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2. Nicht für die Schule lernen wir
ОглавлениеArbeitslose kaufen keine Anzüge, obwohl sie überreichlich Zeit dafür hätten, Arbeitslose haben Sorgen. - Es ist viel von Schule die Rede gewesen, sehr viel. Den Großen fallen eine Menge Erlebnisse ein, mit Lehrern, mit Schuldienern. Karl weiß, wie man einen Diener macht, jene Verbeugung, die nicht zu tief und nicht zu steif sein darf. Wie macht man einen Schuldiener? Man mag die Eltern ausfragen nach Strich und Faden. Das Bild der Schule bleibt verschwommen. Eines ist sicher: In Zukunft, nämlich ab April, gehört der Vormittag eines jede Tages der Schule. Zweitens ist entschieden: Jeder Junge muss in die Schule gehen. Das ist nützlich und gut für ihn. Er soll etwas lernen.
„Geh in die Schule und lerne was, und wenn du was gelernt hast, dann kommst du und erzählst mir das“, sagt Rena auf. Sie sagt es ein dutzendmal am Tag, so oft man will. Sie kennt die Schule, sie ist einem in dieser Frage näher als der Vater oder die Mutter, deren Schulzeit weit zurückliegt, die alles schon können. Aber auch Renates Auskünfte sind rasch und ungeduldig. Die Gedanken schleichen um dieses Ereignis wie Räuber um ein verschlossenes Haus, sie finden keine Tür, und es wäre doch so wichtig, vorher etwas über die Schule zu erfahren, die bis jetzt nichts anderes ist als ein großes rotes Gebäude, durch dessen Tor morgens die Kinder gehen, um etwas zu lernen.
Weil Arbeitslose viel Zeit haben, und weil ein ordentlicher Vater seinen Sohn in die Schule bringt, nimmt der Vater Karl eines Tages bei der Hand und geht in das große rote Haus bis in das Zimmer des Rektors. Der Rektor hat einen weißen Bart und einen milden Gesichtsausdruck. Karl kennt niemanden, der einen weißen Bart hat. Der Vater nennt den Grund ihres Hierseins, er wolle seinen Sohn anmelden, weil der eben sechs geworden sei, und kurz und gut, dort stehe er. Die Augen des Rektors sehen Karl an, ein verstecktes Lächeln sitzt in einem Winkel dieser Augen.
„Nun“, sagt der Rektor, „das ist also der Karl. Dann gib mir mal die Hand!“
Tiefgreifendes Erlebnis, die Hand dieses freundlichen weißbärtigen Mannes zu schütteln.
„Sie sind arbeitslos?" fragt der Rektor teilnehmend den Vater.
Der bestätigt das. Er legt seine Meinung dar, die der Sohn schon öfter gehört hat und übrigens nicht begreift. Der Rektor schüttelt den Kopf und sagt: „Lieber Herr Kirchhoff, so kommen wir auch nicht weiter. Mit diesen radikalen Lösungen fahren wir nicht gut.“
Der Vater sagt, er habe nicht die Absicht, den Rektor zu seinen politischen Überzeugungen zu bekehren, sondern er sei hier, um seinen Sohn für die Schule anzumelden. Darauf nickt der Rektor, erfreut, wie es scheint. Dann geben sich wieder alle die Hände, Rektor und Karl, und nun können sie gehen. Der Vater bleibt im Hinausgehen noch einmal stehen, zeigt auf ein kleines gerahmtes Schild und liest ab: „Weil ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere.“
Der Rektor hüstelt verlegen. „Das ist so eine Redensart.“
Aber Vaters Stimme klingt jetzt fast böse, als er sagt: „Ein Lehrer sollte meiner Meinung nach immer ein Menschenfreund sein, finden Sie nicht auch?“
Der Rektor antwortet nicht. Die beiden werden sich gleich streiten, das liegt in der Luft, und der Vater hat recht. Der hat immer recht, er ist klüger als die Mutter, als Rena selbstverständlich, die er wie eine Erwachsene behandelt, nach Auffassung der Mutter, er ist klüger als der Opa, und er bringt auch den Rektor mit dem langen weißen Bart in Bedrängnis, denn der sagt nun ziemlich ärgerlich: „Machen Sie doch aus einer Mücke keinen Elefanten, Herr Kirchhoff. So werden wir keine Freunde. Dieser Spruch will ja nur ausdrücken, dass ich ein Tierfreund bin, mehr nicht. Wenn Sie daraus Schlüsse ziehen, dann müsste ich ja auch aus Ihren Äußerungen vorhin, die ich anarchistisch finde, welche ableiten. Das führt doch zu nichts.“
Der Vater lächelt, lächelt auf seine überlegene Weise. Er hat den Rektor offensichtlich aus dem Felde geschlagen. Und der merkt so etwas, er sagt nämlich: „Dann nehmen Sie doch einen Hauslehrer, Herr Kirchhoff.“
So trennt man sich wieder, steht auf der Straße, der Vater zündet sich im Gehen eine Zigarette an, eine Schwarz-Weiß, man marschiert durch den Köllnischen Park und ist froh. Dieser Weißbart hat einem die Hand gegeben. Er ist der Rektor der großen roten Schule. Die Ordnung ist erhalten geblieben. Der Vater erwies sich als der Überlegene, auch dem Rektor gegenüber. Der Vater muss ein großer Mann sein, wie er selbstsicher die Wallstraße entlang geht, eine Schwarz-Weiß raucht, nach links und rechts grüßt. Auf diesen Vater darf ein Sechsjähriger stolz sein. –
Die Schule in der Wallstraße stand direkt am Bürgersteig. Hinten befand sich ein Hof, auf dem einige Kastanien an Lichtmangel zugrunde gingen. Muffig riechende, mit grauen Fliesen belegte Korridore durchzogen das Haus wie Ameisengänge. Es regnete in dünnen Fäden an diesem Apriltag. Alles floss zu einer grauen Kulisse zusammen.
Die Hand der Mutter bot wenigstens einen kleinen Halt. Karl war tief beunruhigt. Von allen Seiten kamen Kinder mit ihren Eltern, marschierten durch das Tor in den Hof und warteten. Der Regen hörte endlich auf. Dafür strich kühler Wind durch das Schultor.
Die Eltern redeten tröstend auf die bedrückten Kinder ein, bis der weißbärtige Rektor von einem jüngeren, auffallend mageren Mann begleitet, auf den Hof trat.
„Kommen Sie bitte etwas näher", sagte er. Die Eltern rückten gehorsam zusammen.
„Heute beginnt für Ihre Kinder ein neuer Lebensabschnitt“, sagte der Rektor. „Sie kommen in die Schule, die ihr Leben eine Zeitlang bestimmen wird. Das ist ein Einschnitt, der sich nicht immer leicht vollzieht. Doch wollen wir alle Anstrengungen unternehmen, die Kinder zu gehorsamen, fleißigen und pflichtbewussten Bürgern zu bilden.“ Er räusperte sich und fuhr dann fort: „Die Zeiten sind schwer. Viele sind arbeitslos, und noch ist kein Ende abzusehen. Diese Republik ist unfähig, eine Wende herbeizuführen, und so sehen wir eine große Nation an seine Feinde verraten, aber Deutschland wird sich auf seine Größe besinnen. Es wird eine grandiose Wiedergeburt erleben. Das Volk Friedrichs des Großen kann nicht untergehen, kann nicht in die Bedeutungslosigkeit sinken, solange noch deutsche Herzen schlagen und deutsche Männer sich um die Auferstehung seiner Helden bemühen. Die werden sich um das nationale Deutschland scharen. Gebe der Allmächtige, dass die Stunde nicht mehr fern ist, wo die alte deutsche Kraft wieder ihren Kopf über Europa erhebt. Die Feinde mögen sich hüten. - Darf ich Ihnen Herrn Löwe vorstellen? Das ist der Lehrer Ihrer Kinder, und ich bitte, sich mit allen Fragen an ihn zu wenden.“
Mit diesen Worten trat er zurück und überließ dem mageren Lehrer das Feld, der bisher mit einem verbindlichen Lächeln dabeigestanden hatte, ab und zu nickend.
Die meisten Eltern blickten betreten zu Boden. Herr Löwe, mit blau umränderten, wässrigen Augen und schlecht sitzendem Anzug, verbeugte sich leicht und bat die Eltern, ihm mit den Kindern in das Klassenzimmer zu folgen. Über Treppen und Korridore kamen sie in einen Raum, auf dessen Tür mit Kreide die Zahl 1 geschrieben war. Abgestandene Luft schlug ihnen entgegen. Karl sah sich um. In diesem Raum würde sich künftig ein Teil seines Lebens abspielen. Was er sah, war nicht ermutigend. An den graugetünchten Wänden hingen Anschauungstafeln. Dort konnte man die Entwicklung eines Gerstenkorns bis zum fertigen Halm betrachten, hier zeigte eine Tafel das Leben unserer Vorfahren bei Lagerfeuer und erlegtem Hirsch. Die ruppigen Bärte hingen ihnen auf die Brust und sie trugen lange Haare wie die Mädchen. Karl blickte gleichgültig darüber hin. Etwas würgte ihn im Halse. Er wünschte sich weg aus diesem elend kalten Raum.
Löwe setzte die Kinder auf ihre Plätze. Dann bat er die Eltern, die erste Schulstunde draußen abzuwarten. Daraufhin weinten einige Kinder, aber Löwe ging an das Pult, schlug ein Buch auf und brachte daraus das zur Situation passende Märchen vom Wolf zu Gehör, der sie alle fraß, Rotkäppchen und die Großmutter. Die meisten Kinder fingen an, sich für die Geschichte zu interessieren, Karl aber schluckte und schluckte, um den Kloß in der Kehle loszuwerden. So hörte er nur den letzten Satz, der den Sinn dieses ganzen Leidens augenfällig machen sollte: „Nicht für die Schule lernen wir, sondern fürs Leben.“
Löwe holte die Eltern wieder herein, verlas die Namen der Kinder, die den Finger heben und hier rufen mussten. Danach verkündete er: „Für heute ist die Schule zu Ende. Es war euer erster Schultag. Morgen bitte pünktlich um acht. Den Stundenplan bekommt ihr später.“
Karl riss erleichtert die Tasche aus seiner Bank und rannte blindlings an der Mutter vorbei durch den Hof und das Tor auf die Straße. Jetzt schien die Sonne – April, April, der weiß nicht, was er will. Dort erwartete er die Mutter, die ein böses Gesicht machte. Sie gingen die paar Schritte bis zur Inselstraße zurück.
„Du hast dagesessen, wie ein Hase, der mit offenen Augen schläft. Sonst bist du doch nicht auf den Mund gefallen. Weißt du wenigstes, wie dein Lehrer heißt?“
Karl dachte angestrengt nach. Ohne Zweifel hatte er das Wichtigste verpasst, noch bevor die Schule richtig anfing. Er wusste nicht einmal den Namen seines Lehrers.
„Dein Lehrer heißt Löwe, sagte die Mutter, zornig über den Sohn, der sich auf einmal so blöd anstellte. „Ab morgen passt du besser auf!“
Endlich ist der Schleier über dem Geheimnis gelüftet, das Schule heißt; es ist enttäuschend. Stundenlang muss man sitzen, die Hände auf der Pultplatte gefaltet, auf die Wandtafel starren, an der runde Eier und Äpfel Zahlen verdeutlichen sollen, die gar nicht leicht in den Kopf hineingehen. Auf einer schwarzen Schiefertafel muss man mit einem Griffel Buchstaben malen, die der Lehrer Löwe mit Kreide an die große Wandtafel schreibt. Das nennt man Sütterlinschrift, und es ist eine deutsche Schrift: „Auf, ab, auf, und ein Häkchen drauf“, das I, „auf und ab, auf und ab", das ist das U, nein da muss noch ein Bogen rüber. Man sitzt unter den Kindern, die sich alle mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen bemühen. Sie werden nach einem unergründlichen System gelobt oder getadelt. Hier wird nicht die Anstrengung gewertet, sondern das Ergebnis. Und das ist etwas Neues, das gab es noch nicht im Leben des kleinen. Karl.
Daheim schnitzte er gern Holz, und es sollten Schiffe werden. „So? Das ist ein Schiff?“, fragte der Vater, „da musst du noch einen Stab als Mast hineinstellen. Wie soll denn dieses Schiff segeln können, wenn es keinen Mast hat, an dem man die Segel befestigen könnte?“ Karl setzte den Mast hinein. Nun konnte das Schiff schwimmen, nun konnte es segeln, hinaus in die Welt, die wirklich viel, viel weiter ist als die Inselstraße, die „Friedliche Einkehr“ sogar…
Anders hier. „Das soll ein A sein? Mangelhaft, sehr schlecht.“ Ja, warum soll es denn kein A sein? Es ist vielleicht nicht ganz so gerade wie das an der Tafel, aber es ist unverkennbar ein A.
Und dann kommt der Tag, an dem diese Welt, diese heile und ganze Welt, durch einen schmerzhaften Streich in zwei Teile geschlagen wird, als Strafe für das Vergehen, auf dem Schulhof Kastanien gesammelt zu haben. Der magere Lehrer Löwe schlägt mit einem Rohrstock über die Innenflächen der Hände, das gibt einen scharfen Schmerz, der sich sofort bis in das Herz ausbreitet.
In Karl ist ein großes Staunen, das weit über den körperlichen Schmerz steht: Die Schule hat offenbart, was sie wirklich ist. Karl ist zum ersten Mal in seinem Leben geschlagen worden, mit der deutlichen Absicht, ihm einen großen und schlimmen Schmerz zuzufügen. Seine Handflächen schwellen an. Er geht zurück auf seinen Platz.
„Merkt es euch endlich“, sagt der Lehrer, „Kastanien sammeln ist verboten.“
Ja, es ist verboten, aber die reifen braunen Früchte liegen auf dem Boden, jeder kann sie aufnehmen, sie gehören keinem. Es schadet auch nichts, wenn man sie aufnimmt. Nun erst steigen Karl Tränen in die Augen. Er steht auf, besinnt sich auf seine Tasche, holt sie und verschwindet durch die Tür. Er ist schon an der Treppe, als er Schritte hinter sich hört. Es ist der Lehrer, der magische Lehrer, der über die Hände schlägt.
„Sofort gehst du in die Klasse zurück“, befiehlt er. Karl bleibt störrisch stehen. Davon kann keine Rede sein, nie mehr wird er in die Klasse gehen, nie. Angesichts dieses Trotzes verliert der Lehrer jede Selbstbeherrschung. Er ohrfeigt Karl, treibt ihn vor sich her in die Klasse, bis … Karl einen Ausweg findet, ihm entwischt, zur Treppe läuft. Er ist schneller, die Angst vor diesem Lehrer gibt ihm Flügel. Er ist auf der Straße und bleibt erst stehen, als er keine Schritte mehr hinter sich hört. Die Schultasche hält er krampfhaft fest. Er weiß nicht wohin, er möchte sich gern klar werden über das Geschehene, aber sein Herz jagt in kurzen Stößen. Der Schule ist er entronnen, aber man muss doch zur Schule gehen. Dort lernt man etwas!
Was nun? In die Inselstraße. Er will nach Hause. Die Schulmappe auf dem Buckel wird beim Treppensteigen immer schwerer.
Der Vater raucht seine Schwarz-Weiß, er ist ruhig wie immer, hält ein Buch in der Hand, und Karl bedauert fast, dass er sich entschlossen hat, nicht mehr in die Schule zu gehen. Sie hätten zusammen die Bücher lesen können, die der Vater besitzt. Der merkt sofort, dass etwas nicht in 0rdnung ist. Er bringt es leicht aus Karl heraus, eine zusammenhängende Erzählung, bei der Karl weint, was doch verboten ist, weil Jungen nicht heulen dürfen. Nun ist er leer und müde. Was soll werden? Der Vater geht ohne ein Wort an den Schrank, zieht sich seinen guten Anzug an, knüpft die Schuhe zu, und sie gehen hinunter auf die Straße. Der Vater spricht nicht, sein Gesicht ist verschlossen. Wer hat in dieser Sache gefehlt? An der Hand des Vaters geht Karl durch das Tor, und er hat sich doch geschworen, nie mehr hierherzukommen.
Im Vorzimmer des Rektors gibt es einen heftigen Wortwechsel zwischen dem Vater und der Frau, die dort immer sitzt. Sie behauptet, der Rektor sei nicht da, er halte Unterricht, und sie dürfe nicht stören.“
"Hören Sie zu, Fräulein“, hört Karl den Vater sagen, und es ist ein wütendes Knurren in seiner Stimme: „Wenn Sie mir nicht innerhalb von fünf Minuten den Rektor herbeischaffen, dann gehe ich und komme mit der Polizei wieder.“
Das Fräulein druckst, weiß nicht, was es sagen soll, geht dann aber wirklich den Rektor holen. Der Weißbart kommt, sieht mit Befremden den Vater an und sagt: „Also wenn es dringend ist, aber nur zwei Minuten.“ Er ist sehr verdrossen. Karl muss im Vorzimmer bleiben. Er hört Stimmengemurmel, dann einen großen Lärm, die Stimme des Vaters. Der Rektor stürzt heraus, befiehlt dem Fräulein, den Lehrer Löwe zu holen, und etwas später sind sie alle im Zimmer des Rektors, der jetzt beherrscht hinter seinem Schreibtisch sitzt: Löwe, der Vater und er, Karl. Über ihn wird verhandelt. Er muss noch einmal den Hergang schildern, und der Rektor schüttelt den Kopf.
„Ich ersuche Sie jetzt um Ihre Stellungnahme, Herr Löwe“, sagt der Rektor. „Herr Kirchhoff ist beim Arzt gewesen und hat sich Verletzungen attestieren lassen, und es wird einen Skandal geben, wenn wir die Geschichte nicht beilegen können. Für Sie würde dabei ein Disziplinarverfahren herauskommen, sonst bliebe es an der ganzen Schule hängen.“
Herr Löwe presst die Lippen zusammen. „Meine Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung treffe ich allein“, sagt er dann. „Sie selbst, Herr Rektor, haben die Anweisung gegeben, das Kastaniensammeln zu unterlassen.“
Der Vater macht eine heftige Bewegung. „Ihr Geschwätz interessiert mich überhaupt nicht, Herr Löwe, möchten Sie bitte bei der Sache bleiben! Ich werde das Äußerste tun, mir in dieser Sache Recht zu verschaffen. Sie sind meines Erachtens für den Beruf des Lehrers ungeeignet. Mit diesem Schild“, der Vater zeigt es mit der Hand, „das die Tiere so liebenswert findet im Gegensatz zu den Menschen, würden Sie sicher ein Unterkommen in einer Menagerie finden. Ein für allemal: Prügeln Sie, wen Sie wollen; wenn sich andere Eltern das gefallen lassen, so ist das deren Sache. Meine Meinung werde ich jedenfalls nachdrücklich vertreten.“
Der Vater schlägt sich für ihn, für Karl, der eine große Zuneigung für diesen Vater empfindet.
„Tja“, sagte der Rektor, „Herr Löwe, Sie sehen selbst, wie es steht. Ich begreife Ihre Handlung wohl, aber die Grenze haben Sie natürlich weit überschritten.“
So ist es, denkt Karl, die Grenze weit überschritten, das heißt doch, der hätte ihn nicht schlagen dürfen, nur weil er ein paar Kastanien vom Boden aufgelesen hat. So ist das.
„Ich weiß überhaupt nicht, was Sie wollen“, sagt Löwe kleinlaut, „da es nun einmal geschehen ist, kann ich doch nichts mehr daran ändern. Meine Lage ist auch nicht besonders rosig. Ich habe einundvierzig Kinder zu betreuen, da gehen einem schon mal die Nerven durch.“
Ja, was könnte denn geschehen? In die Klasse zu dem mageren Lehrer Löwe wird er nicht mehr gehen, das steht für ihn fest.
„Daran ist was Wahres“, sagt der Vater, „geschehen ist geschehen. Also, ich schlage folgendes vor: Sie entschuldigen sich bei Karl. Ich lege Wert auf diesen Akt, so lächerlich es Ihnen erscheinen mag. Karl muss wissen, dass Sie im Unrecht sind, und dass Sie Ihr Unrecht einsehen.“
Karl horcht auf, hier kommt etwas Neues in die Welt, in seine enge Welt, Recht und Unrecht.
Der Vater ist nicht mehr so erregt wie vorhin, er sitzt auf seinem Stuhl, sieht vom Rektor auf den Lehrer. Der Vater hat sich durchgesetzt. Karl geht dicht an ihn heran, an den kleinen, dicklichen Mann mit dem runden Kopf und den gutmütigen Augen. Es ist gut, dass er arbeitslos ist, sonst wäre er nicht zu Hause gewesen.
„Weiter“, sagt der Vater, „werden Sie begreifen, dass Sie mein Vertrauen verloren haben. Ob Sie darauf Wert legen, ist mir gleich. Deshalb wird der Herr Rektor überlegen, ob man Karl nicht in die Parallelklasse umsetzt. Und drittens wünsche ich, dass in Zukunft mein Sohn wie ein Mensch behandelt wird.“
„Das ist ja allerhand“, sagt der Rektor, „Sie verlangen eine komplette Abbitte. Überschätzen Sie den Fall nicht doch etwas?“
Keineswegs, meint der Vater, ganz im Gegenteil, er unterschätze ihn sogar noch, aber er sei Realist, und soweit er sehe, würde sich am Schulsystem vorerst nichts ändern lassen. Für sich selbst aber wolle er den größtmöglichen Nutzen aus der Sache ziehen.
„Ich muss zugeben“, sagt der Rektor, „Sie sind durchaus im Vorteil. Die größte Schwierigkeit besteht in der Umsetzung in die Parallelklasse. Wir haben das nach Straßenzügen vorgenommen, dieses Prinzip müsste jetzt durchbrochen werden.“
Der Vater winkt ab.
„Also schön“, sagt der Rektor, „dann wären wir am Ende. - Herr Löwe wollen Sie dann bitte?“
Ob Herr Löwe will, ist nicht ersichtlich, jedenfalls steht er förmlich auf und bittet ihn, Karl, um Verzeihung, hält ihm versöhnend die Hand hin, und sagt: „Nichts für ungut.“
Karl nimmt die Hand nicht.
„Das genügt wohl“, sagt der Vater trocken. Ein Vertrauensverhältnis, wie es nach meiner Vorstellung zwischen Lehrer und Schüler bestehen sollte, ist doch nicht wieder herzustellen. Ich danke Ihnen meine Herren. Den Umständen nach haben Sie mich zufriedengestellt. Ich nehme Karl für acht Tage aus der Schule. Dann werde ich mit Ihrer Erlaubnis wiederkommen und mir den neuen Lehrer ansehen und die Klasse, in die Karl kommt.“
Sie gehen aus dem Rektorzimmer und können nicht mehr hören, was Löwe zu seinem Vorgesetzten sagt: „Ist das ein Aas!“
Der Rektor sieht ihn abweisend an. „Herr Löwe“, sagt er ergrimmt, „ich verspreche Ihnen, das war das letzte Mal, dass ich Ihnen in einer solchen Angelegenheit geholfen habe. Das Schild dort nehmen Sie in Teufels Namen mit.“
Nach acht Tagen Ruhe war die Angelegenheit wirklich erledigt, das Krakeln auf der Schiefertafel machte wieder Freude, der Lehrer zurückhaltend freundlich, hütete sich, den Sohn dieses streitbaren Vaters anzufassen. Es gab bessere Noten. Es ging aufwärts mit Karl. Er fasste Selbstvertrauen.
Das verdankte er dem Vater - er wusste es.