Читать книгу Vom Golfplatz verschwunden - Helmut Höfling - Страница 6
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ОглавлениеKadoks Hoffnung erwies sich leider als Wunschtraum. Als er eine halbe Stunde später sein Büro betrat, meldete ihm der diensthabende Wachtmeister, vor wenigen Minuten habe der Polizeipräsident den Kommissar sprechen wollen, Kadok solle ihn sofort anrufen.
„Gut, dass ich Sie so schnell erreiche“, erklärte der Polizeipräsident erleichtert, als Kadok sich meldete. „Ich habe eben einen Anruf des Innenministers erhalten.“
„In der Entführungssache Brinkmann?“
„Ja, woher wissen Sie das?“, wunderte sich der Polizeipräsident.
„Das war zu erwarten nach meiner Auseinandersetzung mit dem Seniorchef der Brinkmann-Familie.“
„Hören Sie, Kadok, es ist mir äußerst peinlich, Ihnen das zu sagen, aber die Familie hat sich beim Minister über Sie beschwert.“
„Wenn’s nur das ist“, brummte der Kommissar, „dann ist jedes weitere Wort überflüssig. Ich kenne eine Menge Leute, die sich über die Polizei beschweren – besonders über mich.“
„Darum geht’s im Grunde genommen gar nicht. Die Brinkmanns haben vom Minister die Vollmacht erhalten, wegen der Rückkehr des Jungen mit den Entführern frei zu verhandeln.“
„Verdammt noch mal!“, entfuhr es dem Kommissar.
„Was meinen Sie?“
„Ach nur… ich finde es schade, dass die Brinkmanns mir zuvorgekommen sind. Ich wollte Sie, Herr Polizeipräsident, gerade anrufen und Sie bitten, den Minister dahingehend zu beeinflussen, dass die Polizei auf jeden Fall eingeschaltet werden muss.“
„Das ist jetzt nicht mehr möglich.“
„Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Minister eine Anordnung rückgängig macht.“
Der Polizeipräsident fühlte sich unbehaglich. Kommissar Kadok war sein bestes Pferd im Stall, und im Grunde gab er ihm völlig recht. Aber andererseits konnte er sich auch schlecht dem Minister widersetzen. Er hatte zwar seine Einwände und Bedenken erhoben – aber vergebens. Nun versuchte er, den Kommissar zu beschwichtigen.
„Mein lieber Kadok“, begann er betont ruhig, „wir bewegen uns hier auf einem besonders glatten Parkett. Bei den Brinkmanns haben wir es nicht mit gewöhnlichen Leuten zu tun, sondern mit einer der großen Industriellenfamilien, deren Verbindungen zu den höchsten Regierungskreisen und Behörden Takt und Diplomatie dringend erforderlich machen.“
„Das ist mir alles bestens bekannt, Herr Polizeipräsident. Es war mir jedoch bisher unbekannt, dass es taktlos und undiplomatisch ist, wenn die Polizei Verbrecher verfolgt, um das Leben eines unschuldigen Kindes zu retten.“
„So dürfen Sie die Sache nicht sehen. Die Familie Brinkmann hat vorhin beschlossen, die Polizei aus dem Fall herauszuhalten und genau das zu tun, was die Kidnapper fordern. Den Brinkmanns geht es dabei nur um das Kind: ein Motiv, das man menschlich durchaus verstehen kann – auch wenn es einem Kriminalbeamten gegen den Strich geht.“
„Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Däumchen drehen?“
„So wie ich Sie kenne, mein lieber Kadok, haben Sie noch nie Däumchen gedreht. Und was die Vollmacht des Innenministers betrifft: Die Brinkmanns sind nur berechtigt, frei wegen der Rückkehr des Jungen zu verhandeln. Wir müssen den Eltern die Möglichkeit einräumen, ihr Kind zurückzubekommen, ohne dass sie sich wegen eines amtlichen Eingriffs Sorgen zu machen brauchen. Was dann geschieht, ist Sache der Polizei – Ihre Sache, Kadok!“
Das Amtszeichen ertönte, der Polizeipräsident hatte aufgelegt. Noch immer ungehalten, knallte der Kommissarden Hörer auf die Gabel.
„Immer diese Extrawürste!“, knurrte er. „Beziehungen müsste man haben… einen Minister im Bekanntenkreis oder so was. Aber so ein kleiner Kriminalbeamter zappelt immer und ewig an den Fäden der Bürokratie.“ Und mit einem Blick zu Faber und Spier fuhr er fort: “Überlegen Sie es sich gut, meine Herren, ob Sie nicht doch lieber Bäcker werden wollen. Sie sind noch jung genug, einen vernünftigen Beruf zu ergreifen.“
Faber grinste. „Mir gefällt’s hier ausgezeichnet, Chef.“
„Ja, besonders bei Ihnen“, fügte Spier im gleichen Tonfall hinzu.
„Na, wenn Sie so große Stücke auf mich halten, darf ich Sie nicht enttäuschen. Wie wär’s, wenn wir uns mal an die Arbeit machten?“
„Ich denke, wir dürfen nicht, Chef“, wandte Spier ein.
Kadok lächelte verschmitzt. „Eingreifen dürfen wir allerdings nicht, aber das Denken kann uns kein Minister verbieten und auch nicht die Bildung einer Sondergruppe zur Untersuchung des Falles.“
Die beiden Inspektoren grinsten.
„Übrigens, Chef, was ich noch sagen wollte“, fiel Faber ein, „der Brief, den die Entführer geschrieben haben… Ob es nicht doch möglich ist, ihn zu bekommen – oder wenigstens den Umschlag?“
„Sie denken an Fingerabdrücke?“
„Ja, wahrscheinlich hat der Schreiber Spuren hinterlassen, und die können wir mit Fingerabdrücken in unserer Verbrecherkartei vergleichen. Wenn wir Glück haben, kennen wir bald den oder die Täter.“
„Hm, aber erst müssten wir mal an den Brief rankommen. Frau Brinkmann hat ihn mir nicht geben wollen, obwohl ich sie darum gebeten hatte.“
„Ihr Mann scheint mir zugänglicher zu sein“, wandte Spier ein. „Und außerdem ist der Brief an ihn gerichtet.“
Der Kommissar nickte. „Versuchen wir’s mal.“
Er griff zum Hörer und ließ sich mit Brinkmann verbinden.
„Ich wollte Ihnen sagen, dass ich inzwischen Bescheid weiß“, erklärte er dem Vater des entführten Kindes. „Ich kenne die Vollmacht, die der Innenminister Ihnen erteilt hat. Selbstverständlich werden wir uns daran halten. Sie und Ihre Familie können wegen der Rückkehr Ihres Sohnes mit den Entführern frei verhandeln. Sobald das Kind wieder bei Ihnen ist, greifen wir ein. Damit wir uns inzwischen darauf vorbereiten können, möchte ich Sie um den Brief und Umschlag bitten, den die Entführer Ihnen geschrieben haben. Wir wollen sie im Labor nach Fingerabdrücken untersuchen lassen.“
Brinkmann antwortete nicht sofort. Stattdessen hörte der Kommissar mehrere andere Personen heftig durcheinander reden, und er glaubte darunter die Stimmen von Brinkmanns Frau und Vater zu erkennen. Deshalb erkundigte er sich:
„Hallo, Herr Brinkmann, sind Sie noch da? Haben Sie mich verstanden, oder können Sie jetzt nicht frei reden?“
Jetzt endlich meldete sich Brinkmann wieder: „Bedaure, Herr Kommissar, ich kann Ihrem Wunsch nicht entsprechen. Der Innenminister hat uns zugesichert, dass die Polizei sich nicht einschaltet.“
Noch ehe Kadok zu Wort kam, hatte der andere das Gespräch schon beendet.
„Abgeblitzt“, sagte der Kommissar zu seinen Mitarbeitern. „Es wäre besser gewesen zu warten, bis die übrigen Familienmitglieder das Haus verlassen hätten. Brinkmann allein hätte ich vielleicht rumgekriegt.“
„Immer dieser Alte!“, schimpfte Faber.
„Alte Leute sind oft halsstarrig“, schmunzelte der Kommissar. „Das sieht man an mir.“
Die beiden jungen Männer lächelten.
„Was nun, Chef?“, wollte Spier wissen.
„Da weitermachen, wo wir aufgehört haben, das heißt, den Fall in Gedanken weiterspielen.“