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FÜNFTES KAPITEL

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Er duschte lange und bereitete sich ein spätes, aber um so reichlicheres Frühstück aus Rührei und Speck und Kaffee, schrieb auf einen Block, was er dem gemeinsamen Kühlschrank entnommen hatte und legte den Gegenwert in Geld auf die Anrichte. Während er aß und darüber nachdachte, welche Sachen er für den nächsten Tage brauchen werde, kam seine Frau herein und setzte sich nach einem Gruß ihm gegenüber an den kleinen viereckigen Tisch, der ihnen beiden, allerdings nicht mehr gemeinsam, als Esstisch diente. Er mied ihren Blick, stocherte in dem Rührei herum, dass ihm plötzlich wie Kleister schmeckte, schob den Teller weg und trank in großen Schlucken den Rest Kaffee, um schneller fertig zu werden und einen Grund zu haben, aufzustehen. An einem Gespräch lag ihm nichts, ihn hielt nichts mehr in dem Plattenbau, in den sie von Saßnitz aus gezogen waren, an seinen und einmal auch an ihren Ursprung zurückkehrend, in eine der frei gewordenen Wohnungen. Seiner Entfremdung von Dingen und Menschen, die ihm einmal wichtig gewesen waren, hatte er sich völlig ausgeliefert, brach alle alten Kontakte ab; seine geistigen und moralischen Reserven waren aufgebraucht. Und seine materielle Lage war alles andere als rosig, obschon er genug zum Leben hatte. Selbst der Aufschwung, auf den alle warteten wie auf ein Wunder, hätte ihm nichts mehr genutzt; er wäre ihm nicht gewachsen gewesen. Ohne sich dessen bewusst zu werden, verglich er die ihm gegenübersitzende Ehegattin mit der Frau aus dem Bus, die er nicht kannte, während er mit der anderen dreißig lange Jahre gelebt und zwei Kinder gezeugt hatte. Seit einigen Jahren führten sie getrennte Haushalte und trugen alle Ausgaben halbpart; verabredungsgemäß überwies sie ihren Anteil auf sein Konto, unregelmäßig genug und immer öfter erst nach Aufforderung. Von seinem Konto wurden also alle festen regelmäßigen Ausgaben abgebucht. Dieses System getrennter Kassen, von dem sich beide mehr Freiheit erhofft hatten, legte ihnen im Gegenteil nur Fesseln an. Als er das Saßnitzer Haus veräußert hatte und der Erlös auf seinen Vorschlag in vier Teile gegangen war, zwei davon als vorgezogenes Erbe an die Kinder ausgezahlt, hatten sie und er gedacht, ihre Streitigkeiten seien nun ein für alle Mal beigelegt. Aber sie waren beide zu lange arbeitslos, geschäftig und müßig zugleich, ohne vernünftige oder auch nur ablenkende Tätigkeit, verstört, aus der Bahn geworfen. Von Zeit zu Zeit schickte das Arbeitsamt die diplomierte Agraringenieurin in eine Arbeitsbeschaffungsmaßname, die, stets kurz bemessen und allemal unsinnig war, ob sie mit anderen nun die Halbinsel von Unkraut befreien sollte oder am Strand Steine auflesen, während er herumstreifte, auf Suche nach etwas Neuem in einer Welt, die ihm immer feindlicher und fremder erschien, an der er keinen Anteil mehr hatte und an die er keinen Anschluss finden würde.

Wegzugehen hatte er bisher nicht wirklich in Erwägung gezogen, weil er nicht wusste, wohin und weil er zu alt für einen Neuanfang war. Sein kleines Vermögen aus dem Hauserlös verwaltete er wie ein Buchhalter, um für den Notfall nicht blank dazustehen. Frauke war mit ihrem Anteil schnell fertig geworden; sie konnte mit Geld nicht umgehen. Eine leichte Beute der Handelsketten, reagierte sie stets prompt auf billige Sonderangebote aus den Katalogen der Versandhäuser, Angebote, die keineswegs hielten, was sie versprachen. Da es hier in ihrer Nähe keine Kaufhäuser gab, machten die Großmärkte gute Beute. Um ihre Kaufsucht zu befriedigen, fuhr Frauke bis Stralsund und weiter und kehrte zufrieden und glücklich mit überflüssigen Sachen oder Bestellungen zurück, mit einer Last neuer Wünsche und ärmer an Geld. Sie verbrauchte längst, was sie gar nicht mehr besaß und machte überall kleinere Schulden. Der ihr von der Bank eingeräumte Dispokredit war erschöpft. Und sie hatte keine Aussicht, jemals in eine dauerhafte, ihrem Können angemessene Arbeit vermittelt zu werden. Aber die Versandhäuser erwiesen sich auch bei schwierigen Kunden als entgegenkommend, nahmen Ware zurück oder tauschten sie um, wenn es sich der Besteller anders überlegt hatte oder weil er in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Das Geschäft blühte auf der Insel; alle diese Häuser räumten Kredite ein oder setzten Zahlungen aus, sicher, dass ihnen ein für alle Mal gehörte, wer sich mit ihnen einließ. Auf dem Telefontisch in der Diele ihrer gemeinsamen Wohnung häuften sich die Kataloge, neben den Mahnungen und Briefen.

Zuerst hatte Hartmann dieses Treiben mit sarkastischen Kommentaren begleitet, schließlich aber begriffen, dass es sich bei seiner Frau um eine Sucht handelte, um eine Erkrankung. Zu anderen Zeiten, wenn es nichts zu bestellen gab, oder wenn sie ungeduldig auf eine Lieferung wartete, klagte Frauke über Schmerzen, beschäftigte die Ärzte und behandelte sich selbst mit frei verkäuflichen Medikamenten und Drogen, schluckte Pillen gegen aufsteigende Hitze und gegen die Schwankungen ihres Blutdruckes und ging jedem sporadisch auftretenden Schmerz nach. Hier oben gab es nur die Unterhaltung, die man sich selbst verschaffte. Ein Volk mit sich selbst zu beschäftigen, um es von Überlegungen abzuhalten, wie viel Hoffnung noch wo zu entdecken sei, wie das manchmal auch komfortable Elend abzuwenden, von der dumpfen und allgemeinen Angst vor dem ungewissen Morgen, dem Verlust an Geld, Arbeit, Renten, dies hielt Hartmann für eine Strategie, eine Absicht, Menschen in Abhängigkeit zu bringen. Jedenfalls war der Druck auf Frauke groß, vielleicht war sie ein extremer Ausnahmefall.

Abgesehen von ihren ersten Ehejahren mit gemeinsamen Wünschen, Hoffnungen und Pflichten waren ihre Beziehungen nach der sogenannten Wende bis auf Null reduziert, die soziale Unsicherheit hatte die Selbstzerstörung noch beschleunigt. Beide waren schon über den Punkt hinaus, sich zu hassen, wie er annahm, aber darin sollte er irren, wie sich herausstellte. Ihre Klagen nahm Hartmann nicht nur nicht mehr ernst, sie reizten ihn kaum mehr zum schwachen Protest oder zu wütenden Ausfällen. Dass sie sich gläubig den Weisungen des Psychotherapeuten unterwarf, im Trainingsdress auf dem Spüldeich auf dem Bughals entlang trabte und nach Mitteln suchte, ihr Leistungsvermögen wieder herzustellen, das bei ihrer Lebensweise stetig abnahm, da sie zu viel aß, infolgedessen Fett ansetzte, dies alles erschien ihm nur noch lächerlich. Wollten sie weiter zusammenleben, hätten sie einen neuen Ansatz finden müssen. Aber sie verschaffte sich auch heitere Stunden, wenn sie vor dem Fernseher, in eine Sofaecke gedrückt, ihre Zeit bei Volksmusiksendungen, Talkshows und Ratespielen totschlug, Übertragungen, so einfältig, dass sich ein normal veranlagtes Kind gelangweilt hätte, wenigstens aus seiner Sicht. Frauke beteiligte sich an Lock- und Lottospielen, in der Hoffnung auf Gewinn, auf Geld oder Sachen. Wenn es denn überhaupt dazu kam, lohnte sich der Aufwand kaum. Ein anderer verirrter Trieb richtete sich auf die Rettung herrenloser Katzen und ausgesetzter Hunden, woran kein Mangel herrschte. Wer wegzog, der ließ seine Haustiere einfach zurück, die sich aus den Abfalltonnen erhielten und ungehindert vermehrten, sich aber natürlich in der kalten Jahreszeit selbst dezimierten.

Dass Frauke nicht merkte, wie geschickt sie gelenkt wurde, dass sie vielleicht immer noch glaubte, sie treffe eine eigene Entscheidung, wenn sie ein Bedürfnis entdeckte, dass ihr vorher unbekannt gewesen, regte ihn um so mehr auf, als sie durch ihre Bildung gegen diese Art Beeinflussung geschützt sein sollte. Eine Zeitlang hatte er Mitleid mit ihr empfunden, die von Händlern verführt und beraubt, gegeißelt durch das ihr auferlegte Nichtstun, von Demagogen belogen, als arbeitsscheu beschimpft, in seinen Augen alles Menschliche verloren hatte. In der Tat übersah Hartmann nicht das ganze Ausmaß ihrer Heimsuchungen, wenn er nur eine bestimmte Kategorie Frauen für wehrlos hielt. Sein verzweifelter Individualismus war keineswegs origineller und er selbst nicht minder ratlos als sie, obschon er anders reagierte, sich nicht ganz unterwarf. Der Zenit all ihrer Hoffnungen war überschritten, das Angebot an Weltanschauungen erschöpft. Wollte er sich nicht einer dieser verrückten Heilssekten anschließen, blieb ihm nur die Einsamkeit als Endprodukt der individuelle Freiheit, die in einer Massengesellschaft bestenfalls abgestuft möglich ist.


Das Deutsch Haus

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