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Upstalsboom – das Zentrum der Freien Frieslande

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Bild: Onno Gabriel

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ostfriesland_um_1300.png

Die Häuptlinge waren Bauern, die zu Wohlstand gekommen waren. Ihr äußeres Zeichen: Sie konnten sich Häuser aus Steinen anstelle von Lehmziegeln leisten. Noch heute künden „Steinhäuser” von dieser Zeit. Diesen Häuptlingen wurde häufig die Rechtssprechung übertragen. 1430 jedoch kam es zum Widerstand verschiedener Landgemeinden. Sie forderten, auch die Häuptlinge sollten nichts anderes als „gemeine Friesen” sein. Ihr Führer wurde zunächst Enno Cirksena und später sein Sohn Edzard und es kam zu teils kriegerischen Auseinandersetzungen mit anderen Häuptlingen. Vor allem fehlte den Cirksena ein Adelstitel, um z.B. Herrschaftsansprüchen des Bischofs von Münster entgegentreten zu können. Einer der Nachfolger, Ulrich Cirksena, trug Ostfriesland dem Reich als Lehen an und wurde daraufhin 1454 zum Reichsgrafen ernannt – wobei die Urkunde aber nie gefunden wurde und Ulrich Cirksena auch nie vom Titel Gebrauch gemacht hat. Überfälle des Grafen von Oldenburg

„zeigten (…) Ulrich mehr denn je, dass er so rasch wie möglich einen neuen Besitztitel brauchte, der ihn vor solchen Überfällen sicherte. Und der einzig sichere und haltbare, den es gab, war der kaiserliche Lehnsbrief” (Kurowski 1987, 117).

Kaiser Friedrich III ernannte Ulrich Cirksena 1464 (erneut?) zum Grafen. Das Besondere an diesem Lehnbrief war, dass die „Friesische Freiheit” bestätigt wurde:

„’Die freyheitten und gerechtigkeiten die euch von keyser Karl dem Großen, auch anderen Romischen keysern und kunigen geben’ sollten nicht gemindert werden” (Kurowski 1987, 119).

Die Vertretung der Stände Ostfrieslands, die „Ostfriesische Landschaft”, wurde unter napoleonischer Herrschaft aufgelöst. Letztlich hat sie 1815 mit der Inbesitznahme Ostfrieslands durch das Königreich Hannover ihre Funktion als Parlament der (Ost-)Friesen_innen verloren. Als Organisation besteht sie nach wie vor. Heute aber ist sie nach eigenem Selbstverständnis Hüterin der friesischen Überlieferung und nimmt als solche regionale Aufgaben in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Bildung wahr.

Die Entrechtung der Ostfriesen_innen

Als die männliche Linie der Cirksena 1744 ausstarb, machte Friedrich II von Preußen sein Erbrecht geltend, beachtete jedoch die „Friesische Freiheit”. Geholt worden waren die Preußen vor allem von den Ständen der Stadt Emden, die die Vorherrschaft des Fürstentums ablehnten und ihren Hafen wieder zu einem der führenden Europas gemacht wissen wollten. Friedrich II, ließ sich sein Kommen „fürstlich” vergüten, verlangte Geld für die Unterhaltung des Landes und für die Freistellung der Ostfriesen vom Militärdienst. Es gibt sogar die These, dass der Bau des Potsdamer Schlosses Sanssouci mit Geldern aus Ostfriesland bezahlt wurde: Friedrich II hatte den Bau schon seit langem geplant; das Erbe Cirksena gab ihm unverhofft die finanziellen Möglichkeiten dazu.[5] In Ostfriesland setzte mit der Übernahme durch die Preußen ein wirtschaftlicher Aufschwung ein; u.a. wurden Moore urbar gemacht und Land durch Eindeichungen gewonnen. Nicht zuletzt wurde auch der Emder Hafen ausgebaut. Während der Napoleonischen Feldzüge geriet Ostfriesland dann unter französische Besatzung, wurde Holland zugeschlagen und mit der Eingliederung Hollands in das französische Kaiserreich 1810 wurde Ostfriesland französisch. Auch die Ostfriesen wurden nunmehr verpflichtet, in Napoleons Truppen zu dienen. Sie sollen sich aber heftig gewehrt und vielfach ins Ausland abgesetzt haben. Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft kamen 1813 erneut die Preußen. Nunmehr aber war Ostfriesland den Preußen nicht mehr wichtig. Sie verschacherten es und in Aurich zog eine Hannoveraner „Besitznahmekommission” ein:

„Was Ostfriesland seit längerer Zeit gefürchtet hatte, das trat schließlich im Jahre 1815 ein. Der König von Preußen schloß mit dem König von England und Hannover am 29. Mai 1815 einen Ablösungsvertrag. Neben einigen Städten Niedersachsens wurde darin ganz Ostfriesland zu Hannover geschlagen. Dieser Abtretungsvertrag wurde durch alle am Wiener Kongreß beteiligten Mächte anerkannt und in die Wiener Schlussakte vom 9. Juni 1815 aufgenommen” (Kurowski 1987, 380).

„Alle Steuergelder, die früher für das Land mitverwandt wurden, flossen nunmehr in die Generalkasse Hannovers und waren damit verloren. Die ostfriesischen Stände wurden aller Mitspracherechte beraubt” (ebd., 381).

Diese Entmachtung der Stände widersprach der Schlussakte des Wiener Kongresses. Durchsetzen konnte die Landschaft nach langjährigen Verhandlungen aber nur ein Mitspracherecht bei Gesetzen, die ausschließlich Ostfriesland betrafen.

Mit der Annexion Hannovers durch Preußen 1866 wurde Ostfriesland wieder preußisch. In Ostfriesland stieß dies „auf Begeisterung”.[6] Aus der Hannoverschen Landdrostei wurde der Regierungsbezirk Aurich. Mit der Reichsgründung 1871 setzte sich alsbald die kulturelle Verbindung mit Deutschland durch. U.a. wurde in den Schulen nun Hochdeutsch anstelle von Platt oder Niederländisch gesprochen. Seine Selbstständigkeit erhielt Ostfriesland jedoch nicht zurück; es blieb Teil des Landes Hannover, das jetzt eine preußische Provinz war.

Anfang der 1930er Jahre scheint den Ostfriesen_innen der Freiheitswille abhanden gekommen zu sein. Sie ließen sich bereitwillig gleichschalten. 1932 wählten im Regierungsbezirk Aurich 44,2% NSDAP und 1933 im Landkreis Wittmund sogar 71%. Früher als anderswo wurden jüdische Geschäfte boykottiert und die ostfriesischen Städte und Gemeinden meldeten bereits im April 1940, dass sie „judenfrei” seien.[7] Warum nationalsozialistisches Gedankengut gerade bei den Ostfriesen_innen auf so starke Zustimmung stieß, ist wenig erforscht. Möglicherweise erhofften sich einige die Befreiung von der Vormundschaft Hannovers.

Ostfriesland verschwindet von der politischen Landkarte

Auch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland brachte die Friesische Freiheit nicht zurück. Ostfriesland wurde 1945 Teil der britischen Besatzungszone und 1946 gründeten die Briten das „Land Hannover”. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes orientierten sich hieran und Ostfriesland wurde Teil Niedersachsens. Im Gegensatz z.B. zu den Nachbarn_innen in der früheren Grafschaft Oldenburg wurden die Ostfriesen_innen nicht nach ihrer Zustimmung gefragt.

1978 verlor Ostfriesland sogar noch die bis dahin eigenständige Verwaltung. Der Regierungsbezirk Aurich wurde mit den Regierungsbezirken Osnabrück und Oldenburg zum Regierungsbezirk Weser-Ems zusammengelegt; 2005 löste Niedersachsen die Regierungsbezirke gänzlich auf. Als sozio-politische Einheit ist Ostfriesland seit 1978 von der Landkarte verschwunden. Die 462.548 Einwohner_innen Ostfrieslands (2010) stellen nur 5,8% der Bevölkerung Niedersachsens. In den letzten Jahren jedoch ist eine (wieder) zunehmende Ablehnung dessen, was aus dem „Fürstenland Hannover” kommt, festzustellen. Dazu bei trägt insbesondere die Umweltpolitik, beispielsweise die Zerstörung der Ems und der rücksichtslose Bau von Gaskavernen. Auch der Umgang mit der ostfriesischen Wirtschaft, die fehlende Bereitstellung von Infrastruktur etc., wird vielfach kritisiert.

Rückbesinnung auf die eigene Kraft?

2007 wurde die Partei „Die Friesen” gegründet. Obwohl sie nur ein paar Dutzend Mitglieder hatte, erreichte sie bei der Landtagswahl ein halbes Jahr nach ihrer Gründung bereits 10.000 Stimmen. Niedersachsenweit waren dies 0,3% und die Partei verfehlte den Einzug in den Landtag deutlich.[8] Im Leeraner Kreistag sowie in den Samtgemeinden Brookmerland und Hesel und der Gemeinde Rhauderfehn konnte sie jedoch je einen Sitz erringen und im Wahlbezirk Leer/Borkum war ihr Stimmenanteil bei der Landtagswahl immerhin 4,5%. Die Bewerbung um einen Sitz im Landtag war von vornherein chancenlos. Dazu hätten selbst sämtliche Wähler_innenstimmen Ostfrieslands nicht gereicht. 10.000 Stimmen, davon die meisten aus Ostfriesland, scheinen mir jedoch Ausdruck gezielten Protests gegen den Umgang der etablierten Landtagsparteien mit ostfriesischen Belangen zu sein. Im Forderungskatalog der Friesenpartei steht an erster Stelle (in etwas ostfriesisch-verquerer Sprache): „Selbstbestimmung unser Tätigkeitsgebiet”. Bei den konkreten Forderungen ist das Reizwort unisono „Hannover”, wobei die Partei explizit auf die Entrechtung Ostfrieslands durch das damalige Königreich Bezug nimmt. Momentan ist es um die Partei eher still geworden. Möglicherweise scheitert sie, weil sie mangels Mitgliedern in sie gesetzte Erwartungen nicht erfüllen kann. Zur Landtagswahl 2013 trat sie nicht an.

Auf ein wieder erstarktes Regionalbewusstsein deuten aber auch andere Entwicklungen hin. 2010 schlossen sich die drei ostfriesischen Landkreise und die Stadt Emden zu einem „Regionalrat Ostfriesland” zusammen. Ziel dieses Regionalrats ist die Förderung und Verstärkung der Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften. Vor allem geht es um die „Außenpolitik”:

„Nach außen möchten die beteiligten Kommunen einheitlich als Region auftreten.”[9]

Mit von der Partie sind neben den Gebietskörperschaften für die Region zuständige Abgeordnete des Bundes- und des Landtages sowie ein Mitglied des Europäischen Parlaments. Das Gremium hat bisher zwar mehrere Resolutionen verabschiedet, kann aber wenig bewirken. Zum einen sind interne Rücksichtnahmen auf unterschiedliche Interessen sowohl der politischen Parteien als auch der Gebietskörperschaften unumgänglich, zum anderen mangelt es dem Gremium an Durchsetzungsmacht gegenüber den lokalen „Herrschern_innen”. So wird kolportiert, dass der Leeraner Landrat noch nie an den Sitzungen teilgenommen habe. Geplant war von Anfang an, dass der Regionalrat alsbald von der Bevölkerung direkt gewählt werden solle. Als das Thema „Direktwahl” Mitte 2012 erneut auf der Tagesordnung stand, stellte die CDU-Fraktion – berechtigterweise – die Frage, ob hierzu nicht Beschlüsse der Kreistage notwendig seien. Man kann diese Frage auch noch weiter fassen: Im politischen System der Bundesrepublik ist ein solch zusätzliches Parlament nicht vorgesehen, womit sich sowohl die Frage nach dessen Zulässigkeit als auch nach der Zukunft der Kreistage stellt. Mittlerweile lehnen sowohl die SPD als auch die CDU eine Direktwahl ab. Rückenwind erhält die Perspektive eines „Ostfriesischen Parlaments” aber von anderer Seite.

2010/12 hat das Internationale Institut für Staats- und Europawissenschaften unter Leitung von Prof. Dr. Joachim Jens Hesse ein Gutachten zu den Kommunalstrukturen in Niedersachsen erstellt: Emden solle aufgrund akuter Finanzierungsprobleme und der demographischen Entwicklung seine Kreisfreiheit „überdenken”, der Kreis Wittmund sei wegen seiner geringen Einwohnerzahl kaum überlebensfähig, und die Kreise Aurich und Leer sollten mit Emden zu einem „Ostfriesischen Kernland” zusammenwachsen.[10] Allerdings opponierten die Landräte und der Oberbürgermeister Emdens umgehend. Was auch sollte sie und die Kreistage sowie den Rat der Stadt Emden veranlassen, sich selbst abzuschaffen? Die Geschichte des Föderalismus in Deutschland lehrt: Die Verwaltung wusste immer schon ihre Posten zu sichern. Ich bin daher skeptisch, dass Ostfriesland es schafft, nach 200 Jahren wieder eine eigene Regierung (wenngleich immer noch unter der Oberherrschaft von „Hannover”) zu Stande zu bringen. Ostfriesland wird weiterhin innerhalb Niedersachsens nur eine schwache Position haben. Die Selbstabgrenzung von „Düütskland” bleibt einstweilen ein Zeichen von Hilflosigkeit.

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