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4.2 Dialoggestaltung

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Durch eine frühzeitige und offene Gestaltung von Dialog, eine konsultative Einbindung akteursspezifischer Interessen sowie eine umfassende Kooperationsbereitschaft der Stakeholder*innen können konfliktschonende Maßnahmen ergriffen werden, um eine effektive Reduktion der Krisenmomente zu realisieren. Dafür ist eine professionelle Vorbereitung, die eine umfassende Umfeld- und Akteur*innenanalyse, eine präzise Zielklärung und die damit verbundene Auswahl des Formats und geeigneter Räumlichkeiten bis hin zur Sitzordnung und Bestuhlung ausmacht, elementar für eine erfolgreiche Veranstaltung. Die Veranstalter*innen vor Ort haben dabei kurz- und längerfristige Ziele zu klären, bei denen es um die Intensität des geführten Dialogs geht, den Einbeziehungsgrad der Bürger*innen in die Thematik und die Frage, ob der Austausch einmalig oder fortlaufend stattfinden soll (Schumacher 2020: 170). Die Betrachtung einer Dialogveranstaltung kann nach Hetze (2020: 144) also folglich nicht erst mit der Versammlung an sich beginnen, sondern muss bereits bei der banal erscheinenden Grundfrage ansetzen, warum die Teilnehmenden darin übereinstimmen, sich an einem bestimmten Ort zur gleichen Zeit zu treffen. Erwarten sie, dass der Austausch mit anderen einen Beitrag zur Erfüllung ihrer spezifischen Bedürfnisse leisten wird? Darauf beruht der Anreiz zur Beteiligung. Folglich wird eine Versammlung kaum besucht, die entweder an den Bedürfnissen vorbeigeht oder nicht glaubhaft die Erwartung auf deren Erfüllung wecken kann (ebd. 2020: 144). Wiederum macht eine Versammlung, die diese Erwartungen komplett enttäuscht, Folgeveranstaltung obsolet, weil die Motivation zur Teilnahme abnimmt. Da aber die Erwartungen sehr unterschiedlich sein können, verkompliziert sich die Frage, um wessen Erwartungen es eigentlich geht und wie man sie gezielt wecken kann (ebd. 2020: 144).

Wichtig für alle Teilnehmenden ist es, die abschließende Entscheidung zu akzeptieren, gerade wenn diese auf einem Kompromiss basiert. Dialogformate zu Beginn eines öffentlichen Diskurses (z. B. Informationsveranstaltungen; Planungsgremien) dienen der Informationsdistribution und treffen im Idealfall auf Teilnehmende, deren Bewertung der Sachlage noch nicht abgeschlossen ist. Durch Nutzung der sozialen Medien geschieht dies immer früher. Je weiter der öffentliche Diskurs schon fortgeschritten ist, umso komplexer wird es, vorgefasste Meinungen durch Fakten zu ändern. Die Dialogveranstalter*innen müssen sich vorher ein Bild von der Stimmungslage machen und die Perspektiven der Betroffenen kennenlernen, wofür auch die Sichtung der Diskussionen in den digitalen Medien notwendig ist. Organisator*innen von Dialogformaten sollten früh die Deutungshoheit über Begriffe (»Framing«) (Wehling 2018: 42), eingeschliffene Argumentationsstränge, Immunisierungs- und Polarisierungsstrategien der Gegenparteien vorab analysieren. Informationsveranstaltungen können auch zu fortgeschrittenen Debatten sinnvoll sein, wenn sich im Zeitablauf die Sachlage grundlegend ändert. Die Teilnehmenden haben dabei die Erwartung, dass ihre Bedürfnisse, Kritik, Wünsche und Emotionen von den Verantwortlichen verstanden werden und dass Entscheidungen noch beeinflusst werden können. Mit diesen Erwartungen sollte sorgsam und perspektivisch umgegangen werden, damit die Teilnehmenden nicht frustriert und desillusioniert aus der Diskussion gehen. Formate dieser Art können fortlaufend als Ventile genutzt werden, um Emotionalität Raum zu geben, Vorurteile abzubauen und Konflikte nicht in geschlossene virtuelle Räume wie »Echokammern« (Sunstein 2001) und »Filterblasen« (Pariser 2011) in den sozialen Netzwerken zurückzuverweisen, wo überwiegend die eigene Meinung bestärkt und erhärtet wird (Rehfeld-Staudt 2017).

Ohne diesen transparenten Austausch kann die Krise durch wachsende Polarisierung und Unsachlichkeit eine Eigendynamik entfalten und eskalieren. An dieser Stelle wird es schwierig, für die Problemlösung auf eine rationale Sachebene zurückzukehren, da Probleme bereits emotional aufgeladen sind. Es ist aber möglich, die Teilnehmenden über ihr Mitbestimmungsbedürfnis in die Verantwortung zurückzuholen und eine konstruktive Basis für Dialog zu schaffen. Durch fortlaufenden konstruktiven Dialog werden nicht alle Probleme gelöst, aber eine Krise kann auf einer relativ stabilen Ebene konserviert werden.

Gesellschaftliche Krisen und Proteste

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