Читать книгу ADS. Unkonzentriert, verträumt, zu langsam und viele Fehler im Diktat - Helga Simchen - Страница 12
Ursachen des ADS
ОглавлениеNeueste wissenschaftliche Erkenntnisse weisen darauf hin, dass es sich beim Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom um eine Funktionsstörung im Stirnhirnbereich und einiger Nervenzentren, mit denen das Stirnhirn in Verbindung steht, handelt. PET- und SPECT-Untersuchungen (PET = Positronenemissionstomografie, SPECT = Single Photonen-Emissions-Computertomografie) haben gezeigt, dass bei ADS-Kindern das Stirnhirn wenig oder kaum Glucose verbraucht. Beides sind hochmoderne diagnostische Verfahren, die wegen der Kosten und dem Einsatz radioaktiver Substanzen nur der Forschung vorbehalten sind.
Das Prinzip dieser modernen Bildgebungsverfahren ist die Untersuchung des Zuckerstoffwechsels im Gehirn. Wenn das Gehirn arbeitet, verbraucht es Zucker, arbeitet es nicht, ist der Zuckerverbrauch minimal und kaum zu registrieren. Bei ADS-Kindern sieht man, dass das Stirnhirn und einige wichtige Hirnzentren kaum Zucker verbrauchen, auch dann nicht, wenn sie »arbeiten«. Erst die Gabe von stoffwechselanregenden Mitteln (Stimulanzien) aktiviert diese Zentren, so dass sie wie bei einem »gesunden« bzw. einem nicht betroffenen Kind funktionieren können. Ein typischer Befund bei allen ADS-Kindern.
Diese Untersuchungen wurden erst Ende der 1980er Jahre in den USA durchgeführt, Anfang der 1990er Jahre auch bei uns bekannt und in einzelnen Hirnforschungszentren kontrolliert und bestätigt. Sie sind aber nicht für die allgemeine Anwendung geeignet.
Neuerdings dient auch die funktionelle Magnetresonanztomografie der Erforschung des ADS. Das Prinzip beruht auf der Untersuchung der lokalen Änderung des Sauerstoffgehalts im Blut während der Hirntätigkeit. Hierbei wird der Anteil des Sauerstoffs im Blut als Kontrastmittel verwendet und über einen Rechner die Intensität der Hirntätigkeit ermittelt. Das sauerstoffreiche Blut in den aktivierten Hirnbezirken führt zur Signalverstärkung im registrierten Magnetfeld.
In den letzten Jahren konnte bei ADS-Patienten eine Dopamin-Transporterstörung mittels bildgebender Verfahren nachgewiesen werden, so z. B. in Philadelphia und in München.
Leider sind diese Untersuchungen sehr teuer, recht aufwendig und durch die Verwendung radioaktiv markierter Substanzen nur begrenzt einsetzbar und somit der Wissenschaft vorbehalten. Sie können nicht zur Diagnostik in der Praxis dienen und schon gar nicht bei Kindern.
Aber mit diesen Untersuchungen konnte erstmalig nachgewiesen werden: Gibt man Patienten mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ein Stimulans, so arbeitet ihr Stirnhirn wie bei Nichtbetroffenen. Damit wurde auch die Richtigkeit und Wirksamkeit der bislang durchgeführten Therapie mit Stimulanzien bestätigt.
Die Ursache der beeinträchtigten Funktion des Stirnhirns und einiger Nervenzentren beim ADS besteht auf Neurotransmitterebene. Neurotransmitter sind Botenstoffe (auch Überträgersubstanzen genannt), die eine Hirntätigkeit erst ermöglichen, wie z. B. Dopamin, Katecholamin, Acetylcholin, Noradrenalin, Serotonin und andere. Welche Substanz hierbei vorwiegend betroffen ist und das gestörte Gleichgewicht im Zusammenspiel der verschiedenen Botenstoffe bedingt, entscheidet, ob das Kind hypo- oder hyperaktiv ist. Beides sind also zwei verschiedene Seiten ein und derselben Veranlagung (Disposition). Ganz einfach gesagt, führt möglicherweise eine Störung des Dopamin-Noradrenalin-Systems zur Hyperaktivität, eine Störung im Serotonin-Noradrenalinstoffwechsel zusätzlich dagegen zur Hypoaktivität. Über den genauen Zusammenhang besteht jedoch weiterhin noch großer Forschungsbedarf.
Serotoninmangel begünstigt die Entstehung von Angst- und Zwangskrankheiten, Depressionen sowie eine Störung der Impulskontrolle. Es kommt aber letztlich wie bei einem Orchester auf das harmonische Zusammenspiel aller Botenstoffe an und darauf, dass im Bedarfsfall auch sofort ausreichend von jeder Sorte vorhanden ist.
Durch ihre mangelhafte neuronale Steuerung (infolge Reizüberflutung und Botenstoffmangels) können diese Kinder ihre Aufmerksamkeit nicht lange aufrechterhalten. Sie müssen sich ständig durch motorische Bewegungen, ständiges Reden, alles anfassen, stetes »Wackeln« mit irgendeinem Körperteil immer wieder aktivieren. Andere nicht äußerlich unruhige Kinder verfallen in ein Träumen, sie dösen einfach nur vor sich hin und sind auffallend antriebsschwach. Sie verspüren aber auch eine innere Unruhe und müssen immer Finger oder Füße bewegen, an der Kleidung spielen oder Nägel knabbern.
Das Stirnhirn filtert alle von außen kommenden Informationen, es werden nur die aufgenommen, die im Moment wichtig sind. Bei einer Unterfunktion des Stirnhirns gelangen dagegen viel zu viele Informationen in das Gehirn, auch solche, die unwichtig sind. Infolge dieser Reizüberflutung wird ein weit verzweigtes, feinmaschiges neuronales Netz ausgebildet. Die Anlage dichter Lernbahnen wird beeinträchtigt. Diese besondere Art der neuronalen Vernetzung ist bei allen ADS-Formen eine der Hauptursachen für die bestehenden Probleme beim Lernen und in der Verhaltenssteuerung. Alle aufgenommenen Außenreize werden aufgenommen und im Arbeitsgedächtnis abrufbereit zwischen gespeichert. Das Stirnhirn ist auch verantwortlich für die Verhaltens- und Impulskontrolle und für die Wahrnehmungsverarbeitung. ADS-Kinder haben Schwierigkeiten, einmal abgerufene Antworten zu überprüfen und eventuell zu korrigieren. Deshalb sagen sie im Affekt oft unüberlegt böse Worte, die ihnen hinterher leid tun. Sie haben eine oberflächliche Wahrnehmung und eine ungebremste, unkontrollierte Reaktion. Sie können schlecht »automatisieren«, deshalb lernen sie nicht aus Fehlern. Sie haben kein funktionstüchtiges Arbeitsgedächtnis.