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Eine dunkle Stimme sagte Atmen Sie ruhiger, mein Kind. Ein hochgewachsener Mann im weißen Kittel, mit rosigem Gesicht, brauner Nickelbrille, stand vor Klaras Bett in einem weißen Zimmer. Wir werden ihnen gleich eine Tauchausrüstung anlegen, fuhr er im ruhigem Ton freundlich lächelnd fort. So können sie das ruhige Atmen besser üben. Ruhiges, gleichmäßiges Atmen, ging es Klara durch den Kopf, das fiel ihr beim Tauchen gerade zu Beginn immer schwer. Neben dem hochgewachsenen Mann tauchte eine zierliche Frau auf, ebenfalls in Weiß, mit kurzem, wasserstoffblondem Haar. Bepackt war sie mit einer bronzefarbenen Helmtauchausrüstung, Klara meinte diese Ausrüstung aus Jule Vernes Erzählungen zu kennen. So ein altes Ding, entrüstete sie sich innerlich. Das sollte sie anlegen? Obschon sie die Lippen zum Protest formte, brachte sie keinen Laut hervor. So, mein liebes Kind, die wird ihnen Schwester Kristin nun gleich anlegen. Und dann üben Sie bitte das ruhige Atmen weiter, fuhr der Mann mit der Nickelbrille milde fort. Sie versauen ja den ganzen Schnitt des Zimmers, wenn sie in einer Tour so schnell weiter hecheln! Lautes Lachen ging von ihm aus, dann schritt er eilig von dannen. Klara drehte den Kopf, schwerfällig, die Umrisse des Mannes verschwammen rasch. Die blonde, zierliche Frau machte sich nun ans Werk, ihr die behäbige Tauchausrüstung in der liegenden Position anzulegen. Wie lange das doch dauerte und wie beschwerlich es doch war. Seltsamerweise blieb ihr Mund erneut stumm, als sie ihre Klagen offenbaren wollte. Während Kristin Klaras Arme und Beine ungelenk in die stählerne Ausrüstung zu bugsieren suchte, entdeckte diese weitere Personen im Raum. Schemenhaft erkannte sie unweit ihres Bettes einen mageren Jungen, halbnackt in einer Zinkbadewanne sitzen, der sich unablässig mit einer Stahlbürste die Füße schrubbte. Die Bürste zischte wie ein Bügeleisen im Dampfbetrieb, seine Fußsohlen glühten feuerrot. Im weißen Bett ihr schräg gegenüber lag eine voluminöse Frau. Aufrecht auf unzähligen weißen Kissen gebettet, jammerte sie nun laut. Komisch sah sie aus in ihrem bonbonrosa Rüschennachthemd, an dessen Spitze ihr monströser, krebsroter Kopf, umgeben von senffarbigem Haar, thronte. Klara blinzelte. Der senffarbige Dutt war gar nicht aus Haar, vielmehr erkannte Klara darin eine dicke Katze, die gleich einem Hut auf dem Kopf der Frau saß. Plötzlich überkam Klara Traurigkeit, denn weder der Junge noch die Frau mussten offenbar wie sie Tauchen gehen.

Sie musste nach dem Tauchgang erneut eingeschlafen sein. Wie lange sie geschlafen hatte, vermochte Klara nach dem Erwachen nicht zu sagen. Sie kämpfte damit, die Augen dauerhaft offen zu halten. Träge durchstreifte ihr Blick den weißen Raum. Verschwunden war der Junge mit den glutroten Fußsohlen sowie die Frau mit der Grinsekatze auf dem Kopf, auch die elfenartige Kristin war nicht zu sehen. Stattdessen stand da eine mittelgroße, drahtige Frau, nicht weit von ihr. Immer noch lag sie in dem weißen Bett, wenn auch nunmehr ohne Taucherausrüstung. Die Frau, sie hatte ein ovalförmiges Gesicht wie das ihre, eine spitze, feine Nase, schmale Lippen. Klaras Blick blieb an ihr hängen. Ganz allmählich erkannte sie ihre Mutter. Hallo Liebes, sanftes Lächeln näherte sich ihrem Gesicht, eine behutsame Berührung war auf einem Arm zu spüren. Klara setzte zum Sprechen an. Wie zuletzt formte ihr Mund nur lautlose Worte. Sie erschrak. Versuche nicht zu sprechen, sagte ihre Mutter rasch. Du wirst derzeit beatmet und kannst deshalb nicht sprechen, erklärte ihre Mutter. Das vertraute Flaschengrün der mütterlichen Augen, die den ihren glichen, kam näher und wirkte beruhigend. Klara verstand nicht. Wo waren der weißhaarige Mann, die blonde Frau, die Zimmernachbarn? Wieso konnte sie nicht sprechen? Immerhin schien sie nun ruhig genug zu atmen und musste keine weiteren Atemübungen in der Taucherausrüstung vollziehen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, wie von unsichtbarer Hand geleitet. Da bemerkte sie nach und nach die Kanülen an ihren Armen, die Kabel, sie schienen überall, zudem irgendein Apparat links von ihrem Bett, der leise dröhnte. Schummrig wurde es ihr, sie wandte den Kopf von ihrer Mutter ab. Diese begann ruhig auf sie einzureden. Langsam und wiederkehrend erklärte sie Klara, dass diese seit einigen Tagen im Krankenhaus lege, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gebe, dass alles wieder gut werden würde. Sie wäre sehr tapfer gewesen. Wieso tapfer, wieso auf Mauritius im Krankenhaus, dachte Klara verstört. Dann wurde die Tür geöffnet, der weißhaarige Mann mit der Brille und Tobias betraten das Zimmer. Tobias guckte so komisch. Nun sind sie endlich aufgewacht!, stellte der Mann mit weißem Haar und weißem Kittel am Fußende ihres Betts mit lebhafter Stimme fest. Seine wasserblauen Augen im rundlichen Gesicht schienen sie eingehend zu betrachten. Ohne eine Antwort ihrerseits zu erwarten, sprach er Ähnliches, wie ihre Mutter soeben. Sie solle sich keine Sorgen machen, Vieles hätte sie schon überstanden, alle wären froh, sie endlich im erwachten Zustand anzutreffen. Dabei lächelten alle drei einhellig, der Mann, Tobias und ihre Mutter und nickten immerzu. Klara wurde misstrauisch. Unterdessen trat eine Frau, ebenfalls im weißen Kittel an ihr Bett. Ihr schwarzes, in einer Hochsteckfrisur gefasstes Haar bildete einen starken Kontrast zu Schwester Kristins Elfenblond. Sie hielt einen Klemmblock und einen Kugelschreiber in den Händen. Da sie vorerst, wegen der künstlichen Beatmung nicht sprechen können, erklärte der weißhaarige Mann, der offenbar, wie Klara nun allmählich begriff, ein Arzt sein musste, können Sie mit uns schreibend kommunizieren. Schwester Christiane hat Ihnen etwas zum Schreiben mitgebracht. Bereitwillig ergriff Klara Block und Stift. Zu ihrer Überraschung vermochte jedoch ihre Hand nicht ihrem Willen zu folgen. Jeder Versuch, ein Wort auf das Papier zu bringen, endete in unleserlichem Gekritzel. Klara erfasste ein dunkles Angstgefühl. Das ist überhaupt nicht schlimm, beruhigte sie der weißhaarige Mann mit der Nickelbrille nach einer Reihe vergeblicher Versuche. Sie sind nach dem mehrtägigen Schlafen noch ziemlich durcheinander. Das ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Es wird sich in den nächsten Tagen bessern, probieren Sie es einfach morgen von Neuem mit dem Schreiben.

Es bedurfte noch mehrerer Tage bis Klara in der Lage war zu erfassen, wo sie sich befand und was vorgefallen war. Obgleich sie nach dem Erwachen verstanden hatte, in einem Krankenhaus zu sein, lebte sie zunächst in der Vorstellung, sich weiterhin auf Mauritius zu befinden und wunderte sich über die Anwesenheit ihrer Eltern. Erst als sie mit den Tagen ihre Fähigkeit zu Schreiben wiedererlangte und den Satz „Wo sind wir?“ auf Papier brachte, klärte sie Tobias darüber auf, in Hamburg im Krankenhaus zu liegen. Auf ihre anschließend aufgeschriebene Frage, was denn geschehen sei, umfasste Tobias behutsam ihre schlanken, blassen Hände. Du erinnerst dich doch noch, dass du sowohl am Ende unseres Urlaubs als auch bei unserer Rückkehr an Kopf- und Gliederschmerzen gelitten hast, oder? Er wartete ihr schwaches Kopfnicken ab, bevor er fortfuhr. Vielleicht weißt du auch noch, dass diese Schmerzen mit den Tagen unerträglich stark wurden und ich deshalb in den Abendstunden des Ostersonntag schließlich den Notarzt gerufen habe. Erneut nickte Klara schwach. Sie entsann sich wieder. Nach ihrer Rückkehr aus Mauritius hatten zunächst die Gliederschmerzen aufgehört und sie war zwei Tage lang ins Büro gegangen, dann hatten sie erneut Kopf- und Gliederschmerzen geplagt und die üblichen Hausmittelchen und fiebersenkenden Medikamente wollten nicht in gewohnter Weise anschlagen. Ihr fiel wieder ein, wie appetitlos und matt sie sich an jenem Ostersonntag gefühlt hatte, als Tobias schließlich das Osterhuhn angerichtet hatte. Sie hatte mit sich kämpfen müssen, überhaupt einige Bissen davon zu sich zu nehmen. Am Abend war auf ihre Bitte hin der Notarzt gekommen, um ihr Schmerzmittel zu verabreichen. Mit plötzlich zittriger Stimme erzählte Tobias, wie Klara in jener Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag trotz der Schmerzmittel beim Toilettengang zusammengebrochen wäre und wie sie nach seinem Notruf als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert worden wäre. Die Ärzte wären zunächst von einer Tropenerkrankung ausgegangen, da Urlaub auf Mauritius. Doch dann wäre da ein Arzt mit mobilen Ultraschallgerät erschienen, alarmiert hätte er eine nur noch schwache Herzleistung diagnostiziert. Daraufhin überschlugen sich die Ereignisse, Tobias schluckte, seine Augen flackerten, wirsch fuhr er sich mit einer Hand durch sein Haar, behutsam drückte er mit der anderen Klaras Hände. Man hätte sie, fuhr er stockend fort, sogleich in die kardiologische Abteilung eingewiesen, ferner kurz darauf in den OP unter Reanimationsbedingungen gebracht. Als Tobias sie auf der Intensivstation wiedersah, befand sie sich im Schlafkoma. Man hatte kurzerhand in der Operation an ihr Herz eine Apparatur angebracht, die die Pumpfunktion des Herzens vorerst übernehmen sollte, wie ihm die Ärzte erklärt hatten. Dieser Apparat, ein sogenanntes Kunstherz, und Tobias nickte in Richtung der Maschine, die Klara seit ihrem Erwachen im leisen Dauerdröhnen Gesellschaft leistete, übernahm also derzeit Klaras Herzfunktion und gab ihrem eigenen Herzen die Möglichkeit, sich zu erholen. Empfindungslos betrachtete Klara die Apparatur. Später würde sie selbst über ihre Gefasstheit staunen, mit der sie Tobias‘ Ausführungen aufgenommen hatte. Im Nachhinein würde sie sich auch darüber wundern, wie wenig sie die in jenen Tagen mittels des weißhaarigen Arztes gewonnene Erkenntnis, ein neues Herz zu benötigen, falls sich das ihre nicht mehr erholen würde, geängstigt hatte. Wahrscheinlich war ihre unerklärliche Unerschrockenheit an den opiathaltigen Medikamenten gelegen, die ihr damals verabreicht worden waren, würde sie nachträglich mutmaßen. Offenbar hatten diese sie nicht nur tagelang in ein Kunstkoma versetzt, allem Anschein nach hatten sie Klara diese lebensbedrohliche Situation wie durch eine Glasscheibe gedämpft wahrnehmen lassen und sie vor Panikausbrüchen bewahrt.

Eine Herzenssache

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