Читать книгу Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt - Хэлли Рубенхолд, Hallie Rubenhold - Страница 8

Kapitel 5 Der Aufstieg von »Pimp General Jack«

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Als Harrison in den frühen fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts seinen Posten antrat, gehörte die Shakespear’s Head Tavern bereits seit Generationen zum festen Inventar von Covent Garden. Im Ruf stehend, die erste Adresse am Platz zu sein, machte das Shakespear ein ansehnliches Geschäft und war, neben dem Bedford Head Coffee House, eine der einträglichsten Stätten der Vergnügung, mit denen sich Harris hätte verbinden können. Eine wichtige Rolle spielte dabei die günstige Lage in der Nordostecke der Covent Garden Piazza, in bequemer Torkeldistanz zu beiden großen Theatern, sowie die Verfügbarkeit von separaten Räumlichkeiten im Obergeschoss. Bis zur Gründung von privaten Clubs für beitragszahlende Mitglieder brachten solche gesonderten Gastzimmer den Wirtshäusern lukrative Zusammenkünfte von Männern (und bisweilen auch Frauen) ein. Diese Veranstaltungen waren völlig legal und wurden in den Lokalblättern öffentlich angekündigt. Am bekanntesten waren die von der »Beefsteak Society« organisierten Bankette. Wenn die Zimmer nicht an Gesellschaftsmitglieder vermietet wurden, die sich an reichlich Rindfleisch und Bier delektieren wollten, gestattete man Einzelgästen auch, sich dort mit beliebig vielen der berühmten Huren von Covent Garden zu vergnügen.

Das Publikum des Shakespear war gemischt, und es ging dort hoch her. Das Haus war eine bekannte Anlaufstelle der Theaterleute, und so konnte man nach Ende der Vorstellung die lauten und betrunkenen Stimmen von Ned Shuter, Charles Macklin und Peg Woffington durch den Kneipenlärm schallen hören. Adlige und wohlhabende Spießbürger wie William Hickey prägten hier genauso die Szenerie wie die anrüchigsten Elemente des Platzes. Das Shakespear war jener Typ Kneipe, wo alles erlaubt war, niemand Fragen stellte und Kunden machten, wonach ihnen gelüstete. Die treuen Stammgäste und der lokale Arm des Gesetzes – vertreten durch Richter Saunders Welch und die Gebrüder Fielding, die Schrecken des Lasters – taten wenig, um jenem Treiben Einhalt zu gebieten, das in den weniger exponierten Winkeln des Schankraums florierte. In scheinheiliger Einfalt taten sie sich im Obergeschoss an ihren Rindsschnitten gütlich, als hätten sie nicht die leiseste Ahnung von den Dingen, die sich direkt unter ihren Füßen abspielten.

Auch wenn in den Schenken von Covent Garden das Glückspiel offiziell verboten war, beherbergte das Shakespear dennoch einen Hasardclub, wo große Summen gewonnen und verloren wurden. So manchen Glückspilz sah man mit Hüten voller Guineen von den illegalen Spieltischen davongehen. Die Draufgänger und Lebemänner liebten das Shakespear. Einer von ihnen war auch der Schriftsteller James Boswell, dem ein freies Séparée im Oberstock sehr zupasskam: Er geleitete zwei willige Liebesdamen ins Shakespear, und »ich tröstete meine arme Seele mit ihnen – eine nach der anderen, nach dem Range ihres Alters«. Wer sich kein ungestörtes Zimmer leisten konnte oder zum Warten zu ungeduldig war, konnte solchen »Trost« auch einfach in einem stillen Winkel bei einer der »trunkenen und hungernden Metzen« suchen, die oft darüber klagten, dass solche »wollüstigen Umarmungen« auf dem Wirtshausboden »ihre Kleider besudelten«.

Es gab in Covent Garden nur wenige, die ihren Wohlstand so ostentativ zur Schau tragen konnten, wie der Besitzer des Shakespear, Packington Tomkins. Sein Wirtshaus bot dem Kunden alles, was er wollte, und noch mehr: Alkohol, Frauen, fröhliche Geselligkeit, gefeierte Berühmtheiten und unerwartete Überraschungen. Sein Haus war ungeheuer beliebt und Tomkins’ Zapfhähne versiegten nie. Er besaß einen der größten Keller im Umkreis, »mit nie weniger denn hundert Weinfässern gefüllt«. Natürlich machte das brummende Geschäft Tomkins unverschämt reich. Neben einem Haus in London besaß er auch ein Gut in Herefordshire und eine Privatkutsche, um ihn nach Belieben hin- und zurückzubringen. Auch wenn er der Inhaber eines übel beleumdeten Hauses war, konnte er doch den Schmutzfleck des sittlichen Makels von seiner Weste wischen und als ein völlig ehrbar wirkender Familienvater durch Londons Straßen paradieren. Am Ende seines Lebens hatte er seine Tochter in die Verlegerfamilie der Longmans verheiratet, und er starb mit einem Vermögen von über zwanzigtausend Pfund. Anders als die Mehrzahl seiner Gäste war Tomkins schlau genug, sich nichts vormachen zu lassen, bewahrte einen nüchternen Kopf und mied die Spieltische.

Florieren konnte so ein Geschäft nicht ohne ein Heer von Helfern, und um den Laden am Laufen zu halten, beschäftigte Tomkins sieben Kellner: unter anderem einen Oberkellner, einen Kellermeister und einen Schankburschen. Er stellte auch Lehrlinge ein, und seine Küche war für ihre kulinarischen Hochgenüsse berühmt. Die Angestellten des Shakespear hätten wahrscheinlich in ganz London kaum besser bezahlte Posten finden können. Packington Tomkins war sehr darauf bedacht, den guten Ruf seines Hauses zu wahren, und bestand darauf, dass »jeder Kellner fein geputzt in seinen Manschetten« erschien. Neu eingestellte Arbeitskräfte wie John Harrison erhielten zunächst wohl eine Zulage, damit sie sich einkleiden konnten, bald jedoch waren ihre Taschen schwer genug mit Goldstücken gefüllt, dass sie sich so viele schmucke Hemden, Röcke und Beinkleider kaufen konnten, wie sie wollten. Die stattlichen Trinkgelder, die die Kellner des Shakespear einsteckten, zauberten ein selbstzufriedenes Lächeln auf ihre Lippen. Wie sich »Old Twigg«, ein ehemaliger Koch des Wirtshauses, erinnert, befand es ein Portier für »eine schlechte Woche, wenn er keine sieben Pfund machte«, eine Summe, die dem gesamten Jahresverdienst eines Dienstboten entsprach. Selbst für den Sohn eines Gastwirts muss das eine Menge Geld gewesen sein. Dazu kam dann noch sein Kupplerlohn, und so wurden seine finanziellen Wünsche sicher vollauf befriedigt.

Unter dem Dach von Packington Tomkins erhielt John Harrison die einmalige Chance zu einem Neuanfang. Als er noch Kellner einer Kneipe in den Hintergassen von Covent Garden war, werden außer den Stammgästen nur wenige seinen Namen und sein Gesicht gekannt haben, aber im Shakespear, mitten im quirligen Zentrum des Geschehens, wurde Harrison von einem Tag auf den anderen eine bekannte Persönlichkeit. Das Shakespear’s Head war schon an sich eine beliebte Zieladresse, ein Ort, wo sich Männer aus allen Ecken Londons zu einem vergnüglichen Abend trafen. Als junger und aufstrebender Zuhälter erkannte Harrison, wie sehr er sein Vermögen würde vergrößern können, wenn er die Möglichkeiten seiner Position nur optimal nutzte, und genauso müssen ihm umgekehrt auch die möglichen Gefahren eines solchen Erfolgs deutlich geworden sein. Obgleich um Unauffälligkeit bemühte Bordellwirtinnen, Kuppelkellner und die feineren Maquereaus in den gehobenen Etagen des Hurenwesens von der leicht zu bestechenden Obrigkeit nur wenig zu befürchten hatten, gab sich Harrison, was die Rechtmäßigkeit seines Tuns anbelangte, keinerlei Illusionen hin. Ein Deckname war in seiner Branche unverzichtbar, eine Art unsichtbar machender Tarnumhang, der jederzeit im Nu übergezogen werden konnte. Wenn also Tomkins’ Gäste nach einem Kellner grölten, der Frauen beibringen sollte, riefen sie nicht nach John Harrison, sondern verlangten stattdessen jenen aufmerksamen, gut gekleideten Mann, der schlicht als »Jack Harris« bekannt war. Der vom Vater ererbte Name, wie geschätzt, gehasst oder völlig belanglos er auch immer gewesen sein mochte, wurde zugunsten einer völlig neuen Identität abgelegt. Nun, da er nicht mehr der Sohn von Harris dem Wirt war, stand es ihm frei, zu werden, wer immer er werden wollte.

Glaubt man den beiden zeitgenössischen »maßgeblichen Quellen« zu Jack Harris – The Remonstrance of Harris und The Memoirs of the Celebrated Miss Fanny Murray –, so waren der Schlüssel zu seinem Erfolg seine überlegte und berechnende Art, seine Beobachtungsgabe und die rationale Herangehensweise an sein Gewerbe. Wie sein Arbeitgeber Tomkins war auch Harris ein ausgebuffter Geschäftsmann. Als er ins Shakespear kam, war er mit der Rolle des Kuppelkellners bereits wohlvertraut, und unter Tomkins’ Anleitung konnte er sie zur Perfektion weiterentwickeln. Er hatte bereits seine feste Auffassung davon, welche grundlegenden Eigenschaften ein guter Kuppler oder Hurenwirt mitbringen musste. Das Erste und Wichtigste war Erfahrung in der Kunst des Bekniens potenzieller Kunden, was Geschick im »Andeuten, Heucheln, Schmeicheln, Katzbuckeln« und »Hofieren« voraussetzte. Zwar passte es nicht sonderlich zu seinem Charakter, um junge Gentlemen mit schlechten Manieren herumzuscharwenzeln, doch stellte er fest, dass eine pragmatische Selbstbeherrschung es ihm erleichterte, »die schnaubenden Fragen hitziger Bengel zu erwidern« und seinen »Zorn zu zügeln«. Auch wenn ihm vor Wut »schier der Schädel zerspringen wollte«, lernte er, seinen »Blick zu Boden zu senken ..., ihn dann ganz allmählig zu heben und im gewinnenden Tone der Unterwürfigkeit zu sprechen«. Diese Kröte zu schlucken war für ihn alles andere als leicht, und es wäre ihm, wie er später behauptete, auch nicht gelungen, wenn er sich nicht eine gewisse Charakterstärke und »die nötige Weltweisheit, einen Tritt ungerührt hinzunehmen« angeeignet hätte. Sein einziger Trost war die Rache, die er über den Umweg der Geldbörse seines wohlhabenden Klienten würde nehmen können.

Harris stellte zudem fest, dass in einem größeren Haus auch die Ansprüche der Kunden an ihn deutlich höher waren. Ein breiteres Spektrum von Männern, darunter Stammgäste genauso wie Besucher aus anderen Teilen Londons, verlangte zu seinem Amüsement eine vielfältigere Bandbreite von Frauen. Die Harris bekannten Huren aus der näheren Umgebung konnten da den Bedarf nur kurze Zeit decken. Wollte er sich allein auf das im Umkreis von Covent Garden verfügbare Sortiment verlassen, konnte in einem so gut besuchten Haus wie dem Shakespear die Nachfrage schnell einmal das Angebot übersteigen, besonders wenn mehrere seiner bewährten Damen etwa wegen einer unverhofft aufgetretenen Syphilis- oder Tripperinfektion arbeitsunfähig waren. Ungeachtet seiner akuten Verlegenheit und Ratlosigkeit waren »die jungen Brauseköpfe gleichwohl unvermindert in Hitze und riefen nach kühlender Linderung, um ihre Brunst zu stillen«. Rückblickend konnte Harris darüber philosophieren: »Der Mensch ist ein von der Leidenschaft getriebenes Wesen«, schloss er, und »was seinen Leidenschaften unterworfen ist, kennt keine Standhaftigkeit ..., noch kann es an irgendetwas über lange Zeit Gefallen finden.« Die Antwort auf eine solche Problemlage war klar: »Sorge für eine Vielfalt von Gesichtern!« Aber woher nehmen? Und wie konnte er für die Tadellosigkeit der feilgebotenen Ware einstehen, wenn er die Geschichte ihrer Lieferantinnen nicht kannte? Und was war, wenn dieselben Heißsporne zu allem Übel »den Quell, der ihnen Labsal geschenkt, vergiftet fanden«? Gewiss würden sie »demjenigen, der sie zu ihm hingeleitet, die Schuld anlasten, insonderheit wenn dies allein um der schnöden Liebe zum Mammon willen geschehen« war. Vermutlich war Harris schon seit den frühen Tagen seiner Laufbahn körperliche Gewalt nicht fremd: Eifersüchtige Liebhaber, wütende Ehemänner und vormals gesunde Kunden, die sich die Franzosenkrankheit eingehandelt hatten, sie alle mögen sich den Kuppler irgendwann einmal vorgeknöpft haben. Niemand von ihnen konnte so unangenehm werden wie die Herren der letzten Gruppe, die, wie sich plötzlich herausstellte, für ein rasches Tête-à-Tête in unbesonnener Wollust ihr ganzes Leben in die Waagschale geworfen hatten. Hier hatte jemand vielleicht unwissentlich seine Frau und seine ungeborenen Kinder angesteckt, sein eigenes Leben und das seiner ganzen Familie verkürzt, und alles nur, weil ihn ein Lude schlecht beraten hatte. Mit dieser Angstfigur in Fleisch und Blut konfrontiert zu werden, war eine unbehagliche Vorstellung – vielleicht hat auch dies John Harrison zu seinem Identitätswechsel bewogen.

Über eine solche »Vielfalt von Gesichtern« den Überblick zu behalten, erforderte die Ausbildung eines einwandfrei arbeitenden Gedächtnisses. Um sich diese große Palette verschiedener Frauengesichter besser merken und bei Bedarf das gewünschte herbestellen zu können, bedurfte ein erfolgreicher Zuhälter eines Hilfsmittels. Der allseits bekannte Kuppler des Shakespear, von dem man das größte Sortiment in ganz London erwartete, hatte hier Beträchtliches zu leisten. Ein gutes Gedächtnis brauchte er auch für die Kundenseite: Wenn er sich die Freier und deren Vorlieben gut einprägte und immer wusste, mit welchen der Damen unter seinen Fittichen ein jeder sich bereits vergnügt hatte, konnte sich ein tüchtiger Zuhälter gegenüber seinen Klienten eine gute Position verschaffen. Die Rekrutierung von Frischfleisch stellte ebenfalls ein Problem dar und konnte einen Großteil der Energie eines Maquereaus beanspruchen. Er musste immerzu nach neu Auszuhebenden Ausschau halten, dabei stets die Vorlieben seiner besser zahlenden Interessenten im Hinterkopf; musste sich gut einprägen, wer jugendlich frische Mädels vom Lande bevorzugte und wer vollbusige reifere Damen. Möglicherweise betraute man ihn auch mit speziellen Projekten, und ein gelangweilter Vertreter des Hochadels oder ein reicher Bankier gab ihm dem Auftrag, ihm eine neue, jüngere, noch unverdorbene Mätresse aufzuspüren. In einem kleineren Etablissement und in überschaubareren Ausmaßen betrieben, mögen diese Aufgaben weniger beängstigend groß gewirkt haben, aber nun, da sich sein Aktionsradius erweitert hatte, stand Jack Harris vor der schwierigen Herausforderung, all den an ihn gestellten Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn er alles erfolgreich bewältigte, konnte er sich eine goldene Nase verdienen, und nicht minder würde auch Packington Tomkins davon profitieren.

Als Tomkins John Harris einstellte, mag er schon so manches über diesen Spross von Covent Garden gewusst oder es zumindest aus dem Funkeln seiner Augen herausgelesen haben. Harrison war ehrgeiziger als die meisten. Er war vor allem unglaublich clever; ein Mann, der es vielleicht auch als Kaufmann oder Bankier sehr weit gebracht hätte, der aber aufgrund seiner Herkunft in einer viel niedrigeren Sphäre gelandet war. »Ich erkannte, dass in der Profession der Kuppelei vieles verbesserlich war«, sollte Harris später berichten, und so »saß ich da und zerbrach mir den Kopf und fand bald, dass es, wie im Staate so auch in unserem Geschäfte, an einem System mangelte, planvoll zum Werke zu schreiten«. Kuppler, so klagte er, seien »Männer, die, bar aller Vorausschau, stets nur aus der Not heraus handelten« und Schwierigkeiten immer nur angingen, wie sie sich ergaben. Nachdem er die maßgeblichen Hindernisse ausgemacht hatte, ging Harris, wie ein geschickter Ingenieur, entschlossen daran, etliche Änderungen vorzunehmen.

Das verfügbare Angebot, so befand er, war für eine effiziente Kuppelei das größte Hindernis. Hier musste die Antwort lauten: »Bei Abwesenheit oder Versagen der altgedienten Truppe für frischen Nachschub sorgen.« Regelmäßig mussten neue Kräfte aus anderen Teilen Londons rekrutiert werden. Die Nachfrage im Shakespear war zu groß, um einzig aus den Ressourcen von Covent Garden gedeckt zu werden. Zunächst war es für Harris recht einfach, »an dem einen Tage einen Streifzug von den Kolonnaden Covent Gardens hinüber ins St.-James-Viertel zu unternehmen, an dem anderen einen in die City, an wieder einem anderen einen zu den Tower Hamlets und weiter dann auch nach Rotherhith, Wapping und Southwark«. Dort traf er sich mit den Venusdienerinnen vor Ort und verschaffte sich einen Eindruck von deren Vorzügen und Fähigkeiten. Wieder zurück im Shakespear, konnte er dann seine Pläne in die Praxis umsetzen. Wenn ein Stammkunde nach einem neuen Gesicht verlangte, »lief ich los und schickte nach einer Hure aus Southwark oder vom Tower Hill und hieß sie, spornstreichs wie ein keuchendes Krämerweib herbeigeeilt zu kommen«. Um die Zeit bis zu ihrem Eintreffen zu überbrücken, »setzte ich mich mit meinem feinen Herren oder adligen Buhler zusammen, trank seinen Claret, rauchte mit ihm ein Pfeifchen und tischte ihm Lügen auf, bis ich beinahe meiner selbst überdrüssig wurde«. Diese Methode wirkte Wunder, wie Harris prahlte. »Meist schickte ich zu den Männern meine Venusschwestern aus dem St.-James-Viertel, die ihren Stadtburschen oder neu vom Lande hergekommenen Bauerntölpel mit ihrem vornehmen Gebaren so unvergleichlich glücklich machten wie nichts auf der Welt.«

Alle seine Kunden konnte er auf diese Weise jedoch nicht zufriedenstellen. Es gab immer vielerlei Erschwernisse, die ihn zwangen, erfinderisch zu bleiben. Sehr zu seiner Verlegenheit musste er bald feststellen, dass manche seiner Klienten ihre Liebesergötzlichkeiten nicht allein auf Covent Garden begrenzten, sondern gerne weitere Kreise zogen, um auch die Genüsse der berüchtigten Bordelle in der Londoner City und in Southwark zu genießen. Sie waren wenig erfreut, dort auf dieselben Gesichter zu stoßen, die ihnen Harris zuvor auf der anderen Seite der Stadt präsentiert hatte. Die Sittenrichter und Sozialreformer der Zeit klagten oft, Frauen würden nur deshalb in die Kanäle der Prostitution eingeschleust, weil lasterhafte Männer ständige Abwechslung forderten – das, was Freier »Frischfleisch« nennen mochten. Harris (oder wer immer in seinem Namen die Feder führte) sah dies genauso. Das Bemühen, die Vorlieben seiner Kunden zu befriedigen und seine Frauenvorräte stets neu zu füllen, schien eine unendliche Aufgabe. Um eine ahnungslose Beute ins Netz zu bekommen, konnten die Ausheber von Neuhuren auf eine Handvoll erprobter Vorgehensweisen zurückgreifen, und um keine dieser Methoden ranken sich in den zeitgenössischen Erzähltexten und Kupferstichen mehr Legenden als um die berühmt-berüchtigte Falle »Vermittlungsbüro«. Arbeitsvermittlungsstellen vergleichbar, wurden in diesen Kontoren Stellenangebote von Leuten ausgeschrieben, die Dienstpersonal suchten, und so waren sie häufig die erste Anlaufstelle für Frau Neuankömmling, wenn sie den Boden der Hauptstadt betrat. Hurenwirte und Kuppelmütter hatten hier leichtes Spiel: Sie lockten einfältige Landeier in ihre Schlingen, indem sie sich als ehrenwerte Bürger auf der Suche nach einem Hausmädchen ausgaben. Wie seine Konkurrenten bekannte auch Harris, auf solcherlei Rekrutierungspraktiken zurückgegriffen zu haben; enttäuscht ließ er allerdings auch durchblicken, dass nur wenige der Frauen, die auf diesem Weg nach London kamen, so unberührt gewesen seien, wie es seine Klienten gern gesehen hätten.

Dienstmädchen – und berufstätige Frauen überhaupt – waren die Hauptziele von Harris’ Anwerbungsbemühungen. Seiner Überzeugung nach kam es nur selten vor, dass solche Existenzen ihre Tugend nicht bereits zuvor aufs Spiel gesetzt hatten. Es entsprach der unbarmherzigen Sicht der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, dass Frauen, die gezwungen waren, sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, auf alle möglichen Arten gekauft und verkauft werden konnten. Ob sie nun eine ordentliche Lehre in einem Putzgeschäft oder in einer Strumpfwirkerei absolviert hatte, ob sie Waschfrau, Küchenmagd oder Äpfelweib an einer Straßenecke war – eine Arbeitende verkaufte sich für Geld. Sie konnte ja nie eine Dame oder irgendein Individuum von wirklichem Wert in der Welt werden, und die Männer, besonders solche von höherem gesellschaftlichen Rang, waren sich darüber auch von vornherein im Klaren. Harris konstatierte, dass derartige Frauen die bei weitem gefügigsten unter seinen Neubekehrten waren. Er sei beständig auf der Jagd nach ihnen gewesen, wenn er »durch die Straßen strich« und »an jeder Tür wachsam Ausschau hielt«. Dann fährt er fort: »Wenn immer ich eine hübsche Dirne gefunden, die ich verderben wollte, begab ich mich unverzüglich ins nächste Schankhaus, bestellte eine Kanne Bier, und dort bekam ich dann alle nötigen Auskünfte.« Hatte er eine Zusammenkunft eingefädelt, ließen sich die meisten dieser Frauen, wie Harris feststellte, durch ein unverblümtes Zursprachebringen ihrer Lebensumstände schnell überreden, so dass sie schon »bald der Ansicht zustimmten, dass ein Leben in glücklichem Überflusse dem der harten Schinderei vorzuziehen sei, welches nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge im besten Falle mit der Vermählung mit einem Dienstboten oder einem Gesellen in irgendeinem beschwerlichen Handwerk endigen konnte«. Glaubt man den zeitgenössischen Darstellungen, so dürfte vielen der Frauen, an die Harris auf diese Weise herantrat, und insbesondere jenen, die sich als Hausangestellte verdingten, die Prostitution in der Tat keineswegs fremd gewesen sein. Schlechte Bezahlung veranlasste so manche, ihr Leben in wechselnder Stellung zu verbringen und Arbeit in Bordellen genauso wie unter dem Dienstpersonal reputierlicherer Häuser zu suchen.

Neben den Arbeiterinnen bot sich noch eine weitere Quelle, aus der man schöpfen konnte. Harris gab an, seine Erfahrungen mit dem schönen Geschlecht hätten ihn gelehrt, die Möglichkeit, auch verheiratete Frauen unter seine Fittiche zu nehmen, nie zu unterzuschätzen. Diese waren selbstverständlich gleichfalls neue »Ware«, die, abgesehen von ihren Ehemännern, niemand zuvor verkostet hatte, und stellten somit eine sehr brauchbare Bereicherung des Angebots dar. Um sich Vertreterinnen dieser Spezies zu angeln, waren ihm Besuche in den Theatern sehr wichtig:

Mein Vorgehen bestand darin, mich bei Frauenspersonen von nicht unansehnlichem Äußeren, die ich ohne Begleitung einer männlichen Bekanntschaft angetroffen, lieb Kind zu machen. Ich beschenkte sie mit Früchten und erwies ihnen allerlei andere kleine Artigkeiten, wie sie an solchen Orten gewöhnlich sind. Durch beiläufige und nicht allzu eifrige Befragung erfuhr ich bald die Verhältnisse der meisten von ihnen.

Wie die Berufstätige bedurfte auch die unglücklich verheiratete Frau nur einer offenen Schilderung der Art und Weise, wie ihr Harris »ihre gegenwärtige Lage angenehmer zu gestalten« plane. Zur Ermunterung war meist nicht mehr vonnöten als das Angebot der finanziellen Unabhängigkeit von einem »bösartigen, sauertöpfischen Manne«, der »in der Erfüllung seiner Ehepflichten äußerst nachlässig« war. Harris prahlte: »Durch diese Schliche habe ich eine ganze Zahl verheirateter Weiber verlockt, insonderheit die Gattin eines Ballenbinders, die nicht weit von der Royal Exchange wohnte, sowie auch die eines Arzneiverkäufers nahe Crutched Friar’s, beides ausnehmend schöne Frauenzimmer.«

Harris schuf nicht nur ein wahres Pantheon verfügbarer Londoner Damen, er erwarb sich auch für seine »vortreffliche Pflanzschule« irischer Huren einen guten Ruf. Sowohl in The Remonstrance of Harris als auch in The Memoirs of the Celebrated Miss Fanny Murray spricht er davon, zur Ausweitung seines Angebots auf diese Frauen zurückgegriffen und sich sogar selbst aktiv auf die Suche nach »irischen Novizinnen« gemacht zu haben. Er habe sich »nicht nur alle von Chester her kommenden Landkutschen zwischen Highgate und St. Alban’s« vorgenommen, sondern, als seine Geschäfte immer besser liefen, auch »in jedem Sommer eine Reise nach Dublin« getan, um neue Damen ins Land zu holen. Auf seinen Fahrten war er dort auf eine wahre Goldader potenzieller neuer Kräfte gestoßen. Da viele irische Prostituierte »selten entlohnt und häufig geschlagen« wurden, waren sie, wie er feststellen konnte, von der Möglichkeit, sich nach London davonzumachen, hellauf begeistert. Andere, denen er begegnete, hatten eine »so schmale Börse« und einen »so großen Hunger«, dass sie ihm schon auf das bloße Versprechen einer warmen Mahlzeit hin zu folgen bereit waren. Im Anschluss erwähnen beide Schriften auch, dass der findige Harris eine Art Schule für seine Mädchen von der Grünen Insel eingerichtet habe, um »ihnen ihre irische Wildheit zu nehmen und sie ein wenig gesitteter zu machen« und so sicherzustellen, dass sie auch »vollkommene Meisterinnen ihrer Kunst« waren, bevor er sie auf die Londoner Männerwelt losließ. Solche Usancen waren in Harris’ Metier nichts Ungewöhnliches. Die besseren Kupplerinnen der Hauptstadt waren dafür bekannt, dass sie ihre neu akquirierten Mädchen einer Schulung unterzogen und ihnen beibrachten, sich verführerisch zu bewegen und mit Worten zu betören, bevor sie sie ihrer solventen männlichen Klientel anboten. Harris behauptete, in der Kunst, die ungehobelten Manieren dieser Frauen zu verfeinern, nicht schlechter zu sein als jede Kuppelmutter, und er brüstete sich, sie nach ein wenig Unterricht »als sehr liebreizende Geschöpfe, ja Göttinnen – jede eine Venus an Schönheit und eine Minerva an Verständigkeit –, an nicht wenige unserer hochempfindlichen urenglischen Ehrenmänner weitergeben« zu können.

Doch selbst nachdem sie gründlich geputzt und auf Manieren getrimmt worden waren, erfüllten Harris’ Frauen noch nicht die Anforderungen aller seiner Bekanntschaften. Nicht jeder war auf eine Gespielin erpicht, die er schlicht der willkürlichen Wahl eines Kupplers zu verdanken hatte. Manche seiner wohlhabenderen adligen Auftraggeber erbaten sich von ihm vielmehr exklusivere Dienste. Seinem eigenen Bericht zufolge erhielt Harris häufig Anweisung, für die Vergnügungen seines Kundenkreises ganz bestimmte Mädchen herbeizuschaffen. Schlimme Geschichten von Bordellwirten und Kuppelweibern, die finstere Pläne schmieden, um unbefleckte junge Damen in die Falle zu locken, waren das täglich Brot der Literatur des 18. Jahrhunderts, und dass solche Szenarien keine alleinige Domäne der Fiktion waren, bezeugen die zeitgenössischen Gerichtsakten. Wenig überraschend, dass in mehreren dieser Geschichten auch der Name Harris auftaucht. Der Kuppler habe über etliche in der ganzen Stadt verstreute angemietete Zimmer und »kleine Unterschlupfe« verfügt, hieß es, und in diesen Räumen habe er viele seiner Untaten an jungen Frauen begangen, die er »verführte« und dort »unterhielt«, um sie für Spezialkunden vorzubereiten. Die Memoirs of the Celebrated Miss Fanny Murray berichten, dass auf diese Weise auch eine unter dem Namen Charlotte Spencer bekannte Frau in ihr Gewerbe eingeführt worden sei.

Es sollte einer von Harris’ ganz großen Coups sein, als er im Zenit seiner Macht stand. Lord Robert Spencer hatte, anlässlich eines Aufenthalts in Newcastle, auf einer Gesellschaft eine begehrenswerte junge Dame tanzen sehen und sich auf der Stelle in sie verliebt. Charlotte war, wie ihm bald zu Ohren kam, die Tochter eines angesehenen, aber sehr geizigen Kohlenhändlers, der trotz seines ansehnlichen Vermögens seiner Tochter doch nur eine knickrige Aussteuer zubedingen wollte. In einer Zeit, da die Eignung eines Ehepartners häufig durch die Proportionen des versprochenen Erbes und sonstiger Gegenwerte bestimmt wurde, zogen Frauen, die zwar ein sympathisches Auftreten und ein hübsches Gesicht zu bieten hatten, aber kein Geld, fast immer den Kürzeren. Dafür waren sie die idealen Kandidatinnen für Adlige auf der Jagd nach einer attraktiven, vollendeten Mätresse. Unfähig, sich von seiner Liebeskrankheit zu kurieren, aber auch nicht willens, einer Frau mit einer derart dürftigen Mitgift den Hof zu machen, appellierte Lord Spencer an die Künste von Jack Harris. Dieser wurde gegen eine beträchtliche Summe dazu angeheuert, nach Newcastle zu reisen und um das Objekt von Spencers Begierde zu freien, bis sie sich einverstanden erklärte, mit ihm nach London durchzugehen. Harris gab sich als ein Ehrenmann aus guter Familie aus, gewann Charlottes Vertrauen, und sie willigte in eine heimliche Trauung ein, die dann in seinen Zimmern in der Nähe des Temple Bar von einem Mann vollzogen wurde, der behauptete, der Bruder ihres Verlobten zu sein. Nach der Zeremonie begaben sich Charlotte und Jack Harris im Zimmer nebenan zu Bett. Die Kerzen wurden ausgeblasen, und – so Charlotte – »dann kam er zu mir, wie ich vermeinte«. Bei ihrem Erwachen am nächsten Morgen erwartete sie der Schock ihres Lebens. Ein wildfremder Mann lag neben ihr. Ihre Schreckensschreie riefen schließlich Harris aus dem Nachbarzimmer herbei, der sie über ihre Situation aufklärte und ihr »unumwunden den ganzen schurkischen Plan eingestand«. Hierzu gab sie später zu Protokoll, dass »Mr. Harris, der Kuppler ..., von Lord Spencer damit betraut worden war, mich unter dem Vorwande einer Vermählung in die Stadt zu locken, dass die Zeremonie nicht rechtsgültig war und dass Harris, zuzüglich zur Erstattung all seiner Ausgaben, fünfhundert Pfund dafür empfing, um in der ersten Nacht, an seiner statt, seine Lordschaft mich besitzen zu lassen, welche sich in einer Nische meines Gemachs verborgen bereitgehalten, bis die Kerzen gelöscht waren«. Charlotte war eine widerstrebende Novizin. Harris gab ihr den guten Rat, von nun an »danach zu trachten, sich der Gewogenheit von Ihro Gnaden Lord Spencer zu versichern«, damit »seine Lordschaft großzügig für sie Vorsorge treffen« werde. Auch wenn Lord Spencers neue Mätresse für ihre Dienste reich belohnt wurde, zeigt sich deutlich, dass es bei jedem der von Harris davongetragenen Triumphe immer nur um seinen eigenen Vorteil und um den Nutzen seines Auftraggebers ging. Charlottes Bericht endet in Verbitterung: Nachdem er »seine Lust mit meiner treuen Gegenwart bis zum Überdruss gesättigt, wandte Lord Spencer sich von mir ab und mein vermeintlicher Ehemann setzte mich auf seine Liste – zu seinem eignen Vorteil und zu meinem Verderben«.

Ohne sein besonderes Geschick im Verwalten von Informationen hätte sich Jack Harris vielleicht nie einen so guten Ruf als findiger Kuppler erworben. Doch ganz gleich, was er alles in seiner Trickkiste hatte – kein Zuhälter hätte seine Geschäfte zu lenken und seine Heerscharen käuflicher Damen zu befehligen vermocht, wenn er nicht über irgendeine Form von methodischem System verfügte. Ein besonders erfolgreicher Kuppler musste entweder mit einem phänomenalen Namensgedächtnis gesegnet sein oder über die Gabe des Schreibenkönnens verfügen. Harris konnte mit Letzterem punkten.

Jack Harris hat die Hurenliste des Zuhälters keineswegs erfunden. Jeder, der über eine großen Zahl von Prostituierten den Überblick behalten musste, tat wahrscheinlich genau dasselbe, was andere Geschäftsleute auch machten, und legte sich ein Bestandsverzeichnis an. Man kann sich gut ausmalen, dass mit dem Anstieg der allgemeinen Alphabetisierungsrate in der britischen Bevölkerung mehr und mehr Informationen dem Papier anvertraut wurden, die zuvor allein in den Archiven des Geistes verwahrt worden waren. Eine persönlich geführte Liste, häufig aktualisiert und so detailliert wie möglich, war – ob man sie nun auf Pergament kritzelte oder sie sich lediglich ins Gedächtnis einprägte – auf jeden Fall das wichtigste Utensil im Menschenmaklergewerbe; unverzichtbar wie der Besen eines Schornsteinfegers oder das Rad eines Scherenschleifers. Nicht jeder Zuhälter wird eine schriftliche Liste geführt haben, doch ein Kuppelkellner, dessen Position weit über der irgendeines gemeinen Bettelluden stand und der über die fleischlichen Freuden eines großen Gasthauses residierte, bedurfte einer Form von geordneter Verwaltung, um auch auf zufriedenstellende Weise seines Amtes walten zu können. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts scheint die Praxis, ein handschriftliches Verzeichnis der im Umkreis bekannten Huren anzulegen, zumindest in einigen der stärker frequentierten Wirtshäuser Londons recht verbreitet gewesen zu sein. Jack Harris spricht selbst davon, dass seine »Kuppelbrüder« solche Listen benutzten und dass häufig Namen »in unsere Verzeichnisse eingetragen« oder »aus unseren Büchern gestrichen« wurden. Auch ein Journalist des London Chronicle schreibt im Juni 1758, dass anlässlich eines Gaststättenbesuchs sein Kellner »eine Liste mit den Namen von beinahe vierhundert [Prostituierten] hervorzog, in alphabetischer Anordnung, mit einer genauen Schilderung ihrer Person, ihres Alters, ihrer Fähigkeiten und ihres Wohnortes. Für mich ... war diese Liste unterhaltsamer als die leibhaftigen Gegenstände ihrer Beschreibung, und ich studierte sie sehr aufmerksam.«

So eine handgeschriebene Liste hatte wahrscheinlich die Form eines kleinen Geschäftsbuchs oder einer gebundenen Kladde. Hier notierte ein Zuhälter den Namen einer käuflichen Dame sowie den Ort, wo sie zu erreichen war. Das konnte die Straße, in der sie wohnte, sein oder ein bekanntermaßen von ihr häufig aufgesuchtes Schankhaus. Je nach Schreibfertigkeiten des Kupplers konnte sich daran dann eine Beschreibung der Frau und der von ihr angebotenen Dienste anschließen. Notizen über Alter, Körpermerkmale und sexuelle Spezialitäten nebst dem Preis ihrer Leistung erleichterten Kuppler wie Freier die Wahl. Der Schreiber des London Chronicle hält auch fest, dass die von ihm in Augenschein genommene Zuhälterliste aus einem einfachen Namensverzeichnis mit zusätzlich an den Rand notierten Kommentaren bestand: »Ann Gill – 19 Jahre – seit zwei Jahren im Geschäft – Bow Street. – Elizabeth White, down in a sal [d.h. sie macht eine Salivationskur mit Quecksilberpräparaten zur Syphilistherapie], dito. – Mary Green, wechselt in feste Hände, empfängt Kundschaft bis Ende der Woche, dito.« Die pfiffigeren Kuppler bereicherten diese Einträge sicher noch um weitere nützliche Informationen, notierten Namen der bevorzugten Freier einzelner Damen, Angaben zu ihrem früheren Gesundheitszustand und zu ihrem sexuellen Werdegang sowie Tabellen der zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Klienten ausgebetenen Preise. Schon allein wegen der Größe seines Imperiums verlangte Harris’ Geschäft eine handschriftliche Liste, die alle anderen in den Schatten stellte: eine wahre Enzyklopädie der Hurennamen. Deren beständige Kommentierung und Modifizierung erforderte in allen Details buchhalterische Akkuratesse und ein offenes Ohr für den Klatsch, der solche Details lieferte. Wenn wir Harris’ Behauptung, unermüdlich auf der Suche nach Nachschub gewesen zu sein, glauben dürfen, muss seine Liste während seiner Zeit im Shakespear auf wahre Mammutproportionen angewachsen sein. Gut möglich, dass schon allein ihr schierer Umfang seinen Teil zu Harris’ Ruhm unter den vergnügungssuchenden Nachtschwärmern von Covent Garden beigetragen hat und für die Idee einer Veröffentlichung die Initialzündung gab.

Nicht nur Jack Harris’ Liste profitierte von seinem überragenden Kupplergeschick, seine Geschäftskünste waren von Anfang an auch Packington Tomkins zugutegekommen. Um die Zeit, als Harris seine Stelle antrat, habe sein Dienstherr den Plan entwickelt, »es sich zum Brauche zu machen«, seine Kunden durch stets bereitgehaltene Damen »zu ihrer Erquickung zu vergnügen«, und ein Bestandteil dieses Plans sei die Einstellung von Harris gewesen. Indem er Tomkins’ »Haus mit den frischesten und ergötzlichsten Stücken versorgte«, sei er, so behauptete Harris, maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass dieser in der kurzen Spanne von nur ein paar Jahren »ein sehr tüchtiges Vermögen« anzuhäufen vermocht habe. Wie auch immer ihre Geschäftsvereinbarung im Einzelnen ausgesehen haben mag, Tomkins schöpfte jedenfalls einen bestimmten Prozentsatz der Einnahmen ab, die Harris mit dem Betreiben seines Gewerbes unter dem Dach des Kneipiers erzielte. Natürlich handelte es sich bei dem Ganzen um eine im Geheimen geschlossene Abmachung. Zu jener Zeit mag Harris vielleicht noch nicht gewieft genug gewesen sein, zu durchschauen, welche Folgen sich aus dieser »besonderen Übereinkunft« ergeben konnten, sollte einmal Justitia an die Tür klopfen. Jack Harris hatte nichts dagegen einzuwenden, nach außen hin die alleinige Leitung dieses Teils von Tomkins’ Geschäft zu übernehmen, und er begann törichterweise den Ruhm zu genießen, den ihm sein Tun verschaffte.

Es weist so manches darauf hin, dass auch die Bordellwirtin von nebenan, Mother Jane Douglas, mit von der Partie war. Seit sie hier 1741 ihr Haus eröffnet hatte, scheint dessen Lage direkt neben dem Shakespear die Herausbildung einvernehmlicher Regelungen zwischen den beiden Etablissements befördert zu haben. Sicherlich dürfte Jack Harris’ Unternehmen den natürlichen Fluss von betrunkenen, sexhungrigen Kunden aus dem Shakespear in das Visitenzimmer des Nachbarhauses zunächst einmal zu behindern gedroht haben, und um Mutter Douglas zu beschwichtigen, muss eine finanzielle Ausgleichsregelung getroffen worden sein, die vielleicht auch die Vereinbarung enthielt, ihre Mädchen den Besuchern des Shakespear anzubieten. Im Gegenzug zeigte sich Mrs. Douglas bereit, neben ihren cundums (Kondomen, damals meist aus mit Bändern festgebundenen Tierdärmen und mehr dem Schutz als der Verhütung dienend), Aphrodisiaka und anderem Sexshop-Schnickschnack auch diverse frühe Druckausgaben der Harris’s List feilzuhalten.

Sein Imperium zu verwalten und zu wahren, war nur der eine Teil seiner Tätigkeit. Daneben galt es, die finanzielle Ernte seines Tuns einzufahren. Seinem Stil treu, ging Harris auch hier genau nach Plan vor. Wie jeder gute Zuhälter bewies er ein ausgeprägtes Talent dafür, mit allen erdenklichen Mitteln Geld zu machen. Von dem Moment, wo der Name einer Frau in seine Liste eingetragen wurde, über den Moment, wo ein Freier ihr Erscheinen wünschte, bis hin zu dem Augenblick, wo sie die geforderten Dienste geleistet hatte – stets war Jack Harris zugegen und hielt die Hand auf.

Die Memoirs of the Celebrated Miss Fanny Murray werfen einen interessanten Blick hinter die Kulissen von Harris’ Betrieb. Wie deren Autor schreibt, mussten sich Frauen, die »als ein neues Gesicht auf dem Pergament seiner Liste« verzeichnet werden sollten, einer gewissen Zeremonie unterziehen. Es gab keinen Grund, warum Harris seinen Venusgeweihten hätte vertrauen sollen (wie zweifellos auch sie ihm nicht verrauten), und so bestand er darauf, dass sie sich von einem Arzt untersuchen ließen, bevor er sie in seine Reihen aufnahm. Erst wenn »ein Wundarzt eine vollständige Untersuchung ihres Leibes« vorgenommen hatte und sie »für gesund oder krank befunden« hatte, ließ Harris einen »Advokaten« kommen, »um ihren Namen etc. einzutragen, sobald sie eine schriftliche Erklärung ihres Einverständnisses unterzeichnet hatte, dass sie zwanzig Pfund verwirke, so sie in irgendeinem Punkte falsche Nachricht über ihre Gesundheitsverfassung gegeben«. Nachdem er sich zur Genüge davon überzeugt hatte, dass die neu Einberufene ohne Makel war, ließ der Kuppler »ihren Namen ... in großen Buchstaben über einen ganzen Pergamentbogen schreiben«. Darunter blieb reichlich Raum für allerlei dichterische Ergüsse. Laut Verfasser der Memoirs sah so ein handschriftlicher Eintrag dann etwa wie folgt aus:

Name: Fanny Murray

Verfassung: von blühender Gesundheit

Beschreibung: Ein trefflicher Braunschopf, neunzehn binnen des nächsten Jahres. Ein propres Weibsstück für die Seitenlogen unserer beiden Theater – kann sich auf dem Fleischmarkte gut sehen lassen – und wird sich gut halten – mag noch zwölf Monate allemal als Jungfer hingehen – hat erst vor sechs Monaten diesseits der Temple Bar Logis genommen. Taugt gut zur Kokotte eines reichen Judenkaufmanns. (Notabene: Dito zahlen gute Preise!) – Danach Haus der offenen Tür – und kann, dafern sie nicht im Lock-Hospital [einem Krankenhaus für Geschlechtskranke] endigt, ihr Vermögen machen und die Männer der halben Stadt zugrunde richten.

Wohnsitz: Im ersten Stockwerk bei Mrs. —, Putzmacherin in Charing Cross.

Die Zwanzig-Pfund-Bürgschaft, mit der sie für ihre Gesundheit geradestanden, war nur der erste von vielen Sollposten, mit denen sich Harris’ Damen unwillkürlich in die Schuld ihres Zuhälters begaben. »Pfundgeld (The Sportsman’s pound)«, so erläutert die in Harris’ Namen geführte Feder, »ist die seit langem übliche, dem Kuppler zu zahlende Abgabe von fünf Shilling aus jeder Guinee, welche hübsche Damen für ihre den Herren erwiesene Gunstbezeigungen erhalten«. Es war gängige Praxis, dass Harris’ Damen ihre Schuld anlässlich ihrer allsonntäglichen Zusammenkünfte in Covent Garden beglichen.

Bei diesem Anlass konnte es auch passieren, dass sie tief in ihre Taschen greifen mussten, um ihrem Beschützer die sogenannte »Putzgebühr« (tire-money) zu entrichten. Harris erklärt: »Putzgebühr ist, was ich die Damen dafür zahlen lasse, dass ich sie mit all den Notwendigkeiten eines feinen Auftretens ausstatte. Andere Leute in der Stadt verfahren genauso, die nennt man Abzahlungshändler, doch hat keiner von diesen so wohlgefüllte Kleiderschränke wie ich.« Die unglücklichen Mädchen, die der Verlockung nicht widerstehen konnten, teure Kleidung anlegen zu dürfen, musste diese Taxe wohl am härtesten treffen. Das Abkassieren der Putzgebühr war neben der an Kuppler oder Kupplerin abzuführenden Provision die älteste Methode, Geld von Prostituierten einzutreiben. Da wohl jede Novizin im Gewerbe erst nach Zeiten der Not und Entbehrung zur Aufnahme dieser Beschäftigung bereit gewesen sein dürfte, war es eher unwahrscheinlich, dass sie schon eine fürs Männerbetören zweckdienliche Garderobe mitbrachte. Und nun gab man ihr schöne Kleider, Spitzenmanschetten, elegante Hüte mit Schleifen und Schuhe mit glitzernden Schnallen und schob sie vor die Tür, um anschaffen zu gehen. Des schönen »Geschenks« wurde mit keinem Wort mehr Erwähnung getan, bis ihre Hurenmutter oder ihr Louis die wöchentliche Provision von ihr einforderte und die junge Dame feststellen musste, dass man ihr eine Gebühr für das Mieten ihrer Kleidung berechnete. Häufig hatte eine junge Frau somit für all ihre unangenehme Arbeit letztlich praktisch nichts vorzuweisen, was auch Fanny Murray feststellen musste: »Am Ende der Woche hatte sie fünf Pfund, zehn Shilling und sechs Pence eingenommen«, doch nachdem all ihre Abgaben beglichen waren, »hatte sie nur noch den Sixpence in der Tasche«.

Mit der Putzgebühr war indes Harris’ fein ausgeklügeltes Schröpfprogramm noch keineswegs zu Ende: Er war so dreist, seinen unglücklichen Söldnerinnen darüber hinaus auch noch eine letzte Abgabe abzupressen. Nachdem sie ihm am Sonntagabend seine Forderungen ausgezahlt hatten, blieben viele seiner Damen noch zu einem feuchtfröhlichen Gelage beisammen. Hierzu hatten sie sich, in Nachahmung der vielen Männerclubs, die sich häufig in den Kaffeehäusern und Schenken rund um Covent Garden zum Essen oder zum Zechen trafen, den offiziellen Namen »The Whore’s Club« gegeben. Wie in jedem Verein waren auch die Mitglieder dieses »Hurenclubs« verpflichtet, Beiträge zu zahlen: Die Damen waren gehalten, eine halbe Krone (zwei Shilling und Sixpence) lockerzumachen. Während ein Shilling aus dieser Summe aufgewendet wurde, um »solchen Mitschwestern zum Beistand zu dienen, die sich in medizinischer Behandlung befinden und daher ihrem Geschäfte nicht nachzugehen vermögen, insgleichen aber auch nicht im Stande sind, sich ins Lock-Hospital zu begeben«, gingen die sechs Pence »an unseren Mittelsmann: für seine in der schicklichen Führung dieser würdigen Gesellschaft bewiesene große Fürsorge und Fleißigkeit«. Der nun noch verbliebene Shilling sollte, nicht unverdient, »dem Erwerb starker Getränke« zufließen.

Auch wenn es scheinen mag, als habe die Hure Harris’ Raffgier am stärksten zu spüren bekommen, sollten wir doch auch einen kurzen Moment ihres Freiers gedenken, der ebenfalls bis zum letzten Blutstropfen geschröpft wurde. Ein wehrlos seiner Erektion ausgelieferter Betrunkener war der Traum eines jeden Zuhälters. Kuppler und Kupplerinnen ersannen unzählige Tricks und Kniffe, um verzweifelt nach Sex japsenden Männern einen möglichst fetten Batzen Geld abzupressen. Während der Maquereau seiner Dirnen Provision und Putzgebühr abkassierte, mussten deren Kunden »Tragsessel-« oder »Sänftengeld« (chair-money) zahlen.

Sänftengeld fordere ich ein, wenn ich eine Portechaise für ein Mädchen in Rechnung stelle, die aber, als man nach ihr verlangte, im Haus [dem Wirtshaus] war; oder die, in der Nähe wohnhaft, zu Fuße herbeikam; oder wenn aber wegen schlechten Wetters wirkliche Notwendigkeit bestand, in einer Portechaise zu kommen, dann forderte ich das doppelte Fuhrgeld, und sagte, dass die Dame, eine unterhaltene Mätresse, sehr weit weg, am Berkeley Square, wohne.

In diesem Fall handelte es sich um eine Zusatzgebühr, die bei einer ganz alltäglichen Anfrage nach einer Dame, deren Name auf der Liste stand, auf den Preis geschlagen werden konnte. Wollte jemand aber die Dienste einer exklusiveren Buhlschwester in Anspruch nehmen, konnte es ihm leicht passieren, dass er unwissentlich größere Summen in Jack Harris’ »Schwindeltopf« (humming fund) spendete.

Vom Schwindeltopf spreche ich, wenn wir einem reichen Pinsel vorgaukeln, es sei überaus schwer, ihm die Gewünschte zu verschaffen, die nämlich eine ausgehaltene Mätresse sei oder eine Frau, die ihre Gunst nur demjenigen gewähre, der ihr Wohlgefallen finde – wir schröpfen ihm von Zeit zu Zeit ein paar Guineen ab, ihm einmal Hoffnung machend, dann wieder an unserem Erfolge zweifelnd. Wir halten ihn auf dutzenderlei Weisen zum Besten und verhandeln zuletzt im Namen der Dame um eine gute runde Summe, die vor ihrer Einwilligung an sie zu zahlen sei ...

Zuhälter und Hure schmiedeten dann häufig ein Komplott, um, wenn möglich, sogar noch mehr Geld aus dem Interessenten herauszuschinden. Begann ein Klient ein ausgeprägtes Faible für eine Dame an den Tag zu legen, konnte dabei wie folgt vorgegangen werden:

Nach einer oder zwei Nächten des Beilagers geht sie davon, irgendeinen Verdruss vorschützend, und ist verschwunden; keine Menschenseele weiß, wohin. Dann werden wir damit betraut, sie ausfindig zu machen. – Allein ... wir raten ihm zu, nicht mehr an sie zu denken – ein Rat, der sein Verlangen nur noch stärker entbrennen lässt, bis er sich entschließt, sie um jeden Preis haben zu wollen, mag es kosten, was es wolle.

Nachdem der gefoppte Kunde Harris also direkt in die Hände gearbeitet hat, holt dieser zum letzen Stoß aus: Er teilt seinem Klienten mit, dass er seine Herzensdame aufgespürt habe; sie zu ihm zurückzubringen, würde ihn allerdings nicht nur ein Entgelt von »um die dreißig Pfund« kosten, sondern sie würde auch lediglich unter der Bedingung in die Versöhnung einwilligen, dass er »ihr allerlei Tändeleien etc. zum Geschenke mache«. Selbstredend könne er, der Kuppler, seinem Kunden die Unannehmlichkeit solcher Einkäufe gerne abnehmen, er möge einfach so gütig sein, ihm die entsprechende Summe auszuhändigen.

Die Vielfalt der Tricks, um Freiern das Geld aus der Tasche zu ziehen, variierte von Kuppler zu Kuppler und von Schenke zu Schenke. Giacomo Casanova, der sich 1764 einen Einblick ins Londoner Nachtleben verschaffte, klagte bitterlich über die schlechte Behandlung, die er von einem Kellner der Star Tavern in der Strand-Straße erfahren hatte. Diesen hatte der große Liebhaber gebeten, ihm eine Dame zu bringen, woraufhin er zu seinem nicht geringen Verdruss zu hören bekam, dass er für jede, die er begutachtete, einen Shilling zahlen müsse, ob er sie nun zu seiner Bettgenossin erkor oder nicht. Der Kuppler ließ eine Reihe von weniger ansehnlichen Huren an ihm vorbeiparadieren und hob sich die attraktivste für den Schluss auf. Zwanzig Shilling später und immer noch ohne eine lohnende Frau zu Gesicht bekommen zu haben, trollte sich Casanova beleidigt davon. Wäre er einer von Harris’ Kunden gewesen, so wäre, selbst wenn er eine Wahl getroffen hätte und mit der Dame nach oben gegangen wäre, noch lange nicht garantiert gewesen, dass sie ihm ihre Dienste auch wirklich ungestört gewährte. Um aus der geleisteten Gesellschaft einer Lohnhure den maximalen Profit zu pressen, vermittelte Harris seinen Damen oft zwei Termine zugleich. Er nannte das »einen fliegenden Wechsel einrichten« (a Flier). Nur sehr ungern beschied er eine Anfrage nach einer seiner Ladys abschlägig, besonders, wenn der Kunde eine bestimmte Dame namentlich verlangte. Obgleich sie bereits mit einem anderen Mann zugange ist, wird das Paar dann dezent unterbrochen und »ich sage ihr, dass eine Dame sie nebenan zu sprechen wünsche. Die in den Bübereien der Großstadt Unbewanderten lassen sie gehen.« Die Hure streicht ihre Röcke glatt, richtet ihr Haar und verschwindet im Nachbarzimmer, wo ungeduldig schon ihr nächster Courmacher wartet. Es folgt ein rasches geschlechtliches Intermezzo, und schon »kehrt sie wieder zu ihrem Gesellschafter zurück, so sittsam, als sei nicht das Mindeste geschehn«. Harris gesteht selbst ein, dass es sich hier um ein reichlich gewagtes Manöver handelte, da die junge Frau das Risiko einging, von Liebhaber Nummer zwei die Syphilis einzufangen und sie direkt an Liebhaber Nummer eins weiterzugeben. »Daher kommt es vor«, erklärt er, »dass ein Mädchen, welches ihren Liebeshandel noch ohne Makel begonnen, sich durch solcherlei kurze Ablenkungen ansteckt.«

Strenge Ordnung, klare Verfahrensweisen und ständige Kontrolle bestimmten das System, nach dem Jack Harris’ kontinuierlich expandierendes Imperium funktionierte. Wie ein echter Imperator sorgte auch er dafür, dass seine Untergebenen nach einem festen Regelwerk lebten. Er hatte gelernt, dass ein laxer Führungsstil unweigerlich Unannehmlichkeiten heraufbeschwören musste. Da durfte es keine Nachsicht mit den persönlichen Problemen seiner Listendamen geben; keine Verfehlungen konnten geduldet werden. Harris (oder seine literarische Stimme) erwähnt zwar an keiner Stelle, zur Durchsetzung seiner Autorität Zuflucht zu Gewalt genommen zu haben, doch konnten andere Bestrafungen genauso wirksam sein. Der Kuppler wusste, dass eine Frau wenig Chancen hatte, »wieder ihr Glück zu machen«, wenn ihr Namen erst einmal »von seiner Liste gestrichen« war. Viele seiner Damen standen nur eine Stufe über den Niedrigsten der Niedrigen, den mittellosen Straßenhuren, die Tobias Smollett als »nackte Elende in Lumpen und Schmutz« beschreibt, die sich »wie die Schweine in den Winkeln einer dunklen Gasse aneinanderdrängten«. Um eine Frau in den Abgrund zu stoßen, sie von einer gelisteten Liebesdame zum von aller Welt ausgestoßenen Paria zu machen, musste man nur ihren guten, gesunden Ruf besudeln. Leider brauchte es nicht viel, um Harris’ Zorn zu erregen. Es reichte schon, wenn ihn eine Frau anlog. Vor allem ließ er es sich nicht gefallen, wenn man Schmu mit ihm trieb und versuchte, ihn um seine Provision zu prellen. Die Folgen waren bitter: Der mitleidlose Lude strich den Namen der Betreffenden von der Liste und »wenn hernach Kundschaft nach ihr verlangt, sagen wir immer, sie mache eine Salivationskur, und verderben ihr so das Geschäft. Viele mussten daraufhin im Hunger darben – ein zur Abschreckung anderer unvermeidliches Notmittel, um jene zur Ehrlichkeit anzuhalten.« Glaubt man dem Verfasser von The Remonstrance of Harris, so erwartete ein ähnliches Schicksal auch alle, die sich weigerten, das Bett mit ihm zu teilen, wenn es Harris nach ihren nächtlichen Diensten verlangte.

Das Wissen, dass Harris’ Damen von Covent Garden weitestgehend jeder Laune ausgeliefert waren, die es ihren Zuhälter an ihnen auszulassen gelüstete, könnte sehr gut der Anlass zur Gründung des Whore’s Club gewesen sein. Selbst für den Fall, dass diese Gesellschaft womöglich nur eine augenzwinkernde Erfindung des Autors von Fanny Murrays Memoirs ist – unter den gegebenen Umständen ist es doch sehr zu vermuten, dass sich die Prostituierten der Liste zum gegenseitigen Beistand und Schutz zusammentaten, so wie das auch ihre weniger privilegierten Kolleginnen, die Winkeldirnen auf der Gasse, machten. Die Satzungstafeln des Clubs scheinen, wenig überraschend, nahezulegen, dass die unmittelbare Funktion der Gesellschaft die Berauschung ihrer Mitglieder war, doch bestand ihre dauerhaftere Bestimmung darin, der Schwesternschaft stärkeren Rückhalt zu geben.

Erklärtermaßen waren die zur Mitgliedschaft alleinig qualifizierten Frauen diejenigen, die »auf des Vermittlers Harris’ Liste stehen und nie die Strafe verwirkt haben, von dieser Liste ausgetilgt zu werden, weil sie kein Pfundgeld zahlten – und so den billigen Preis für ihre Gesundheit zu entrichten verabsäumten – oder aus welchem Grunde immer«. Des Weiteren wurde zur Bedingung gemacht, dass »keine Mitschwester dieser Gesellschaft mehr als einmal im Bridewell-Zuchthaus [dem Prostituiertengefängnis im Londoner Stadtteil Clerkenwell] gesessen haben darf« und dass »keiner Mitschwester, die irgendeines Verbrechens wegen – Taschendiebstahl ausgenommen – am Old Bailey vor Gericht gestellt worden, nach einem Freispruch die Wiederaufnahme verweigert werden soll, wofern sie keine Schwangerschaft vorschützte, um ihren Hals zu retten«.

Man kann sich den Sonntagabend im Shakespear’s Head – womöglich der einzige ruhige Abend der Woche – lebhaft vorstellen. Nun können Harris’ Damen einigermaßen freie Stunden verbringen und sich zumindest ein wenig von ihrer sonstigen Plackerei erholen. Manche treffen in einer Portechaise ein, die von den Sänftenträgern würdevoll zu Boden herabgelassen wird; andere kommen bereits halb trunken und von einer Ginfahne umweht. Wenn sie einander aufgeregt schwatzend begrüßen, sich umarmen oder auch aneinandergeraten, heben die wenigen Zecher im Raum neugierig die Augen und beobachten das Flattern von billiger Seide und Spitzenhauben, wie es die Treppen hinauf nach oben entschwindet. Bevor dann die Sauferei so richtig losgeht, werden erst einmal die anstehenden ernsten Angelegenheiten zur Sprache gebracht. Vorrangig wird es da darum gegangen sein, finanzielle Unterstützung für diejenigen aus dem Kreis aufzubringen, die gerade im Gefängnis waren oder sich die »Spanischen Pocken«, also die Syphilis, zugezogen hatten. Diese Mittel setzten sich aus Clubbeiträgen sowie aus den namentlichen Spenden solcher Mitschwestern zusammen, die als Mätressen in den Händen fester Liebhaber »züchtig« geworden waren. Der Whore’s Club erwartete in diesem Fall Großzügigkeit und bestand darauf, dass die milde Gabe der entsprechenden Dame zu der ihr von ihrem Entreteneur »zubedungenen Vergütung im rechten Verhältnis« stand. Sobald das Geschäftliche erledigt war, konnte der angenehme Teil des Abends beginnen.

Wenn sie auch allesamt unflätige, dem Becher zugetane Huren waren, so erkannten ihre Clubstatuten doch an, dass ein bestimmter Grad von Anstand und Schicklichkeit gewahrt bleiben müsse. Offensichtlich arteten diese Zusammenkünfte, ganz wie die der Herrenclubs, gegen Ende mitunter ein wenig aus. Doch gab es klare Regeln für alle möglichen alkoholindizierten Pannen. So wurde etwa festgehalten, dass »jede Mitschwester, die, da sie des Trunkes im Übermaße genossen, ihren Magen entleert und dabei Kleidung einer anderen Mitschwester besudelt, verpflichtet ist, diese von ihr entgegenzunehmen und sie mit neuen Kleidern auszustatten oder auf eine andere Weise für den erlittenen Schaden aufzukommen«. Strafen wurden auch jenen auferlegt, die »Gläser, Flaschen etc.« zerbrachen, die »ein wildes, zügelloses Gebaren« an den Tag legten oder die am Ende des Abends »des Gehens nicht mehr mächtig« waren. Die ganze Zeit über wird Harris auf die Vorgänge im Zimmer ein Auge gehabt und immer mal wieder die eine oder andere am Ärmel gezupft haben, deren Name von unten heraufgerufen worden war.

Während sich sein Ruhm mehrte und mehrte, mag Jack Harris die Tatsache aus den Augen verloren haben, dass nicht nur er die Bekanntschaft einer Unzahl von Namen und Gesichtern gemacht hatte – auch ihn hatte eine Unzahl von Namen und Gesichtern kennengelernt. Je mehr Menschen seinen Namen im Munde führten, umso exponierter wurde seine Stellung, und mit der Größe seiner Macht wuchs auch die Fülle an Klatschgeschichten über ihn, die unter den Kunden von Covent Garden die Runde machten. In breiten Kreisen der Bevölkerung, von der niedrigsten Bettelhure bis zum adligen Erben, erzählte man sich Berichte von seinen alten und neuen Großtaten weiter. Wie alle Namen, die eine mehr oder minder traurige Berühmtheit erlangen, wurde so auch der Name Harris unweigerlich von immer hartnäckigeren Legenden umrankt.

Harris glaubte, dass er im Wesentlichen nichts zu befürchten hatte. Obwohl das Shakespear vom Sitz des lokalen Friedensrichters in der Bow Street kaum eine Rufweite entfernt lag, kamen weder Packington Tomkins noch sein Oberkellner je mit dem Gesetz in Konflikt. Das Shakespear und die dortigen Umtriebe waren im ganzen Viertel wohlbekannt, dennoch wurden erstaunlicherweise nie irgendwelche konzertierte Anstrengungen unternommen, um diesen illegalen Geschäften ein Ende zu setzen. Was das Gesetz betraf, war die Sache im 18. Jahrhundert eindeutig: Von 1752 an war sowohl das offene Anbieten sexueller Dienstleistungen als auch das Unterhalten von Hurenhäusern illegal, jedoch wurde die Durchsetzung dieser Erlasse völlig willkürlich betrieben. Die Nachtwache – das Polizeiähnlichste, was London bis zur Einrichtung der Proto-Polizeitruppe der »Bow Street Runners« zu bieten hatte – war eher daran interessiert, im turbulenten Chaos der Straßen die Ruhe zu wahren, als dem Gesetz auf eigene Initiative Geltung zu verschaffen. Während schmuddelige Gassendirnen, die aus den Türeingängen heraus Unzüchtigkeiten riefen und Männer angrabschten, für andere zur Belästigung werden konnten, waren diejenigen, die ihren Geschäften ohne Lärm und hinter den Türen nachgingen, so unauffällig, dass es fast unmöglich war, gerichtlich gegen sie vorzugehen. Dies galt besonders für all jene, die in den höheren Etagen des Geschäfts mit dem Sex tätig waren: Kuppelkellner, Edelprostituierte, Bordellwirte. Vor allem dank ihrer Diskretion, dem gehobenen Stand ihrer Klientel und dem Anschein der Vornehmheit, in den sie sich zu hüllen wussten, bekam der lange Arm des Gesetzes diese Leute nur selten einmal zu fassen. Ihr scheinbares Geschütztsein vor strafrechtlicher Verfolgung verlieh ihnen ein Gefühl von Sicherheit, und auf dieses Fundament bauten sie ihr Glück und Gedeihen.

Als das Jahr 1758 kam, glaubte Harris, als oberster Herrscher über das Rotlichtmilieu von Covent Garden unangreifbar zu sein. Auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, brüstete er sich, allein durch Kuppelei »in ungefähr einem halben Dutzend Jahren« ein Vermögen von »vier- oder fünftausend Pfund« angehäuft zu haben, eine Summe, die dem Salär des Premierministers oder »First Lord of the Treasury« entsprach. Man munkelte, dass sich seine Liste auf vierhundert Namen ausgeweitet hatte und Frauen aus allen Teilen Londons, von Southwark bis Shoreditch, Bloomsbury und Chelsea, verzeichnete. Außerdem beschäftigte er einen Stab von »Unterkupplern«, junge Lehrlinge, eingestellt, um das Gewerbe zu erlernen und die Außenposten seines Imperiums zu verwalten.

Leider wuchs mit der Größe seines Reichs auch Harris’ Überheblichkeit. Wo John Harrison einst mit umsichtiger Diskretion aufgetreten war, präsentierte sich Jack Harris mit herausfordernder Großspurigkeit, und er scherte sich herzlich wenig darum, wie weit er sich damit aus dem Fenster lehnte. Sein Stolz war seine Schwäche. Wenn der selbst ernannte »Pimp General of All England«, der gesamtenglische »Generalkuppler«, in all seinem ergaunerten Staat auf den Marktplatz hinaustrat, dann bemerkten nicht nur Nachbarn und Kunden das Glitzern seiner Schuhschnallen und blitzblanken Knöpfe. Auch das Auge der Bow Street hatte sich auf ihn geheftet, und es verfolgte ihn viel aufmerksamer, als er geglaubt hätte.

Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt

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