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1.2.5 Die naturwissenschaftliche Reduktion auf Messbares
ОглавлениеAls Napoleon den französischen Astronom und Physiker Pierre Laplace (1749–1827) fragte, wo in seinem Weltsystem Gott zu finden sei, antwortete dieser: »Ich habe diese Hypothese nicht gebraucht.« Damit sagte er für einen Naturwissenschaftler seiner Zeit nichts Neues. Er fasste aber auf sehr einfache Weise zusammen, was Astronomen wie Nikolaus Kopernikus (1473–1543), Giordano Bruno (1548–1600), Johannes Keppler (1571–1630) und Isaak Newton (1642–1726) und andere Naturforscher seit Jahrhunderten taten, nämlich die Gesetzmäßigkeiten zu erforschen, |20| nach denen sich die Abläufe im Weltganzen wie im Kleinen berechnen und erklären lassen.
Zunächst war man noch überzeugt, dass das Anfangsereignis auf einen Impuls Gottes als dem Urgrund der Welt zurückzuführen sei. Aus dieser Vorstellung entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich und England das Konzept des Deismus. Danach hat Gott die Welt samt den Bedingungen und den Gesetzmäßigkeiten ihres Existierens geschaffen, er greift aber nach dem Schöpfungsprozess in den Lauf der Dinge nicht mehr ein. Im Horizont dieses Denkens wird Religion auf jene Inhalte reduziert, die der menschlichen Vernunft einleuchtend sind und die sie aus sich selbst haben kann.
Das religiöse Relikt des Deismus, nämlich der Schöpfergott, wurde aber bereits im 18. Jahrhundert von der naturwissenschaftlichen Forschung ganz ausgeschieden. Mit der Inthronisation der »Göttin der Vernunft« am 10. November 1793 auf dem Hochaltar von Notre Dame in Paris glaubte man alles Übernatürliche, alle Offenbarungsreligion und alle Metaphysik endgültig abgeschüttelt zu haben. Naturwissenschaft und konsequenter Atheismus schienen identisch zu sein. Diese Gleichung wird in der Popularliteratur bis heute verbreitet.
Die sich als konsequent atheistisch verstehende Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts fand seine prägnante Stimme in der Person des Jenaer Zoologen Ernst Haeckel, der mit seinem allgemein verständlichen Buch »Die Welträtsel« (1899) nicht nur die Naturwissenschaftler mehrerer Generationen, sondern die Gebildeten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt hat. Im Nachwort zur 10. Auflage bezeichnet er sein Buch als ein »Glaubensbekenntnis der reinen Vernunft« (511). Er singt das Hohelied auf das »Grundgesetz des Weltmechanismus«. Danach »sind die sämtlichen anorganischen Naturwissenschaften rein mechanisch und damit zugleich rein atheistisch geworden« (331). Haeckel war noch fest davon überzeugt, dass die Naturwissenschaft die Gegenstände ihrer Forschung ihrer |21| Natur gemäß erfasst. Er konnte um die Jahrhundertwende noch nicht ahnen, dass Albert Einstein, Max Planck, Max Born, Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger und andere Naturwissenschaftler die von Haeckel noch so sicher proklamierten Vorstellungen von Kausalität, Raum, Zeit, Materie, Energie, Atomen und Naturgesetzen überholen und auch sein Verständnis von der Leistung unserer Vernunft neu und anders bewerten würden. Haeckel gründete 1906 den Deutschen Monistenbund, der auf der Basis des Glaubens an die Alleingeltung der Materie das dogmatische Christentum »durch die monistische Philosophie ersetzen« (427) sollte. Diese »vernünftige Religion« hat sich freilich bereits nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufgelöst, und zwar zusammen mit dem naiven Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts, den Haeckel in seiner Philosophie auch als Darwinist so selbstbewusst vertreten hatte. In gebildeten Kreisen klang noch lange das Goethe-Motto nach, das Haeckel seinen monistischen Studien über die Religion der Vernunft vorangestellt hatte:
«Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
der hat auch Religion!
Wer diese beiden nicht besitzt,
der habe Religion!« (418)