Читать книгу Die Sache in London - Helene Reckling - Страница 5
Kapitel 1 Willst du, Laura?
Оглавление„Clara! Geh und sieh nach, ob deine Schwester so weit ist. Der Pfarrer ist gerade eingetroffen“, hörte ich meine Mutter von der Treppe her zu mir heraufrufen.
Ich saß auf dem Bett in meinem alten Zimmer meines Elternhauses, hatte ein Buch in den Händen und versuchte mein Möglichstes, dem Gewusel im Haus aus dem Weg zu gehen.
„Clara? Hast du mich gehört?“, erklang erneut die befehlsgewohnte Stimme meiner Mutter.
„Ja!“, rief ich laut. Mit einem genervten Seufzen legte ich meine Lektüre beiseite und stand auf. Ich ging betont langsam den Flur entlang zum Zimmer meiner Schwester, wo diese mit ihren immens lebhaften Freundinnen dabei war, sich feucht-fröhlich für den großen Tag in Schale zu werfen.
Schon durch die geschlossene Tür hörte ich ihr Geschnatter, Gekicher und ohrenbetäubendes Gequietsche. Ich holte einmal tief Luft, um mich zu stählen, und trat ein.
Ihre drei Brautjungfern – obwohl der Begriff „Jungfer“ wohl bei keiner zutreffend war – saßen auf ihrem Bett und dem Schreibtischstuhl, während meine drei Jahre ältere Schwester Laura mitten im Raum stand. Sie sah umwerfend aus. Ihr blondes Haar war in kleine Locken gedreht und auf ihrem Kopf aufgetürmt. Sie hatte auf einen Schleier zugunsten einer aufwendig gearbeiteten silbernen Tiara mit kleinen rosa Steinen verzichtet.
Ihr Kleid war aus zartrosa Seide, trägerlos, mit einer kräftigen bordeauxroten Borte am Ausschnitt und einer gleichfarbigen Schärpe um ihre zierliche Taille, die hinten fast bis zum Boden reichte. Der Rock bauschte sich imposant um ihre schlanken Beine.
Ihre Brautjungfern trugen ebenso zartrosafarbene bodenlange, eng geschnittene Seidenkleider. Nur ich, als Lauras Trauzeugin, stach aus der süßen rosa Masse hervor. Und das war auch gut so. Es hatte mich etliche Mühe gekostet, ihr klarzumachen, dass ich auf gar keinen Fall in Rosa antreten würde. Wenn es denn sein musste, würde ich ein sehr unpraktisches Kleid tragen, aber auf keinen Fall rosa Seide!
„Mama will wissen, ob du heute noch fertig wirst. Der Pfarrer ist auch schon da.“ Ich stand mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen gelehnt und betrachtete die Szene schweigend. Ich dachte mir meinen Teil, behielt meine Meinung aus Rücksicht auf die ohnehin blank liegenden Nerven meiner Schwester jedoch für mich.
Laura drehte sich zu mir um und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich trug ein bordeauxrotes, schulterfreies Taftkleid, das bis zum Boden reichte. Die halblangen Trompetenärmel passten wunderbar zu dem leicht ausgestellten Rock. Dafür war ein Unterrock mit Tüllbesatz verantwortlich. Mein langes schokobraunes Haar war bereits frisiert und fiel in dichten Wellen lose über meinen Rücken. Gebändigt wurde es von einem silbernen Haarreif, dessen Stränge ineinander verschlungen waren und ein anmutiges Muster bildeten. Er erinnerte ein wenig an eine Tiara. Kleine silberne, tropfenförmige Ohrhänger und die passende Kette verliehen mir den letzten Schliff. Auch die für mich unübliche Prozedur des Schminkens hatte ich bereits hinter mich gebracht.
„Hast du wieder auf dem Bett gelesen? Du bist völlig zerknittert“, tadelte meine Schwester mich. Bevor ich reagieren konnte, war sie bei mir und zupfte an meinem Rock und meinen Haaren herum.
„Das reicht jetzt“, sagte ich nachdrücklich und schob ihre Hände weg.
„Du bist unmöglich!“, schimpfte sie.
„Ja, ich weiß. Könntest du jetzt bitte heiraten?“
Ihr eisblauer Blick verfing sich in meinen haselnussbraunen Augen.
Lauras Freundinnen tuschelten und lachten leise.
Schließlich trat ich einen Schritt zurück und deutete mit der rechten Hand hinter mich. „Können wir?“
Laura wandte sich halb ab, sah mich aber nach wie vor an. „Sag Mama, wir sind in zwei Minuten unten.“
Ich nickte und verließ den Raum. Ob das so stimmte, bezweifelte ich, aber gut.
Auf dem Treppenabsatz lag Oscar, mein heiß und innig geliebter zweijähriger Bernhardiner, und schlummerte friedlich.
„Oscar.“ Beim Klang meiner Stimme hob er seinen großen Kopf und sah schläfrig zu mir auf. Ich pfiff durch die Zähne und wies mit einem Kopfnicken nach unten. Langsam und schwerfällig erhob er sich und tapste gemütlich vor mir die Treppe hinunter. Wenn Oscar gerade erst erwachte, war er zu nichts zu gebrauchen. In dieser Hinsicht waren wir uns sehr ähnlich.
Unten blieb ich stehen und rief: „Mama, Laura sagt, sie braucht noch zwei Minuten. Also dauert es gar nicht mehr lange, bis wir sie endgültig los sind.“
Mein Vater war unbemerkt aus seinem Arbeitszimmer gleich neben der Treppe getreten. Bei seinem leisen Räuspern drehte ich mich um und sah, dass er grinste.
„Paps!“ Ich musterte ihn von Kopf bis Fuß und pfiff anerkennend. Es war schon eine Weile her, dass ich meinen Vater in einem so schicken Anzug gesehen hatte. Dem Anlass entsprechend, hatte Mama ihm einen ganz besonders edlen Zwirn beschafft: schwarz, dazu ein leuchtend weißes Hemd und eine bordeauxrote Krawatte. Seine schwarzen Schuhe glänzten und sein dunkles, leicht meliertes Haar war frisch gestutzt und ordentlich gekämmt. Er war zweifellos eine stattliche Erscheinung.
„Ist Mama sich eigentlich bewusst, was sie da tut, wenn sie dich so rausputzt? Ich will keine Stiefmutter!“
Papa legte den Kopf schräg und sah mich groß an. „Böses Clärchen!“
„Was denn? Ich mein doch nur, dass du toll aussiehst und dass das auch anderen Frauen auffallen wird“, schniefte ich theatralisch und schob die Unterlippe vor.
„Keine Angst. Ich bin treu wie Gold.“ Seine braunen Augen, die den meinen so sehr ähnelten, funkelten verschwörerisch.
„Nun steht einem friedlichen Leben auch fast nichts mehr im Wege.“ Während ich sprach, wanderte mein Blick vielsagend nach oben.
Wir hatten uns gestern Abend auf der Terrasse bei einem Bier unterhalten und waren beide zu dem Schluss gekommen, dass es Zeit war, dass Laura aus dem Haus kam. Sie war dreißig und es wurde Zeit, dass sie ihr Leben umkrempelte, in ihrem Job als Dolmetscherin kürzertrat und sich der Gründung einer eigenen Familie widmete. Dann könnte sie ihre gesamte Energie darauf verwenden, ihre eigenen Kinder und ihren Göttergatten zu kritisieren und zu erziehen. Papa und ich waren ihrer ständigen Verbesserungsvorschläge für unser Äußeres, unser Benehmen und unser Dasein im Allgemeinen mehr als leid.
Mama anderseits war wahrhaftig traurig darüber, dass ihre ältere Tochter nun heiraten und mit ihrem Mann nach England gehen würde. Diese Regung war uns gänzlich unverständlich.
„Vielleicht findet mein kleiner Trotzkopf ja heute auch einen netten Mann“, sagte Papa beiläufig.
Ich hob fragend eine Augenbraue.
„Du siehst bezaubernd aus, Clärchen. Und wenn die Männer nicht alle vollkommen verblödet sind, wird ihnen das auffallen.“
„Danke, aber ich fürchte, du bist voreingenommen.“
„Papperlapapp.“
Es lag nicht daran, dass ich keinen Partner wollte, sondern eher daran, dass es verdammt schwer war, jemanden zu finden, wenn das Leben aus Arbeit, Hund und Büchern bestand.
„Manchmal geschehen die Dinge, wenn wir am wenigsten damit rechnen.“
„Ach mein daueroptimistisches Papilein.“ Ich küsste ihn auf die Wange und fühlte mich einmal mehr von ihm getröstet.
Wir schwiegen und beobachteten Oscar dabei, wie er durch das Foyer strich und überall neugierig schnupperte.
„Kann er in deinem Arbeitszimmer bleiben? Wenigstens während der Zeremonie? Der bringt‘s fertig und stürzt sich auf die Hochzeitstorte.“ Es war zwar wahrscheinlicher, dass ich mich auf die Torte stürzen würde, aber ich wollte Oscar trotzdem aus der Schusslinie wissen. Wenn er heute einem der Gäste auch nur zu nahe kam, würde Mama ihn eigenhändig aus dem Haus werfen. Als Papa nickte, beorderte ich meinen Vierbeiner zu mir und führte ihn ins Arbeitszimmer.
Auf seinem großen Schreibtisch türmten sich Aktenberge, aufgeschlagene Gesetzesbücher und sein Laptop war eingeschaltet. Papa war selbstständiger Steuerberater mit einer gutgehenden Kanzlei.
„Glaubst du ernsthaft, du könntest heute noch groß was schaffen?“, erkundigte ich mich über die Schulter.
„Ich wollte zumindest so lange fleißig sein, bis Mama mich hier herauszerrt.“
Das lag durchaus im Rahmen des Möglichen.
Von oben vernahmen wir die aufgeregten Stimmen der Brautjungfern, die ununterbrochen durcheinanderredeten, ohne auch nur eine Sekunde darauf zu achten, was die anderen sagten.
„Es geht los“, raunte Papa mir zu. Wir blickten erwartungsvoll nach oben.
Laura kam wie ein rosa Rausche-Engel die Treppe hinuntergeschwebt. Sie blieb vor uns stehen und strahlte aufgeregt und glücklich zugleich.
Unserem Papa stand der Vaterstolz ins Gesicht geschrieben.
„Laura, du sieht traumhaft aus. Freddie ist ein sehr glücklicher Mann.“
„Danke“, hauchte sie. Nun zeigten auch ihre Wangen ein ganz zartes Rosa.
In dem dringenden Bedürfnis, nichts Unbedachtes von mir zu geben, machte ich kehrt und ging auf unsere Mutter zu, die mir aus dem hinteren Teil des Hauses entgegenkam.
„Da seid ihr ja endlich. Dann können wir ja anfangen.“ Sie nahm mich am Arm und dirigierte mich zur Terrassentür, wo auf einem kleinen Klapptisch unsere Sträuße aus zartrosa und dunkelroten Rosen parat lagen.
Braut, Brautvater und Brautjungfern hatten uns eingeholt.
An der Wand gegenüber des Tisches stand eine Reihe junger Männer, die uns erwartungsvoll entgegenblickten.
Wie Mama nun einmal veranlagt war, übernahm sie das Kommando.
Sie reichte jedem Mädchen seinen Blumenstrauß und schob es anschließend zu dem für sie zugedachten Herren.
Es handelte sich um übersättigte, erfolgsverwöhnte Geschäftsmänner um die 30, mit der Intensität und der Ausstrahlung eines nassen Waschlappens. Alle stammten sie aus guten Familien. Sie sahen aus, als wären sie allesamt vom selben Designer entworfen worden. Ich würde wetten, dass sie auch alle ähnlich intelligente Gespräche über Aktien, die Weltwirtschaft und neue Geschäftsmöglichkeiten draufhatten. Wenn ich richtig Glück hatte, würde der eine oder andere mir noch über die neuesten Entwicklungen aus der Automobilbranche berichten können oder mir Tipps geben, wo ich meinen alten Hobel am besten aufmotzen lassen könnte.
Ich konnte mir ein gequältes Stöhnen nicht verkneifen. Laura drehte sich zu mir um und durchbohrte mich mit einem warnenden Blick. Als Antwort zuckte ich mit den Schultern und nahm den mir angebotenen Arm des Trauzeugen meines zukünftigen Schwagers. Soweit ich wusste, hieß er Danny und war sein jüngerer Bruder.
Einen Nachmittag würde ich diese Clownsbrigade schon aushalten – zumindest hoffte ich dies inständig.
Nachdem Mama uns zu ihrer vollen Zufriedenheit arrangiert hatte, huschte sie hinaus in den Garten, um das Startsignal zu geben. Vor mir standen die drei Brautjungfern mit ihren Begleitern, neben mir machte sich Danny bereit und hinter uns warteten Laura und Papa.
Draußen begann das Streichquartett mit dem klassischen Stück, das meine Mutter für diesen Anlass ausgesucht hatte, und das erste Pärchen setzte sich in Bewegung. Ich fand es erstaunlich, dass sie trotz ihres bereits erheblichen Alkoholkonsums noch in der Lage waren, geradeaus zu gehen. Es sah aus, als würden sie einander stützen. So in meine Gedanken vertieft, entging mir beinahe der leicht lüsterne Blick meines Begleiters Danny. Ich wandte mich seufzend ab.
Der weitläufige Garten hinter unserem Haus war seit Tagen von vielen fleißigen Helfern in ein Märchen aus Blumen, Schleifen und kunstvollen Springbrunnen verwandelt worden. Überall befanden sich kleine Sitzgruppen, damit man sich dort nach der Zeremonie am reichhaltigen Buffet bedienen konnte. Selbst mein recht zynisches Gemüt war davon gerührt. Vielleicht etwas zu viel Rosa für meinen Geschmack, aber wem es gefiel …
Ich hörte meinen Vater hinter mir schnauben und musste mir ein Grinsen verkneifen. Also war ich nicht allein mit meiner Meinung. Wobei ich glaubte, in seinem Schnauben auch so etwas wie Unglauben mitschwingen zu hören. Die Rechnung für diesen Traum würde dann wohl auch den letzten Zauber verpuffen lassen. Aber die Freiheit hatte schon immer einen hohen Preis verlangt.
Die Hochzeit war gut besucht. Etwa 120 Gäste aus dem engsten Familien- und Freundeskreis hatten sich angemeldet und bis auf ein paar Ausnahmen waren sie auch alle erschienen. Sie sahen allesamt ordentlich herausgeputzt und elegant aus. Die Damen hatten diese Gelegenheit zweifelsohne genutzt, um ihrer Lieblingsboutique einen Besuch abzustatten. Natürlich hatten sie auch ihre Männer, Freunde und Söhne nicht vergessen. Ich musste schon zugeben, dass dies hier eine topmodische Bande war.
Wir marschierten angemessenen Schrittes den Mittelweg entlang. Alle Augen waren auf uns gerichtet.
Nur nicht nervös werden, sagte ich mir immer wieder, denn das hätte fatale Folgen für meinen graziösen Auftritt gehabt. Ich sah mich schon mit dem Gesicht nach unten auf dem roten Teppich liegen, während sich alle Anwesenden vor Lachen die Bäuche hielten.
Doch dann hatten wir es geschafft und waren vorne beim Pfarrer angekommen. Mein zukünftiger Schwager Freddie sah nervös aus. Ich fragte mich, ob er seine voreilige Frage vom letzten Valentinstag bereits bereute. Aber er war so ein lieber treuer Kerl, er würde nie von einem Versprechen zurücktreten, das er einmal eingegangen war. Nicht geschäftlich und auch nicht im Privatleben. Laura war wirklich zu beneiden.
Diese kam jetzt am Arm unseres Vaters den Gang entlang geschwebt. Sie schien von innen heraus zu strahlen und war eine umwerfende Braut.
Papa küsste sie auf die Wange und übergab sie dann an ihren Zukünftigen. Gott, die beiden wirkten so glücklich und so verliebt, dass mir beinahe übel wurde.
„Liebe Familie und Freunde“, begann Pfarrer Lämmlein seine Rede. Auch jetzt fiel mir wieder auf, dass wohl noch nie ein Mensch seinem Namen so viel Ehre gemacht hatte wie unser guter Herr Pfarrer. Er war vermutlich der sanftmütigste Mensch, den ich kannte.
Gut, Zeit für mich, mir die Gäste etwas genauer anzusehen.
Die meisten davon kannte ich nicht. Die meisten davon willst du gar nicht kennen, flüsterte mir eine kleine boshafte Stimme zu. Sie hatte zwar recht, aber trotzdem verbat ich mir weitere solcher Kommentare. Dies war Lauras großer Tag und nicht der Ort oder die Zeit für meine boshaften kleinen Stimmen, mir Dinge einzuimpfen.
Unsere Mutter presste sich ein Taschentuch an die Lippen und versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Es gelang ihr nicht wirklich. Das hätte selbst ein Hörgeschädigter noch mitbekommen. Papa zwinkerte mir zu und legte den Arm um seine Frau, die jetzt in kürzeren Abständen und immer heftiger zu schluchzen begann.
Unsere Großeltern waren ebenfalls anwesend. Sie saßen direkt neben unseren Eltern und blickten stolz auf ihre älteste Enkelin. Mich bedachten sie mit etwas abschätzigen Blicken, aber das störte mich nicht. Mein Großvater mütterlicherseits war bereits eingenickt und bekam mal wieder nichts mit.
Ich hatte auch die Eltern meines Schwagers, Dave und Karen, bereits kennengelernt. Sie waren nette Leute. Sehr umgänglich und man konnte verstehen, warum Freddie so geworden ist. Alles eine Frage der Vererbung.
Freddies Bruder war ein ganz anderes Kaliber. Er stand neben ihm und beäugte mich, na sagen wir mal: interessiert. Ich warf ihm einen kalten Blick zu und hoffte, dass er nicht einer der von Papa prophezeiten jungen Männer war, doch etwas verriet mir, dass es so sein würde.
Um mich abzulenken, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder den Gästen zu. Langsam ließ ich meinen Blick die Reihen entlangwandern und betrachtete sie. Bei einigen war die Familienzugehörigkeit eindeutig erkennbar, bei anderen eher weniger.
Am hinteren Ende des Gartens sah ich Oscar. Verflixt! Hatte er sich tatsächlich die Tür des Arbeitszimmers geöffnet. Nun sagte er gerade einer Schleife den Kampf an, die einen weißen Blumenständer schmückte, auf dem ein Topf mit zartrosa Blumen stand. Mir schwante Schreckliches! Und richtig: Mit einem von unserem Standpunkt aus kaum hörbaren Plumps fiel der Blumenständer mitsamt des Blumentopfes um. Oscar schnupperte kurz an den Blüten, ob sie vielleicht etwas Abwechslung in seinen Ernährungsplan bringen würden, schien dies aber mit einem klaren Nein zu bescheiden und schnappte so nach der Tüllschleife und zerrte heftig daran, bis sie aufgab und er sie mit sich schleifen konnte, um ihr ohne Zeugen den Rest zu geben. Ich wusste nicht genau, ob ich lachen oder mit ihm schimpfen sollte. Mama würde einen Anfall bekommen, wenn sie das sah!
„Laura Caroline, gelobst du, den hier anwesenden Frederic Charles zu deinem Ehemann zu nehmen, ihn zu lieben und zu ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, in Krankheit und Gesundheit, bis dass der Tod euch scheidet? Dann antworte mit Ja“, hörte ich Pfarrer Lämmlein gerade sagen.
Ups, da hätte ich doch fast den wichtigsten Teil verpasst!
„Ja“, antwortete meine Schwester laut und deutlich. Ich blickte zu meinem Papa und wir lächelten beide zufrieden, während Mama immer noch schluchzte. Aber sie war nicht die Einzige. Etliche der anderen Damen betupften sich ebenfalls die Augen.
„So nehmt diese Ringe als Zeichen eurer unendlichen Liebe und sprecht mir nach …“
Nachdem beide ihr Eheversprechen abgelegt hatten, erklärte der Pfarrer: „Somit erkläre ich euch zu Mann und Frau! Du darfst die Braut jetzt küssen.“ Was Freddie auch prompt tat. Laura schaffte es gerade noch, mir ihren Brautstrauß in die Hand zu drücken, bevor ihr Mann über sie herfiel. Wer hätte dem scheuen Freddie so viel Leidenschaft zugetraut?
Die Anwesenden brachen in Applaus aus.
„Ich präsentiere Ihnen zum ersten Mal das Ehepaar Frederic und Laura Parson“, rief der Pfarrer und provozierte damit eine weitere Runde Applaus.
Laura umarmte mich stürmisch. Ihr rannen Tränen über ihr schönes Gesicht. Sie war glücklich. Dann küsste sie mich auf die Wange, nahm ihre Blumen, anschließend den Arm ihres Mannes und eilte mit ihm den Mittelgang zurück. Freddies Bruder trat auf mich zu, bot mir seinen Arm an und so folgten wir dem glücklichen Paar in gebührendem Abstand, gefolgt von den anderen Brautjungfern und ihren Galanen.
Sobald wir im Haus waren, machte ich mich von diesem Früchtchen an meiner Seite los und stellte mich etwas abseits. Doch er schien nicht so schnell aufgeben zu wollen. Da kamen unsere Eltern herein. Mama fiel ihrer Großen um den Hals, Papa schüttelte Freddie die Hand und hieß ihn herzlich in unserer Familie willkommen. Dann wandte er sich um und kam zu mir. Er umarmte mich und flüsterte: „Wir haben‘s geschafft, Clärchen!“ Er war der einzige Mensch auf Erden, der mich ungestraft so nennen durfte.
„Oh ja“, flüsterte ich zurück und machte mich dann von ihm los. Wir wandten uns wieder den anderen zu und nahmen deren Glückwünsche und Komplimente entgegen.
Da fiel mir Oscar wieder ein.
„Würdet ihr mich bitte entschuldigen? Mir ist gerade etwas eingefallen“, entschuldigte ich mich bei Laura und Freddie und ging, um meinen vierbeinigen Unruhestifter zu suchen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menschenmenge hinaus in den Garten, wo ich ihn am ehesten vermutete.
„Wir werden aber gleich noch Fotos machen, also sei schnell wieder da und mach ja dein Kleid nicht schmutzig!“, rief Laura mir nach.
„Ja, Mama“, brummte ich vor mich hin. Was glaubte die denn, wie alt ich war? Ich biss die Zähne zusammen, um nicht doch noch eine unpassende Antwort zu geben.