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Kommissar Kadok greift ein 1
ОглавлениеAls Brinkmann in den Park seiner Villa einbog, sah er schon auf der Auffahrt einen Wagen stehen, der ihm unbekannt war. Sobald er das Empfangszimmer betrat, erhoben sich drei Männer von ihren Plätzen.
„Verzeihen Sie, meine Herren, dass ich Sie haben warten lassen“, sagte er. „Sie sind sicher von der Polizei?“
Der älteste der drei Männer nickte. „Ja, gestatten Sie, dass ich uns vorstelle. Ich bin Kommissar Kadok, und das sind zwei meiner Mitarbeiter, die Inspektoren Faber und Spier.“
„Ich freue mich, dass Sie den Fall übernehmen. Obwohl ich viel lieber nicht Ihre Bekanntschaft gemacht hätte – unter diesen Umständen.“
„Verstehe, Herr Brinkmann. Ich will nur hoffen, dass Sie diese Bekanntschaft nicht in unangenehmer Erinnerung behalten werden.“
„Was ist, Herr Kommissar, glauben Sie, dass mein Sohn noch lebt?“
„Ganz bestimmt!“
„Werden Sie ihn finden?“
„Das hängt ganz von Ihnen ab – und von Ihrer Familie. Den ersten Schritt, Ihren Sohn zurückzubekommen, haben Sie bereits getan.“
„Welchen Schritt meinen Sie?“
„Indem Sie die Polizei verständigt haben – trotz der Drohung durch die Entführer!“
„Es war eine spontane Reaktion. Als ich die Nachricht erhielt, packte mich so sehr die Wut auf diese Verbrecher, dass ich sofort die Polizei anrief. Jetzt allerdings“, gestand er kleinlaut, „jetzt bereue ich es schon fast.“
„Aus welchem Grund?“
„Ich glaube, ich habe vorschnell gehandelt. Ich hätte abwarten sollen, was unser Familienrat dazu sagt.“
„Ich denke, es ist Ihr Kind, Herr Brinkmann?“
„Ja, das schon, aber…“
„Und Ihre Frau, wie denkt sie darüber?“
„Ich weiß nicht, ich habe nur ein paar Worte mit ihr am Telefon gesprochen, sie war zu aufgeregt.“ Er warf einen Blick auf die Wanduhr. „Meine Frau muss jeden Augenblick hier sein, zusammen mit meinem anderen Sohn und dem Kindermädchen.“
In diesem Augenblick hörten sie einen Wagen vorfahren.
„Ich glaube, da sind sie schon“, sagte Brinkmann und eilte in die Halle.
Weinend fiel Frau Brinkmann ihrem Mann um den Hals. „Es ist so furchtbar – ich – ich kann es noch immer nicht fassen!“
Er drückte sie zärtlich an sich und versuchte, sie zu trösten:
„Es wird alles wieder gut, glaub mir, es wird alles wieder gut.“
Aber er spürte, dass dies kein Trost war und er selbst Trost und Mut bitter nötig hatte.
Betreten und mit scheuem Blick war das Kindermädchen am Eingang stehen geblieben, niedergeschlagen durch ein Schuldgefühl, das sie seit der Entdeckung des Verbrechens gefangen hielt.
Nur der kleine Klaus schien sich der Tragweite dieses Verhängnisses nicht bewusst zu sein. Für ihn war das alles eine aufregende Räubergeschichte, wie man sie sonst nur im Fernsehen erlebte. Er tat sich wichtig, als er seinem Vater stolz berichtete:
„Papi, hab den Mann genau gesehen. Erich hatte überhaupt keine Angst, er ist sofort mit ihm gegangen.“
Inzwischen war auch Kadok in die Halle getreten, und als Klaus ihn jetzt bemerkte, fragte er seinen Vater erstaunt:
„Wer ist denn der Mann da?“
Brinkmann drehte sich um. „Ach so ja“, sagte er, zu seiner Frau gewandt, „ich habe ganz vergessen, dass wir Besuch haben. Kommissar Kadok und zwei seiner Leute.“
„Polizei…?“, fragte seine Frau entsetzt.
Kadok trat näher. „Ja, gnädige Frau, für Verbrechen ist die Polizei zuständig.“
„Diese – diese Leute haben doch ausdrücklich verlangt, dass die Polizei aus dem Spiel bleibt.“
„Das möchten Verbrecher immer gern.“
„Aber in dem Fall…! Es geht um das Leben unseres Kindes.“ Tränen traten erneut in ihre Augen.
„Bitte, beruhige dich doch!“, redete ihr Mann beschwichtigend auf sie ein.
„Ich weiß, wie schwer es für Sie ist“, sagte Kadok. „Aber eben weil es um das Leben Ihres Kindes geht, sollten Sie die Polizei einschalten. Ihr Mann sprach von einem Brief, den die Entführer geschrieben haben. Darf ich ihn bitte mal sehen?“
Sie zögerte, und unwillkürlich drückte sie ihre Handtasche fester an sich. Doch sie nahm den Brief heraus.
„Hier, bitte, lesen Sie.“
Gleichzeitig mit ihrem Chef lasen die beiden Kriminalinspektoren den Brief.
„Das Übliche in solchen Fällen“, bemerkte Faber.
Kadok nickte. „Ja, nur die Summe ist ungewöhnlich hoch.“
„Geld spielt keine Rolle, Herr Kommissar“, sagte Brinkmann, „wenn nur unser Sohn gerettet wird.“
Der Kommissar wollte den Brief einstecken. „Darf ich?“, fragte er.
„Nein, bitte, geben Sie ihn her!“, verlangte Frau Brinkmann. „Wir brauchen ihn noch.“
Kadoks Blick fiel auf Katja Ellscheid, die noch immer schweigend am Eingang stand. „Sagen Sie, sind Sie das Kindermädchen, das die beiden Jungen beaufsichtigt hat?“
„Ja, Herr Kommissar, ich habe auch die ganze Zeit aufgepasst, bis auf den einen Augenblick. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.“
„Haben Sie nicht vorher einen verdächtigen Mann in der Nähe gesehen – oder auch eine Frau, die Sie nicht kannten?“
„Nein, niemanden.“
„Es ist nämlich so, Herr Kommissar“, schaltete sich Brinkmann in das Gespräch ein. „Nur Klubmitglieder und ihre Angehörigen sowie das Personal haben Zutritt zum Golfplatz. Das wird am Eingang streng kontrolliert.“
„Am Eingang – ja“, entgegnete Kadok. „Aber der oder die Entführer haben einen anderen Weg gewählt.“
„Ich habe nicht gewusst, dass hinter dem Gebüsch ein Loch im Zaun ist“, sagte das Kindermädchen.
„Ich hab den Mann gesehen!“, wiederholte der siebenjährige Klaus.
Der Kommissar wandte sich ihm zu. „Ja, richtig, das hast du uns vorhin schon mal gesagt. Wenn du den Mann gesehen hast, dann kannst du ihn auch sicher beschreiben.“
„Beschreiben…?“
„Ja, wie sah er aus?“
„Nett.“
„Hatte er schwarze Haare oder blonde?“
„Das weiß ich nicht.“
„Einen Bart oder keinen?“
„Ich mag keine Männer mit Bärten.“
„Also hatte er keinen Bart, denn sonst hätte er doch nicht nett ausgesehen, stimmt das, Klaus?“
„Ja, er hatte keinen Bart.“
„War er groß oder klein?“
„Ich weiß nicht, ob er groß war. So wie Papa.“
„Du weißt ja wirklich allerhand, Klaus, du bist ein kluger Junge. Kannst du mir vielleicht auch noch sagen, ob es ein älterer Mann war, oder war er noch jung?“
Der Junge überlegte, was er sagen sollte. Alt oder jung – das sind dehnbare Begriffe, wenn man selbst erst sieben Jahre zählt.
Kadok kam ihm zu Hilfe. „Nun, sagen wir, Klaus, war der Mann so alt wie dein Papa?“
„Nein, so wie Erwin.“
„Wer ist Erwin?“, fragte der Kommissar die Umstehenden.
Katja Ellscheid wurde verlegen. „Mein Verlobter. Die Kinder haben ihn mal getroffen, als ich mit ihnen spazieren ging.“
„Und wie alt ist Ihr Verlobter?“
„Dreiundzwanzig.“
Zufrieden nickte Kadok Herrn und Frau Brinkmann zu. „Jetzt wissen wir schon etwas mehr. Wir sollten uns noch ausführlicher unterhalten, bevor ich mit meinen Leuten zum Golfplatz hinausfahre.“
„Am besten gehen wir ins Zimmer zurück“, schlug Brinkmann vor. „Was ist mit dem Jungen? Brauchen Sie ihn noch?“
„Nein, danke, ich glaube nicht. Ich möchte mich zunächst mit Ihnen und Ihrer Familie unterhalten. Nachher rufe ich dann Sie, Fräulein Ellscheid.“ Und zum Fahrer gewandt, fragte er: „Sie waren doch auch draußen auf dem Golfplatz, als der Junge entführt wurde?“
„Ja, Herr Kommissar.“
„Gut, halten Sie sich bitte auch bereit.“
Kaum hatten sie die Halle verlassen, da klingelte es ungestüm.
„Entschuldigen Sie bitte“, sagte Brinkmann zum Kommissar, „das wird mein Vater sein.“
Er eilte selbst zur Tür und öffnete. Es war tatsächlich der alte Brinkmann, der energisch und mit festen Schritten eintrat. Trotz seines schneeweißen Haars wirkte er energiegeladen wie ein Mann im besten Alter, und seine harten, herrischen Züge verrieten, dass er gewohnt war, zu befehlen und keinen Widerspruch zu dulden.
„Mein armer Junge“, sagte er, als er seinem Sohn kurz, aber fest die Hand drückte.
Dann umarmte er seine Schwiegertochter und küsste sie auf die Stirn.
„Ich konnte nicht früher kommen“, entschuldigte er sich, „der Verkehr draußen. Als ob die Leute nichts anderes zu tun hätten, als die Straßen zu verstopfen.“
„Du bist der Erste, Vater.“
„So…?“, brummte er und runzelte missbilligend die Stirn, als er die Kriminalbeamten im Empfangszimmer stehen sah. „Und wer sind diese Herren da?“
„Kommissar Kadok und…“
„Was tut die Polizei hier im Haus?“, unterbrach er seinen Sohn schroff.
„Ihr Sohn hat uns verständigt“, erklärte Kadok.
„Davon hast du mir am Telefon nichts gesagt!“, kanzelte der Alte seinen Sohn ab.
„Entschuldige bitte, aber ich dachte - - es ist doch wohl selbstverständlich, in einem solchen Fall die Polizei zu benachrichtigen.“
„Darüber entscheidet die Familie!“
„Natürlich, aber die Familie wird so und nicht anders entscheiden – sie muss!“
„Da bin ich nicht so sicher.“
Man sah Brinkmann an, wie peinlich ihm diese Auseinandersetzung mit seinem Vater vor fremden Leuten war. Um ihm aus der Verlegenheit zu helfen, wandte sich Kadok an den Alten:
„Ohne Sie beeinflussen zu wollen, Herr Brinkmann, möchte ich Ihnen doch gern einen Rat geben.“
„Ich will Ihren Rat nicht hören, jedenfalls jetzt noch nicht. Was ich will, ist einzig und allein das eine: meinen Enkel zurückhaben.“
„Das wollen wir alle.“
„Das bezweifle ich. Für Sie ist diese Entführung ein Fall wie tausend andere auch. Das Verbrechen ist geschehen – jetzt suchen Sie den Täter. Für mich aber liegt die Sache anders: Ich suche nicht den Täter, sondern das Opfer, und nur allein darum geht es hier!“
„Wir suchen den Jungen genauso wie Sie. Ihn lebend zurückzubekommen ist auch für uns wichtiger als die Täter zu fassen.“
„Dann warten Sie, bis mein Enkel wieder bei seinen Eltern ist.“
„Wie wollen Sie das erreichen – ohne Polizei?“
„Soviel ich weiß, haben die Entführer meinem Sohn einen Brief geschrieben und darin genaue Anweisungen angekündigt.“
„Und Sie glauben, dass sich die Verbrecher an ihr Versprechen halten werden, sobald Sie ihnen das Lösegeld gezahlt haben?“
„Mein Gott, Herr Kommissar“, rief Frau Brinkmann verzweifelt, „Sie wollen doch damit nicht sagen, dass diese Leute mein Kind umbringen, auch wenn wir ihnen das Geld geben?“
Kadok blickte sie ernst an. „Keiner von uns weiß, wie die sich verhalten werden, denn keiner kennt sie. Darum müssen wir alle Möglichkeiten ins Auge fassen, um entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen.“
„Das wäre ja furchtbar!“, schrie Frau Brinkmann und brach in einen neuen Weinkrampf aus.
Der alte Brinkmann war empört. „Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben!“, fuhr er den Kommissar an. „Mit Panikmache kommen wir hier nicht weiter. Ich glaube, das Leben meines Enkels ist weniger gefährdet, wenn sich die Polizei nicht einschaltet. Deshalb ersuche ich Sie sehr dringend, Herr Kommissar, in dieser Angelegenheit so lange nichts zu unternehmen, bis Sie von uns Nachricht erhalten. Wir wollen jetzt im Familienkreis beraten, wie wir vorgehen.“
„Sie vergessen, sobald die Polizei von einem Verbrechen Kenntnis hat, muss sie der Sache nachgehen.“
„Und Sie vergessen, dass unsere Familie mit dem Innenminister eng befreundet ist. Er war jahrelang Direktor unserer Firma, bevor er Karriere in der Politik machte. Ich brauche ihn nur anzurufen.“
„Nicht nötig“, antwortete Kadok ruhig. Er hielt es für besser, den Alten jetzt nicht noch mehr zu erregen. „Ich werde also abwarten, wozu sich Ihr Familienrat entscheidet.“
„Gut!“, sagte der alte Brinkmann. Die Genugtuung darüber, dass er seinen Willen durchgesetzt hatte, war in seiner Stimme nicht zu überhören. „Es kann eine ganze Weile dauern, denn noch sind nicht alle Familienmitglieder versammelt. Warten Sie so lange draußen im gegenüberliegenden Salon.“
„Ich warte in meinem Büro. Rufen Sie mich bitte dort an. Hier ist meine Karte.“
Der Alte wollte aufbrausen, aber er beherrschte sich und nahm die Karte entgegen.
„Kommen Sie!“, sagte Kadok zu seinen Leuten und wandte sich dem Ausgang zu.
An der Tür blieb er stehen und drehte sich halb um. „Hoffentlich treffen Sie die richtige Entscheidung. Guten Abend!“