Читать книгу Mein Lebensweg vom Saulus zum Paulus - Helmut Feldmann - Страница 8

Оглавление

Aller Anfang ist schwer

Teufelsmoor, ein kleiner, aber nicht unbekannter Ort im Norden von Deutschland im Bundesland Niedersachsen gelegen, nicht weit von Bremen entfernt, trägt an sich schon etwas Diabolisches in seinem Namen.

Bekannt durch viele mysteriöse und unheimliche Geschichten, Filme und Dokumentationen, die sich hauptsächlich um das riesig große, gefährliche Moor dort ranken, ist diese Gegend berüchtigt. Wer sich nicht unbedingt dort aufhalten muss, versucht, dieses Gebiet möglichst zu meiden.

Kurz nach Ende des 2. Weltkriegs im Jahre 1945, es war genau im sogenannten Wonnemonat Mai 1946, als meine Lebensgeschichte in diesem Ort seinen Anfang nahm, und ich als letztes und damit jüngstes Kind meiner Eltern Meta und Hinrich Feldmann zur Welt kam.

Einen Namen für mich gab es bei meiner Geburt noch nicht. Man dachte über Franz nach, aber ich wurde dann doch ein Helmut. Wie es zu diesem Namen kam, werde ich später noch erzählen.

Viel schlimmer war es eigentlich, dass ich ein unerwünschtes und nicht gewolltes Baby war. Aber das war mir zu diesem Zeitpunkt völlig egal, denn ich wusste ja noch von nichts.

Viel wichtiger war es, mich erst einmal ins Leben zu kämpfen und vor allem tief durchzuatmen, um dann an meine erste Milch zu kommen und endlich nicht mehr schreien zu müssen. Damals ahnte ich noch nichts von dem, was in meinem zukünftigen Leben alles auf mich zukam.

Meine Erinnerungen gehen tatsächlich bis zu meinem vierten Lebensjahr zurück. Zunächst vielleicht noch ein wenig lückenhaft, aber mit steigendem Lebensalter wird die Erinnerung immer präziser und alle Mosaiksteinchen vervollständigen sich langsam zu einem kompletten Bild zurück auf mein Leben.

Wir wohnten weit außerhalb auf einem kleinen, ärmlich wirkenden Bauernhof, einsam und weitab vom Dorfkern gelegen. Ein großer stattlicher Hof lag als unser nächster Nachbar etwa 400 Meter Luftlinie entfernt. In mehr als einem Kilometer Entfernung stand noch ein weiteres Wohnhaus. Ansonsten gab es weit und breit über viele Kilometer hinweg nichts als Wiesen und Weiden.

Ich kann mich nur an eine Kindheit voller Ängste erinnern. Bereits mit 5 Jahren musste ich auf dem elterlichen Hof mithelfen, und ich hatte kaum mal Zeit, Kind zu sein und spielen zu dürfen.

Große Angst, ja, ich kann sagen, sogar Panik, hatte ich vor meiner Oma, die häufig mit dem Fahrrad zu uns kam. Sie entsprach so gar nicht dem Klischee einer liebevollen und vertrauten Großmutter. Doch die kann man sich nicht aussuchen. Am liebsten hätte ich sie umgetauscht. Aber wer wollte schon so eine Oma haben?

Der Schuppen des Nachbarn war nicht weit von uns entfernt. Ein idealer Platz für mich zum Spielen – sofern es die Zeit und meine Eltern überhaupt mal zuließen. Es gab dort so viel zu entdecken, großartige Verstecke, und man fand immer etwas Neues, mit dem sich etwas anfangen ließ. Besonders spannend war es, wenn auch die Nachbarkinder mit dabei waren und wir zusammen toben konnten.

Das Problem war nur, dass es allen Kindern eigentlich strengstens verboten war, diesen Schuppen überhaupt zu betreten.

Meine Oma versetze mich gern in Angst und Schrecken. Sie drohte damit, dass ein „böser schwarzer Mann“ in dem Gebäude hauste, der dort sein Unwesen trieb. Er wartete nur darauf, mich zu erwischen, in einen großen, dunklen Sack zu stecken und mitzunehmen, sobald ich darin spielen würde.

Als Fünfjähriger glaubte man so etwas natürlich, und man malte sich in seiner Fantasie ein grausames Bild des Schreckens aus, was dieser gruselige Kerl mit einem alles so anstellen würde. Bestimmt starrte er mich mit seinem einzigen Auge mitten auf der Stirn durchdringend an, dass ich sofort erstarren würde, und dann hatte er leichtes Spiel.

Mir war das so unheimlich, dass ich es zukünftig nicht mehr wagte, den Schuppen überhaupt noch einmal zu betreten. Seit Großmutter mich über diese enorme Gefahr aufgeklärt hatte, und ich nun darüber Bescheid wusste, was so alles in der Scheune vor sich ging, machte ich stets einen großen Bogen darum.

Auf die Nachbarskinder war ich äußerst neidisch, denn sie bekamen von ihrer Mutter das, wonach ich mich so sehr sehnte und was mir von meinen Eltern nicht gegeben wurde - körperliche Nähe.

Ich wurde brennend eifersüchtig auf die Töchter und Söhne, wenn ich zusehen musste, wie die Mütter der Nachbarskinder ihre Mädchen und Jungen umarmten, sie kräftig drückten und ihnen zärtlich und liebevoll über die Köpfe strichen.

Es tat mir fast körperlich weh, all diese Liebkosungen wahrnehmen zu müssen und zu sehen, wie wohl die Kinder sich dabei fühlten und die Nähe genossen, während ich allein und verloren danebenstehen musste.

Wie sehr hätte ich mir das damals auch gewünscht!

Wenn ich gerade schon so negativ von meiner Familie, insbesondere von Vater und Mutter berichte, ist es an dieser Stelle vielleicht sinnvoll, erst einmal meine Familie etwas genauer vorzustellen.

Mein Vater Hinrich, ein Bauernsohn, war zum Zeitpunkt meiner Geburt bereits 41 Jahre alt. Er hatte eine Lehre als E-Schweißer absolviert, das gängige Kürzel "E" steht für das Wort Elektro.

Mutter hieß mit Vornamen Meta und arbeitete im Torfwerk Neu Sankt Jürgen, das seinen Rohstoff natürlich aus dem Teufelsmoor bezog. Neu Sankt Jürgen muss man nicht unbedingt kennen. Es ist ein Ortsteil der Gemeinde Worpswede und liegt im niedersächsischen Landkreis Osterholz.

Die vier Geschwister hießen Anni, Heinz, Herrmann und Erika. Wir waren somit drei Brüder und zwei Schwestern.

Anni war 21 Jahre älter als ich. Sie hätte also rein theoretisch sogar meine Mutter sein können. Meine Brüder Heinz und Herrmann waren jeweils 19 und 17 Jahre älter und damit zu dieser Zeit im besten Teenager-Alter, wie man es heute nennen würde. Selbst meine jüngste Schwester Erika war bereits ganze 7 Jahre alt als ich zu unserer Familie dazugestoßen bin.

Die drei ältesten Geschwister wohnten zu der Zeit bereits nicht mehr im elterlichen Haus, so dass ich seit meiner Geburt nur mit meiner kleinen Schwester Erika und mit meinen Eltern zusammenlebte.

Anni und Heinz waren damals schon verheiratet. Herrmann wohnte in einer kleinen Wohnung, die er angemietet hatte.

Anni hatte einen Bergmann aus Marl bei Recklinghausen im nördlichen Ruhrgebiet geheiratet und lebte dort mit ihm in einem Mietshaus.

Heinz besaß schon sehr früh gemeinsam mit seiner Ehefrau ein eigenes Haus.

Mit meiner kleinen Schwester Erika verstand ich mich blendend. Direkt neben unserem Wohnhaus stand unser alter Stall, in dem unsere fünf Kühe und mehrere Schweine gehalten wurden.

An den Stall grenzte noch ein kleines Gehege, in dem sich Gänse und Hühner befanden.

Die Nachbarskinder, mit denen ich gelegentlich spielte, wenn ich es denn mal durfte (oder aber auch, wenn ich es nicht durfte, was allerdings dann aber regelmäßig zu Sanktionen führte, sofern es meine Eltern bemerkten), hießen Hinni und Helma und wohnten auf dem nächsten Bauernhof. Mit ihnen pflegte ich eine dicke Freundschaft, und sie waren die Kinder der dort ansässigen Bäuerin und des Bauern.

In diesem Bauernhof befand sich im Obergeschoss eine Einliegerwohnung, in der meine beiden weiteren Freunde Christa und Herbert ihr Zuhause hatten.

Hinni und Helma waren zum Zeitpunkt meiner Geburt mit etwa 7 Jahren genau so alt wie meine Schwester Erika.

Ich war also stets das Küken, stand aber trotzdem als solches nie im Mittelpunkt, wie man es vielleicht glauben könnte, und es sicher auch normal gewesen wäre, sondern lief irgendwie immer im Hintergrund einfach und ohne Bedeutung nebenbei so mit.

An die ersten 5 Jahre meines Lebens gibt es nur lückenhafte und verschwommene Erinnerungen.

Aber an die Zeit seit meiner Einschulung kann ich gut zurückdenken.

Ich wurde mit 5 Jahren am 2. April 1952 in die erste Klasse der Volksschule in Teufelsmoor eingeschult.

Bereits den ersten Schultag musste ich völlig allein und auf mich selbst gestellt meistern. Meine Eltern hatten keine Zeit für mich. Ich hatte keine Begleitung, keine Unterstützung, es gab nicht einmal eine Schultüte für mich. Lediglich ein paar wenige Bauernkinder, deren Eltern etwas reicher waren, trugen so etwas Luxuriöses bei sich.

Auch den langen Schulweg musste ich einsam und allein ohne jede Vorbereitung bewältigen. Das bedeutete, wie zukünftig jeden Tag, eine halbe Stunde Fußmarsch bei Wind und Wetter nahezu ungeschützt und ohne bequeme und vernünftige Schuhe. Es gab für mich nur ein paar harte, schlecht passende Holzschuhe, in denen man sich schnell die Füße wund laufen konnte.

In der Dorfschule befanden sich lediglich zwei Klassen. Die erste Klasse umfasste die Jahrgänge 1 bis 4, die zweite die von 5 bis 8.

Mein erster Lehrer, dem ich begegnete, hieß Herr Minde. Der Lehrer der zweiten Klasse hatte den Namen Herr Steffens, von dem ich aber erst später unterrichtet worden bin.

Er war gleichzeitig der Eigentümer unseres kleinen, von ihm gepachteten Bauernhofs und auch des großen Bauernhofs, in dem meine Freunde lebten. Einen eigenen Hof konnten wir uns nicht leisten. Daran war nicht einmal zu denken.

Am kurz danach folgenden 24. Mai feierte ich dann meinen 6. Geburtstag.

Bis dahin war meine Kindheit nicht so sehr zufriedenstellend verlaufen. Natürlich wurde mir erst sehr viel später klar, was nicht in Ordnung gewesen ist. Damals war mir das gar nicht so bewusst gewesen.

Niemand hatte mir bis dahin (auch später in meiner Kindheit nicht) das Gefühl gegeben, geliebt zu werden. Nahezu alles, was ich gern getan hätte, wurde mir ständig verboten. Ich erhielt nur Zurückweisung und Druck von meinen Eltern! So entwickelte sich langsam das Bewusstsein, völlig unnütz auf dieser Welt zu sein und alles falsch zu machen.

Nun war ich aber ein Schulkind geworden und erhoffte und wünschte mir ein besseres Leben. Ich wollte nun viel lernen und zeigen, dass ich auch etwas konnte.

Anfangs machte mir die Schule großen Spaß und ich hatte meine ersten Erfolge. Meine Noten waren mehr als zufriedenstellend. Ich glaubte fest daran, in eine neue und bessere Zukunft starten zu können.

Doch auch diese Hoffnungen und Motivationen wurden in relativ kurzer Zeit zunichte gemacht.

Stattdessen wurde mein Leben noch viel anstrengender und schwieriger.


Schüler Helmut Feldmann, 7 Jahre

Mein Lebensweg vom Saulus zum Paulus

Подняться наверх