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Kapitel 4 Eine Venus wird geboren

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Es kommt selten vor, dass Männer, die überreichlich in fleischlichen Freuden geschwelgt haben und denen zwischen den mit Seide ausgeschlagenen Boudoirs von Kurtisanen und der Unterwäsche von Straßendirnen nichts fremd geblieben ist, eine einzige, ganz bestimmte Unzuchtsdienerin auserwählen können, der sie ihre unumschränkte Hochachtung zollen. Selbst noch als sie alt geworden und die letzten Spuren der Schönheit aus ihren vom Leben gegerbten Zügen gewichen waren, scharten sich Männer von hoher Geburt und großem Einfluss um sie. Sie nannten sie »einzigartig« und »ehrenwert«, Bezeichnungen, mit denen man in Beschreibungen ältlicher Bordellmütter gemeinhin nicht mal eben so um sich wirft. Jene Ehrenmänner erkannten in ihr den Ausdruck eines reinen Herzens, wahre Großmut, Warmherzigkeit und ungekünstelte Aufrichtigkeit, und diese Attribute haben überhaupt jeden gefangengenommen, der sie von ihren frühesten Jahren im Geschäft bis an ihre letzten Tage persönlich erlebte. Doch war das bloß der eine Teil von Charlotte Hayes und weitgehend nur schöner Schein. Die Wahrheit sollte diesen Leuten immer verschlossen bleiben; sie verbarg sie hinter einem Netz von Täuschungen wie hinter einem wedelnden Fächer – ein Netz, dessen erste Fäden schon vor dem Tag ihrer Geburt gesponnen worden waren.

Ihr genaues Geburtsdatum hat sich, wie auch ihre Todesursache, längst in den Tiefen der Geschichte verloren, nur jahr und Ort sind bekannt. Es geschah 1725 in der italienischen Hafenstadt Genua, dass eine Engländerin eine Tochter zur Welt brachte. Von seiner Wollust zur Torheit getrieben, hatte ein wohlhabender englischer Ehrenmann seine Mätresse geschwängert und damit sein Leben wesentlich komplizierter gemacht. Die exakten Umstände der Entbindung sind nicht überliefert, doch wäre es interessant zu wissen, was die Mutter des Kindes, eine unter dem Namen Elizabeth Ward bekannte Londonerin, hochschwanger nach Genua verschlagen hatte. War sie mit ihrem rasch anschwellenden Bauch sitzengelassen worden und hatte daraufhin die Reise über die Alpen unternommen, um den Vater zu finden? Oder war dieser ein junger, in Leidenschaft entbrannter Mann, der, ins Ausland versetzt, seine Geliebte dreist einfach mitgenommen hatte? Oder er war auf Kavalierstour und hatte sie in seinem Gefolge untergebracht? Wir werden die Wahrheit nie erfahren. Sicher ist jedoch, das sich die junge Mutter und ihr Kind, das sie Charlotte Ward nannte, bald nach der Geburt auf einem Schiff zurück nach England wiederfanden; abgeschoben von einem Mann, der sich seiner Mätresse und der Unannehmlichkeit eines unehelichen Kindes schnellstens entledigen wollte. Vor ihrer Abreise wurde der selbst ernannten »Mrs. Ward« noch eine stattliche Abfindung ausgezahlt, um sicherzustellen, dass alle Verbindungen von nun an gelöst waren, dass eine gewisse Diskretion gewahrt wurde und dass das Kind, sollte es einmal erwachsen werden, nicht um väterliche Zuwendungen vorstellig würde. Charlotte Ward hatte stets nur ein Elternteil gehabt, um sie mit den Wegen der Welt vertraut zu machen.

Wo auch immer Mrs. Ward vor ihrem italienischen Intermezzo hergekommen war, ob ihr Galan sie aus einem Freudenhaus geholt oder hinter dem Karren eines Apfelverkäufers hervorgezogen hatte, nach ihrer Rückkehr in die Hauptstadt hatte sie jedenfalls nicht vor, einen Verlust ihrer privilegierten Stellung hinzunehmen. Durch ihre Affäre hatte sie Welterfahrung gesammelt und in den wohlhabenderen Gesellschaftskreisen Kontakte geknüpft, und nun verwendete sie ihre Energie und was ihr von der Entschädigungssumme ihres Liebhabers verblieben war, an die Eröffnung eines Bordells. Aus der Riege der Huren in die der Kupplerinnen überzuwechseln, sobald die körperlichen Reize dahinzuschwinden begannen, war ein klarer gesellschaftlicher Aufstieg: Es bedeutete den Rückzug in den geschützten Hintergrund, weg von den unmittelbaren Gefahren, denen die an vorderster sexueller Front Dienenden ausgesetzt waren. Frauen, die von jungen Jahren an den Männern der Nation ihre Dienste verkauft hatten, konnten von nun an darauf hoffen, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, indem sie die Reize anderer für sich einspannten. Ob sie nun irgendwann einmal selbst in einem Bordell gearbeitet hatte oder nicht, Elizabeth Ward hatte das Geschäft jedenfalls genau genug beobachtet, um zu wissen, wie sie ihr eigenes Haus zu führen wünschte. Londons Straßen waren gesäumt von abschreckenden Beispielen heruntergekommener, schmutziger und schlecht geführter Hurenwinkel, wo in zugigen Dachkammern kranke, kaum ihrer Sinne mächtige Frauen von ihren Buhlern ein paar Pennys zugesteckt bekamen. »Mutter« Ward hatte keinerlei Interesse daran, ein solches übel beleumdetes Unternehmen zu leiten. Sie hatte eine Klientel im Auge, die einen weit erleseneren Geschmack besaß und hinsichtlich ihres geschlechtlichen Wohlergehens um vieles anspruchsvoller war. Genauso wenig war sie darauf aus, mit den in Covent Garden angesiedelten warenhausartigen Großbordellen zu konkurrieren, sondern hatte es vielmehr auf einen exklusiven Nischenplatz in einer florierenden Gegend des West Ends abgesehen.

Spring Garden, ein Fleckchen Erde, das später einmal vom Trafalgar Square und den umliegenden Bauten verschluckt werden sollte, war ein ruhiger und vornehmer Ort, nicht weit weg vom Rand des St. James’s Parks. Er war der Pall Mall nahe genug, um exklusiv zu wirken, lag aber auch noch in guter Reichweite des am Haymarket neu entstandenen Little Theatre, um so auch eine genussfreudigeres, wollüstiges Völkchen anziehen zu können. Vor allem das bescheidene Ambiente der Gegend hatte es Elizabeth Ward angetan. Ihr Etablissement war eher kleineren Zuschnitts, konnte aber auf einen bevorzugten Kreis von Stammkunden zurückgreifen, der durchaus auch aus jenen Kontakten erwachsen sein könnte, die sie während ihrer Zeit in Genua geknüpft hatte. Nur wer von der Existenz des Bordells wusste, konnte es hinter der Fassade von Ladenfronten ausfindig machen. Für den unangekündigten Besucher erweckte Mrs. Wards Unternehmen den Eindruck eines ganz normalen Galanteriewarenladens, dem von Mrs. Cole, der Bordellwirtin in John Clelands Roman Fanny Hill, geführten Geschäft gar nicht unähnlich. Im Hause Elizabeth Wards saßen im Vorzimmer junge Damen, die sich ganz unschuldig mit der »Verfertigung von Damenumhängen, Häubchen etc.« abmühten: ein nutzreicher Deckmantel für »den Handel mit einer viel kostbareren Ware«.

Doch trotz dieses sauberen und einladenden Erscheinungsbilds gestaltete sich die alltägliche Lebenswirklichkeit unter dem Dach ihres Etablissement nicht sonderlich angenehm. Wie jede Bordellmutter wusste, durfte man Huren nicht vertrauen und musste immer ein Auge auf sie haben. Geld und Geschenke händigte man ihnen am besten nie direkt aus, man durfte auch keinen Besuch von Freunden gestatten oder dulden, dass sie heimlich Botengänge und Besorgungen machten. Gewährte man ihnen Freiheiten, führte das immer schnell zu Schwierigkeiten – vornehmlich dazu, dass plötzlich nicht mehr die Arbeitgeber ihre Angestellten über den Tisch zogen, sondern die Angestellten die Arbeitgeber. Wollte Mrs. Ward sich und ihrer Tochter eine gesicherte Zukunft bieten, musste sie ihren Laden fest im Griff haben. Eine tüchtige Zuhälterin nutzte alle verfügbaren Mittel, um dafür zu sorgen, dass ihr keine ihrer Frauen abspringen konnte; dazu gehörten auch verschiedene Formen von Strafe und Nötigung. Um rechtmäßig behalten zu können, was sie als ihr Eigentum betrachteten, bemühten die im Kuppeleigewerbe Tätigen des 18. Jahrhunderts sogar das Gesetz. Jede junge Frau, die so töricht war, aus dem Haus ihrer Kuppelmutter fortzulaufen, konnte damit rechnen, vor einen Friedensrichter gezerrt und wegen des Diebstahls ihrer Kleidung belangt zu werden. In den meisten Fällen waren die Artikel, mit denen sie durchgebrannt war, ebenjene, die ihr die Hurenwirtin als passende Arbeitsmontur gestellt hatte. So verhielt es sich auch im Fall der Ann Smith, die 1752 von Mrs. Ward beschuldigt wurde, sich mit »einem Kleid aus ungebleichtem Leinen, ... einem Paar Manschetten mit Spitzen, ... einem Paar Seidenstrümpfe, ... einem Seidenhut und einem Paar Strass-Ohrringen« aus dem Staub gemacht zu haben – im Wesentlichen also wohl mit dem, was sie gerade am Leibe trug. Schon nach kurzer Zeit im Geschäft sollte Elizabeth Ward in Lohndirnenkreisen für ihre strengen Methoden berüchtigt sein. Welches Schreckensarsenal wohl Ann Smith zu ihrer überstürzten Flucht getrieben hatte, vermag man sich kaum auszumalen.

Bereits als kleines Mädchen muss Charlotte derlei Dramen am Rande miterlebt haben. Über viele Jahre hinweg wird sie viel zu unbedarft gewesen sein, um zu begreifen, dass Mrs. Ward all das tat, um Charlottes Wohlergehen und Zukunft zu sichern; dass diesem Ziel jeder Penny diente, den sie ihren Dirnen aus den Fingern wand. Für ein heranwachsendes Kind muss ein Hurenhaus eine seltsame Kinderstube gewesen sein. Ihre frühesten Erinnerungen waren wohl die an ihre unkonventionelle kleine Familie von Frauen, die dasaßen und stickten, schwatzten und gelegentlich kicherten. Männer kamen und gingen wie Schemen, während animalische Grunz- und Stöhnlaute unter den Türen hervor und durch die Wände drangen. Manchmal werden große Stürme der Emotionen das Haus erschüttert haben, und den vertrauten Gesichtern, die eben noch über ihren Näharbeiten lächelten, entrang sich nun gramvolles Jammern oder sie umdüsterten sich in Wallungen der Gewalt. Charlotte mag sich auch an die Zornesblitze ihrer wütenden Mutter erinnert haben und daran, wie ihre vaterlose Familie schutzsuchend in Deckung ging, wenn das Gewitter aufzog. Über die Beobachtung ihrer Mutter und der wohlgeordneten Tagesabläufe in ihrem sonderbaren Zuhause wird sie schon als Kind sehr vieles gelernt haben. Doch das Leben, das Mrs. Ward für ihre Tochter vorgesehen hatte, verlangte eine geziemendere Erziehung.

Aus ihrem späteren Leben wird deutlich, dass Charlotte eine etwas bessere Bildung genossen haben dürfte. Während der Lehrplan der örtlichen Armenschulen allein auf die Vermittlung der Grundkenntnisse ausgerichtet war – Lesen, Schreiben, Rechnen, religiöse Unterweisung und Vorbereitung auf eine Lehre –, gehörte zum Programm der etwas anspruchsvolleren, wenn auch nicht unbedingt hohe Anforderungen stellenden Bildungsanstalten für junge Damen auch das Eindrillen der »weiblichen Fertigkeiten«: Zusätzlich zu den Rechtschreib- und Rechenstunden erhielten die Schülerinnen auch Unterricht in Französisch, in Tanz und Musik und im rechten Betragen. Wenn sie besonderes Glück hatten, kamen sie auch mit dem Italienischen in Berührung, lernten Handarbeiten und Buchführung, und es wurden ihnen vielleicht rudimentäre Kenntnisse in Geschichte, Geografie und in den Werken der klassischen Antike vermittelt. Wie der Sozialreformer Francis Place zu berichten weiß, gab es im georgianischen London eine Reihe von »achtungswerten Tagesschulen« für Mädchen, die gegen eine geringe Gebühr einen solchen allgemeinbildenden Lehrplan anboten. Eingedenk der vielen Fallstricke, die das Gewerbe ihrer Mutter bereithielt, dürfte es für Charlotte allerdings besser gewesen sein, ein Pensionat zu besuchen.

Mrs. Ward wäre nicht die erste Kupplerin oder Kurtisane gewesen, die ihre Tochter der Hausmutter eines Internats in die Obhut gab. Viele vornehme Herren hatten eine Schwäche für heranreifende Jungfern, und so hätte schon die bloße Anwesenheit eines mannbaren Mädchens in den unzüchtigen Verhältnissen eines Bordells zu viele Versuchungen geweckt. Elizabeth Ward wollte ihrer Tochter kostbarstes Gut keineswegs durch eine Vergewaltigung vergeudet sehen oder es den leise gemurmelten Überredungsversuchen eines in Liebe entbrannten, doch mittellosen Werbers opfern. Als eine der lukrativsten geschäftlichen Transaktionen ihrer Mutter wurde das Ende von Charlottes Jungfernschaft vielmehr bis ins letzte Detail vorausgeplant. Über etwa vierzehn Jahre hinweg muss Mrs. Ward die Reize ihrer Tochter gehegt und gepflegt und ihren Bildungsweg finanziert haben; alles, um sie für den wichtigsten Tag ihres Lebens vorzubereiten: ihre Initiation in die Riten der Venus.

Wie jede Tochter der Gesellschaft wurde sicher auch Charlotte, als die Zeit dafür reif schien – für gewöhnlich wenn das Mädchen zur Frau zu werden begann –, in eine turbulente Welt der Unterhaltung und des gesellschaftlichen Trubels eingeführt. Sobald sie im Theater oder in den Lustgärten als ein neues Gesicht an der Seite von Mrs. Ward auftauchte, war dies ein klares Signal: Charlotte war die heißeste Ware, die ihre Mutter im aktuellen Angebot hatte. Wenngleich ihre öffentlichkeitswirksame Präsentation die Aufmerksamkeit aller möglicher neugieriger Interessenten auf sich gezogen haben muss, hatte doch Mutter Ward zweifellos bereits ihre engere Auswahlliste besonders wohlhabender, hochgestellter Kunden im Kopf, die zur Übernahme der beiden nun anstehenden höchst wichtigen Aufgaben infrage kamen.

Kein sexuelles Erlebnis war im 18. Jahrhundert begehrter als der Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau. Eine echte Jungfrau war für den Gourmet der Fleischeslust eine Delikatesse, die auch ihren gesalzenen Preis hatte. Da unberührte Mädchen gemeinhin nicht eben mal zufällig in Freudenhäuser hineinzuschneien pflegten, wusste jede Kuppelmutter, dass das Beibringen solcher Schätze einen enormen Aufwand kostete. Der handelsübliche Preis für das Vorrecht, die Nacht mit einem unschuldigen Mädchen zu verbringen, konnte zwischen zwanzig Pfund und fünfzig Guineen – also weit mehr als dem Doppelten – variieren. Ausgesprochen geschickte Kupplerinnen, die besonders schönes junges Frischfleisch zu bieten hatten, konnten diese Preise sogar noch bis zu einer Summe von hundert Pfund in die Höhe treiben. Nicht allein das rein erotische Vergnügen, eine Unschuldige in die Sünde der Unzucht einzuführen, machte die Preise so hoch – der Verkehr mit einer Jungfrau bot zudem auch, was man wohl als die damals einzig verfügbare Möglichkeit einer wirklich sicheren sexuellen Zusammenkunft betrachten kann. Wer immer Charlotte entjungfert hat, wird wahrscheinlich ziemlich wohlhabend gewesen sein, und ganz bestimmt war er kein Mann ihrer eigenen Wahl. Wie der Autor der Nocturnal Revels seine Leserschaft glauben machen will, stand Mrs. Ward, was das Verschachern ihrer Tochter anging, nicht ohne Grund in dem Ruf, krumme Touren zu reiten. Es scheint, dass Charlotte noch mehrere weitere Male »als Jungfrau verkauft« wurde – an Ahnungslose und zweifellos zu ähnlich unverschämten Preisen.

Nach ihrem Eintritt ins Geschäftsleben wurde Charlotte wie eine Delikatesse herumgereicht, um von den Kunden ihrer Mutter gekostet zu werden. Schon eine einzige Nacht mit der Novizin ihres Bordells dürfte Mrs. Ward einen ordentlichen Batzen Geld eingebracht haben, dazu kamen noch Schmuckstücke und sonstiger Flitterkram. So verlockend diese ersten Beweise ihres Erfolgs waren, ihre Mutter wollte darüber hinaus doch auch noch den höchsten Gewinn herausschlagen, den sie für ihre Tochter erzielen konnte: ihre Aufnahme in den vornehmen Stand der Kurtisanen oder »Femmes entretenues«.

Im 18. Jahrhundert waren alle Huren keineswegs »gleich erschaffen«. Manche landeten durch Zufall in diesem Gewerbe, andere jedoch trieb ihr entschiedener Wille, die gesellschaftliche Leiter zu erklimmen. Die Schwesternschaft der Buhldirnen umfasste vielerlei Klassen, von der notleidenden und kranken obdachlosen Bettelhure (bunter oder bulkmonger) am untersten Ende bis hin zur ganz oben stehenden kept mistress, der »unterhaltenen Mätresse« (später meist als Kurtisane bezeichnet), die sich mit Seide und Juwelen schmückte und in Saus und Braus lebte. Wie einen Luxusartikel konnte man auch die Gesellschaft einer schönen, charmanten und feinsinnigen Mätresse zu einem exklusiven Preis auf Zeit mieten, doch konnte ihr Courmacher sie, zumindest theoretisch, auch richtiggehend besitzen, wenn er ihr nur ihre Wohn- und Lebenskosten deckte. War er sehr wohlhabend, konnte sich die junge Frau, die das Glück hatte, seine ausgehaltene Mätresse zu werden, alle luxuriösen Extravaganzen leisten, die man mit Geld kaufen konnte. Die Mode verlangte von einem Gentleman von Rang und Einfluss, dass er sich, um seine finanzielle Potenz unter Beweis zu stellen, eine Mätresse hielt, die in ihren Ausgabegewohnheiten genauso verschwenderisch war wie er selbst. Unterhaltene Mätressen hatten bei den Ladeninhabern und Damenschneidern, an den Spieltischen, in den Gasthäusern und Theatern freie Hand; alle Ausgaben konnten sie auf die Rechnung ihres generösen Amants setzen. Zum großen Verdruss der zeitgenössischen Tugendrichter genossen solche Mätressen kein schlechteres Leben als die adeligen Ehefrauen, deren Abbild sie waren. Sie kleideten sich in die gleichen Gewänder, trugen den gleichen Schmuck und fuhren in den gleichen Privatkutschen; und die Straßen, wo sie in Gemächern mit vergoldeten Möbeln und Damastwänden wohnten, gehörten zu den ersten Adressen der Stadt. Viele führten einen kompletten eigenen Haushalt mit Dienstpersonal, das oft eine eigens angefertigte Speziallivree trug. Sie luden zu luxuriösen Abendessen, gaben aufwendige Gesellschaften und präsentierten so eine Alternative zu jener eher spießbürgerlichen Existenz, die tugendhafte Gemahlinnen und rechtschaffene Töchter fristeten. Für ebendieses Leben rüstete Mrs. Ward ihre Tochter – und nicht für den Freierfang auf der Straße oder die Abhängigkeit von einer Kupplerin. Für eine uneheliche Hurentochter von niederer Geburt bot diese Form von Prostitution die einzige Möglichkeit, sich aus der Gosse der Gesellschaft herauszuarbeiten; immerhin konnte es schon einmal vorkommen, dass aus dem treuen Unterhalter einer Mätresse schließlich ihr legaler Ehemann wurde.

Der größte Nutznießer eines solchen Kurtisanenlebens würde natürlich Charlotte selbst sein, doch konnte auch ihre Mutter erwarten, davon zu profitieren. Die Gepflogenheiten des Bordellwesens verlangten eine akzeptable Abfindung, um eine Hurenwirtin für die Trennung von einer Frau zu entschädigen, die ihrem Haus im Kreise der Wollüstlinge hohes Ansehen verlieh. Diese Abschiedsgeste ließen sich die Kupplerinnen vorzugsweise in Banknoten auszahlen – je größer die Summe desto besser. Dies sollte aber noch keineswegs die letzte Begünstigung sein, die Charlotte ihrer Frau Mama verschaffte. Ein jedes treu ergebene Kind würde seine Mutter selbstredend aus den stets prall gefüllten Taschen seines Liebhabers versorgen, ihr teure Geld- und Essensgeschenke machen und ihre Rechnungen begleichen. Die meisten Femmes entretenues umgab ein ganzes Gefolge aus bedürftigen Familienmitgliedern und Freunden, die sich stets in ihrer Nähe hielten und von dem lebten, was von ihrer üppigen Ausstattung so abfiel. Ein freigebiger Entreteneur billigte solche Aufwendungen bis zu einem gewissen Maß. Trotzdem konnte Charlottes bedenklich nahe Verbindung zur notorischen Mrs. Ward für keinen ihrer Beschützer ein Anlass gewesen sein, sich in entspannter Vertrauensseligkeit zu wiegen; viel eher war sie ein Grund, Charlotte im Auge zu behalten und sich vor etwaigen Kniffen zu hüten, welche die Mutter der Tochter beigebracht haben könnte. Um Charlottes Erfolg in der Arena der Vergnügungssuchenden zu sichern, war daher die Wahl eines »Künstlernamens« ohne jede Verbindung zu dem Kuppelweib, das das Dirnenhaus in Spring Garden regierte, ein notwendiger Schritt.

Einen Namen abzulegen oder zu ändern war unter den Frauen von Charlottes Profession keineswegs ungewöhnlich. Ein Nachname war wertlos und vernachlässigenswert, wenn er keine direkte Verbindung zu einem bedeutenden Geschlecht oder einer Familie von Rang hatte. Es war viel besser, sich einen passenden Namen beizulegen, den eine verlockende Aura umgab, indem er etwa auf eine illustre Herkunft oder besondere Talente anspielte. Hatte sie das Glück, eine unterhaltene Mätresse zu werden, konnte sie auch den Nachnamen ihres Kurtisans wählen, was gleichzeitig ihr den Status einer Quasi-Ehefrau verleihen und die wohlanständige Gesellschaft in Rage versetzen würde. Warum Charlotte gerade auf den Namen Hayes anstelle von Ward verfiel, ist unbekannt. Vielleicht gibt er uns einen Hinweis darauf, wer ihr erster Buhler gewesen sein könnte, auch wenn die Annalen ihrer Lebensgeschichte keinen Mister, Lord oder Captain Hayes verzeichnen.

Im Jahr 1740, um die Zeit, als Charlotte Hayes ins öffentliche Leben eintrat, tauchten noch zwei weitere Mädchen »förmlich aus dem Nichts« im Londoner Nachtleben auf: Lucy Cooper und Nancy Jones. Sie sollten sich, zusammen mit der Kurtisane Fanny Murray, als Charlottes größte Konkurrentinnen erweisen. Wie die Zureiter von Rennpferden waren die tüchtigsten Kupplerinnen jener Zeit immer auf der Suche nach einem verheißungsvollen jungen Blut, aus dem sich ein Champion formen ließ. Zur gleichen Zeit, da Mrs. Ward hohe Summen investierte, um ihre Tochter gut vorbereitet ins Rennen zu schicken, zogen andere Zuhälterinnen eigene Favoriten heran. Als Charlotte antrat, hatte sich Fanny Murray bereits als die Mätresse von Beau Nash, dem amtierenden Zeremonienmeister von Bath, einen Namen gemacht. Ihre größte Rivalin schien gleichwohl Lucy Cooper zu sein.

Wie Charlotte war auch sie die Tochter einer Kupplerin und in den Schoß eines Hurenhauses hineingeboren; allerdings fehlte im Falle Lucys eine ähnlich ambitionierte Zukunftsperspektive. Hätte die Natur sie nicht mit überwältigender Schönheit ausgestattet, sie wäre wohl zusammen mit all den anderen Damen, die mit ihr unter dem Dach des zweitklassigen Etablissements ihrer Mutter hausten, in der Versenkung verschwunden. Es ist nur dem Weitblick von Elizabeth Weatherby, einer der »Kuppelkoryphäen« von Covent Garden, zu verdanken, dass Lucy rundum aufpoliert und groß herausgebracht wurde: in ihren frühen Teenagerjahren das neueste Hochglanzprodukt für die Welt der Edelprostitution. Auch wenn sie als die »Vollkommenste ... unter den großen Sünderinnen« und als auf verführerische Weise »unzüchtiger denn all die Huren aus der Regentschaftszeit von König Charles« gerühmt wurde, gelang es Lucy nicht, jenen anhaltend wirkenden Zauber zu verströmen, der Charlottes Licht fortdauernd erstrahlen ließ. Lucy und Mrs. Weatherby, die als eine Art »Manager und Mutter«-Figur fungierte, stritten sich oft und heftig. Als sie beschloss, die Ratschläge ihrer Kuppelmutter in den Wind Zu schlagen, war Lucys Glück aufgebraucht, und sie endigte ihre Tage in Schulden und Armut, als Charlottes Stern noch immer erst im Aufgehen war.

Nancy Jones’ Ruhm war ebenfalls nur von kurzer Dauer. Nach nur wenigen Jahren fielen ihre hübschen Gesichtszüge den Blattern zum Opfer. Ebenjener Vorzüge beraubt, die ihr üppiges Leben gewährleistet hatten, stieg auch sie aus den lichten Höhen der glanzvollen Welt in die dunklen Niederungen der Hintergassen ab. Dort soll die unbarmherzige Klaue der Syphilis nach ihr gegriffen und sie in ein Armengrab gezerrt haben, als sie noch keine fünfundzwanzig war. Ein strategischer Fehler oder etwas Pech konnte reichen, um eine profitable Karriere als exklusive Liebesdienerin zu ruinieren. Von den dreien, die in jenem Jahr 1740 gemeinsam das große Rennen begonnen hatten, gelang es nur Charlotte, das Tempo zu halten und reiche Triumphe zu ernten.

Je häufiger Charlottes Gesicht auf den vorderen Logenplätzen der Theater auftauchte, umso häufiger war sie am Arm eines ihrer eleganten Liebhaber zu sehen, umso reichlicher wurde sie von ihnen mit Schmuck behängt und umso öfter fiel ihr Name in den Gesprächen der liederlichen »Schickeria« von Covent Garden. Klatsch konnte der beste Freund einer Kurtisane sein und als nützliche Hilfe eingesetzt werden, wenn die Gerüchteküche mit den richtigen Zutaten arbeitete. Je mehr sich ihr Ruf als einer der appetitlichsten Happen auf der Tageskarte verbreitete, desto mehr leckten sich die vermögenden Gentlemen die Finger nach ihr – auch wenn es, anders als im Fall von Lucy Cooper und Fanny Murray, nicht unbedingt Charlottes Schönheit war, wovon ihre Bewunderer schwärmten. Ihre Verzauberungskraft beruhte auf mehr denn nur auf hübschen Gesichtszügen.

Auch wenn keiner ihrer Zeitgenossen in Abrede stellte, dass Charlotte attraktiv, wenn nicht gar ungemein hübsch war, werden die zum Preis ihrer Schönheit gewählten Begriffe doch sparsam und besonnen eingesetzt. Sie war, mit den Worten ihrer Bewunderer, »drall« und »artig«, also anmutig hübsch. Der Dichter Edward Thompson gedenkt ihrer als einer Frau, die sich nicht nur ihre jugendlichen Züge zu bewahren wusste, sondern die auch bewundernswert »wenig Schminke« auftrug, und selbst Sam Derrick, der sie in allem stets wohlwollend beurteilte, erwähnt in puncto Äußeres lediglich ihre »grauen Augen« und ihr »braunes Haar«. Doch auf all diesen Merkmalen beruhte ihre wahre Schönheit in den Augen ihrer Verehrer nur zum Teil: Charlotte »strahlte«, wie einer ihrer Liebhaber schrieb. Durch ihre Gelassenheit, Würde und vornehme Art hob sie sich von der Mehrzahl ihrer vulgären Schwestern im Gewerbe ab. Wie eine Frau von so niedriger Geburt mit dem Anstand und der Liebenswürdigkeit einer tugendhaften Ehefrau auftreten konnte, war für Männer von Stand ein zugleich faszinierendes wie sexuell erregendes Mysterium. Ein Zeitzeuge schrieb:

Sie ist eine überaus feine und elegante Frauensperson ... All ihre Züge [sind] von Anmut, ihr Auftreten ist vornehm, ihre Manieren höflich, in ihrer Kleidung beweist sie unleugbar einen feinen Geschmack. Sie ist ein Weib von Verstand, spricht gleichwohl weniger als die meisten ihres Geschlechts, es sei denn, sie ist mit ihren Gesellschaftern sehr gut bekannt; dann gibt es nur wenige Frauenzimmer, die angenehmer zu unterhalten wüssten.

Über ihren gesamten Lebensweg hinweg fand sich kaum einmal wer, der sich negativ über sie geäußert hätte. Männer wie Edward Thompson, der ihrer Magie verfallen war, zeigten sich am meisten von ihrer ungekünstelten Offenheit bezaubert, die sie, zumindest in seinen Augen, »rechtschaffen wie eine Heilige« erscheinen ließ. Dieser Charakterzug fesselte auch Sam Derrick, der sie dafür pries, dass sie »nie die Kunst der Täuschung erlernte ..., obgleich sie doch den Wechselfällen des Lebens in so mannigfacher Form begegnete«. Für ihn sollte sie stets »ein Antlitz, wie ihr Herz so offen«, besitzen.

Doch all die schmeichelhaften Worte von Liebhabern und Kennern sagen mehr über Charlottes vollendete Meisterschaft in ihrem Fach aus als über ihre wahren Charakterqualitäten. Eine begüterte Kurtisane und eine der mächtigsten Bordellwirtinnen Londons ist sie sicherlich nicht geworden, indem sie gütig und rechtschaffen war. Hätte durch irgendeinen Zufall auch eine der weiblichen Bekanntschaften aus ihrem Metier eine schriftliche Erinnerung hinterlassen, ein Fragment aus einem von diesem komplizierten Wesen überschatteten Leben, wäre womöglich ein getreueres Bild dieser Frau auf uns gekommen. Wo ihre männlichen Besucher nur ihr Äußeres gesehen haben mögen, konnte eine weibliche Wegbegleiterin vielleicht einen Blick ins Innere erhaschen. Sie hätte unter Umständen bemerkt, wie Charlotte sich mühte, ihr Mitgefühl für andere mehr und mehr abzutöten, ihre Gefühle auszuschalten und die frei gewordenen Räume mit falschem Lächeln und Krokodilstränen zu füllen. Ihre scheinbar mühelose Täuschung der Männer ist ein Zeugnis für die in frühen Jahren von der Mutter erlernten Künste. Freilich sollte sie in den ersten Jahrzehnten ihrer Laufbahn noch so manche weitere Lektion erhalten.

Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt

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