Читать книгу Mit Kommissarin Minou ist jederzeit zu rechnen - Helene Kneip - Страница 12
Profil der Diebe und Autotypologie
ОглавлениеIch dachte nach. Ich überlegte systematisch. Ich bin sehr gut im systematischen Denken. Ich musste verinnerlichen, was mir zu den beiden Dieben einfiel. Ich hatte sie im Hellen gesehen, ich hatte sie auf ihrer Flucht mit den Rädern bis zu den großen Häuserblöcken verfolgt.
Da war mir schon etwas sehr Wichtiges aufgefallen: Beide hatten ein Fahrrad.
Aber Fahrräder sehen für mich alle gleich aus. Sie haben kein besonderes Gefährdungspotential für mich, so dass ich mir bisher keine großartigen Gedanken darüber gemacht hatte.
Anders ist das mit Autos, von mir insgeheim Killermaschinen genannt. Da gibt es nach meinen Analysen sechs unterschiedliche Typen. Die habe ich im Übrigen allein und ohne fremde Hilfe aufgrund intensiver Beobachtung herausgearbeitet. Ob diese Typen trennscharf sind, wie katze so sagt, könnte ich noch überprüfen. Dazu müsste ich jedoch viel Muße haben. Vielleicht im Winter einmal, wenn ich an einem warmen Ofen liege, vorausgesetzt, ich würde mich an einen warmen Ofen legen. Im Sommer bin ich zu viel mit anderen wichtigen Tätigkeiten beschäftigt, wie ich bereits dargelegt habe.
Nachfolgend skizziere ich meine Killermaschinentypen kurz und prägnant. Zum einen mache ich dies, um meine Klugheit, besser Intelligenz, unter Beweis zu stellen, zum anderen, weil meine Erzählung dadurch verständlicher wird. Im Übrigen wiederum ein Beleg meiner Brillanz. Aber das nur am Rande.
Im Mittelpunkt meiner Typenbildung stehen Autogröße, Größe der Reifen und Farbe der Autos. Den unterschiedlichen Kombinationen dieser Kriterien habe ich dann das von mir über eine lange Zeit beobachtete Gefährdungspotential zugeordnet:
Typ 1: Kleine bunte Autos mit kleinen Reifen. Keine Gefahr. Die sieht katze lange bevor sie da sind. Da kann katze in der Regel in Ruhe ausweichen.
Typ 2: Kleine dunkle Autos mit kleinen Reifen. Die sieht katze leider sehr spät. Da sie in der Regel jedoch langsam sind, geringe Gefahr, aber größer als bei 1.
Typ 3: Große bunte Autos mit kleinen Reifen. Die sieht katze, allerdings spät. Geringe Ausweichmöglichkeiten wegen der großen Geschwindigkeit. Größere Gefahr als bei 1 und 2.
Typ 4: Große dunkle Autos mit kleinen Reifen. Die sieht katze in der Regel erst, wenn es zu spät ist. Kaum Überlebenschancen.
Typ 5: Bunte Autos mit riesigen Reifen. Die sieht katze bevor sie da sind. Katze muss sich einfach flach auf die Straße legen und mit etwas Glück bleibt katze unversehrt.
Typ 6: Dunkle Autos mit riesigen Reifen. Die sieht katze spät, aber bei flachem Hinlegen große Überlebenschancen, allerdings geringer als bei 5, da katze sie später sieht.
Bei den letzten beiden Typen habe ich nicht nach der Größe des Autos unterschieden, weil hier Farbe und Reifengröße entscheidend sind. Aber das nur am Rande. Zurück zum Täterprofil.
Ich dachte angestrengt nach. Ich sah beide nur verschwommen vor mir. Beide Typen hatten einen Schnurrbart. Nicht so gebogen wie ich, sondern nur ganz klein und dünn. Nichts Halbes und nichts Ganzes, wie katze so zu sagen pflegt.
Beide, ich sah es deutlich vor mir, hatten keine Haare auf dem Kopf, obschon sie nicht besonders alt wirkten. Ich erinnerte mich an ein schwarzes Schimmern auf den Köpfen. Das deutete darauf hin, dass die Typen sich eine Glatze rasiert hatten. Menschen machen so etwas durchaus. Oft ist das kein so gutes Zeichen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber hier war keine Ausnahme angesagt, hier war bei den glatzköpfigen Menschen Vorsicht geboten.
Ich war gut, ich korrigiere: ich war verdammt gut. Je mehr ich darüber nachdachte, umso weniger verschwommen waren die Typen und umso mehr fiel mir ein. Jetzt sah ich wieder etwas Entscheidendes deutlich vor mir: Einer hatte ein Bild auf dem rechten Unterarm, einen riesigen Wurm, vielleicht auch eine Schlange. Menschen nennen ein solches Bild Tätowierung.
Sonst war mir nichts in Erinnerung geblieben. Die Typen verschwammen wieder mehr und mehr vor meinem geistigen Auge. Müdigkeit überkatzte mich. Als ich mein Hirn noch einmal malträtierte, fiel mir ein, dass ihre Hosen nur bis zum Knie gingen. Fast so, wie die Schlafanzugshose von Herrn Egon Schmitz von der anderen Straßenseite. Er hatte damit irgendwie lustig ausgesehen. Sicher, weil so dünne Beinchen aus den weiten Hosenbeinen hervorlugten. Die Füße steckten in braunen Filzpantoffeln. Die sieht katze häufiger bei älteren Männern.
Bei dieser letzten Überlegung fiel mir wieder etwas ein, was ich von den Dieben in Erinnerung hatte: dicke Waden und knöchelhohe Sportschuhe mit Klettverschluss. Ja, das sah ich deutlich vor mir. Am Ende der Fußgängerzone hatte ich sie bei meiner Verfolgungsjagd fast eingeholt und da hatte ich ihre Waden und Schuhe gesehen. Ich hatte noch bei mir überlegt, welche Freude es mir machen würde, in diese dicken Waden zu beißen. Mir lief bei dem Gedanken das Wasser im Maul zusammen. Dabei hatte ich noch nie in dicke Waden gebissen, geschweige Waden gefressen.
Obschon mir nun doch einiges eingefallen war, war ich mir nicht sicher, ob ich sie wiedererkennen würde. Aber eine der Stimmen, die würde ich nicht vergessen. Das wurde mir ganz plötzlich bewusst, als ich die Männer vor meinem geistigen Katzenauge noch einmal mit dem Rucksack davonradeln ließ. „Streichelt das Katzenvieh mal schön weiter“, mit Betonung auf Katzenvieh. Diese Stimme und den Satz würde ich mein Katzenleben lang in Erinnerung behalten. Aus diesem Satz hatte Bosheit pur gesprochen. Mich schauderte, wenn ich daran dachte.
Ich wurde immer müder und konnte mich nicht mehr auf den Nachmittag und die Kerle konzentrieren. Meine Gedanken liefen eigene Wege. Daher suchte ich mir einen breiteren Platz. Von dem Sims würde ich sicherlich runterfallen, insbesondere wenn meine Träume unruhig wurden. Dies war nach dem Abend und der ereignisreichen Nacht auf jeden Fall zu erwarten. Um mich nicht zu weit von Sophia und Johann zu entfernen, suchte ich wieder auf der Terrassenbank meinen Schlafplatz. Diesmal störte mich auch kein Päckchen. Mit einem letzten Blick zu dem sternenklaren Himmel gab ich mich schließlich meinem wohlverdienten Schlaf hin.