an dem was Tobias sagte. Zugegebenermaßen maß sie sich stark an dem, was sie alles auf die Beine stellen konnte und war stets zufrieden, wenn bei der Rückkehr von Tobias die Wohnung geputzt, die lästigen Rechnungen beglichen, der Kühlschrank gefüllt und der Tisch mit Selbstgekochtem bestellt war. Resultierte ihre eigene Erschöpfung nicht zum gewissen Grade aus ihrem ungezügelten Perfektionsdrang, ihrem eigenen Unvermögen die Dinge einmal einfach sein zu lassen und sich dem Müßiggang hinzugeben? Warum etwa hatte sie sich immer noch keine Putzfrau, wie die meisten ihrer Freundinnen, gesucht, sondern machte noch alles selbst? Andererseits hatte Tobias sich gut damit arrangiert, dass sie das Ruder übernommen hatte. Wenngleich sie wenig Dank von ihm zu hören bekam, wurde er schnell missmutig und reizbar, wenn es am Wochenende doch noch etwas im Haushalt für ihn zu erledigen gab. Sie schluckte den Anflug von Ärger hinunter, der in ihr aufzukeimen drohte. Sie hatte sich vorgenommen, nicht denselben Fehler, wie in vorherigen Gesprächen zu begehen. Ein banaler Streit mit ihm über die alltäglichen Aufgabenverteilungen und die damit verbundene Diskussion, wem für was, welche Anerkennung gebührte, half nicht weiter. Nein, wichtig war für sie gewesen, zu erfahren, ob sie auf eine andere Form des Zusammenlebens in naher Zukunft hoffen durfte und ihre Zerrüttung mit den gegenwärtigen Umständen zum Ausdruck zu bringen. Tobias‘ Bekräftigung, an seinem Beruf festzuhalten, war an sich keine Überraschung für sie, bloß Gewissheit. In früheren Gesprächen, als der nächste Karriereschritt noch ungefähr schien, hatte er sich vager geäußert, wie es für ihn weitergehen sollte. Nun hatten seine klaren Worte alle leisen Hoffnungen in ihr endgültig begraben. Ihre eigene Unruhe, ihren eigenen Perfektionsdrang, ihre eigene Furcht, nicht zu genügen musste sie selbst in den Griff bekommen. Eine Änderung der äußeren Umstände, die ihr dabei hätte helfen könnte, war in ihrer Beziehung nicht in Sicht. Da ist schon was Wahres dran, seufzte Klara halblaut und löste sich aus seiner Umarmung. Ich sollte wohl mal versuchen, die Dinge etwas weniger ernst zu nehmen. Sie setzten ihren Spaziergang am besonnten Strand fort. Die Lagune glich einem ruhigen Badesee, in der Ferne ließ sich anhand kleiner Schaumkronen das schützende Riff erahnen. Schneeweiße Möwen zogen ihre Kreise am knallblauen Himmel, stürzten herab, hielten sich in der Schwebe. Eigentlich sind die Umstände nicht verkehrt, um jetzt Nachwuchs zu bekommen, regte Tobias nach einem Stück des Weges an. Ich weiß, du verspürst keine große Sehnsucht nach einem Kind und siehst es als Bedingung an, dass ich nicht mehr ständig auf Reisen bin, fuhr er eilig fort, als ob er sogleich Widerworte fürchtete, aber selbst wenn dieser Umstand in nächster Zeit sich nicht einstellen wird, reicht mein zukünftiges Gehalt locker aus, um ein Au Pair Mädchen für die Kinderbetreuung zu bezahlen, falls du wirklich nicht zeitweilig beruflich aussetzen möchtest. In der neuen Wohnung haben wir zudem genügend Platz für ein Kind und ein Au Pair. Verblüfft blieb Klara stehen. Meinst du wirklich? Selbst hatte sie diese Idee nie gehabt. Ja, warum denn nicht?, erwiderte Tobias, ein kühnes Lächeln huschte über seinen Mund. Über diese Option habe ich nie nachgedacht. Ihre Gesichtszüge entspannten sich. Eine Weile spazierten sie schweigsam, ein jeder hing wohl seinen Gedanken nach. Mit einem Male bließ ihnen ein warmer Wind entgegen. Mit der letzten sanften Kurve schritten sie nun auf den äußersten südlichen Teil der Halbinsel zu. Hier, von keinem schützenden Riff gebremst und vom ungehemmt hereinblasenden Wind getrieben, rollten mannshohe Wellen donnernd an den Strand. Weißer Schaum bedeckte das Strandufer. Wie Milchschaum auf Cappuccino dachte Klara. Surfer, auf bloßen Brettern oder mit ihren Kitesets stürzten sich unentwegt in die hoch auftürmenden Wogen. Klaras brauner Pferdeschwanz flatterte gleich einer Fahne im warmen Wind. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt tief in den Taschen ihrer beigen Shorts vergraben. Weißhäutige Jungs, tiefgebräunt, in halblangen Boxershorts tanzten halsbrecherisch auf den Wellen. Gerade die Kitesurfer ließen sich mittels ihrer sichelartigen Schirme weit auf das offene Meer hinaustragen. An einem unsichtbaren Punkt in der Ferne setzten sie mit waghalsigen Sprüngen zur Wende an. Vielleicht, dachte Klara, sollte sie es mehr diesen Surfern gleichtun, die Dinge, wie den Wind, nehmen, so wie sie kamen, sich von ihnen treiben lassen, ohne dabei die Richtung und die Kontrolle vollständig zu verlieren. Ein Kind und ein Au Pair, wieso hatte sie selbst noch nie an diese Möglichkeit gedacht? Stand sie sich einfach nur selbst im Wege? Vielleicht waren die Dinge wirklich einfacher, als sie glaubte. Tobias Idee war erfrischend. Heitere Ruhe machte sich in ihr breit, während vor ihrem geistigen Auge ein Bild von dieser neuen Konstellation entstand und ihre Überlegungen über die Surfer ablöste. Was denkst du?, hörte sie Tobias nach unbestimmter Weile mit lauter, gegen das Meerestosen und den Wind ankämpfender Stimme fragen. Ach, ich habe über deine Idee mit dem Au Pair nachgedacht, vielleicht ist das wirklich ein gangbarer Weg!, rief sie zurück durch den heulenden Wind.


Eine Herzenssache

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