Читать книгу Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt - Хэлли Рубенхолд, Hallie Rubenhold - Страница 6

Kapitel 3 Der irische Dichter

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Ähnlich wie die derben Kaschemmen und rauen Hintergassen von Covent Garden John Harrisons Charakter früh ihren unauslöschlichen Stempel aufgedrückt hatten, sollten bei einem anderen jungen Mann die Theater und Bücherstände Dublins ihre Spuren hinterlassen. Ungefähr um die Zeit, da der jugendliche Harrison den Gästen des Bedford Head ihre Bierkrüge auftrug, schrieb ein bessergestellter irischer Schuljunge fieberhaft Reimpaar um Reimpaar nieder. Schon im zarten Alter von dreizehn hatte Samuel Derrick entschieden, Dichter zu werden. Kein zweitklassiger Federfuchser oder Verfasser niedriger Trivialwerke, sondern jemand, dessen Name an der Seite von Jonathan Swift und William Congreve ins Pantheon der anglo-irischen Literatur eingehen würde. Seine Lehrer sowie »etliche geistreiche Männer der gebildeten Welt« hatten in seinen frühen Arbeiten durchaus vielversprechende Ansätze entdeckt. Einer von ihnen, Swifts Verleger George Faulkner – und womöglich ebenso der berühmte Dichter höchstselbst –, war voll des Lobes gewesen. Diese »geistreichen Männer« konnten nicht ahnen, dass ihre frühe Billigung eine Folge von Ereignissen anstoßen sollte, die Samuel Derrick weitab von seinem vorgezeichneten Pfad führen würde.

Für das Leben, das andere für ihn vorgesehen hatten, war das Verseschmieden sicherlich keine erforderliche Fertigkeit. Seine Tante, zugleich sein Vormund, die respektgebietende Witwe Mrs. Elizabeth Creagh, hatte beschlossen, aus ihrem Neffen einen Tuch- und Textilhändler zu machen. Als sein vierzehnter Geburtstag und damit das Ende seiner regulären Schulerziehung immer näher rückte, begann Sam zunehmend nervös zu werden. In wenigen Monaten war es Zeit, seine geliebten Lateingrammatiken und griechischen Texte, die Geschichtsbücher und Werke der französischen Literatur, in die er sich so lernbegierig vergraben hatte, wegzuräumen. Stattdessen würde man ihm dicke Geschäftsbücher voll stumpfsinniger Abrechnungen vorlegen, und das Befühlen von Leinen und Prüfen der Tuchqualität sollte an die Stelle seiner wahren Leidenschaften treten. Sein Lehrherr würde ihm Vorträge über die Wunder der Bleichkunst sowie über Transportkosten halten und ihn in all den kleinen Feinheiten der Leinenbörse unterweisen: wie man blendet und schachert, wen man anständig zu bezahlen hat und wen man rupfen kann. Bis er selbst ein fertig ausgebildeter Meister seines Fachs war, würde er sieben Jahre lang an einen Tuchhändler gebunden sein, sieben Jahre unter dem Dach eines Fremden wohnen, der jede seiner Bewegungen beobachten würde, der ihm den Ausgang verbieten konnte, übermäßigen Alkoholgenuss und den käuflichen Verkehr mit dem anderen Geschlecht. Für die Literatur gäbe es da keine Zeit und keinen Bedarf mehr, weder für die behäbigen Folianten eines Joseph Addison oder Alexander Pope noch für eigene Geistesschöpfungen.

Als er merkte, wie ihm seine letzten freien Schulknabenmonate unter den Händen zerrannen, verfiel er in ein manisches Schreibfieber, in der Hoffnung, dass ihm einmal etwas Veröffentlichungsreifes gelingen könnte. Er begann, lyrische Bearbeitungen der Psalmen zu verfassen, und zeigte sich auch vom Werk des irischen Autors Philip Skelton stark beeindruckt, von dessen »Truth in a Mask« er sich zu eigenen Versen inspirieren lassen sollte.

Noch zu unerfahren, um über die Freuden der Liebe und die Geheimnisse der Frauen ins Schwärmen zu geraten, brachte Samuels jugendliche Feder eine moralisierende Allegorie hervor: »The Caterpillars; a Fable«. Zwischen seinen predigenden Zeilen, die einer ungestümen Raupe, welche nicht auf etwaige Schmetterlingsflügel zu warten gewillt ist, zur Geduld raten, bietet das Gedicht freilich auch eine alarmierende Kostprobe von Sams eigenen heimlichen Gefühlen:

Teach fools such fancies to believe,

Me with such flams you’ll ne’er deceive;

Content with smaller joys, I chuse

To live, nor real pleasures lose

For doubtful hopes, nor shall abstain,

But quick the leaf alluring gain;

And wherefore should I thus delay,

When instinct kindly points the way?

Farewel, fond dupe to fortune’s pow’r –

’Tis mine t’improve the present hour.

Lehr’ Narren zu glauben solch’ Grillen und Lügen,

Dein Schwindel wird mich doch niemals betrügen;

Zufrieden mit klein’ren Freuden wähl’ ich zu leben

Und die wahren Vergnügen nicht aufzugeben

Für fragliche Hoffnung; will auch nicht entsagen,

Sondern flugs zum verlockenden Blättchen mich wagen

Warum auch sollt’ ich’s so lange noch aufschieben?

Werd’ von der güt’gen Natur den rechten Weg doch getrieben

Adieu, du Gimpel, genasführt von des Schicksals Macht –

Nun ist’s an mir: Ich bin’s, dem die Stunde lacht.

Hätten jene, die dem Knaben am nächsten standen, sein Werk nur sorgfältig geprüft, hätten sie vielleicht schon leise zu erahnen vermocht, wohin sein künftiger Entwicklungsgang ihn einmal führen könnte.

Über die Grundfakten seiner Geburt hinaus wissen wir nur sehr wenig über jenen Jungen aus Dublin, der 1724 das Licht der Welt erblickte. Nicht einmal die Namen seiner Eltern sind uns bekannt; vielleicht hat er da selbst ein wenig Vorschub geleistet. In späteren Jahren legte Sam, der immer nach Größe strebte, der Welt die eigene Version seines Stammbaums vor, etwas Romantisches, wie es einem Poeten geziemt. Nach seiner Aussage stammte er von den Derricks aus dem County Carlow im Südosten Irlands ab, die »in früher Zeit« aus Dänemark herübergekommen sein sollten. Die Derricks seien dann zu protestantischen Landbesitzern aufgestiegen, und bis zur Irischen Rebellion von 1641 besaßen sie neben ihrem als das »Old Derrick« bekannten Herrenhaus in der Nähe der Stadt Carlow noch Pachtgüter in den Grafschaften Carlow und Meath. Doch als nun die religiösen Unruhen zwischen Katholiken und Protestanten die Grüne Insel überzogen, wurde die Familie ihres Landes beraubt. Der blutige Kampf, so behauptete der Dichter, mündete in das »Massaker ... an mehreren meiner Familienglieder«, die dem Feind in die Hände fielen und »an den Gestaden der See ermordet« wurden. Nur einigen wenigen Überlebenden soll die Flucht nach England gelungen sein. Für die Familie seines Vaters habe der Krieg den Ruin bedeutet, während diejenige seiner Mutter, die Drakes von Devonshire, unter der Regierung Oliver Cromwells weit nach oben kam. Sein Großvater, prahlte Sam stolz, sei damals ein General der Parlamentarier gewesen.

Über all den Berichten von Landbesitzern und Generälen Cromwells versäumt er allerdings, uns mitzuteilen, dass er ganz unmittelbar aus einer Familie von Geschäftsleuten stammte. Nichts in seinen Schriften oder in dem wenigen, was von seiner Korrespondenz auf uns gekommen ist, weist darauf hin, dass er Eltern oder Geschwister hatte – deren wahre Lebensumstände hätten vielleicht nicht in die Legende gepasst, die er um sich zu spinnen trachtete. Allein das Gerücht, seine Mutter habe sich »in die einfachen Verhältnisse eines kleinen Tuchhändlers hinabbegeben«, könnte eventuell einen verführerischen Hauch von Wahrheit enthalten. Was seine übrigen Verwandtschaftskreise anbelangt, so hatte sich, ungeachtet aller etwaigen Verluste im Laufe des vorangegangenen Jahrhunderts, ihr Geschick in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum Besseren gewendet. Durch ihre Aktivitäten in der prosperierenden Leinenindustrie Dublins hatten sie einen Teil ihrer verlorenen Größe wiedergewonnen, und um die Zeit von Sams Geburt konnten sie sich durchaus zur wachsenden Mittelschicht der Stadt zählen, die in verhältnismäßig gesicherten Verhältnissen lebte. Der Erfolg lachte allen, die das Tuch kauften und verkauften, das Englands Unterwäsche lieferte und seine sauber aufgeräumten Tische schmückte. Während die Heimarbeiter in dunklen Grassodenhäusern webten und stickten, lebten die reichen Tuchhändler von deren Arbeit und verkauften ihre Produkte in der höhlenartigen Dubliner Tuchhalle. Über Jahrhunderte hinweg war das irische Leinen der Stolz des Landes, und seine Profite machten die Händler zu angesehenen Bürgern der Stadt.

Das Geld aus dem Leinenhandel trug auch zum rasanten Wachstum Dublins während der nun beginnenden goldenen georgianischen Zeit der Stadt bei. In den massiven Reihenhäusern mit ihren grazilen Bogenfenstern siedelten sich bald die erfolgreichen Kaufleute der Stadt an. Straße um Straße und Platz um Platz entstanden neu im aufstrebenden Viertel um Temple Bar und auf der anderen Seite der Liffey nahe Oxmanstown Green. Diese Häuser wurden von protestantischen Familien bewohnt, die es sich im Gegensatz zu ihren katholischen Pendants leisten konnten, in Dublins Luxusgütern zu schwelgen. Ihre Häuser waren nicht nur mit den feinsten Tüchern gut ausgestattet, sondern auch mit all den anderen Gütern, die im 18. Jahrhundert als Ausweis des Wohlstands galten: edle Möbel aus dunklem Holz, Porzellan und Teppiche aus fremden Ländern, silbernes Teegeschirr und Porträts streng blickender Herren und Damen. Zumindest einen Teil seiner Jugend wird Sam Derrick in solch komfortablen Verhältnissen verbracht haben.

Wann und unter welchen Umständen Mrs. Creaghs Neffe in ihren Haushalt eintrat, verrät dieser uns nicht. Welche Geschichte auch immer dahintersteckte – von Not, Unehelichkeit, frühem Tod? –, Sam war jedenfalls dazu ausersehen worden, das beträchtliche Vermögen seiner Tante zu erben: einen Schatz, der sozusagen aus Leinen gesponnen war. Die Tuchhändlermühen ihres Ehemanns hatten ihm einen ansehnlichen Gewinn eingebracht, und auch wenn die genaue Höhe des Betrags, den sie ihrem Neffen zu vermachen beabsichtigte, nirgendwo in Sams Korrespondenz erwähnt wird, muss er doch stets von einem beträchtlichen Sümmchen ausgegangen sein. Solange seine Tante lebte, konnte Derrick zudem auf ihre Großzügigkeit setzen. Seine Lebenshaltungs- und Erziehungskosten gingen auf ihre Rechnung, und nicht minder die Ausgaben für seine prestigeträchtige Tuchhändlerlehre. Wenngleich Sam darauf bauen konnte, ein Erbe anzutreten, erwartete man von ihm, wie von den meisten Knaben aus dem erfolgreichen Kaufmannsstand und ebenso von den jüngeren Söhnen des niederen Adels, doch auch, einen angemessenen Beruf zu erlernen. In der Regel waren die künftigen Karrieren dieser jungen Männer von vornherein festgelegt und nicht verhandelbar. Akzeptable Optionen boten einzig die sehr geschätzten Laufbahnen im Rechtswesen, in Klerus und Militär sowie – für die Kinder der Mittelklasse – in den höchsten Etagen der Geschäftswelt.

Im Irland des 18. Jahrhunderts gehörte die Tuchhändlerausbildung zu den teureren Lehrprogrammen für junge Männer. Ein Kaufmann oder Handwerksmeister erwartete von der Familie eine gewisse finanzielle Entschädigung dafür, dass er ihren Jungen in sein Haus aufnahm, ihn fütterte und tränkte, seine pubertären Eskapaden ertrug und ihm ein Handwerk beibrachte. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte Daniel Defoe vom erpresserischen Charakter der Lehrverträge der Londoner Handwerksmeister geschrieben und festgehalten, dass es »gang und gäbe« sei, »einem Orienthändler für einen Lehrling tausend Pfund zu geben, anderen Kaufleuten vierhundert bis sechshundert Pfund, Geschäftsinhabern und Großhändlern, vornehmlich Tuch- und Leinenhändlern, zwischen zwei- und dreihundert Pfund, und so fort, stets dem jeweiligen Handwerk entsprechend«. In Dublin dürfte das für eine Lehre bei einem Tuchhändler zu zahlende Draufgeld allerdings einen der vorderen Plätze belegt haben. Nach damaligen Maßstäben waren das enorme Summen, die das Jahreseinkommen der meisten Mittelstandsfamilien überstiegen, doch waren sie auch der Schlüssel zu einem gesicherten Einkommen und dem entsprechenden gesellschaftlichen Ansehen, das mit der Zeit daraus resultieren sollte.

Mrs. Creagh hatte auch dafür Sorge getragen, dass ihr Neffe die dem Erben eines Kaufmannsvermögens gemäße Schulbildung erhielt. Eine humanistische Bildung war im 18. Jahrhundert die Visitenkarte eines jeden Mannes, der sich als Gentleman verstand. Wer aus den Werken von Plinius und Vergil zitieren, über die Bedeutung von Sokrates diskutieren und auf Latein mit Beleidigungen um sich werfen konnte, fand gleich viel leichter Zugang zu den Salons der gesellschaftlich Höherstehenden. Als Junge wurde Sam sicherlich auf eine angesehene Lateinschule geschickt und dem Unterricht eines Geistlichen anvertraut, wie es in der Dubliner Mittelschicht übliche Praxis war. Möglich, dass Sam gemeinsam mit seinen lebenslangen Freunden, den zukünftigen Schauspielern Francis Gentleman und Henry Mossop, die Butler’s School in der Digges Street besucht hat, um sich dort in lateinische Deklinationen und griechische Philosophie zu versenken. Auch Französisch spielte in seiner Erziehung eine bedeutende Rolle; wollte Derrick ganz allgemein in der großen Welt Erfolg haben, war es für ihn unerlässlich, die Sprache der Diplomatie und des feinen Mannes zu beherrschen. Der Unterricht in diesen Fächern wird den Kernbestand seiner Bildungsbestrebungen ausgemacht haben, hinzu kamen das Studium von Mathematik, Geografie, Religion und Geschichte sowie der eine oder andere Ausflug in die Naturwissenschaften und vielleicht Streiflichter auf einige der bedeutenderen Werke der Literatur. Doch ungeachtet der Freude, die ihm seine Stunden mit Shakespeare und Milton, lateinischen Dichtern und französischen Philosophen bereitet haben mögen, lag seine zukünftige Bestimmung nicht in der müßigen Kontemplation, die ein den Adligen und den außergewöhnlich Reichen vorbehaltenes Privileg war.

Schon in diesen frühen Jahren, als es ihn so sehr zur Dichtung drängte, muss Sam klargeworden sein, dass er keine Tuchhändlerseele im Leib hatte. Gleichzeitig war sein Platz in der Gesellschaft festgelegt; daran gab es für ihn nichts zu rütteln. Was sich Mrs. Creagh von ihm erwartete, hatte sie stets klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Doch mochte er sich seiner vorbestimmten Profession auch noch so eifrig widmen, ein irrlichternder Trieb in seinem Innern stemmte sich dagegen. Sam konnte und wollte seine Ambitionen nicht zusammen mit seinen Büchern im Regal verstauben lassen. Während er doch als Lehrbursche rackern sollte, widmete er sich lieber weiterhin der Lektüre von Rousseau und John Donne, und in den eigentlich dem Schlaf vorbehaltenen Stunden füllten sich im Schein seiner Kerzenstummel stets neue Seiten mit gekritzelten Versen. Auf diese Weise sammelten sich über die Jahre hinweg immer mehr Gedichte an, so dass Derrick mit zwanzig bereits den Grundstock einer anzustrebenden Publikation beisammen hatte. Gut möglich, dass seine Tante nie erfahren hat, wie weit Sams Interesse am Schreiben tatsächlich ging. Doch während die Reimkunst für die Klasse der blaublütigen Grundbesitzer als eine durchaus löbliche Beschäftigung galt, konnte sie das berufliche Fortkommen eines Handelsmanns nur bremsen. Freilich sollte es für Sam auch noch ganz andere Ablenkungen geben, gegenüber denen das Dichten verblasste.

Zieht man in Betracht, was Spötter, die sogenannten »Wits«, eines Tages über Sams erregbares Temperament zu schreiben wissen sollten, wäre es überraschend, hätte er seiner Tante nicht irgendwann einmal zu ernsthaften Bedenken Anlass gegeben – schließlich hat er sein Leben lang keine der charakteristischen Merkmale eines von souveräner Besonnenheit geleiteten guten Geschäftsmanns erkennen lassen. Er war leichtsinnig, leidenschaftlich und bisweilen zutiefst respektlos. Kann man einen Menschen nach seinem Umgang beurteilen, so ist zu bemerken, dass sich Sam bereits in frühen Jahren zu solchen Leuten hingezogen fühlte, die, wie er selbst, früher oder später ihren anständigen Broterwerb gegen eine vergleichsweise tadelnswerte Lebensart eintauschen sollten. Francis Gentleman, der einige Jahre jünger war als Derrick und sich genauso leidenschaftlich für Literatur und Theater begeisterte, sollte der engste Kamerad seiner Jugend werden. Enoch Markham, ein anderer Freund und zum Kleriker bestimmt, zeigte schon in Jugendjahren eine Neigung zu unbekümmerten Liebeleien. Genau wie Sam entschieden sich diese jungen Männer, in ihrem Leben mehr der Stimme ihres Herzens als dem Diktat der Vernunft zu folgen, zogen der Sparsamkeit und dem Maßhalten die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung vor; ein Credo, das nicht nur ihr Verhalten, sondern auch ihre finanziellen Verhältnisse bestimmen sollte. Es hat den Anschein, dass sich Sam nicht sonderlich für die Etikette und die Schablonen interessierte, die ihm das Leben vorlegte, was vielleicht erklärt, warum ihn so viele als grob und unverschämt empfanden. In seinem Todesjahr sollte ein namenloser Spaßvogel eine Reihe der erinnerungswürdigeren Perlen frevlerischer Weisheit aus seinem Munde zusammenstellen. Derrick’s Jest; or the Wit’s Chronicle bleibt eine der wenigen der Welt bis heute erhalten gebliebenen Hinterlassenschaften Sam Derricks – eines Mannes, der bis an sein Ende ein stark trinkender Charmeur auf der Hut vorm Gerichtsvollzieher war, der seine Gesellschaft je nach Laune entzückte oder beleidigte. Wie viel von dieser Seite seiner Persönlichkeit er bereits zu erkennen gab, als er noch unter der Obhut seiner Tante lebte, werden wir wohl nie erfahren, allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass seine Pubertät ohne Zwischenfälle vorüberging. Wie auch immer – letztendlich würde Mrs. Creagh wohl zu der Überzeugung gelangt sein, dass an seiner sittlichen Verkommenheit der schädliche Einfluss seiner lasterhaften Freunde schuld war. Ihren anklagenden Zeigefinger richtete sie dann aber weniger auf Sams Literatenbekanntschaften, als auf jene, die in einer viel niedrigeren Sphäre zu Hause waren: der des Theaters.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn die Verführungskraft der Bühne mit ihrem schönen Schein und ihrem Feuer der Leidenschaft in ihren Bann ziehen musste, und außerhalb Londons hätte es für ihn gar keinen besseren Ort als Dublin geben können, um den Kitzel einer Theateraufführung zu erleben. Jeden Herbst und jeden Winter stachen von Liverpool oder Holyhead Postschiffe gen Irland in See, die mit einer ganz besonderen Fracht beladen waren: Ihr Rumpf war gefüllt mit Unterhaltung für eine ganze Saison, von Kostümen, Kulissen und Theatermaschinerie bis hin zu Akrobaten und Schauspielern. Dublins Bildungselite, Männer und Frauen wie Mary Delany und George Faulkner, gehörten zu den vielen, die ihre Ankunft sehnsüchtig erwarteten – eine kulturell lebenswichtige Frischblutzufuhr aus dem künstlerisch so aufregenden London. Zum großen Glück der irischen Theaterenthusiasten griffen sich die Dubliner Bühnen allein die besonders erfolggekrönten Londoner Produktionen heraus. Während das Publikum der italienischen Oper gegenüber skeptisch blieb, ergötzte man sich an Inszenierungen von John Gays The Beggar’s Opera, an den Stücken von Congreve und Vanbrugh und am inbrünstigsten an Wiederaufnahmen der Dramen Shakespeares. Zum großen Verdruss der einheimischen Talente jedoch wurden keine irischen Stücke gespielt, was die Ambitionierteren unter ihnen zwang, in London ihr Glück zu suchen.

Während der Winterspielzeit drängelte sich die gesamte Gesellschaft Dublins, ob nun ehrenwert oder nicht, in den schwach beleuchteten und schlecht gelüfteten Schauspielhäusern in der Smock Alley und der Rainsford Street zusammen. Im 18. Jahrhundert gab es gar keine bessere Unterhaltung als einen Abend im Theater, nicht nur der Ereignisse auf der Bühne, sondern des ganzen Spektakels wegen, das sich ringsum entfaltete. Groß angesagte Theaterstücke wie David Garricks Miss in Her Teens, George Farquhars Der Werbeoffizier oder Richard III. mit berühmten Namen wie Garrick, Peg Woffington und Charles Macklin in den Hauptrollen waren Abend für Abend wahre Kassenmagneten. Die Theatermeister bedienten sich der technisch fortschrittlichsten Bühnenbilder und Spezialeffekte, ließen Schauspieler aus Falltüren auftauchen, Stürme über die Bühne fegen und das Publikum in Ausrufe der Verwunderung ausbrechen. Die Schauspielhäuser warteten mit einem scheinbar endlosen Reigen von Darbietungen auf, darunter Komödien und Tragödien, Gesang, Tanz, Akrobaten, Feuerschlucker und Zauberer; ein buntes Programm über den ganzen Abend hinweg, von halb sieben bis gegen Mitternacht.

Doch die Vorgänge auf der Bühne bildeten nur einen Teil des Theatererlebnisses. Das Theater des frühen 18. Jahrhunderts war mehr ein Zirkus als ein Tempel des gebildeten Kulturbetriebs. Den ganzen Abend über tobten regelrechte Schlachten zwischen Schauspielern und Zuschauern, und Zwischenrufe und Gejohle erfüllten das Parkett, das bereitwillige Auffangbecken für trunkene Männer. In der Menge machten Huren und Orangenverkäuferinnen ihre Runden, boten Erquickungen für Gaumen und Lenden feil. Stand der Abend unter einem schlechten Stern, konnte dieses brisante Gemisch aus Alkohol, Rauflust und Sinnengier ohne Vorwarnung explodieren. Und das bisweilen mit verheerenden Folgen, wenn das Publikum zum zerstörungswütigen Mob wurde, der über das vergoldete Interieur des Theaters herfiel. Ging es einmal weniger gefährlich zu, bot so ein Abend im Theaterhaus stets ein anregendes Erlebnis; und selbst das Risiko solcher Fährnisse vermochte die feine Gesellschaft doch nie von seinen Türen fernzuhalten. Solange sie nur das Parterre mieden, wo man schnell mal bespuckt oder bepinkelt wurde, konnten vornehme Leute die Ereignisse des Abends aus ihren vor Störungen gefeiten Logen genießen. Auch der handeltreibende Stand war sorgsam bedacht, Distanz zu halten, und bevorzugte die unteren und mittleren Ränge.

Wohin man auch blickte, gab es etwas zu sehen oder jemanden zu beobachten, was den Theaterabend zu einer willkommenen Gelegenheit für Gespräche, Klatsch und Tändelei machte. Gegenüber dem eigentlichen Anlass der gesellschaftlichen Begegnung waren die Vorgänge auf der Bühne für viele reine Nebensache. Vom Raum unter den wachstropfenden Kronleuchtern erhob sich ein ständiges Getöse, und die Schauspieler mussten sich alle Mühe geben, gegen das kreischende Gelächter der Betrunkenen, gegen Schreie, Spottrufe, Husten und die ständige Unruhe herein- und hinausströmender Theaterbesucher anzuspielen. Behinderungen durch Zuschauer, die bis 1747 sogar während der Aufführungen auf der Bühne stehen durften, trugen ihren Teil zum chaotischen Gesamteindruck bei. Kein hehrer Glanz umgab das Theater. In all dem Lärm und Spektakel herrschte eine karnevaleske Atmosphäre der Ungezwungenheit, und das bunte Publikum aus geschminkten Frauen und sich zügellos gebarenden Männern machte den kunstreich ersonnenen Geschichten von Liebe, Trug und Tapferkeit, die oben auf der Bühne gespielt wurden, mächtig Konkurrenz. In seinen Lehrlingsjahren wird Derrick jede sich bietende Gelegenheit zum Theaterbesuch genutzt haben. Dass er die nötigen Pennys für einen Sitzplatz mühsam zusammenkratzen und sich womöglich allen Verboten seines Lehrherrn zum Trotz davonstehlen musste, hat dessen Reiz sicher nur noch vergrößert. Sowohl im Parkett als auch hinter der Bühne wird er dann so manche der liederlicheren Gestalten aus seinem Bekanntenkreis, nebst deren Theaterbekanntschaften, getroffen haben. Für einen jungen Lehrburschen muss deren unbekümmertes, von scheinbar endlosem Gelächter erfülltes Leben mit seiner lockeren Sexualmoral höchst verlockend gewesen sein. Und vor allem bot sich ihm hier eine Gelegenheit zum Plausch mit Leuten, die seine Liebe zur Sprache und zur Dichtung teilten.

Angesichts all der unzähligen Ablenkungen und Versuchungen erstaunt es geradezu, dass Sam seine Lehrjahre erfolgreich zu Ende brachte. Gut möglich, dass die Furcht vor den Folgen eines etwaigen Versagens der einzige hierzu nötige Antrieb war. Vermutlich betrachtete Sam seine Beschäftigung als Mittel und Weg, um seine höheren Ziele zu erreichen. Bei aller Tristesse eines um Tuchhandel und Tuchproduktion kreisenden Lebens bot das Tuchhändlergewerbe doch immerhin den Vorzug häufiger Geschäftsreisen nach London und konnte ihm so als ein ideales Vehikel dienen, um bei potenziellen Mäzenen außerhalb Irlands mit seinen Dichtungen hausieren zu gehen. Gegenüber den doch eher bescheidenen Dimensionen des Dubliner Druck- und Verlagswesens eröffnete die Themsestadt viel weitere Perspektiven. Im 18. Jahrhundert waren alle Formen künstlerischen Schaffens auf Gönnerschaft und Mäzenatentum angewiesen, und eine so bedeutungsvolle finanzielle Unterstützung stellte stets eine ganz besondere Huld dar, die dem Künstler von den einflussreichsten Größen der Gesellschaft erwiesen wurde. Auch wenn Irland gleichfalls seine begüterten Aristokraten und wohlbeleibten Kaufleute mit gesellschaftlichem Aufstiegsdrang hatte, war dieser Menschenschlag doch in England und vor allem in London in viel höherer Dichte vertreten. Die geschäftige Kapitale der englischen Sprache bot da einen Reichtum an Gelegenheiten, mit dem Dublin einfach nicht Schritt halten konnte. Sams Freund und Mentor George Faulkner wird ihm diesen Punkt sicher mehr als nur einmal eingeschärft haben.

Da die literarisch interessierte Gesellschaft Dublins mehr oder weniger ein geschlossener Kreis war, könnte Sams Bekanntschaft mit George Faulkner bereits in seinen Schuljahren über die Empfehlung seiner Lehrer geknüpft worden sein. Obgleich fünfundzwanzig Jahre älter, empfand der Verleger doch eine große Zuneigung zu Derrick, und in der Hoffnung, seine Karriere befördern zu können, nahm er den jungen Mann unter seine Fittiche. Faulkner war nicht allein mit dem schätzenswerten Jonathan Swift, sondern auch mit Alexander Pope, Samuel Johnson und Lord Chesterfield befreundet – durchaus ein nützlicher Name also, mit dem man in den Londoner Zirkeln punkten konnte. Zweifellos waren es Faulkners Empfehlungsschreiben, die die wenigen wirklich wichtigen Türen zu Derricks literarischer Zukunft in London öffneten. Alle übrigen rannte Sam selbst ein.

1746, im Alter von etwa zweiundzwanzig Jahren, unternahm Samuel Derrick eine seiner ersten Erkundungsreisen nach London. Sicherlich verließ er den Hafen mit einer Tuchsendung im Gepäck, doch dürften sich seine Gedanken vermutlich nicht allzu lange mit ihrem Verkauf beschäftigt haben. Stattdessen kreisten sie vielmehr um die Gedichte, die er zu veröffentlichen hoffte, und um die in Dublin geknüpften Bekanntschaften mit wandernden Schauspielern, die er nun in London zu erneuern gedachte. Zu denen, die er besuchen wollte, gehörte auch Francis Gentleman, nun Leutnant in der Armee seiner königlichen Majestät. Wie Derrick durchlebte er gerade bedrückende Zeiten in einem ihm auferlegten Beruf; auch er in Erwartung der Erlösung in Form eines Erbes, das es ihm gestattete, seine Bühnenambitionen weiterzuverfolgen. Sam hatte gerade seine Lehre abgeschlossen, und die sich mit seiner neuen Unabhängigkeit eröffnenden Aussichten sowie all die Freiheiten, die ihm der Aufenthalt in London gestatten mochte, erfüllten ihn mit Hochstimmung. Auf dem Weg in die Hauptstadt sprudelte aus ihm ein Strom von Versen hervor, die an den »teuren Frank«, »den ersten« unter seinen Freunden, gerichtet waren und Sams rauer Überfahrt und seinem lahmenden Ross ein lyrisches Denkmal setzten. Abschließend versprach er Gentleman, nach seiner Ankunft in London »die lust’gen Freuden der Stadt« mit ihm gemeinsam zu genießen. Da er jedoch nicht willens war, sich dieser Freuden, für die er offenbar bereits ein Faible entwickelt hatte, bis dahin gänzlich zu enthalten, unterbrach Derrick seine Reise nach Süden in der Falcon Tavern. Dort nahm er nicht nur »ein Abendmahl und ein Glas Claret« zu sich, sondern genoss, bevor er seinen Weg fortsetzte, auch noch die freundlichen Gunstbezeigungen Miss Keneas: einer »holden Dame«, die »jedwedem Kunden eine dienende Handreiche« zu geben vermochte.

Um die Zeit als Sams Mietklepper gemächlich in die Stadt eintrottete, beherbergte London ungefähr 650 000 Seelen. Wenngleich auch die Straßen Dublins von fast 150 000 Menschen bevölkert wurden, konnte doch nichts auf der Welt den Dimensionen und dem verwirrenden Durcheinander der Szenerie gleichkommen, die ihn nun erwartete. Anders als Sams Heimatstadt breitete sich London mit seinen immer neuen Straßen und Vierteln weithin in alle Richtungen aus. Die Stadt erstreckte sich bis ans Ufer der Themse und fand kein Ende, drüben hingesprengselt lagen Southwark und Lambeth; und Richtung Norden schob sie ihre immer raumgreifenderen Bezirke Marylebone, Bloomsbury und Islington Straße um Straße weiter ins Hinterland. Lange bevor sein Pferd den ersten Huf auf die Pflastersteine der Metropole setzte, muss Sam schon das wilde Dröhnen und der scharfe Dunst Londons entgegengeschlagen haben. Die ins Herz der Kapitale führenden Hauptverkehrsadern waren verstopft vom emsigen Treiben all jener, die über die Stadtgrenzen drängten: Fußreisende, Kutschen, Viehhirten mit ihren Herden, mit Marktgütern vollgepackte Lastkarren. Hatte Sam endlich seinen Weg ins Zentrum gefunden, muss ihn das dichte Gewühl von Gesichtern und Stimmen, all der Lärm und Tumult förmlich erschlagen haben. Zeitlebens sollte ihm der spektakelhafte Trubel der Hauptstadt eine wichtige Inspirationsquelle sein. Dublin, so hatte ihn George Faulkner gewarnt, war ein Ort, der weder Dichter noch Schauspieler zu schätzen wusste; London wiederum verfügte über talentierte Köpfe im Übermaß.

Durch Londons Eingangstore strömten ständig neue Männer und Frauen, die wie Derrick an ihre schöpferische Begabung oder ihre schauspielerischen Talente glaubten. Auch wenn die Empfehlungsschreiben Faulkners Sam durchaus Vorteile verschafften, konnten doch schon ein paar mit lebhaften Gesprächen angefüllte Abende in Covent Garden den gleichen Effekt haben und diese potenziellen Hilfsmittel schnell überflüssig machen. Die Fleet Street, das Zentrum des Londoner Verlagswesens, konnte zwar mit ihren eigenen fröhlich lärmenden Schankstuben und Kaffeehäusern aufwarten, doch auch in einigen Lokalen an der nahe gelegenen Piazza verkehrte ein eher intellektuelles Publikum. Hier, im Bedford Coffee House und im Shakespear’s Head, tummelte sich die ganze Palette vom berühmten Dichter bis zum altgedienten Lohnschreiberling, vom wohlhabenden Verleger bis zum kleinen Bücherkrämer. Da der Platz dank seiner Lage auch das Hauptrevier der Schauspieler, Theaterverantwortlichen und allerlei weiterer mit den Theaterhäusern verbundener Berufsstände vom Bühnenbildmaler bis zum Musiker war, gehörte die hier verkehrende Szene zu den aufregendsten der ganzen Stadt. Hier konnte man auch am besten mögliche Mäzene aufspüren. Nach einem Theaterabend wimmelte es von reichen Grundbesitzern, die von den bacchanalischen Freuden Covent Gardens und von den Lockungen der Spieltische angezogen wurden, und auch so mancher kleinerer, doch nicht minder erstrebenswerter Fang ließ sich in den Beizen der Umgebung machen. Es kostete den Bittsteller nur einen Humpen Bier oder ein Glas Franzwein, damit ihm begüterte Londoner Bankiers, Kaufleute oder wichtige Besucher von auswärts ein geneigtes Ohr liehen oder er bei arrivierten Persönlichkeiten vom Schlage eines David Garrick, Dr. Johnson oder Samuel Foote Gehör finden konnte. Für jeden, der Kontakte knüpfen wollte, war Covent Garden ein Traum; eine süße Verheißung für alle, die hofften, sich als Künstler die Sporen zu verdienen. Kein Wunder, dass dieses Viertel auf dem Reiseplan aller literarischen Stadtbesucher stand und für jeden Dichter oder Dramatiker, kaum war er vom Wagen nach London herabgesprungen, die erste Anlaufstation war.

Wenn keine Tuchhändlerpflichten riefen, brachte Sam Derrick seine meiste Zeit auf der Piazza zu. Allmählich begann er während seiner Londoner Besuche dem Ausgeben seines Einkommens mehr Zeit zu widmen als dessen Erwerb. Einen Großteil seiner Tage und Nächte verlebte er im Bedford Coffee House Schulter an Schulter mit den Londoner Literaten und Bühnengrößen. Über das Bedford schrieb die Zeitschrift Connoisseur: »Fast jeder, der einem begegnet, ist in den schönen Wissenschaften wohlbeschlagen und ein gewitzter Kopf. Scherzreden und Bonmots machen zwischen den Boxen die Runde, jeder Zweig der Literatur wird kritisch beleuchtet, und die Meriten jedes Erzeugnisses der Presse, jeder Aufführung in den Theatern werden sorgsam abgewogen und zugemessen.« Das die Räume im Bedford bevölkernde Publikum präsentierte, mehr noch als die Besucher des Shakespear’s Head, eine Art Londoner Schickeria, deren Glanz und Glamour Sam hoffnungslos erlag. In Dublin gab es nichts, was jenem Kitzel nahegekommen wäre, den dieses Umfeld für ihn bereithielt. Mit seinen quirligen Charakteren, temperamentvollen Diskussionen und lockeren Sitten bot Covent Garden für ihn die perfekte geistige Heimat, und je länger er dort blieb, desto unwahrscheinlicher wurde seine Rückkehr an die Liffey.

Man hat vermutet, dass Sams endgültige Entscheidung, sein Handwerk an den Nagel zu hängen, in dem Moment fiel, als ihm eine Theaterrolle angeboten wurde. Sein Hauptziel war es immer gewesen, als Dichter Erfolge zu ernten, doch war aus seiner Theaterfaszination ein Interesse erwachsen, möglichst auch einmal selbst auf der Bühne zu stehen. Viele Theaterautoren haben zunächst als Schauspieler Erfahrungen gesammelt, bevor sie ihre dramatischen Werke schufen, und es lässt sich denken, dass Sam eine solche Gelegenheit begeistert beim Schopf gepackt hat. Doch gab es da auch eine Reihe von Hindernissen.

Noch immer glaubte seine Tante, dass sich ihr Neffe dem Tuchhandel verschrieben hatte. Sein Interesse an der Dichtung mag sie noch toleriert haben, immer vorausgesetzt, dass es sich nicht auf Kosten seiner Befähigung zu einem anständigen Broterwerb entfaltete. Sams schauspielerische Ambitionen hingegen hätte sie niemals zu billigen vermocht. Man ergötzte sich zwar gern an der vom Theater gebotenen Unterhaltung und schenkte dem Leben und Lieben der Mimen selbst dann noch Aufmerksamkeit, wenn es sich nicht auf der Bühne abspielte, dennoch war das Schauspielhaus in den Augen der ehrbaren Gesellschaft ein Stätte sittlicher Verworfenheit. Kein Ehrenmann und keine anständige Dame würde sich je derart schamlos in der Öffentlichkeit zur Schau stellen. Schauspieler und Schauspielerinnen trieben auch mit ihrer Tugend ihr Spiel: Allein schon dass sie freiwillig in die Rollen vulgärer Charaktere schlüpften, unzüchtige Texte vortrugen und mit Flüchen um sich warfen, war ungeheuerlich. Dieser Beruf spottete jedem Begriff von Schicklichkeit, besonders was die Frauen betraf, die alle Regeln des Anstands völlig missachteten und sich bereitwillig in Männerkleidung oder ihrer Kleidung teilweise entledigt auf der Bühne zeigten. Schauspieler waren nicht nur für ihr unbeherrschtes Temperament bekannt, sondern auch für ihre eheliche Untreue und ihre zügellose Geschlechtsgier. 1757 schrieb ein Sittenrichter:

Theaterschauspieler sind die liederlichsten Wichte und das schändlichste Geschmeiß, das die Hölle je ausgespien; ... sie sind der Unrat und Auswurf der Erde, ein Abschaum und Schandfleck der menschlichen Natur; sie sind der Kot und Unflat der gesamten Menschheit, die Pest und Geißel der Gesellschaft und die Verderber von Geist und Sitten.

Einem solchen Trommelfeuer von Verdammungsurteilen ausgesetzt, kam ein Auftritt auf der Bühne dem öffentlich vollzogenen Austritt aus dem gesellschaftlich gebilligten Leben gleich.

In London war Derrick weit weg von den klatschsüchtigen Kreisen der Dubliner Salons, und so muss er davon ausgegangen sein, dass die Nachricht von seiner Übernahme der Rolle des Duke of Gloucester in einer Aufführung von Nicholas Rowes Jane Shore nie bis nach Irland vordringen würde. Solange Mrs. Creagh nichts von seinen Londoner Aktivitäten erfuhr, war sein Erbe, das Unterpfand seines zukünftigen Glücks, sicher. Wäre Derricks Theaterdebüt durch eine Fügung des Schicksals Erfolg beschieden gewesen, wäre es wohl schwierig geworden, diese Farce dauerhaft weiterzuspinnen, doch Fortuna hatte ein Einsehen: Sams Tage auf den Bühnenbrettern waren rasch gezählt, wenngleich sein Ruf als Schauspieler noch lange nachhallen sollte. Noch viele Jahre später, als Sam den Hut des Zeremonienmeisters von Bath trug, trat ein Herr an ihn heran, der das Unglück gehabt hatte, mit im Publikum zu sitzen, als Derrick die Bühne mit seinen Künsten beehrte. Als Schauspieler könne man ihn »mit Recht ein Original nennen«, vertraute er Sam an, schließlich könne sich »jeder andere sein Lebtag lang dafür abplagen, ohne dass es ihm jemals gelänge, ein derart miserabler Schauspieler zu werden«. Auch wenn sich sein Theaterexperiment als Fiasko erwiesen hatte, sollte die Bühne weiterhin eine gewisse Anziehung auf Derrick ausüben und ihn nicht loslassen. Ein Scheitern hielt ihn nie davon ab, einen zweiten Anlauf zu versuchen, ob als Mime oder gar als Dramatiker, Kritiker und Schauspiellehrer.

Für einige Zeit lebte Sam Derrick ein Doppelleben; hielt zwischen den beiden Städten ein unsicher schwankendes Gleichgewicht. Wann immer er nach London entkommen konnte, war er der Dichter und Schauspieler, der er immer zu werden gehofft hatte, kannte Dr. Johnson, Davy Garrick und andere wichtige Persönlichkeiten aus der Welt von Literatur und Theater. In Dublin dagegen war er schlicht Sam Derrick, Tuchhändler. Sicher hat er George Faulkner und seinen anderen Freunden gegenüber seiner wachsenden Unzufriedenheit und Ungeduld Ausdruck verliehen, bis er es 1751 dann nicht mehr länger ertragen konnte, und beschloss, sich mit den Rücklagen aus seinen Geschäften längerfristig in London niederzulassen. Elizabeth Creagh wusste einstweilen noch nichts von seinem Plan. Doch wie lange würde er die Täuschung aufrechterhalten können, und wie viele lügengetränkte Beschwichtigungsbriefe würde er fabrizieren müssen? Dies sollte sich als die wahre Herausforderung erweisen.

Nachdem seine zahlreichen Bekanntschaften mit Londoner Persönlichkeiten ihm ein starkes Selbstbewusstsein gegeben hatten, war Sam zu Beginn der fünfziger Jahre mehr denn je davon überzeugt, »ein Dichter ersten Ranges« werden zu können. Angeregt durch den Blick auf Dublin (das antike Eblana), vielleicht anlässlich einer seiner letzten Reisen von England nach Irland, bevor er seine Zelte auf Dauer in Covent Garden aufschlagen sollte, ließ er seinen sentimentalen Hoffnungen auf Unsterblichkeit die Zügel schießen:

Eblana! Much lov’d city, hail!

Where first I saw the light of day,

Soon as declining life shall fail,

To thee shall I resign my clay.

Muses, who saw me first your care;

Ye trees, that fostering shelter spred;

The fate of man you shall see me share;

Soon number’d with forgotten dead.

Unless my lines protract my fame,

And those who chance to read them, cry

I knew him! Derrick was his name,

In yonder tomb his ashes lie.

Heil dir, geliebte Stadt, Eblana mein!

Wo ich erblickt’ des Tages Licht.

Dir geb ich anheim mein sterblich Gebein,

Wenn einst mein schwindend Auge bricht.

Hier habt ihr Musen mir zuerst euren Segen erteilt,

Ihr Bäume mir hegenden Schatten geboten.

Nun sehet, wie bald das menschliche Los mich ereilt,

Beigezählt zum Heere der vergess’nen Toten.

Falls meinem Ruhme meine Zeilen nicht Fortdauer geben

Und es ruft, wer sie liest – durch Fortunas Intrigen –:

Derrick hieß er! Ich kannt’ ihn im Leben:

In jenem Grabe seine Knochen dort liegen.

Gewiss blieb Derrick nach seinem Tod unvergessen. Freilich nicht seiner Verse wegen.

Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt

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