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Johanna saß in Philippas Wohnung und läuterte sich. Vor ihr stand eine Tasse bleichen Tees und ein geschliffenes Kristallglas mit irgendetwas Sherry-ähnlichem. Johanna saß wie auf Kohlen, überlegte gequält, was sie sonst mit diesen zwei Nachmittagsstunden hätte anfangen können, und hörte Philippas Gerede wehrlos und höflich zu.

Georg war wieder einmal krank, die alte Lebergeschichte, die er sich während seines ersten Konsulatpostens in Uganda aufgelesen hatte. Schon damals war, laut Philippa, klar gewesen, dass für jemanden mit einer derartig zarten Konstitution das tropische Klima und die mangelnde Hygiene gefährlich sein mussten. »Aber er hat’s natürlich ausgehalten, Durchfall für Volk und Vaterland.« Die Nachfolgeschäden dauerten an, wurden eher schlimmer als besser. Momentan lag er zu Hause im Bett, ab Montag würde er für mindestens fünf Wochen ins Sanatorium gehen.

»Und wir sitzen hier und plaudern miteinander, armer Georg«, sagte Johanna hoffnungsvoll und stand auf. »Dann musst du dich dringend um ihn kümmern.«

Mit einem kurzen Kopfschütteln vereitelte Philippa Johannas Fluchtversuch. »Du weißt doch, wie er ist. Mein Kümmern würde ihn nur nervös machen. Wenn es Georg wirklich schlecht geht, zieht er sich ins Gästezimmer zurück. Da leidet er für sich alleine, will niemanden sehen. Ganz wie ein verletztes Tier. Setz dich wieder, Joe, wir hatten’s doch grad so gemütlich.«

Johanna hoffte zu Gott, dass der arme Georg wenigstens rechtzeitig eine volle Whiskyflasche unter der Bettdecke verbergen konnte. Doch wie sie die Sache sah, hatte Philippa zuvor penibel Aufräumungsarbeiten geleistet und Georg vor allem deshalb ins Gästezimmer verbannt, um die Tür hinter ihm abschließen zu können. Johanna warf einen Blick auf die elegante kleine Hausbar, außen schwarz, innen verspiegelt, reines Art déco. Mehrere volle und halbvolle Flaschen standen dort als Beweis für den legeren Umgang mit Alkohol in diesem Haushalt. Johanna war jedoch davon überzeugt, dass dies nur eine Inszenierung für den Gast war und dass die Flaschen nach ihrem Abgang sogleich wieder hinter Schloss und Riegel verbannt werden würden.

»Möchtest du vielleicht einen Whisky?«, fragte Philippa, die Johannas Blick gefolgt war.

»Um Gottes willen!«, sagte Johanna erschrocken. »Erzähl weiter. Wo hast du diese Frösche gefunden?«

Die Frösche, die zwischen Teetassen und Sherrygläsern auf dem Glastisch hockten, waren bemerkenswert hässlich. Ihre braun-grünen Rücken konnte man abheben, in den Bäuchen hatte Philippa Mandeln und Oliven arrangiert. Bei der Vorstellung, aus solch einem Tier etwas essen zu müssen, drehte sich Johanna der Magen um, während sie mit halbem Ohr einer endlosen Geschichte von Philippas Sammlerglück und Sammlermühe zuhörte.

»Ich find sie wirklich ekelhaft!«, sagte sie tapfer.

Philippa machte einen spitzen Mund, ihre Augen glänzten. »Aber das ist es doch gerade, Joe, Schätzchen, das ist der verführerische Reiz des extrem Hässlichen. Es stößt dich ab und macht dich gleichzeitig wild darauf, es an dich zu reißen. Der Künstler, der sich diese kleinen Monstren ausgedacht hat, war einfach genial. Und sie dann auch noch als Gefäß zu gestalten und so den Menschen dazu zu bringen, seine Physis mit der Physis des extrem Hässlichen in direkte Verbindung zu bringen, beim Essen zum Beispiel, welch ein Einfall!«

»Man könnte ja auch Stecknadeln hineintun«, sagte Johanna.

Philippa überhörte den Einwand. Sie philosophierte über das Wesen der Hässlichkeit, die schließlich einen tieferen Sinn haben müsse, sonst hätte Gott sie ja nicht zugelassen. »Und sei es auch nur als Gegensatz, um das Schöne noch viel schöner zu machen.«

Philippa hob sich mit ihren großen Händen einen Frosch gegen das Gesicht, sie rieb ihre fast weiße Rosenhaut genüsslich gegen die schlammfarbene Oberfläche des Tieres und schließlich küsste sie sogar das breite Maul. Dann lachte sie kokett. »Froschkönig, du kennst ja das Märchen.« Und sie begann sich Stück für Stück die Oliven aus dem Froschbauch einzuverleiben.

»Wenn du willst, würde ich dir einen davon abtreten, zum Einkaufspreis natürlich«, sagte sie in einer Pause zwischen den Oliven. »Du setzt ihn vor deinen Toilettenspiegel, und immer wenn du dich schminkst oder kämmst, wirst du dir so unendlich viel schöner vorkommen, la belle et la bête. Du kannst ihn auch mit ins Bett nehmen und ihn, sagen wir mal, auf deinem nackten Bauch oder zwischen den Brüsten platzieren.«

»Und wozu sollte das gut sein?«

Philippa seufzte und rollte die Augen gen Himmel. »Du liest zu wenig Märchen. Frösche sind sehr interessant, das darfst du mir getrost glauben. Als Vehikel für die Phantasie, als Symbol, als Versuchung oder göttliche Strafaktion. Abgesehen von dem, was die Zoologen über sie berichtet haben, die Verhaltensforscher. Zum Beispiel, was ihre Paarungsrituale angeht, da hat man nämlich herausgefunden, dass …«

Und schon war sie wieder mittendrin in ihren endlosen Geschichten.

Pippas ganzes Interesse galt Tieren. Allerdings nicht den lebendigen, deren unvermeidliche Körperfunktionen wären ihr zu lästig. Sie hielt sich weder Fische, Vögel noch Hunde oder Katzen und ganz sicher keine Frösche. Doch hatte sie ganze Schränke voll von deren verfremdeten Abbildern, verfremdet insofern, als die kleinen Tierskulpturen immer zu irgendetwas nutze sein mussten: Sie waren Flasche, Schüssel, Bürste, Haarspange, Korkenzieher, Aschenbecher, Feueranzünder und so weiter.

Auch in Brenton Hall hatte Philippa sich keine Haustiere gehalten, weder Hunde noch Katzen noch Vögel. Doch sie hatte zwei Pferde besessen, groß, schwer und auf den ersten Blick Ackergäule. Johanna hatte der Freundin beim Training zugeschaut und gefunden, dass Philippa etwas reichlich oft die Peitsche benutzte. »Geht’s denn nicht anders?«, hatte sie gefragt, »musst du immerfort auf sie eindreschen?«

»Das ist nötig«, hatte Philippa geantwortet, »damit sie jedes Mal von neuem begreifen, wer hier über wen verfügt.«

Philippas Lieblingsstuhl war ein Karussellschwan, ebenfalls frühes Neunzehntes, wie sie immer wieder betonte. Seine ausgebreiteten, gepolsterten Flügel umfingen den Sitzenden von hinten. Es war ein Erlebnis, Pippa zuzuschauen, wie sie ihre Körperfülle geschickt in die ursprünglich für Kinder gedachte schmale Öffnung zwischen den Flügeln hineinwand und ihre Formen denen des Schwans anpasste.

»Wer sonst als Zeus«, kommentierte Johannas Freundin Charlotte. »Und Pippa fühlt sich natürlich als Leda.« Darauf wäre Johanna auch selbst gekommen. Sie hätte es aber nicht ausgesprochen, nicht einmal hinter vorgehaltener Hand.

Der fremde Bruder

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