Читать книгу Leo, der gähnende Löwe, und seine Abenteuer - Helmut Höfling - Страница 8
Das rollende Fass
ОглавлениеDie frische Milch hatte dem kleinen Löwen so gut geschmeckt, dass er am nächsten Tag wieder zur Weide aufbrach, um die Kuh mit dem Hinkebein zu melken. Aber er kam überhaupt nicht bis dorthin. Unterwegs nämlich, als er am Fluss vorbeitrottete, hörte er Kinderstimmen und fröhliches Gelächter.
„Jetzt bin ich dran!“
„Los, steig schon ein!“
„Den Deckel drauf - und jetzt den Berg hinunter!“
So schallte es zu ihm herüber. Verwundert blieb der kleine Löwe stehen und fragte sich, was dort hinten wohl los sei. Sehen konnte er nichts, dafür standen die Büsche zu dicht.
Wo gelacht wird, da geht es bestimmt lustig zu, dachte er, und dafür bin ich immer zu haben.
Diesmal jedoch trabte er nicht so arglos auf die Stelle zu, von der die Stimmen kamen. Er dachte nämlich daran, wie sehr er am Vortag die schwarzen Melker erschreckt hatte, als er so unerwartet auf der Weide aufgetaucht war. Deshalb achtete er darauf, dass er, während er sich heranschlich, immer durch Buschwerk gedeckt war.
Endlich war Leo nahe genug herangekommen. Durch die Blätter eines Strauches hindurch spähte er auf einen Hügel. Eine Schar schwarzer Kinder tummelte sich dort im Sonnenschein. Die Kleinen spielten mit einem Fass, dass der Fluss ans Ufer geschwemmt hatte. Abwechselnd stieg immer ein Kind ins Fass hinein und kauerte sich darin so tief, bis auch der Kopf nicht mehr über den Rand hinausragte. Die anderen Spielgefährten drückten dann den Deckel oben drauf, kippten das Fass um und ließen es die Böschung hinunterrollen. Dann rannten sie schreiend hinterher. Sobald das Fass wieder still lag, schob das Kind von innen den Deckel hoch und kletterte hinaus. Danach rollten sie alle das Fass wieder die Böschung hinauf und stritten sich darum, wer als Nächster damit rollen durfte.
„Ich bin an der Reihe“, rief ein kleines Mädchen.
Doch ein kräftiger Junge schubste es zur Seite. „Du bist doch schon dran gewesen.“
„Ist ja nicht wahr!“
Als die anderen Kinder die Behauptung des Mädchens bestätigten, gab der kräftige Junge schließlich nach und forderte das Mädchen auf:
„Also gut, klettere schon rein!“.
Kaum hockte das schwarze Mädchen im Fass, da stülpten die anderen den Deckel darauf und schubsten es den Hügel hinunter.
So ganz ungefährlich war das Spiel mit dem rollenden Fass jedoch nicht. Aber die Kinder dachten nur an ihr Vergnügen und spielten unbekümmert weiter.
Mehrere Male hatte der kleine Löwe zugeschaut, wie die Kinder mit dem Fass die Böschung hinunterrollten. Am liebsten wäre er begeistert aufgesprungen und hätte mitgespielt. Doch er hielt sich weiter zurück und erfreute sich an dem lustigen Treiben.
Aber immer nur zuschauen müssen, ohne mitspielen zu dürfen, davon wurde Leo auf die Dauer doch müde. Erst fiel ihm das linke Auge zu, dann auch das rechte, und ohne es recht zu wissen, döste er ein. Erst als ihm schließlich der Kopf schwer auf die Pfoten sank, schreckte er hoch. Nein, einschlafen wollte er nicht. Um sich wieder richtig wach zu machen, schüttelte er den Kopf und gähnte dazu, als wolle er die ganze Welt verschlingen.
Das hätte er jedoch nicht tun dürfen! Als die schwarzen Kinder sein Gähnen hörten, erstarrten sie entsetzt. Mit einem Schlag verstummte ihr fröhliches Lachen.
Leo, der beim Gähnen die Augen geschlossen hatte, merkte nichts von alldem und gähnte zum zweiten Mal - diesmal sogar noch lauter und länger.
Die Kinder standen noch immer da wie gelähmt, bis endlich ein größerer Junge ängstlich schrie:
„Ein Löwe! Ein Löwe will uns fressen! Ein Löwe!“
Sogleich stimmten auch seine Spielkameraden in das Angstgeschrei ein und kreischten durcheinander:
„Ein Löwe!“
„Ein wilder Löwe!“
„Ein Löwe will uns fressen!“
„Lasst uns nach Hause laufen!“, rief der größere Junge den vor Angst zitternden Kindern zu.
„Ja, rasch!“, schrie ein anderer.
„Nach Hause!“
„Ein Löwe will uns fressen!“
„Nach Hause, rasch nach Hause!“
„Lauft doch schneller, sonst schnappt er uns noch alle!“
„Schneller, schneller!“, drängte der größere Junge.
Dabei war es überflüssig, die Kinder anzutreiben. So schnell wie diesmal hatten sie noch nie Reißaus genommen.