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In Freud und Leid

„Lass uns was trinken gehen“, schlug meine Freundin plötzlich vor. Wir standen vor der Autowerkstatt, zu der ich Lisa gebracht hatte, damit sie ihren reparierten Mazda abholen konnte.

Ich wunderte mich. Es war Montag, kurz nach ihrem Feierabend. Normalerweise ist meine Freundin nach der Arbeit ziemlich müde.

„Wieso willst du heut schon was trinken? Wir haben erst Montag…“, scherzte ich.

„Wir können meinetwegen auch bei McDonald`s eine Mezzo Mix trinken“, meinte Lisa ungeduldig und zeigte auf das gegenüberliegende Restaurant.

„Seit wann trinkst du denn Mezzo Mix?“, bohrte ich weiter und merkte dann, dass meine beste Freundin todunglücklich war.

Nach kurzem Hin und Her fuhren wir zu Lisa nach Hause. Sie schmierte sich schnell ein paar Brote und öffnete schon mal den Rotwein.

„Sagst du mir endlich, was los ist?“

Ohne zu antworten schlug Lisa die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.

Kurze Zeit später wusste ich, dass sie Stress auf der Arbeit hatte und deshalb völlig fertig war. „Puh“, atmete ich auf, „ich dachte schon, es wäre was Schlimmes passiert“, und nahm meine Freundin in den Arm.

„Wie gut, dass wir uns beide haben“, schluchzte sie schon etwas ruhiger.

Ich erläuterte Lisa, dass man sich in unserem Alter, bei gut bis sehr gut gelungenen Kindern und einer verhältnismäßig guten Gesundheit über kleine Turbulenzen auf der Arbeit überhaupt nicht aufregen sollte. „Es ist nur dein Job. Dein Vorgesetzter ist auch nur ein Mann!“, kam ich zum Ende meiner kleinen Rede und wir lachten.

„Wie gut, dass wir uns haben“, wiederholte Lisa. Und damit hatte sie recht.

Dann saßen wir in ihrem gemütlichen Wohnzimmer und tranken Rotwein. Ich den herben, sie den halbtrockenen. Das Wetter war herbstlich mies, mit Wind und Regen, der gegen die Fensterscheiben peitschte. Umso leckerer war der Wein und umso süßer die aufgetischten Pralinen.

„Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben?“, fragte ich meine Freundin.

„Ja, natürlich“, war die Antwort. „In der Tanzschule Wienholt, im Sommer 2010.“

Als sie zum ersten Mal im Standard- und Lateinkurs auftauchte, war ich schon seit einem halben Jahr dabei. Wir waren etwas früh im Tanzsaal und saßen schweigend da. Eine Tanzlehrerin, die zu der Zeit in unserem Kurs aushalf, kam herein und setzte sich zu uns. Besonders gesprächig war keine. Die Neue, sprich Lisa, meinte, das Schweigen brechen zu müssen, wandte sich an die Tanzlehrerin, nicht wissend, dass sie eine ist und fragte sie ganz höflich: „Klappt es schon mit dem Tanzen?“

Die Dame machte ein verwundertes Gesicht und überlegte, was sie antworten sollte. Ich hielt es für wichtig, die Neue aufzuklären, lächelte sie mit einer Prise Sarkasmus an und teilte sachlich mit: „Das ist die Tanzlehrerin.“ Wir lachten.

Ein paar Wochen später, kurz vor der Sommerpause, fand unser letzter Tanzabend statt und ich fuhr zu Wienholt. Als ich auf dem Parkplatz ankam, sah ich auch schon meinen damaligen Tanzpartner aus dem Auto steigen. Wir hielten noch einen kleinen Small Talk und wollten gerade reingehen, als ein großer und schlanker Mann ungefähr Mitte 40 auf uns zukam. Henry, mein Tanzpartner, begrüßte ihn lebhaft und fragte, was er denn hier mache. Es stellte sich heraus, dass er wie Henry aus dem kleinen beschaulichen Dorf Altenoythe am Rand des Landkreises stammte, dessen Postbote war und dass die beiden sich seit Jahren kannten. Ich sah den Postboten an und merkte, dass ich sein Gesicht irgendwie kannte. „Woher kenne ich ihn?“, fragte ich mich. Der Postbote starrte mich auch immer wieder an und in seinen Augen sah ich dieselbe Frage. Plötzlich klingelte es bei mir: Fischkopf! Wir hatten mal über Fischkopf kommuniziert!

„Fischkopf“ ist eine der größten regionalen Singlebörsen für den Norden Deutschlands. Über 500 000 Singles aus Hamburg, Bremen, Oldenburg und natürlich Cloppenburg suchen hier ihr Glück. Auf Empfehlung einer Kollegin hatte ich mich vor einiger Zeit bei „Fischkopf“ angemeldet. Damals ahnte ich noch nicht, wie viele spannende, lustige und auch peinliche Momente mir dieses Portal bescheren würde. In all den Jahren meldete ich mich da ständig an und ab, weil ich es nie lange aushielt. Aber die Idee, ein Buch über das Singledasein zu schreiben, verdanke ich zum Teil ihm.

Der Postbote hatte unter dem Nicknamen „Netter“ genau wie ich ein Profilfoto hochgeladen. Ich erinnerte mich plötzlich, dass er angab, aus dem Raum Friesoythe zu kommen und ein sehr guter Tänzer zu sein. Wir hatten eine Zeit lang hin- und hergeschrieben. Irgendwann wurde der „Nette“ ziemlich aufdringlich und frech. Ohne lange zu überlegen blockierte ich ihn und vergaß seine Existenz.

Jetzt stand er vor mir – der „begnadete Tänzer“ aus dem Raum Friesoythe.

„Ich warte hier auf eine Dame, mit der ich mich zum Tanzen verabredet habe“, erzählte der „Nette“ stolz. „Mal sehen, wer kommt. Es ist nämlich ein Blind Date. Ich weiß nur, dass sie in Cloppenburg wohnt und einen blauen Mazda fährt“, berichtete er.

In dem Moment fuhr ein nagelneuer, himmelblauer Mazda vor. Aus dem Auto stieg Lisa – hübsch und schlank, im knappen Röckchen, die kurzen blonden Haare frech gestylt, angeberisch braungebrannt und doch etwas verlegen durch den unerwarteten Empfang. Wir begrüßten uns inzwischen schon etwas herzlicher und ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Henry und ich gingen zum Gebäude, Lisa und der Postbote folgten uns.

Der Tanzabend begann und die ersten Paare verteilten sich im Saal. Die Tanzfläche füllte sich und ich verlor das „frischgebackene Paar“ aus den Augen. Während der ersten Tanzpause setzte sich Lisa zu mir.

„Der kann überhaupt keinen Discofox tanzen“, berichtete sie halblaut, aber ziemlich giftig. „Seine Schritte sind nicht sauber und er knallt seine Hacken ganz laut gegeneinander“, klagte sie weiter. „Und dabei meint der Kerl, er wäre John Travolto.“

Wir lachten. Auf meine Frage, wo sie ihn kennengelernt habe, erklärte Lisa, sie habe auf seine Zeitungsannonce reagiert. Er suchte eine Lebenspartnerin und nannte sich einen leidenschaftlichen Tänzer. Reingefallen!

Ich erzählte Lisa meine kurze Fischkopf-Geschichte. Wir sahen uns schelmisch lächelnd an und im selben Moment verbündeten wir uns, ohne es selbst zu wissen, gegen den Postboten aus Althenoythe und, ich befürchte, auch gegen die gesamte Männerwelt. Zwischen Lisa und mir entstand ein unsichtbares Band des Vertrauens, aus dem sich später eine wahre Freundschaft entwickelte, die uns in guten und in schlechten Zeiten zusammenhielt, stützte und durch die wir uns gegenseitig stärkten.

Eine Freundschaft fürs Leben, zum Reden und Schweigen, zum Geheimnisseanvertrauen und Sorgenteilen, zum Lachen und Weinen.

Sprüche von Männern wie „Zwischen euch beide passt auch kein Blatt Papier“ oder „Euch gibt's nur im Doppelpack. Wenn eine da ist, schwirrt auch die zweite irgendwo in der Nähe rum“, hörten wir auf unseren Touren öfter.

Der letzte, hier zitierte, beeindruckte uns besonders: „Ich bewundere immer wieder, dass zwei so verschiedene Freundinnen derart zu ihrem Typ passend gekleidet und harmonisch im Umgang miteinander sind.“

„Sind wir so verschieden?“, überlegte Lisa später auf der Heimfahrt.

„Klar, sind wir das. Du eine flotte, sportliche Bikerbraut mit fetzigem Haarschnitt, im Lederrock und Fransenshirt und ich mit artig geföhnten Haaren, im Nostalgie-Kleid mit Libellen und Slingback-Schuhen mit Zierschleifen. Unterschiedlicher kann man überhaupt nicht sein“, brachte ich die Sache auf den Punkt.

Deshalb sind wir ja auch immer wieder ein Hingucker.

Unsere Flaschen waren inzwischen leer. Die vom Inhalt befreite Pralinenschachtel stand einsam auf dem Couchtisch. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie mich die ganze Zeit vorwurfsvoll anschielte. Oder war es nur der Wein?

„Du darfst jetzt nicht mehr fahren“, stellte Lisa überraschend streng fest. „Entweder du pennst in meinem Gästezimmer oder ich rufe dir ein Taxi.“

„Du weißt doch, ich wach gern in meinem eigenen Bett auf“, bemerkte ich leise und meine Freundin griff seufzend zum Hörer.

Das Taxi kam eine Viertelstunde später. Genau um Mitternacht.

Donnerstags ist Damenwahl

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