Читать книгу Mit Kommissarin Minou ist jederzeit zu rechnen - Helene Kneip - Страница 6
Prolog
ОглавлениеIch bin eine Katze, eine grauschwarz-getigerte, kurz: eine Hauskatze, wie man meine Art im Volksmund nennt. Besonders stolz bin ich auf meinen tollen schwarzen Schwanz mit den vier grauen Ringen eine Handbreit unterhalb der Schwanzspitze und meine beiden Vorderbeine. Die sind hellgrau und haben je zwei schwarze Streifen knapp über meinen Pfoten, so dass man denken könnte, ich trüge Ringelsocken. Apropos Hauskatze: Das suggeriert, dass ich in einem Haus lebe, also zu einer bestimmten Familie gehöre. Aber das stimmt nicht. Ich gehöre nur mir. Ich bin eher eine Straßenkatze und suche mir meine Menschenfreunde selbst aus. Dabei mag ich natürlich den einen Menschen lieber als den anderen. Das gleiche gilt auch für deren Zusammenschlüsse. Die eine Familie ist mir durchaus lieber als die andere, was sich stimmungsbedingt ändern kann.
Die Kriterien, die mich maßgeblich leiten, insbesondere was die Wahl meiner Menschenfreunde angeht, sind Futter und Streicheleinheiten und Futter. Ansonsten lebe ich mein Leben nach meiner Fasson: Ich streife durch die Gärten meiner Straßen, lege mich geruhsam an die diversen Gartenteiche, beobachte die Goldfische der Menschen, genieße den Anblick von Seerosen und Wasserlilien und genieße meine Sonnenplätze ebenso wie meine schattigen Terrassen. Besondere Freude bereitet es mir, sämtliche Hunde in meinem Revier geradezu auf die Palme zu bringen, indem ich in sicherer Entfernung, vorzugsweise geschützt durch einen Maschenzaun, durch den katze gut hindurchsehen kann, hocherhobenen Hauptes und Schwanzes vor ihnen auf und ab stolziere. Die dummen Vierbeiner irren dann kläffend entlang der Zäune ihrer engen Gärten, springen immer wieder wie verrückt an den Zäunen hoch und erhalten als Belohnung von ihren Frauchen, Herrchen oder den Nachbarn, die gerade ihr Schläfchen halten wollen, wüste Beschimpfungen. Ab und zu gibt es auch schon einmal eine Ladung Wasser. Jaulend und mit eingezogenem Schwanz ziehen die Hunde dann von dannen. Ein klägliches Bild, das sie in diesem Moment bieten. Igitt, ist das einfach katzlich. Ich liebe mein Katzenleben. Es ist sooo gut, eine Katze zu sein. Nie fiele mir auch nur im Traum ein, mit irgendeiner Kreatur zu tauschen.
Wir Straßenkatzen geben uns untereinander keine großartigen, wohlklingenden Namen. Katze oder Kater, das sind unsere gegenseitigen Bezeichnungen, klar und prägnant, mitunter ergänzt durch das jeweilige Revier, natürlich nur falls bekannt. So z.B. Kater aus dem Park oder Katze vom Häuserblock an der großen Straße. Durchaus üblich ist auch die Präzisierung aufgrund des Aussehens, wie dicke Katze, prächtiger Kater, rote oder magere Katze.
Wir Katzen und Kater mögen uns untereinander nicht besonders. Nur ab und zu. Und dann heftig. Aber in der Regel bekämpfen wir uns eher. Da gibt es sozusagen eine Erbfeindschaft. Wir mögen es nämlich nicht, mit anderen Katzen das Revier zu teilen. Das wird mit aller in uns wohnender Kraft verteidigt, sozusagen bis zum Tod. Selbst wenn es melodramatisch klingen sollte: Es ist so. Wenigstens aus meiner Sicht der Dinge. Ich markiere meinen Lebensraum darüber hinaus ausgiebig, sehr zum Leidwesen meiner Menschenfreunde, wie ich immer wieder feststellen muss, wenn sie versuchen, meine Markierung mühsam zu beseitigen und dabei auf die Katzen im Allgemeinen schimpfen.
Ich bin gut genährt und stark. Daher trauen sich kaum eine Katze oder ein Kater in mein Revier. Ansonsten gibt es ein paar hinter die Ohren – klatsch, klatsch – und weg sind die lästigen Genossen.
Ich schweife ab. Ich war bei Namen. Diese bekommen wir von den Menschen. Das ist schon interessant. Warum nur muss katze Namen haben? Was bezwecken die Menschen damit? Vielleicht, um uns besser unterscheiden zu können? Vielleicht aber auch, weil sie selbst alle Namen haben und denken, das müsste so sein? Ich glaube allerdings, dass sie ihren Goldfischen in ihren Gartenteichen keine Namen geben. Ich habe auf jeden Fall noch nicht bewusst gehört, dass die Menschen in ihre Teiche etwas in der Art von Namen rufen.
Ich habe im Übrigen nicht nur einen Namen, sondern gleich drei Bezeichnungen. Eine Familie, zumeist meine Lieblingsfamilie, nennt mich Minou. Der Name gefällt mir. Er klingt nach Frankreich oder besser gesagt: französisch. Jetzt fragt sich sicher jeder Leser, was ich als Straßenkatze mit Französisch verbinde. Ganz einfach: Liberté, Egalité, Fraternité, mit besonderer Betonung von Liberté. Das bedeutet Freiheit und liegt mir geradezu im Katzenblut. Ich habe der Tochter meiner Lieblingsfamilie, Sophia, nämlich zugehört, als sie über die Französische Revolution gesprochen hat. Das hat mir imponiert. Weg mit den alten Zöpfen, weg mit der Monarchie. Weg mit der Herrschaft der Menschen über die Tiere, vorrangig über die Katzen. Das war eine der wichtigen Botschaften der Revolution, wenn ich mich richtig erinnere.
Außerdem lernte Sophia, als sie noch zur Schule ging, Französisch. Wenn sie im Sommer auf der Terrasse saß und laut Vokabeln lernte, war ich hin- und hergerissen. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können. Der Klang dieser Sprache: elegant, mondän. Wie der stolze Gang einer Katze. Einfach katzlich. Heute lernt sie weniger Vokabeln, sondern spricht sehr viel Französisch, einfach so wie andere Deutsch sprechen. Sie studiert nämlich mittlerweile, und zwar Französisch und Mathematik. Sie will Lehrerin werden. Könnte ich doch später, wenn sie mit ihrem Studium fertig ist, an ihrem Unterricht teilnehmen! Natürlich nur am Französischunterricht. Mathematik interessiert mich nicht so sehr. Die hat Sophia in ihrer Schulzeit auch nie so sehr interessiert, wenn ich mich richtig erinnere. Vielleicht vertue ich mich aber. Würde sie sonst heute Mathematik studieren? Wohl kaum.
Sophia wohnt mit ihren Eltern in einer sehr ruhigen Straße, wo man als Katze sorglos die Straße überqueren kann. Ihr Haus ist ein wenig nach hinten versetzt, so dass Platz für einen bunten, blumenreichen Vorgarten ist. Problemlos kann ich auch von der Straße aus am Haus vorbei in den Garten gelangen, in dem ich mich sehr wohl fühle. Er hat nämlich vieles von dem, was ein Katzenherz begehrt: sonnige und schattige Plätze, einen kleinen Teich mit namenlosen Goldfischen, große Bäume und einen Maschendrahtzaun zum Nachbargarten samt Hund.
Eine andere Familie nennt mich Laila. Oh Großkatze, kann ich da nur sagen. Das passt gar nicht zu mir. Wenn ich schon einem Tier einen Namen verpassen und dieses Laila vergeben müsste, dann an eine Schlange. Schlangen mag ich nicht. Ich habe zwar noch nie eine Schlange in meinem Revier gesehen, aber Sophia hat ihrem Vetter Max vor ein paar Jahren von Schlangen erzählt. Sophia ist nämlich älter als Max und sie hatte damals im Biologieunterricht Schlangen durchgenommen. Alles, was sie lernte, gab sie an ihren Vetter weiter, wenn sie im Garten Schule spielten. Schlangen, so erinnere ich mich nur zu genau, sind große dicke Würmer, die fauchen und einen Giftzahn haben. Sie beißen dich und dann bist du vergiftet und stirbst, wenn du Pech hast. Es kann auch sein, dass sie dich mit Haut und Haar verschlingen und du jämmerlich erstickst. Furchtbar, diese Vorstellung. Ich vermute, dass sie in den Kellern der Häuser leben, weil Sophia sich fürchtet, in den Keller zu gehen. Das hat sie auch mal Max erzählt, nämlich dass im Keller Schlangen lauern und sie aus diesem Grund nicht in den Keller geht. Max hat sie mit großen Augen angesehen. Dann hat er gesagt, er hätte in ihrem Keller auch schon welche gesehen. Daher bin ich froh, eine Straßen- und keine Hauskatze zu sein. Sonst müsste ich ja in einem Haus leben und wäre der Schlangengefahr permanent ausgesetzt. Ich glaube, ich habe eine so genannte Schlangenphobie, was mir in gewisser Weise menschliche Züge verleiht. Sophia hat auch eine Schlangenphobie. Sie hat es Max gestanden. Und Max leidet ebenfalls unter einer solchen Phobie, wie er Sophia gegenüber preisgegeben hat, als sie ihm dies feierlich eröffnete.
Lange Rede, kurzer Sinn, ich heiße auch Laila. Die Menschen, die mich so nennen, sind bereits älter. Sie haben keine Kinder und wohnen schräg gegenüber von Sophias Familie. Sie wohnen ganz alleine in einem großen Haus mit riesigem Garten.
Dann gibt es eine weitere Familie, die mich schlicht Katze nennt. Das ist aus meiner Sicht ok, weil ich Namen ja irgendwie für unnötig halte. Außerdem entspricht dies der Bezeichnung, die Katzen untereinander wählen. Aber da die Menschen das eigentlich nicht so sehen, denke ich, dass diese Familie nicht sonderlich kreativ ist.
Diese Familie wohnt nahe der Laila-Familie in einem hübschen schmalen Haus mit kleinem Vorgarten. Dort gibt es keine Blumen, nur Platten. Das ist pflegeleicht, heißt es. Diese Menschen haben auch Kinder. Die wohnen aber nicht zu Hause, weil sie schon erwachsen sind.
Mit diesen drei Namen sind meine Futterquellen verbunden. Alle drei Familien sehen mich nämlich als ihre Katze an und fühlen sich für meine Nahrung verantwortlich. Das Tolle ist, dass zwar jede Familie weiß, dass ich noch zwei weitere Quellen habe, aber jede denkt, dass sie die Hauptfamilie für mich sei und füttert mich mehr als großzügig. Das macht mich glücklich, satt und zufrieden und, wie die Menschen sagen, kugelrund bzw. stattlich, wie ich mich aus Katzensicht bezeichne.
Mein Speise- und diesbezüglicher Zeitplan ist sehr ausgeklügelt:
Erster Termin: Morgens in aller Frühe miaue ich vor Sophias Schlafzimmerfenster, also da, wo ich Minou genannt werde. Dann geht über dem Schlafzimmer auf der ersten Etage das Küchenfenster auf und Sophias Mutter wirft mir den tollsten Käse runter. Sie ist eine echte Käsekennerin und teilt mit mir. Wenn Sophias Vater da ist und rausschaut, gibt es Speckwürfelchen. Sophia hat mir erzählt, dass er diese für sein Rührei braucht. Die Sucherei nach den kleinen Speckwürfeln ist mühsam, die Würfel aber sind lecker. Wenn Sophia noch in der Küche ist, gibt es Fleischwurst. Das ist ihre Lieblingswurst. Meine im Übrigen auch. Da sie aber schon sehr früh am Morgen zur Universität geht, ist das eher selten der Fall. Sie ist meistens schon unterwegs, wenn ich erscheine.
Zweiter Termin: Danach laufe ich schnell zu der Familie, die mich Katze nennt, und kratze ein wenig an der Haustür. Ich mache das sehr vorsichtig, damit keine Kratzer in das Holz kommen. So etwas mögen die Menschen nämlich nicht. Ich unterstreiche mein Kratzen in der Regel durch mein kräftiges Miauen. Meine Stimme ist imposant und tragend. Ich gebe zu, dass mich meine Stimme mit Stolz erfüllt.
Ich muss mich stets beeilen, da diese Familie zur gleichen Zeit aus dem Haus geht wie Sophias Familie, das heißt Sophias Eltern. Meistens kommt die Frau raus und stellt mir ein Aluschälchen mit Katzenfutter vor meine Pfoten. Sie lacht mich dabei immer an und sagt: „Na, Katze, wieder Hunger?“ Die Marke des Katzenfutters will ich wegen Schleichwerbung an dieser Stelle nicht nennen. Wenn der Mann mir mein Schälchen bringt, streichelt er mich immer kurz, sagt aber selten ein Wort zu mir. Hier wird also entweder mit mir geredet oder ich werde gestreichelt, wenn ich mein Futter erhalte.
Sophia und der Mann sind die Menschen, die mich am häufigsten streicheln. Alle anderen denken, ich hätte Flöhe. Sie sind daher mehr als zurückhaltend mit Berührungen. Sie fürchten sich vor Flohbissen. Sophias Vater nennt mich sogar manchmal Flohtaxi. Aber das ist kein Name, sondern eher eine Berufsbezeichnung.
Nach diesem zweiten Frühstück lege ich mich an einen ruhigen Ort und erhole mich erst einmal. Besonders liebe ich am Morgen den Garten der Laila-Familie. Er ist groß und am hinteren Ende etwas verwildert. Da sieht mich niemand und ich habe meine Ruhe. Die Familie hat wie Sophia bzw. deren Eltern auch einen kleinen Teich, an dem ich mich häufig entspanne und die Fische mal kurz aufmische. Außerdem liegt der Garten günstig zum nächsten Termin.
Dritter Termin: Gegen Mittag suche ich die Familie auf, die mich Laila nennt. Ich gehe in deren Garten – meistens bin ich, wie bereits angemerkt, schon drin – und miaue vor dem Küchenfenster. Mein Miauen ist etwas lauter als normal, da diese Familie älter ist und nicht mehr so gut hört. Hier arbeitet keiner mehr und mittags wird richtig gut gekocht. Ich bekomme stets leckere Reste. Besonders gut sind die Überbleibsel vom Schweinebraten. Einfach katzlich! Die beiden Menschen reden immer viel mit mir. Sie erzählen mir von ihrem Morgen, vom Kochen oder vom Einkaufen. Streicheln ist allerdings nicht ihre Stärke. Ob sie Angst vor Flöhen haben oder ob sie sich nicht mehr so gut bücken können, weiß ich nicht so genau. Es wird wohl etwas von beidem sein.
Vierter und letzter Termin: Am Abend liege ich dann auf der Lauer und warte, dass Sophia von der Universität zurückkommt. Das Klacken ihrer Schuhe höre ich bereits von weitem. Ich setze mich vor ihre Haustür und warte. Sie geht nie ohne innige Begrüßung ins Haus. Vielmehr kniet sie sich hin und streichelt mich dann so, wie ich es besonders mag. Langsam über den Rücken bis zum Schwanz. Das geht durch und durch. Es ist geradezu katzlich. Dann küsst sie mich auf die Nase. Aber ganz vorsichtig mit Blickkontakt zur Haustür. Ihr Vater mag das nicht. Er hat nämlich gelesen, dass Katzen den Fuchswurm oder so was in der Art übertragen. Wie das funktionieren soll, ist mir schleierhaft. Ich pflege mich sehr gut und lege größten Wert auf Sauberkeit. Einen Fuchswurm habe ich noch nie an mir entdeckt. Aber sei es drum.
Anschließend laufe ich hinter das Haus zur Terrasse. Dort ist mein Speisezimmer. Es ist ebenfalls mein Kommunikatzionszentrum, weil katze hier im Sommer die meisten Gespräche der Familie mithören kann. Im Sommer findet das Leben der Familie fast ausschließlich auf der Terrasse statt. Ich warte, bis Sophia die Kellertür öffnet, die zum Garten führt, und mir mein Futter ins Speisezimmer bringt. Sie kommt wie die Familie, die mich Katze nennt, mit einem Aluschälchen. Jedoch füllt sie es in meinen eigenen Fressnapf um. Das ist natürlich niveauvoller und schmeckt auch besser. Das Auge frisst eben mit. Das gilt für Katzen ebenso wie für Menschen. Es ist den meisten Menschen nur leider nicht bewusst.
Danach streune ich durch die Gärten, damit ich nicht zu viel Fett ansetze. Dabei mache ich immer wieder Sprungübungen: rauf auf die Bäume und Dächer der Gartenhäuser und runter, hinauf auf Gartentische, Stühle sowie Bänke und wieder ab in die Beete. Das ist wichtig, weil ich manchmal vor den Hunden fliehen muss, wenn diese abends von ihren Herrchen einfach in den Garten geschickt werden, um ihr Geschäft zu verrichten, anstatt mit ihnen Gassi zu gehen, wie es sich gehört. Fit sein ist einfach überlebenswichtig für jede Katze, die sich nicht nur in den Wohnungen der Menschen aufhält. Vor Menschen muss ich ebenfalls ab und an flüchten. Sie wollen nämlich verhindern, dass ich mein großes Geschäft in ihren Gärten verrichte. Genauso mögen sie es nicht, wenn ich mein Revier markiere. Aber letzteres bemerkte ich bereits. Sie können dann regelrecht furienhafte Züge annehmen. Ein lautes „Schsch“ und verscheuchendes Klatschen mit den Händen ist noch total harmlos in diesem Zusammenhang. Es ist zwar furchtbar unangenehm, wer lässt sich wohl gerne bei der Verrichtung seines Geschäfts stören. Einfach würdelos. Schlimmer ist es jedoch, wenn die Menschen dann mit Gegenständen nach mir werfen. Einmal hätte mich fast ein Gartenschuh erwischt. Aber Großkatze sei Dank habe ich flink das Weite gesucht, bevor mich der Schuh erwischen konnte. Fitness ist folglich, wie bereits gesagt, für Straßenkatzen geradezu überlebenswichtig.
Wie man sieht bzw. liest, bin ich körperlich sowie intellektuell auf der Höhe, insbesondere was meinen Terminplan einschließlich der Aktiv- und Ruhephasen angeht.
Aber auch ansonsten stehe ich meine Katze, wie katze so schön sagt. Letzteres konnte ich letztens mit Bravour als Kommissarin Minou unter Beweis stellen. Diesen Ehrentitel hat mir Sophia verliehen, weil ich sie und ihren Freund gerettet habe. Und das kam so, wie ich nachfolgend berichte.