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Die Wanderung im Black River George Nationalpark am nächsten Tag bot Klara eingehend Gelegenheit, über Tobias‘ Vorschlag nachzudenken. Nach mehrfachem Drängen hatte Tobias diesem Ausflug zugestimmt, nicht ohne Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Wanderung unter tropischen Bedingungen zu äußern. Bewegung im oder auf dem Wasser, wie das Tauchen im Norden der Insel oder ihr kürzlich zurückliegender Ausflug zum Tiefseefischen, ja. Aber wozu diese körperliche Plackerei im feuchten Dschungeldickicht? Sie müssten doch noch etwas anderes sehen, als nur die Küste, hatte Klara eingewandt. Zudem hatte er ihr diesen Ausflug versprochen. Sie las ihm diverse Internetkommentare zum Nationalpark vor bis er schließlich nachgab, allerdings unter der Bedingung, mit dieser Wanderung wären die Ausflüge auf der Insel für diesen Urlaub auch getan. Obgleich Klara gerne weitere Entdeckungsfahrten unternommen hätte, stimmte sie zu. Immerhin waren sie sich darin einig, in ihren letzten Tagen noch einen Tauchgang oder ein weiteren Ausflug zum Tiefseefischen unternehmen zu wollen. Im Nationalpark dann, verschwenderische Natur überall, Akazien, Palmen, Guaven, Waldbeersträucher. Sie wanderten unter grünem Himmel auf gewundenen Waldwegen, umgeben von Dickicht. Der Schweiß rann, jeder Schritt war anstrengend, folglich ihr Fortschreiten meist vom Schweigen geprägt. Wenngleich Klara eigentlich aufmerksam der fremdartigen Umgebung gegenüber sein wollte, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu der am Vortag von Tobias geäußerten Anregung zurück. Sie malte sich aus, wie ihr gemeinsamer Alltag in der Konstellation Au Pair, Kind und ihr aussehen könnte. Ihr Kind, sie konnte es sich besser als ein Mädchen vorstellen, wenn auch sie aus ihrer eigenen Kindheit wusste, wie spannungsreich eine Mutter Tochter Beziehung sein konnte. Sie würde da Mädchen vielleicht Anna nennen. Diesen Namen, den man von vorne und von rückwärts lesen konnte, hätte sie selbst gerne gehabt. Möglicherweise würde die kleine Anna ein bisschen Laura ähneln, der nunmehr sechsjährigen Tochter ihrer Freundin Katrin. Laura, ein aufgewecktes, unkompliziertes Mädchen. Sie und Laura hatten schon viele Male gemeinsam gemalt, auch sonst verstand sie sich gut mit dem Kind. Und das Au Pair Mädchen? Es sollte möglichst aus Lateinamerika kommen, befand Klara. Sie reizte die Vorstellung, Anna würde von Kindesbeinen an mit Spanisch aufwachsen. Allmählich entstand ein Bild in ihren Gedanken, wie ihr Alltag mit Kind und Au Pair aussehen könnte. In den Morgenstunden würde Klara das Wickeln übernehmen, doch sie wäre befreit von dem Zeitdruck mit dem Kind rechtzeitig das Haus in Richtung Kita und Arbeitsstätte zu verlassen. In den Abendstunden wiederum, wäre es nicht notwendigerweise geboten, punktgenau aus dem Büro zu kommen und die Einkäufe auf das Wochenende zu vertagen. Gewiss, auch das Au Pair würde seine freien Abende und Wochenenden haben, doch Klara würde genügend Möglichkeit bleiben, Besorgungen zu machen, Sport zu treiben oder ab und an Freunde zu treffen. Unbedingt musste sie sich nach ihrer Rückkehr näher informieren, wie sie an ein Au Pair kommen konnten, dachte sie versonnen, als sich ihnen an einem steilen Felsabsturz ein freier Blick über die grasgrünen Bergketten des Dschungels mit dem dahinterliegenden blassblauen Ozean bot. Klara keuchte, außer Atem von dem allmählichen Aufstieg in feuchter Hitze. In diesem Klima war sie wahrlich nicht sonderlich belastbar, befand sie, obgleich es mittlerweile besser ging als an den ersten Urlaubstagen. T-Shirt und Shorts klebten an ihr. Die Luft stand, Dunst stieg über den Hügelketten empor, Affengeschrei aus der Ferne erfüllte die Stille. Ein Schauer, wäre jetzt nicht schlecht, bemerkte Tobias lakonisch. Er fuhr sich durch sein nasses, aschgraues Haar und musterte den Himmel. Kaum ein Wölkchen war zu entdecken. Mir scheint, wir haben den Aufstieg hinter uns. Nun müsste uns der Weg in das Flusstal führen, entgegnete Klara tröstend nach kurzem Blick auf den Zettel mit der Routenbeschreibung, den man ihr an der Hotelrezeption in die Hand gedrückt hatte. Tatsächlich stiegen sie fortan gemächlich bergab. Auf einmal lachte Klara laut auf. Ihre chaotischen Wanderungen in Wales und Schottland zu Studentenzeiten waren ihr in den Sinn gekommen. Weißt du noch, wie wir den Ben Nevis damals im knietiefen Schnee mit Sportschuhen und Plastiktüten um die Socken rum bestiegen haben? Tobias grinste. Dann Gespräche über ihre Wandertouren in Schottland und Wales, ihr Austauschjahr in Großbritannien im Allgemeinen. Es hatte ihnen beiden ganz neue Horizonte eröffnet. Insbesondere der Kontakt zu Menschen aus so vielen unterschiedlichen Ländern war eine Erfahrung, die sie weder als Studenten in Hamburg noch als Kinder aus der Provinz bis zu jenem Zeitpunkt gemacht hatten. Weder in der Kleinstadt, aus der Tobias in der Nähe von Stuttgart kam, noch in den nähergelegenen Städtchen, die Klara als Teenager nahe der dänischen Grenze aufsuchen konnte, war ungeachtet der dort mittlerweile ansässig gewordenen Gastfamilien etwas von Multi-Kulti zu spüren gewesen. Geradezu grotesk erschien ihnen ihr Kindheitsumfeld im Rückblick, war nunmehr ihr Berufsalltag maßgeblich durch Kontakte zu ausländischen Kollegen geprägt. Ihr Lachen gesellte sich zum Kreischen der irgendwo im Dschungel kletternden Affen.

Wenige Tage später am Frühstückstisch bei Rührei, Buttertoast und starkem Kaffee blickte Tobias auf ihre Wanderung im Nationalpark zurück. Obgleich wegen der Hitze beschwerlich, hatte es ihm die Landschaft angetan, beeindruckend die von tiefroten oder ockerfarbenen Felsen steil herabstürzenden Wasserfälle, toll ihr Erlebnis am Ende der Wanderung mit einem Affenrudel. Teils fußläufig, teils durch die Äste des grünen Blätterdaches schwingend hatte es kreischend ihren Weg gekreuzt. Klara lächelte, auch sie hatte den Ausflug genossen, sowohl das Erlebte als auch die zwischen ihnen herrschende Harmonie hafteten ihr rosig im Gedächtnis. Befeuert wurde ihr morgendlicher Frohsinn durch die Gegebenheit, dass ihre Monatsblutung nun schon den vierten Tag in Folge überfällig war. Der Zusammenfall dieses bislang nie dagewesenen Umstandes mit Tobias‘ Vorschlag nur wenige Tage zuvor erschien ein Wink des Schicksals. Die Erinnerung an die Kitesurfer, wie sie sich unvermittelt in die tosenden Wellen gestürzt und vom Wind hatten forttragen lassen, blitzte in ihr auf, bevor sie Tobias die Umstände wissen ließ. Es sind bisher nur vier Tage, fügte sie etwas verlegen hinzu, während sie ein Toastbrot schmierte, aber ich würde doch gerne einen Schwangerschaftstest machen. Sie hatte mit der letzten Monatsblutung das Pillenpräparat gewechselt, nun war sie verunsichert, ob dieses nicht gewirkt oder ihr Körper die Umstellung einfach nicht vertragen hatte.

Kurzerhand brachen sie in das nächstgelegene Städtchen Curepipe per Taxi auf. Ein offener Markt, einige Kirchen, wenige, im europäischen Stil geführte Geschäfte, darunter auch die sehnlichst herbei gewünschte Apotheke. Alles im Allem kam Curepipe verschlafen und wenig exotisch daher. Klara mochte allenfalls die zahlreichen weißen Kolonialhäuser mit ihren unterschiedlich farbigen Dächern und Fensterläden, die sie bei ihrem Rundgang durch die Außenbezirke entdeckten. Dann jedoch der inmitten von Curepipe gelegene Vulkan Trou aux Cerf. Sie ließen sich von ihrem Fahrer nach oben zum erloschenen Vulkankrater bringen, um zu Fuß den Krater zu umrunden. Schwarzblau funkelte der kleine See im Inneren des Kraters, er erinnerte an einen heimatlichen Waldsee so umgeben von grasgrünem Dickicht. Die klare Luft erlaubte einen ungehinderten Ausblick über die Bergzüge und Zuckerrohrfelder im Zentrum der Insel. Auf halben Wege zeigte Tobias zum Horizont. Guck mal Klara, da kann man die Berge der Nachbarinsel sehen. Das ist doch Réunion, nicht? Klara trat an seine Seite und legte ihre rechte Hand über ihre dunkle Sonnenbrille. Gebannt schaute sie in dieselbe Richtung. Ja, ich denke schon, schön nicht? Plötzlich ergriff sie seine Hand und drückte sie innig. Tobias wandte sich ihr zu und antwortete mit einem langen Kuss.

Der Schwangerschaftstest war negativ, doch weil es lediglich noch zwei Tage bis zur Abreise waren, hatte Klara beschlossen auf einen Anruf ihrer Frauenärztin zu verzichten. Gleich nach ihrer Rückkehr würde sie sie aufsuchen. Wahrscheinlich war ihr Körper mit der Umstellung der Medikation irgendwie nicht klar gekommen, fernmündliche Konsultation zwecklos. Ein Zusammenfallen einer Schwangerschaft mit den aufkeimenden Ideen zur Familiengründung, wäre in der Tat ein sehr ungewöhnlicher Zufall gewesen. Leicht enttäuscht nahm Tobias das Testergebnis auf. Schade, das hätte gut gepasst, war seine knappe Anmerkung sobald Klara aus dem Badezimmer getreten war und ihn das Ergebnis wissen lassen hatte. Klara setzte sich auf die Bettkante neben ihn, der im Liegen ruhte. Achselzuckend äußerte sie Mutmaßungen über die Gründe des Ausbleibens und ihren Vorsatz, gleich in der kommenden Woche, ihre Ärztin aufzusuchen. Dann schickte sie sich an, zum ersten Mal seit jener Unterhaltung am Strand, in der Tobias den Vorschlag mit dem Au Pair Mädchen unterbreitet hatte, kundzutun, dass sie gewisses Zutrauen in seine Idee gefasst hätte. Nach ihrer Rückkehr würde sie die Bedingungen für den Erhalt eines Au Pair Mädchens in Erfahrung bringen. Tobias richtete sich mittels zweier Kissen im Bett auf, seine Augen bekamen einen lebhaften Ausdruck. Klaras Vorstellungen, wie das Zusammenleben in der Konstellation mit einem Au Pair aussehen könnte, sprudelten aus ihr heraus. Tobias hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen. Natürlich, meinte sie schließlich zögerlich, da, obgleich Tobias Zustimmung zeigte, er bislang verschwiegen hatte, wie er seine Rolle sah, würde ich gerne wissen, wie du glaubst, Job und Vaterschaft unter einen Hut zu bringen. Nun es freut mich, zu hören, wie du dich mit meinem Vorschlag auseinander gesetzt hast, setzte er an, während er nach seiner Brille am Nachttisch griff, um die Gläser zu putzen. Ich denke, wir sollten realistisch bleiben. Unter der Woche werde ich weiterhin auf Reisen sein, damit wird mein Beitrag begrenzt ausfallen. Ich könnte in jedem Fall versuchen, an den Freitagen vom Hamburger Büro oder gar von zu Hause aus zu arbeiten. Das wird sicherlich nicht durchwegs klappen, aber ein oder zweimal im Monat schon. Kurz blickte Tobias von seiner Brille zu Klara auf. Mit Hilfe eines Au Pair Mädchens sollte allerdings für die unterwöchige Betreuung ausreichend gesorgt sein und du selbst hättest immer noch genügend Freiraum. An den Wochenenden will ich mich natürlich um das Kind kümmern. Außerdem würde ich versuchen, eine mehrwöchige Auszeit nach der Geburt zu nehmen. Das fände ich gut, bekräftigte Klara nickend. Vielleicht direkt nach der Geburt für ein paar Wochen und dann später.. dachte sie laut. Wann genau, ob direkt nach der Geburt oder wenige Monate danach, das wird sich aus der Auftragslage ergeben, unterbrach er sie. Meines Wissens war eine Auszeit aber bei keinem meiner Kollegen ein Problem. Klara nickte stumm, sie hatte nichts hinzuzufügen. Tobias hatte seine Vorstellung von der Aufgabenteilung im Falle eines Kindes präzise umrissen. Wie zu vermuten gewesen war, war seine Denke recht traditionell, konstatierte sie kühl. Das Kind war dem gemäß unter der Woche ihre Verantwortung, am Wochenende ihre gemeinsame. Eigentlich hatte sie so eine Form von Familienleben nie leben wollen. Wenngleich sie sich nie nähere Gedanken darüber gemacht hatte, wie ein Leben mit Kind genau aussehen könnte, schließlich war sie noch so jung, so hatte sie Tobias immer wieder zu verstehen gegeben, dass ein Kind nicht in Frage käme, solange er die ganze Woche geschäftlich unterwegs wäre. Andererseits war Tobias’ Argument nicht von der Hand zu weisen, der Zeitpunkt für eine Familiengründung war gerade günstig. Sie hatten nun ausreichend Platz, Geld und obendrein würde sie mit Hilfe eines Au Pair Mädchens genügend Freiräume besitzen. Unvermittelt klatschte sie auf ihre Oberschenkel, um die in ihr dennoch aufkeimenden Zweifel über den vor ihnen liegenden Weg zu vertreiben, und schlug einen Strandspaziergang vor.

Am kommenden Morgen erwachte sie mit heftigen Kopfschmerzen. Es konnte eigentlich nicht an dem einen Glas Wein vom Abend zuvor liegen, wunderte sie sich, während sie sich im Bett wälzte. Tobias betrat frisch geduscht, in grünen Shorts mit noch nacktem, mittlerweile kräftig gebräuntem Oberkörper das Schlafzimmer. Los, Schlafmütze, wenn wir heute tauchen gehen wollen, ist es höchste Zeit aufzustehen. Heiterkeit schwang in seiner Stimme mit, energisch fuhr er sich mit dem Handtuch zum Trocknen durchs Haar. Klara setzte sich stöhnend auf. Nicht nur den Kopf, auch alle Gliedmaßen spürte sie nun. Irgendwie fühle ich mich heute wie gerädert, murmelte sie. Vielleicht habe ich mir einen Infekt eingefangen. Jetzt gehe erst mal duschen, vielleicht geht es dann besser, schlug Tobias aufmunternd vor und öffnete den Kleiderschrank. Die lauwarme Dusche änderte nichts an Klaras Verfassung. Lustlos blickte sie auch auf ihr morgendliches Rührei auf der Hotelveranda und entschloss sich, lediglich mit einer Scheibe Buttertoast und etwas Tee vorlieb zu nehmen. Meinst du, du kannst überhaupt tauchen gehen?, fragte Tobias sie aufmerksam musternd, nachdem er nahezu sein ganzes Rührei verschlungen hatte. Klara rang mit sich, schließlich war es ihr vorletzter Tag und sie waren extra früh aufgestanden. Es würde keine weitere Gelegenheit zum Tauchen vor ihrer Abreise geben. Der Tauchgang sollte zu einem Schiffswrack führen, mit Muränen und Riffhaien war zu rechnen. Aber in dieser Verfassung, Klara zweifelte. Schließlich war es auch peinlich nach Hause zurück zu kehren, um sich dann sofort krank zu melden. So ein Mist, durchfuhr es sie. Verärgert wischte sie sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Rossschwanz gelöst hatte, aus dem Gesicht. Nein, ich glaube, es ist wohl vernünftiger, wenn ich mich auf unsere Pavillon Veranda lege, um mich auszuruhen. Bestimmt ist dann morgen wieder alles gut, entgegnete sie zerknirscht, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie sehr sie sich mit dieser Vermutung irren würde.

Eine Herzenssache

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