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Im „Country“

Heute fahren wir ins „Country“!

Vor einigen Wochen erfuhren wir, dass es in der Grafschaft Bentheim ein sehr ansprechendes Tanzlokal gibt. Das sei auf Frauen und Männer jenseits der 50 zugeschnitten und man könne dort wunderbar Discofox tanzen. Am Donnerstag sei im Lokal der Bär los, weil für jeden Tanz Damenwahl angesagt sei.

Lisa und ich wurden natürlich neugierig und nahmen uns fest vor, das gepriesene Tanzlokal aufzusuchen. Erstklassig gestylt und gekonnt gekleidet machten wir uns auf den Weg. Laut Navi lag Bad Bentheim knappe 100 Kilometer entfernt. Meine Freundin war am Steuer und wir, supergut gelaunt, legten schon mal eine Schlager-CD ein. Zur Einstimmung.

Ich mag diese Fahrten zum Tanzen. Wenn Lisa und ich, wie zwei Teenager mit Vorfreude erfüllt, ins Auto steigen und starten. Gehegt und gepflegt, die Tanzschuhe auf dem Rücksitz.

„Hast du Handcreme im Auto?“ Die brauchte ich plötzlich dringend.

„Nein, sorry, die Dame“, flachste meine Freundin. „Eigentlich brauchen wir in jedem Auto einen Notkoffer oder wenigstens eine Kulturtasche mit Handcreme, Deo, Bürste, Nagelfeile, Strumpfhose, falls einer von uns auf den Fuß getreten wird und sie eine Laufmasche oder sogar ein Loch hat“, philosophierte sie.

„Ja, und für den Rückweg, wenn wir sehr müde sind, brauchen wir Hausanzüge, Puschen und eine Wolldecke für den Beifahrer“, machte ich weiter. Wir müssen bequem reisen, schließlich sind wir nicht mehr die Jüngsten“, legte Lisa einen drauf. Und obwohl das tatsächlich stimmt, waren wir beide an diesem Abend etwas aufgeregt, aber auch neugierig auf das Unbekannte.

„Mir ist mulmig“, hörte ich plötzlich den vertrauten Satz.

„Mir auch!“, meldete ich zurück.

Jedes Mal vor der Ankunft im Tanzlokal sagten wir uns diesen Satz und er war nicht unbedingt gelogen oder übertrieben. Eine gewisse Anspannung, Vorfreude und Erwartung oder der Wunsch nach einer angenehmen Überraschung hing schon in der parfümierten Luft.

„Was ist denn hier los?“, rief Lisa, als wir auf den riesigen Parkplatz des Lokals einbogen. Er war komplett voll! Wir fuhren im Schneckentempo, in der Hoffnung, doch noch eine Lücke zwischen den Autos aus Rheine, Osnabrück, Bremen und dem Emsland, aus den Niederlanden und weiß Gott woher zu finden. Als uns das endlich gelang, wurden wir beide plötzlich unsicher.

Erstmal in den Spiegel schauen, die Lippen nachziehen, die Haare richten, die Tanzschuhe anziehen. Dann noch einen Moment sitzen bleiben und gucken, was für Männer und Frauen ins Lokal gehen. Der übliche Ablauf. Aber heute verzögerte sich das Ganze.

„Mir ist ganz doll mulmig!“, jammerte ich.

„Ach was“, so die Robuste, „komm jetzt.“

„Aber du gehst vor“, bestimmte ich. „Weil du älter und mutiger bist!“

„Danke“, zischt Lisa gar nicht böse. „Los geht’s. Die haben bestimmt schon den roten Teppich ausgerollt.“

Als wir reinkamen, staunten wir: Von der Eingangstür, an der Theke vorbei und bis zur Tanzfläche führte tatsächlich ein roter Läufer. Wir blieben stehen. Uns empfing eine ältere Dame, die hinter einem uralten Kassengerät saß. Mit freundlichem Lächeln streckte sie uns die Verzehrkarten entgegen und wünschte uns einen angenehmen Abend.

„Den werden wir haben“, strahlte ich die Kassiererin an. Einige Gäste drehten sich schon zu uns um. Weil wir hier neu waren, wurden die Blicke der an der Theke sitzenden Männer immer neugieriger.

„Da sind sie, die Traumprinzen“, stichelte ich und freute mich, dass ich nicht fahren musste und einen Rotwein trinken durfte. Zum Ankommen, zum Entspannen, zum Wohl.

Das schon etwas in die Jahre gekommene Lokal war groß, urig und gut besucht. Hinter der langen Theke flitzte das flotte Personal herum und gab sein Bestes. Alle Barhocker und Sitzgruppen im Saal waren belegt und die runde Tanzfläche war brechend voll. „Warum hast du nicht nein gesagt?“, feuerte Roland Kaiser die Tanzenden an.

Nun standen wir da und versuchten entspannt zu wirken – Lisa mit ihrer Apfelschorle und ich mit meinem trockenen Dornfelder in der Hand. Wenn man in einem Tanzlokal neu ist, wird man von vielen Männern und manchmal auch Frauen erstmal unter die Lupe genommen. Eigentlich ist das normal und wir beide wissen das. Aber wir brauchen dann doch eine gewisse Zeit, bis die erste Unsicherheit verflogen ist. „Jeden Donnerstag von 20 bis 3 Uhr!“, kündigte der DJ laut an. „Los, Lieschen, schnapp dir den Großen da, der starrt dich schon die ganze Zeit an“, schickte ich meine Freundin vor. In dieser Hinsicht ist Lisa wirklich viel mutiger als ich. Sie ist es, die ganz locker auf einen Mann zugeht und ihn fragt: „Kannst du auch tanzen oder bist du nur zum Rumstehen hier?“ Sie ist es, die leicht ins Gespräch kommt und eine halbe Stunde später die komplette Lebensgeschichte des Gegenübers kennt. Und sie ist es, die auch schon mal für mich losmarschiert ist und den Beziehungsstatus des Typen geklärt hat, der mich interessierte.

Wer abstreitet, dass es eine wahre Freundschaft zwischen Frauen geben kann, der kennt uns nicht.

Es war ein sehr schöner Abend! Wir forderten auf und wurden aufgefordert. Wir tanzten fast pausenlos und genossen es unheimlich. Im „Country“ gab es wirklich sehr gute Tänzer und einige von denen sahen nicht schlecht aus und waren nicht so alt. Zu vorgerückter Stunde hatte jede von uns einen Tanzpartner und Kavalier an der Seite. In den Tanzpausen saßen wir an der Bar, unterhielten uns und ließen es uns gut gehen. Der Wein, die Musik, das schöne Ambiente trugen reichlich dazu bei. Dann tanzten wir wieder und flirteten dabei ordentlich. Die Tanzfläche wurde immer leerer – endlich hatten wir genügend Platz, um unsere Tanzkünste zu entfalten!

„Ein weißes Boot mit nem Segel darauf“, schnulzten die Fantasy-Sänger. „Hab‘ ich für dich schon heimlich gebaut“, wurde mein hübscher Tänzer Alois immer romantischer. Wir vergaßen die Zeit, die Menschen um uns herum – es gab nur noch die Tanzfläche mit einer riesigen Spiegelsäule in der Mitte, wo ich doch ab und zu reinschaute, um zu kontrollieren, ob die Haare immer noch gut lagen und die Tanzhaltung korrekt war. Irgendwann sah ich mich um und merkte, dass auf der Tanzfläche nur noch zwei Paare schwebten – es ist leicht zu erraten, wer es war. Ich warf einen Blick auf die große Uhr an der Wand: 2 Uhr! Keine Gäste mehr da! Nur das abgekämpfte Personal samt Chef stand hinter der aufgeräumten Theke und guckte uns erwartungsvoll und sichtlich genervt an.

„Ich finde, wir sollten jetzt abhauen. Die fangen gleich an zu fegen“, meinte Lisa, nüchtern wie sie war.

„Aber wir haben noch eine Stunde!“, maulte ich. Dann sah ich erneut die müden Blicke der Frauen hinter der Theke und lenkte ein. „Okay, die Armen wollen zu ihren Männern. Erlösen wir sie.“

Wir bezahlten bei der müden Kassiererin, bedankten uns ganz höflich für den schönen Abend, lobten das tolle Lokal was das Zeug hielt und traten in die kühle Nacht. Die Tür wurde hinter uns sofort abgeschlossen. Nicht, dass wir es uns anders überlegten! Nach einem herzzerreißenden Abschied von unseren neuen Tanz- und Flirtpartnern saßen Lisa und ich endlich im Auto.

„Wahnsinn!“, sagte ich und wir fingen an zu lachen. Ganz wie zwei Teenager.

Seit unserem Debüt im „Country“ sind ungefähr fünf Jahre vergangen. Nicht allzu oft, etwa einmal im Quartal, fahren wir nach Bad Bentheim und fühlen uns in diesem Lokal immer pudelwohl. Lisa und ich haben viele Menschen, natürlich überwiegend Männer, kennengelernt, die sich jedes Mal von Herzen freuen, wenn wir im Eingang auftauchen und auf dem roten Teppich zur Tanzfläche stolzieren. Männer zwischen 50 und 60 – von unheimlich nett und lustig bis ulkig und schräg, fast alle auf der Suche nach der besseren Hälfte oder auch nur nach einem Abenteuer, mit Stärken und Schwächen und spannenden, fast unglaublichen Geschichten.

Donnerstags ist Damenwahl

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