Читать книгу Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke - Страница 3

Im Lauf der Jahre

Оглавление

Jahre der Entscheidung




Autobiographie Teil 2



Denk ich an Afrika und die Welt bei Tage, dann erhebt sich doch die Lebensfrage, wo wir im Ruf der neuen Zeiten sind mit der Kultur und dem verlornen Kind.

In Afrika sollst du nicht leben, ohne der Armut etwas abzugeben, denn wer als Mensch will immer nehmen, der sollt sich der Armut andrer schämen.

An der Armut wird sich nichts ändern, solange Altersringe deine Augen rändern, denn das Leben ist für alle begrenzt, Taten sind’s, was dich auf die Waage stellt.





Die Brücke über den Cuvelai war wieder hergestellt. Alle Brücken wurden von Soldaten bewacht. Die Lage hatte sich weiter zugespitzt. Der Krieg mit dem Ziel der Unabhängigkeit Namibias auf der einen Seite und dem Halten des 'status quo' eines von Südafrika verwalteten und abhängigen Südwest-Afrikas auf der anderen Seite hatte viele Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert, und er fordert täglich mehr. Zum Hospital kamen auch Menschen mit blutunterlaufenen und aufgerissenen Wunden über dem Brustkorb, dem Rücken, an den Armen und Beinen, die ihnen durch Stockhiebe auf den Polizeistationen oder vor ihren Hütten, oder auf freiem Felde bei Verhören von Polizisten oder der Spezialtruppe Koevoet (Brecheisen) zugefügt wurden. Dabei schlugen Schwarze in den Felduniformen der Koevoet auf ihre Brüder und Schwestern ein, wenn der weisse Mannschaftsführer meinte, dass es sich um aktive Swapounterstützer handle, die er der schwarzen Mitverschwörung verdächtigt. In den meisten Fällen traf die brutale Stockbehandlung unschuldige und wehrlose Menschen, da der Verdacht eine unbegründete Vermutung blieb, die sich nicht bestätigte. Die Spirale der Gewalt nahm ohne Rücksicht auf die notleidenden und hilflosen Menschen zu. Sie wurden geschlagen, gefoltert, verschleppt und getötet. Ihre Krale wurden beim geringsten Verdacht der Kollaboration dem Erdboden gleichgemacht. So blieben viele Mütter mit weinenden Kindern und den hilflosen Alten zurück, denen es die Sprache verschlug, wenn sie auf offenem Felde vor dem Nichts standen und es nicht erklären konnten.

Die Unsicherheit der allgemeinen Lage und die militärische Zuspitzung im Grenzgebiet zu Angola, das vom mehr als zehnjährigen Bürgerkrieg der unterschiedlich verstandenen Unabhängigkeit weitgehend verwüstet war, hatte auch zur Veränderung in der Administration des Hospitals geführt. Dr. Witthuhn war seines Stuhles enthoben. Auf seinem Stuhl sass nun ein strammer, gross gewachsener Mittdreissiger in der Uniform eines Majors, der geschmeidig afrikaans und englisch sprach und seine Sätze in unvergleichbarer Weise wiederholte und mit jeder Wiederholung weiter dehnte, als zöge er den Kaugummi aus dem Munde, den er zwischen den Zähnen hielt, indem er die Haupt- und Tätigkeitsworte mit anderen Eigenschaftsnamen derselben Bedeutungsfamilie anreicherte und streckte. Er schaffte es, minutenlang über ein und dasselbe Ding zu reden, ohne dass man wusste, worüber er redete, weil der Redefaden mit zunehmender Länge immer undeutlicher wurde. Er besass die Kunst viel zu reden, ohne etwas zu sagen. Dazu kam seine Freude, in den beiden Sprachen herumzuspringen, indem er englisch fünfmal wiederholte, was er in afrikaans gesagt, oder zehnmal in afrikaans wiederholte, was er in englisch gesagt hatte. Durch die Anwendung der Sprachleier in zwei Sprachen war seinem Redefluss kein Einhalt zu bieten. Die Teilnehmer der Besprechung schauten auf die Uhr und grübelten über zwei Dinge nach: 1. Was mag der Superintendent gedacht haben; 2. Wann hört der Redeschwall endlich auf. Eine Frage wurde nicht beantwortet, sie wurde solange gekaut, bis von ihr nichts mehr übrigblieb, keiner mehr wusste, was eigentlich gefragt wurde. Der Superintendent, der soviel reden und nichts sagen konnte, führte denselben Doktorgrad wie die ihm unterstellten Ärzte in der Leutnantsuniform. Dieser Titel wurden den Examinanden verliehen, die erfolgreich ihr letztes Staatsexamen abgelegt hatten. Die besondere Anstrengung einer Dissertation wurde ihnen in Südafrika wie im ganzen British Empire erlassen. Sie nannten sich Doktor ohne die akademisch herausragende Qualifikation. Dr. Ferdinand bewohnte mittlerweile ein kleines Einzimmerflat mit Schlafraum, Küche, und Duschraum mit Toilette. Es wurde ihm von einem weissen Beamten der Bantu-Administration zugewiesen und übergeben. Insofern hatte es einen Fortschritt gegeben, Der Schlafraum war doch grösser als das enge, voll gestellte Schlafkabinett in des Freundes Haus.

Schwer zu ertragen war der palavernde Superintendent. Keiner konnte sich vorstellen, dass er ein Arzt sei, der schon mal einem Patienten gegenübersass. Das erste, was er in seiner Amtszeit tat, er versetzte den Schreibtisch mit Stuhl auf die gegenüberliegende Raumseite, also dort, wo zu Dr. Witthuhns Zeiten die Matronen und die Apothekerin während der Morgenbesprechungen sassen, die schwarze Matrone ihre Grimassen schnitt, wenn die weisse Hauptmatrone vom Uringestank des Vorplatzes sprach, der dem auf Sauberkeit Bedachten die Nase zuhalten liess, weil die Penetranz die Nasenschleimhaut ätzte und sich in der Kleidung festsetzte, als hätte man selbst hinein uriniert. Dr. Witthuhn wurde der Posten des 'Principal medical officer' zugewiesen und in die innere Medizin abgeschoben. Er liess es mit sich machen, weil er das Geld zum Leben brauchte und im Glauben war, dass die anachronistischen Verrücktheiten der weissen Apartheid nicht ewig dauern würden. So traten die Zeichen des Niedergangs des Rassensystems mit jedem Sonnenaufgang klarer über dem Horizont. Dr. Witthuhn hielt an diesem Glauben fest, wenn er in den Männer- und Frauensälen nach den Patienten sah und seine Anweisungen zur Behandlung gab oder die ambulanten Patienten im kleinen überhitzten Raum der Station 7 untersuchte, wo ihm ein laufender Ventilator vom Nebenstuhl die kühlere Luft ins Gesicht, oder wenn er zurückgelehnt am Tisch der diagnostischen Dürftigkeit irgendwelchen Gedanken nachging, während ihm der Patient noch gegenübersass, oder sich im Gang der Gemächlichkeit gedanklich verloren hatte, dass man ihn im Vorbeigehen wecken musste.

Dr. Witthuhn hatte viel Herz und viele Sorgen, als dass man ihn mit den fünf Sinnen sogleich verstehen oder messen konnte. Es war seine menschliche Grösse, dass ihn Dr. Ferdinand niemals verdriesslich antraf. Das Kleinkalibrige des Neides und der Hässlichkeiten passte nicht zu ihm, doch hatte er ein waches Gespür für das, was falsch und listig war. Da das Hospital nicht von solchen Gefechten der Arglist und Hinterhältigkeit verschont blieb, traute er so schnell keinem über den Weg der Anständigkeit. Das hatte er im Leben gelernt, dass es nur wenige Freunde gibt, die zu einem halten, wenn es einem nicht gut geht.

Der ärztliche Direktor sass weiterhin und ungestört im Range des Colonels auf dem bequemen Sessel mit der hohen Rückenlehne hinter dem leeren, hochpolierten Schreibtisch. Da hatte er Zeit genug, sich mit seinen Zähnen zu beschäftigen und mit den Zahnstochern zwischen den Zähnen herum zu stochern und das Gebiss auf dem neuesten Stand zu halten. Das tat er bedenkenlos unter dem Grossfoto des südafrikanischen Präsidenten, der hinter Glas und mit Goldrahmen versehen an der Wand aufgehängt war. Es war der Verdacht des Militärs, dass Swapokämpfer als Patienten kommen und im Hospital einsickern. Da misstrauten sie dem zivilen Superintendenten, von dem das Engagement für die notleidende Bevölkerung bekannt und auch ein Dorn im weissen Auge war. Das Militär hatte die Administration unter Druck gesetzt, und die Administration hatte erwartungsgemäss nachgegeben. Offiziere führten nun die höchsten Posten im Hospital. Der Bevölkerung, den Patienten, Schwestern und Pflegern sowie den zivilen Ärzten gefiel es nicht. Das Hospital bekam eine militär-strategische Bedeutung, die auf Kosten eines Hauses zur Behandlung kranker Menschen ging. Damit verschaffte sich das Militär einen ungehinderten Zugang zum Hospital, von dem die Koevoet Gebrauch machte, wenn sie vor allem nachts mit ihren 'Casspirs' das eingezäunte Gelände abfuhr, mit Scheinwerfern die Winkel ausleuchtete und nach Swapokämpfern absuchte.

Eine Verbesserung für das Hospital brachte dieser Wechsel nicht. Der 'Sekretaris' hatte sein Versprechen, das er vor einem Jahr Dr. Witthuhn anlässlich eines Gespräches über die notwendigsten Reparaturarbeiten gegeben hatte, nicht eingehalten. Nicht einer der weissen Verwaltungsmänner erschien in all den Monaten im Hospital, um die Zustände der totalen Vernachlässigung und ihre Folgen in Augenschein zu nehmen, die Dinge der höchsten Dringlichkeit in einem Protokoll aufzulisten und es dem 'Sekretaris' auf seinem polierten Schreibtisch vorzulegen, damit er die Reparaturarbeiten und Neuanschaffungen in Auftrag geben konnte. Nichts dergleichen war passiert. Die zentrale Sterilisationsanlage brach von Zeit zu Zeit zusammen. Der alte, schrottreife Operationstisch wurde nicht durch einen neuen ersetzt. Neue, zeitgemässe Instrumente wurden nicht angeschafft. Die Krankensäle, denen die Verrottung durch ramponierte Türen und Fenster anzusehen war, verblieben im Zustand des Unzumutbaren.

Die beschädigten Toilettenschüsseln wurden nicht ausgewechselt, und die dringend benötigten Betten der einfachsten Stahlbauweise wurden nicht angeschafft. Die zerrissenen, schmutzig verfleckten Schaumgummimatratzen wurden weiterhin aufgelegt, die schon lange den Verbrennungstod verdient hatten, weil aus ihnen der Geruch des eingetrockneten Urins eines Jahrzehnts nicht rauszukriegen war. Der 'Sekretaris' hielt seine Zusage nur in Sachen Wasserschlauch zum Abspritzen des Vorplatzes, weil Dr. Witthuhn ihn vor einem Jahr von der Unzumutbarkeit des platzbeherrschenden Uringestanks überzeugte, als er spontan vom Ekel befallen wurde und seine Gesichtszüge, ähnlich wie es die schwarze Matrone tat, in zuckenden Grimassen entgleisen liess. Was der neue Superintendent als Major und Doktor der Medizin tat, war die Anschaffung eines neuen Krankenwagens und zwei offener Ford-Kleinlader, von denen er sich einen für sich selbst vorbehielt. Es war unverkennbar, dass das Militär die Führung des Hospitals übernommen hat und sich von den Zivilbehörden dabei nicht reinreden liess, die ohnehin nicht daran dachten, sich in die Brisanz der Verstülpung einzumischen, da ihnen die zugesicherten Posten der abgenommenen Verantwortung und wenigen Arbeit bei hoher Bezahlung und den vielen Extras näher waren als die Probleme eines Hospitals, das der Bevölkerung vorgehalten wurde.

Die Weissen bedienten sich des Flugzeuges in Ondangwa, das sie nach Windhoek und Pretoria brachte, um dort die weissen Ärzte vom hohen medizinischen Standard einer ersten Welt in Anspruch zu nehmen, der sie mehr vertrauten als der dritten Welt Medizin am Oshakati Hospital, wo schon das Wegspritzen des Urins vom Vorplatz als grosses Ereignis gefeiert wurde. Hinzu kam, dass diese Weissen in regelmässigen Abständen in die Stadt- und Verwaltungsmetropolen der pyramidalen Machtzentren flogen, um vertrauliche Gespräche der Beförderung und weiterer Vergünstigungen zu führen, die in eigennütziger Vorausschau in einer Zeit der zunehmenden Unsicherheit der zukünftigen Absicherung dienen und den unverdienten, hohen Lebensstandard festschreiben sollten. Mit diesen Flügen der regelmässigen Notwendigkeit wurden die zukünftigen Geschäfte abgesprochen und mit Friseur, Zahnarzt und Einkäufen der dort erhältlichen Luxusartikel gleich verbunden.


Der Weg nach Afrika

Подняться наверх