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1.2.7 Die darwinistische Reduktion auf evolutionären Vorteil

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Bereits im 18. Jahrhundert hatten Naturforscher die Vermutung geäußert, dass Tierarten sich verändern und auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen könnten. Charles Darwin (1802–1882) hat mit seinen Beobachtungen an den Vogelarten auf den Galapagos-Inseln dafür erstmalig den Beweis erbracht. Erst zwei Jahrzehnte später hat er daraus den Schluss gezogen, dass die Triebkraft dieser Veränderungen in der natürlichen Auslese zu suchen sei. Damit hatte er an die belebte Natur die gleichen Maßstäbe und Methoden der Erklärung angelegt, die in der Astronomie bereits üblich waren, nämlich das Bestehende und seine Veränderungen nicht durch göttliche Eingriffe zu erklären, sondern durch das Wirken und Zusammenspiel der Gesetze, die in der Natur walten. Die kausalen Mechanismen der natürlichen Auslese wurden inzwischen durch die Kenntnis der genetischen Mechanismen ergänzt und zu einer umfassenden Evolutionstheorie ausgebaut. Aus der Sicht eines mechanistischen Evolutionsverständnisses ist auch die Religion als ein Phänomen zu verstehen, das sich herausgebildet hat, weil es für das Überleben der Gattung Mensch von Vorteil war. Auf der Suche nach dem Sinn oder Unsinn von Vorteilen eröffnet sich Darwinisten ein weites Betätigungsfeld für die Phantasie.

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat in seiner Kampfschrift »Der Gotteswahn« (2006) das Wesen der Religion dadurch zu erklären versucht, dass er ganz im Sinne der Evolutionstheorie nach dem Vorteil und dem Nutzen fragte, den die religiösen Phänomene dem Individuum oder der Gruppe gebracht haben oder bringen. Religion definiert er als die Gestalt »jener zeitaufwendigen, Wohlstand verschlingenden, Feindseligkeiten provozierenden Rituale, jener tatsachenfeindlichen kontraproduktiven Fantasien« (Dawkins 230), die in keiner Kultur fehlen. Da er für einen nach seiner Einschätzung derart offensichtlichen Unsinn keinen Vorteil erkennen kann, der das bisherige Überleben von Religion begründet, muss er für seine »letztgültigen |24| darwinistischen Erklärungen« (234) sehr weite Umwege gehen, um etwas Theoriekonformes zu entdecken. So stellt er sich an die Spitze jener Biologen, »die in der Religion ein Nebenprodukt von etwas anderem sehen« (239). Was er unter einem »Nebenprodukt« versteht, veranschaulicht er an den Motten, die nachts in ein Kerzenlicht fliegen, was weder für das Individuum noch für die Art ein Vorteil sein kann. Dawkins erklärt, dass sich Motten an den Lichtstrahlen des Mondes orientieren. Da die Kerzenflamme (eine für Motten ganz neue Erscheinung) aber im Unterschied zum Mond keine parallelen Strahlen, sondern Strahlen wie die Speichen eines Rades aussendet, versagt das am Mond orientierte Steuerungssystem und leitet das Tier in die tödliche Flamme. Das führt Dawkins zu der Vermutung, dass auch religiöses Verhalten ein Fehlverhalten sein könnte, nämlich »ein unglückliches Nebenprodukt einer grundlegenden psychologischen Neigung, die unter Umständen nützlich sein kann oder früher einmal nützlich war« (242). Die natürliche Selektion hat also nicht religiöses Verhalten als solches begünstigt, sondern hatte einen ganz »anderen Nutzeffekt, der sich nur nebenher zufällig als religiöses Verhalten manifestiert« (242). Diesen Nutzeffekt demonstriert er an Kindern. Denen sagen die Eltern: »Geh nicht so nah an die Klippe, geh nicht in ein Gewässer, in dem Krokodile schwimmen, iss nicht unbesehen rote Beeren.« usw. Vorteilhafter als die vielen Einzelwarnungen sei aber die Faustregel: »Glaube alles, was die Erwachsenen dir sagen, ohne weiter nachzufragen. Gehorche deinen Eltern, den Stammesältesten, ohne Fragen zu stellen.« (243) Und daraus zieht Dawkins im Blick auf die Religion den Schluss: »Wie bei den Motten kann auch hier etwas schiefgehen.« (243) Der ursprüngliche Nutzeffekt hat sich als Fehlfunktion erwiesen. Freilich hält Dawkins seine eigene Hypothese nicht für besonders tragfähig, denn er schiebt gleich noch weitere Argumente psychologischer und genetischer Art nach, z. B. etwas Analoges zur »Gendrift«, mit der man in jüngster Zeit auch die Evolutionstheorie ergänzt |25| hat. Offensichtlich stellt sich Dawkins seine Leser, die ihm seine Spekulationen als Wissenschaft abnehmen sollen, als noch anspruchsloser vor, als jenen homo religiosus, an dessen Standbild, das er selbst erbaut hat, er sich in unermüdlichem missionarischen Eifer weiterhin abarbeiten muss.

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