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1.2.4 Die soziologische Reduktion auf ein Machtinstrument der Herrschenden (Karl Marx)
ОглавлениеKarl Marx (1818–1883) war Zeitgenosse Feuerbachs. Sein philosophisches Profil fand er in der Auseinandersetzung mit Hegel und Feuerbach. Von Feuerbach übernahm er den Atheismus und die Einschätzung der Religion als ein illusionäres Machwerk des Menschen. Hatte Feuerbach das Wesen der Religion auf das Wesen des Menschen reduziert, so reduzierte Marx das Wesen des Menschen noch enger auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus denen es hervorging. In seinen »Thesen über Feuerbach« (1845) stellte er fest: »Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber dieses menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.« (These 6) Das, was man als »religiöses Gemüt« bezeichne, sei selbst ein gesellschaftliches Produkt (Marx 1845, These 7). Marx interessierten weder die Inhalte der Religion noch die Frage nach deren Wesen und Wahrheit, sondern lediglich ihre Wirklichkeit als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Darunter verstand er vor allem die ökonomischen Verhältnisse, da das Bewusstsein der Menschen durch ihre gemeinsame Arbeit als wirtschaftende Wesen gebildet werde. In den Arbeitsverhältnissen, in denen das Produkt der Arbeit zu einer dem Arbeitenden entfremdeten Ware wird, entfremde sich auch der Mensch vom Menschen. Diese ökonomischen Verhältnisse dienten dem Vorteil bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Die Religion, deren Priester mit den Herrschenden zusammenarbeiteten, habe |19| den Zweck, die bestehenden Verhältnisse stabil zu halten, zu legitimieren und zu rechtfertigen. Während Feuerbach noch dachte, dass sich mit der Aufdeckung ihres illusionären Charakters die Religion selbst auflösen werde, forderte Marx mindestens indirekt den Kampf gegen die Religion als »Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist« (Marx 1844, 1,378). Die Religionskritik allein genügte Marx nicht. Seiner Forderung gemäß, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern zu verändern, gelte es, gegen jene Verhältnisse aktiv vorzugehen, die Religion als »Opium des Volkes« hervorbrächten, förderten oder stützten. Der Befreiungskampf des Proletariats werde zu dieser freien Welt führen.
Auf der Basis der Thesen von Feuerbach und Marx hat Friedrich Engels (1820–1895) den Kampf gegen die Herrschenden als jener fremden und entfremdenden Macht propagiert, mit deren Verschwinden auch die Religion verlöschen sollte. Die kirchen- und religionsfeindliche Marx-Engels-Ideologie ist in Deutschland lange präsent geblieben. Sie wurde zwischen den Weltkriegen von deutschen Sozialisten sehr offensiv praktiziert und bewirkte zwischen 1920 und 1930 eine beachtliche Kirchenaustrittsbewegung. Die deutschen Sozialdemokraten lösten sich erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in ihrem Programm von den religionsfeindlichen Ideologie-Elementen.