Читать книгу Mit Kommissarin Minou ist jederzeit zu rechnen - Helene Kneip - Страница 8
Sophia kehrt heim
ОглавлениеEtwa zwei Wochen nach Sophias liebevoller Verabschiedung hörte ich am späten Nachmittag einen mir sehr bekannten Schritt. Es war zwar nicht das vertraute Klappern von Absätzen zu hören, aber der Rhythmus war mir sehr wohl bekannt und führte dazu, dass mein Herz einen Purzelbaum schlug, wie die Menschen so bei dem Gefühl sagen, das mich überkam.
Ich raste mit fliegenden Pfoten von der Terrasse, meinem Esszimmer, in dem ich mich gerade zu einem Imbiss aufhielt, zur Haustür des Hauses, in dem Sophia mit ihren Eltern wohnt. Zu meiner größten Katzenfreude entdeckte ich tatsächlich Sophia, die im gleichen Moment auch „Minou, da bist du ja!“ frohlockte. An dem Ausruf konnte ich klar erkennen, dass sie mich ebenfalls sehr vermisst hatte. Sie hockte sich augenblicklich nieder und streichelte mich so, wie ich es liebte. Zuvor stellte sie einen riesigen Rucksack, den sie auf dem Rücken getragen hatte, vor der Haustür ab, wobei sie stöhnte: „Puh, ist das Ding schwer.“
Glücklich legte ich mich auf den Rücken, reckte meine wunderschön gestreiften Pfoten in die Luft und ließ mich richtig durchkraulen. Dann drehte ich mich auf meine rechte Hälfte, weil die linke zu kurz gekommen war, und schließlich wieder auf die linke Seite. Katzenhaft! Ich hätte so bis an mein Katzenende liegen und genießen können.
Aus der rechten Seitenlage heraus hatte ich sofort festgestellt, warum ich kein Klappern gehört hatte. Sophia trug neue Sportschuhe. Sicherlich hatte sie die in der Türkei erstanden. Ich habe einmal auf einem meiner Spaziergänge gehört, dass man dort alles preiswerter kaufen kann. Die Türken sind nämlich in der Lage, alles viel billiger zu produzieren als die Deutschen oder Italiener oder Franzosen. Selbst, so hörte ich damals unter dem Fenster einer türkischen Familie, Taschen von einem bekannten französischen Designer, dessen Namen ich vergessen habe, machen Türken genauso gut, aber billiger. Und den Unterschied soll katze nicht sehen. Nur Chinesen wären noch besser, hieß es. Ich kann mir darüber jedoch kein Urteil erlauben. Für mich sieht alles gleich gut oder schlecht aus. Ich bin in solchen Sachen, wie die Menschen zu sagen pflegen, völlig unbeleckt.
Sicher war Sophia unter anderem in die Türkei gereist, um sich einmal solche tollen Sachen zu kaufen. Als Studentin hat sie nämlich nicht viel Geld, weil sie ja nur lernt und nicht arbeitet. Die Sportschuhe rochen allerdings nicht besonders gut, wenn man sich ihnen näherte. Mir war das ganz egal. Ich war einfach nur glücklich und überließ mich Sophias Streicheln.
Mit einem kurzen weiteren Seitenblick stellte ich schließlich fest, dass auch Johann da war. Vor lauter Freude hatte ich mich nur auf Sophia konzentriert und nichts anderes auf der Welt wahrgenommen. Johann, der lächelnd auf Sophia und mich schaute, stellte gerade seinen Rucksack ab, als ich auf ihn aufmerksam wurde. Siehe da, er hatte die gleichen Sportschuhe wie Sophia. Partnerlook nennen das die Menschen. Vor allem ältere Männer und Frauen lieben Partnerlook. Sie tragen weniger die gleichen Schuhe als die gleichen Anoraks. Für uns Katzen käme so etwas nie in Frage, glaube ich. Aber wir tragen ja auch keine Anoraks. Wir haben unser Fell und das ist jeweils ein Unikat.
Johann platzierte den Rucksack ohne Rücksicht auf etwaige Fußgänger mitten auf dem Trottoir, beugte sich über mich und schmeichelte: „Bist du eine süße Katze. Viel besser genährt als die Katzen in der Türkei.“ Er sagte „besser genährt“. Das empfand ich nicht so anrüchig, wie die Aussagen meiner diversen Futterstellenausstatter. Von „dick und fett“ war da die Rede gewesen. Ich bin ja nicht nachtragend, aber vergessen kann ich diese Unverschämtheit so schnell nicht. Da bin ich ähnlich wie Sophias Mutter. Die mag es auch nicht, wenn über ihre Figur geredet wird. Ihr Mann hat einmal gesagt: „Komm, iss noch ein kleines Pralinchen. Ich mag jedes Pfund an dir.“ Da hat sie doch glatt mit einem Schuh nach ihm geworfen. Ich konnte das sehr gut verstehen.
Sophias Mutter verniedlicht im Übrigen alle süßen Sachen. Sie sagt nie: „Ich esse ein Stück Schokolade.“ Bei ihr heißt es: „Ich esse ein Stückelchen Schokolädchen.“ Sie isst auch keine Pralinen, wie ihr Mann erkannt hat, sondern Pralinchen, genauso wie sie kein Stück Kuchen, sondern ein Stückelchen Kuchen isst. Aber ich schweife ab.
Sophia antwortete ihm mit trauriger Stimme, während sie mich weiterhin streichelte. „Ich muss immer an die armen Katzen denken, die in der Hotelanlage umherliefen. Die waren so mager! Erinnerst du dich noch an die kleine Katze, die links nur ein halbes Ohr hatte? Das arme kleine Kätzchen!“
„Ja, aber wir konnten wirklich nicht alle Katzen mit nach Deutschland nehmen. Erstens hätten wir sie gar nicht ohne Impfungen durch den Zoll bekommen und zweitens hätten wir uns in Deutschland nicht um sie kümmern können. Hier wären sie dann auch wieder herrenlos gewesen und kaum einer hätte sich um sie gekümmert.“ Johann war pragmatisch. „Na ja, und in deinem Rucksack konnten wir sie ja nicht unterbringen, weil der Herr den voller antiker Scherben hatte, so dass sein Gepäck in letzter Sekunde in meinem Rucksack verstaut werden musste, weil er sonst für das Übergepäck hätte zahlen müssen“, schimpfte Sophia mit einem Lachen auf den Lippen.
Ich schaute Johann voller Dankbarkeit an. Mit zusätzlichen Katzen aus der Türkei wollte ich mein Revier und meine Futterquellen nicht teilen, zumal sie sicher die volle Sympathie meiner Familien, insbesondere die von Sophia, gehabt hätten, weil sie so mager waren und geradezu abgerissen aussahen, wie ich der Schilderung der beiden entnommen hatte. Menschen haben mit solchen Tieren stets Mitleid. Man selbst gerät dann einfach in Vergessenheit.
„Ich denke mit Schrecken an die Umpackaktion am Istanbuler Flughafen, vor allen an den Typen, der sich vorher an deinem Rucksack zu schaffen machte. Gott sei Dank hatten wir alle Wertsachen am Körper“, fuhr Sophia ein wenig streitbar, aber trotzdem lachend, fort.
„Das war wirklich stressig“, gab Johann bereitwillig zu. „Endlich sind wir wieder da.“ Er wollte sichtlich das Thema beenden. Ich schmunzelte in mich hinein. Er kannte Sophia noch nicht so lange. Sie würde bestimmen, wann Ende mit dem Thema war.
„Du hattest im Übrigen großes Glück, dass du am Zoll nicht erwischt worden bist. Du wärst für eine lange Zeit in einem türkischen Knast verschwunden. Und das mit Recht. Stell Dir vor, jeder würde so viele Andenken aus Ephesos mit nach Hause nehmen. Dann hätten die Türken bald keine Ruinen mehr“, fuhr Sophia, die sich geradezu in Rage redete, fort.
Ich hatte es gewusst. Sie war noch nicht fertig mit der Thematik.
Johann stand da, den Kopf wie ein reuiger Sünder nach unten geneigt. Aus meiner Lage erkannt ich jedoch deutlich, dass er frech grinste. Offenbar nahm er Sophia nicht so ernst, wie es sich nach meiner Sicht der Dinge gehörte. Sophia ist meiner Meinung nach nämlich eine sehr kluge Frau, die weiß, was sie redet. Johanns augenblickliches Verhalten gefiel mir nicht besonders gut, nein, es missfiel mir. Sophia nahm jedoch keinen Anstoß an seinem Verhalten, sicher nicht zuletzt, weil sie sein Grinsen nicht sehen konnte. Wir hatten ja unterschiedliche Perspektiven.