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Das abgemagerte Mädchen mit den elf Steinen im Magen

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Dr. Ferdinand begann die Operation und setzte den Mittelschnitt vom Rippenbogenwinkel bis zum Nabel. Das Mädchen hatte kein Fett unter der Haut, so dass er die Faszienblätter zwischen den Muskeln mit dem Skalpell durchtrennte. Nach Eröffnung des Bauchfells führte er Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in die Bauchhohle und fühlte die Steine im Magen. Er machte einen kleinen Schnitt vor dem Magenausgang und holte mit der Klemme elf Steine heraus. Die Finger tasteten den Magen ab, dass kein Stein zurückgeblieben war. Dann wurde die Magenöffnung durch Naht geschlossen und die Bauchdecke in ihren Schichten vernäht. Das Mädchen erwachte aus der Narkose, als der Verband aufgelegt und mit Pflasterstreifen fixiert war. Es wurde vom Op-Tisch auf die Trage gehoben und in den Aufwachraum gefahren.

Dr. Ferdinand zog sich im Umkleideraum um und übergab die Plastiktüte mit den elf Steinen der besorgten Mutter, die vor der Tür des Op-Hauses auf den Arzt wartete. Sie bedankte sich und sah nachdenklich auf die Steine in der Tüte, weil sie es nicht fassen konnte, dass ihre Tochter die Steine und dann noch so viele geschliuckt hat. Arzt und Mutter stimmten überein, dass es der Hunger war, warum die Steine in den Magen kamen, weil es keine Zeichen für eine seelische Störung gab. Dr. Ferdinand begleitete die Mutter zur Kinderstation. Sie folgten schweigend dem operierten Mädchen auf der Trage, jeder mit den eigenen Gedanken, wie es zum Steineschlucken kommen konnte. In der Station hob er das Mädchen ins Bett und schrieb seine Notizen zur weiteren Behandlung ins Krankenblatt.

Dann ging er noch einmal zum 'Outpatient department' zurück, wo keine weiteren Patienten auf ihn warteten. Er trat den 'Heim'-weg an, nahm die Sandalen hinter der Ausgangstür wieder in die Hand und stapfte durch den Matsch des Vorplatzes und der Strasse. Ein kräftiger Regen setzte ein, als er den Kontrollpunkt am Dorfeingang noch nicht erreicht hatte. Er war klitschnass, als er ihn erreichte und auf der Strassenmitte die runtergelassene Sperrschranke leicht anhob, darunter durchging und die Schranke in die Kerbe zurücklegte, während die beiden Wachsoldaten sich unter das Blechdach des Kontrollhäuschens gestellt hatten, um dem Wasserguss, der im Nu bis auf die Haut ging, zu entgehen. Ein vorbeifahrender 'Casspir' spritzte ihm den Matsch trotz langsamen Fahrens ins Gesicht, dass der Sand an den Augen und Ohren rieb.

In der überdachten Veranda der Wohnstelle zog er die verdreckte Kleidung vom Körper und stand nackt vor dem Mückengitter, als der Abend die Nacktheit ins Dämmrige gesteckt hat. Er ging hinein und stellte sich unter die Brause, zog sich dann bloss die Unterhose an, schnitt in der Küche zwei Scheiben vom Graubrot, das dem Namen 'Brot' wegen seiner geschmacklosen Pappigkeit keine Ehre machte, bestrich die Scheiben mit Margarine und ass sie mit Appetit. Mehr gab der kleinformatige Eisschrank nicht her, und er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Dazu trank er den kalten Kaffee vom Morgen, der die Tasse noch dreiviertel füllte. Er hielt die Tagesmahlzeit im Wohnzimmer ab und schaute in den giessenden Regen über dem Platz mit den wenigen Bäumen, hörte lachende Männer- und kichernde Frauenstimmen aus dem nahen Gegenüber des beleuchteten Gästehauses, das sich seit einigen Monaten den Vornamen 'International' zugelegt hatte.

Dr. Ferdinand sass noch eine Weile in der Unterhose im Sessel mit dem Blick in den regnerischen Abend und machte sich seine Gedanken beim Rauchen der Zigarette dazu. Dann knipste er das Licht an, setzte sich an den kleinen Tisch, der eigentlich in den Garten oder auf die Veranda gehörte, schrieb einen Brief nach Deutschland, weil er an Menschen in Deutschland dachte, mit denen sein Herz verbunden war. Der Brief wurde an diesem Abend nicht beendet, da Dr. Ferdinand ihn zur Seite legte und auf einem neuen Blatt einen Brief in Gedichtsform an sich selber schrieb, in dem er die Einsamkeit in der Fremde schildert, von der anderen Sprache und den anderen Menschen berichtet und dabei Dinge erwähnt, die er zum Leben brauchte, aber in der gottverlassenen Gegend nicht finden kann. Er schrieb noch ein zweites Gedicht über die Liebe, ohne die das Leben leer ist, über seine Gedanken, die er mit den Zigaretten verraucht.

Es war spät, Musik gab es nicht, da er weder Radio noch Plattenspieler hatte. So legte er sich aufs Bett, ohne sich zuzudecken, und hörte den trommelnden Aufschlag des Regens auf das Blechdach an. Dr. Ferdinand verfiel in den Traum, wo es Steine vom Himmel regnete, die so hart aufs Dach schlugen, dass er unters Bett kroch, weil er sich nicht anders zu schützen wusste. Er hielt mit beiden Händen die Ohren zu, als mit einem ohrenbetäubenden Knall ein riesiger Gesteinsbrocken das Dach durchschlug und ihn zerquetschte. Er sah Kristofina auf der Brücke, wie sie sich umdrehte und ihn beim Namen rief, ihm Mut zusprach, ihr zu folgen, dass sie ihre Hand weit zurückstreckte, um seine Hand zu fassen und ihm beim Überqueren der Todesschlucht behilflich zu sein. Dabei sagte sie, als sie auf der Brücke auf ihn wartete, dass der Blitz ihr nichts mehr anhaben kann, und der Regen vorüber sei.

Kristofina konnte ihren Dank für das Lesen der Psalme, die ihr geholfen hatten, nicht fertig sprechen, da sie durch das Telefon getrennt wurden, das schon einige Male geläutet haben musste, als er den Hörer abnahm, und die Schwester ihn fragte, ob mit dem Telefon etwas nicht in Ordnung sei. In der Tat hatte der Regen aufgehört, als Dr. Ferdinand sich bei der Schwester für das verspätete Abnehmen des Hörers entschuldigte und ihr erklärte, dass er eingeschlafen war, ohne den schicksalsschweren Traum zwischen Leben und Tod und die Begegnung mit Kristofina auf der letzten Brücke zu erwähnen. Er versuchte ganz wach zu sein, als ihm die Schwester sagte, dass er zum Hospital kommen möge, um sich eine Patientin anzusehen, die von Oshikuku gebracht wurde und sich vor Bauchschmerzen krümmte. Er legte den Hörer nachdenklich zurück, sah ins Lampenlicht, das er brennen liess, sah auf dem Tisch den nicht beendeten Brief nach Deutschland, nahm die Blätter mit den zwei Gedichten in die Hand und las sie, spürte beim Lesen, dass er viel mehr hätte sagen wollen, als ihm klar wurde, dass der geträumte Steinregen mit den Steinen im Zusammenhang stand, die er dem abgemagerten Mädchen aus dem Magen geholt hatte. Der ohrenbetäubende Knall, als der riesige Gesteinsbrocken das Dach durchschlug und ihn im Traum unter dem Bett zerquetschte, der entsprach dem gewaltigen Donnerschlag der vergangenen Nacht mit den grollenden Nachschlägen, als Kristofina vom Blitz getroffen wurde.

Es war Mitternacht, als Dr. Ferdinand Hemd und kurze Hose gegen das Mückengitter der Veranda schlug, mit der Hand den Sand von ihnen rieb, die noch nicht trockenen Klamotten überzog und sich auf den Weg zum Hospital machte. Auch diesmal hielt er die Sandalen in der Hand, und der Weg durch die stocksteife Finsternis war nicht weniger beschwerlich als die Nacht zuvor. Wieder suchte er sich den Weg auf der Strassenmitte, wenni er sich einige Male in Nähe des Seitengrabens wähnte, stapfte durch tiefen Matsch und tiefe Pfützen. Die heftigen Regengüsse hatten die tiefen Strassenschichten aufgeweicht. Er passierte den Kontrollpunkt am Dorfausgang mit der schlechten Beleuchtung einer zu hoch angebrachten Birne der zu niedrigen Wattzahl. Die Wachsoldaten erinnerten sich, dass er die vergangene Nacht auch hier und barfuss in beiden Richtungen vorbeigegangen war und liessen ihn passieren. Als Dr. Ferdinand ihnen in seiner makaberen Erscheinung mit den Matschflecken an Hemd und Hose und den Sandalen in der Hand sagte, dass er Doktor sei und im Hospital benötigt wurde, wollten sie ihn auslachen, als sei es ein schlechter Mitternachtswitz. Sie taten es nicht und drückten ihre Verwunderung darüber aus, dass ein Arzt diesen Weg durch den tiefen Matsch in stockfinsterer Nacht barfuss und allein machte. Sie fragten ihn, warum er dann nicht mit einem Fahrzeug geholt würde. Da sagte Dr. Ferdinand zwei Drittel der Fahrzeugwahrheit, als er die beiden Fahrzeuge des Hospitals erwähnte, die in einem miserablen Zustand seien und für den Arzttransport nicht zur Verfügung ständen, selbst wenn er nachts gerufen würde. Das letzte Drittel dieser Wahrheit nannte er nicht, dass nämlich das dritte Fahrzeug, ein neuer Ford-Kombi, das dem Major-Superintendent von der Administration zur Verfügung gestellt wurde, sich dieser Superintendent für seinen persönlichen Gebrauch reserviert hatte, und nun dort stand, wo der Major, der für das Hospital nicht viel übrig hatte, einer ungestörten Nachtruhe entgegenschlief.

Die Wachhabenden wollten es nicht glauben und hatten so etwas wie Mitleid mit dem mitternächtlichen, vermatschten Barfussgänger. Sie machten ein bedauerliches Gesicht, dem der Zweifel aufsass, als wären sie mit dieser Art der Arztbehandlung nicht einverstanden. Sie hoben die Schranke und wünschten dem Barfussgänger eine gute Nacht. Der setzte seinen Weg zum Hospital fort und achtete darauf, die Strassenmitte einzuhalten. Wie die Nacht zuvor wusch sich Dr. Ferdinand den Matsch von seinen Beinen draussen vor der Eingangstür neben der Rezeption, zog sich die Sandalen über die nassen Füsse und ging ins 'Outpatient department' hinein, um sich die Patientin anzusehen, die von Oshikuku gebracht wurde, dem katholischen Missionshospital, das 1924 von dem nicht dreissigjährigen Bruder Hermann Bücking begründet wurde. Es war eine ältere Frau, die ihr genaues Alter nicht angeben konnte, was viele ältere Patienten bezüglich der Altersjahre nicht konnten. Die Schwestern schätzten das Alter der Patientin auf etwa fünfzig Jahre. Ihr Bauch war aufgetrieben und beim Abtasten sehr schmerzhaft. Die Darmgeräusche, die mit dem Stethoskop abgefangen wurden, gurgelten und plätscherten um den Nabel herum, zu den Seiten war es still. Es wurde Blut aus der Armvene entnommen, um die Konzentration des roten Blutfarbstoffs, die Zahl der weissen Blutkörperchen und die Elektrolyte zu bestimmen. Ein Röntgenbild des Bauches konnte nicht gemacht werden, da es der Apparat aus unerfindlichen Gründen nicht tat. Dr. Ferdinand musste sich auf die körperliche Untersuchung verlassen und stellte die Diagnose eines Darmverschlusses im unteren Dünndarmbereich durch eine Darmverschlingung oder Darmeinstülpung (Invagination oder Intususzeption).

Die Operation war unumgänglich. Die Schwester übersetzte es in die Sprache der Ovambos, und die Patientin war mit der Operation einverstanden. Der Laborant kam mit den Ergebnissen der Bluttests: die Konzentration des roten Blutfarbstoffs war an der unteren Normgrenze, die Zahl der weissen Blutkörperchen war über der oberen Normgrenze, und bei den Elektrolyten war das Kalium deutlich erhöht. Dr. Ferdinand bat Dr. Nestor, den schwarzen Kollegen, der den Wochenenddienst für die innere Medizin versah, die Narkose zu geben. Dann brachte er mit einer Schwester die Patientin auf der Trage zum Op-Haus, zog sich um und machte sich einen heissen Tee zur nächtlichen Erfrischung. Die Patientin lag auf den Op-Tisch, als Dr. Nestor eintraf, sich umzog, Dr. Ferdinand ihm das Problem schilderte, zum Op-Raum ging, die Spritzen zur Einleitung aufzog, Sauerstoff und Lachgas auf die nötigen Pegel an der Narkosemaschine einstellte, die Grösse der Maske mit dem Gesicht der Patientin abstimmte, den Tubus zurechtlegte und mit der Narkose begann, als sich Dr. Ferdinand die Hände wusch, die Schwester das grosse 'Set' auspackte und die chirurgischen Instrumente auf ihrem Tisch in die gewohnte Ordnung brachte.

Dr. Ferdinand führte den langen Mittelschnitt mit Linksumschneidung des Nabels aus, durchtrennte die Faszienblätter der darunterliegenden Muskelschichten, eröffnete die Bauchhöhle und fand stark erweiterte Dünndarmschlingen vor, die umrahmt waren von einem schwarz verfärbten, toten Dickdarm, dem die Durchblutung abhanden gekommen war. Er entfernte den gesamten, übelriechenden Dickdarm und schloss die letzte Dünndarmschlinge an den Mastdarm an, deren Enden zweischichtig mit Nähten verbunden wurden. Es war eine grosse Operation. Die Schwester leistete hervorragende Arbeit, da sie nicht nur instrumentierte, sondern dem Operateur auch assistierte, was sie einfühlsam und äusserst geschickt tat. Der Eingriff wurde nach etwa zweieinhalb Stunden beendet, als die Patientin aus der Narkose erwachte und in den Aufwachraum gefahren wurde, wo ihr die Sauerstoffmaske aufgesetzt, der Blutdruck und Puls und die Urinausscheidung gemessen wurden. Es war drei Uhr morgens.

Die beiden Doktoren nahmen einen Tee im kleinen Teeraum und sprachen über die kritische Situation, in der sich das Hospital befand. Sie sprachen über die törichten Allüren des Superintendenten, der die Dinge drehte und verdrehte und sich eines Dr. Hutman bediente, der als "Leutnant des Teufels" den Kollegen nachspionierte und sie anschwärzte. Sie waren bekümmert über den Druck, den das Militär nun auch im Hospital ausübe und die Posten des ärztlichen Direktors und des Superintendenten besetze, was die Arbeit am Patienten behindere. "Was für eine Verrücktheit, Patienten die ärztliche Behandlung vorzuenthalten, weil sie vielleicht etwas mit der Swapo zu tun haben könnten", klagte Dr. Nestor, "das ist schizophren und unethisch. Es ist doch bekannt, dass es die Bevölkerung ist, die die Besatzungsmacht ablehnt, so wie sie das diskriminierende Rassensystem der Weissen vollauf ablehnt. Wer sonst soll denn den lang ersehnten Wandel bringen, wenn es nicht die Swapo ist, die sich auf die UN-Resolution 435 beruft. Seit Jahren lehnen die Weissen die Umsetzung dieser Resolution ab. Sie lassen überhaupt nicht mit sich reden und führen sich als die Herrenmenschen auf, denen alles erlaubt ist, die sich das Recht herausnehmen, die Schwarzen als Arbeitssklaven auszubeuten und sie rechtlos zu halten. Dagegen lehnen sich die Schwarzen auf. Deshalb unterstützt die Bevölkerung den Kampf der Swapo für Freiheit und Unabhängigkeit, gegen die Bevormundung durch Pretoria."

Dr. Ferdinand pflichtete ihm bei und sprach vom Buren-Faschismus, der südafrikanischen Variante des Faschismus. "Das kann nicht von langer Dauer sein, was sich die Weissen hier anmassen. Die letzte Phase ist erreicht, das sagen die Waffen, die immer dann kommen, wenn die Gegner sich nichts mehr zu sagen haben. Die Waffen sind das letzte Mittel, wo der Stärkere den Schwächeren erschlägt, mundtot macht. Waffen haben noch nie eine Lösung auf lange Dauer gebracht. Sie sind gemein und schimpflich und taugen für den Frieden nicht. Waffen töten den Menschen und mit ihm die menschliche Vernunft." Dr. Nestor stimmte dem zu, fragte jedoch, was die Swapo anders tun könne, als nun auch mit Waffen zu kämpfen, wenn die weissen Machthaber in Pretoria nicht mit sich reden liessen, wissend, dass sie seit Generationen Unrecht begehen und die Grundrechte des Menschen missachten. "Die Schwarzen haben lange genug gelitten. Sie nehmen es nicht mehr hin, dass sie sich nicht wehren dürfen, wenn ihnen mit dem weissen Stiefel ins Gesicht oder in den Bauch getreten wird."

Dr. Nestor erzählte, wie er als Kind in Windhoek einer älteren, weissen Frau in einem Geschäft beim Tragen half, ihr die mit Nahrungsmitteln gefüllte Obstkiste abnahm, sie hinter ihr hertrug und am Ausgang versehentlich mit der Kiste eine weisse Frau berührte, die beim Eintreten nicht warten wollte, dass der Schwarze mit der vollen Kiste in der Hand in der Tür zurücktrat, um der weissen Frau den Vortritt zu lassen. Die weisse Frau versetzte ihm eine Ohrfeige so kräftig, dass er mitsamt der Kiste auf die Strasse fiel, und die Frau, die nun im Eingang stand, den am Boden liegenden Jungen, der einer anderen weissen Frau nur helfen wollte, laut beschimpfte, dass er sich unterstehen solle, eine weisse Frau zu berühren. Die ältere, ebenfalls weisse Frau, der er tragen half, kam von ihrem Auto zurück, dessen Tür sie schon geöffnet hatte, und half ihm auf die Beine, wobei sie sah, dass der schwarze Junge an der Schläfe verletzt war. Die ältere Frau und er sammelten die verstreuten Dinge des Gekauften von der Strasse in die Obstkiste zurück, und er brachte die Kiste zum Auto, wo er sie auf dem Rücksitz abstellte. Die ältere Frau tupfte ihm mit einem frischen Tuch das Blut von der linken Schläfe und gab ihm ein Geldstück für seine Hilfe und als Schmerzensgeld. "Da habe ich am eigenen Leibe erfahren, wie eine weisse Frau mit einem schwarzen Kind umgeht, ohne dass ich mir einer Schuld bewusst war. Von da an hatte ich Angst vor weissen Menschen, weil sie ihre Hautfarbe höher ansetzen als die Not eines schwarzen Kindes."

Es war eine traurige Geschichte für Dr. Ferdinand nach dem, was er hier im Umgang der Menschen gesehen hatte, wo das Schlagen dazu gehörte, wenn die Hautfarbe schwarz war. Dr. Nestor stotterte, wenn er in Aufregung geriet und zu einem Weissen sprach. Dieses Stottern konnte durchaus mit diesem Kindheitserlebnis zusammenhängen. Dr. Ferdinand fragte ihn, warum Kinder anfingen zu schreien und nach der Hand der Mutter griffen, wenn sie ihn kommen sahen. Das machte ihn jedesmal traurig. Dr. Nestor erklärte es ihm, dass das mit dem zu tun hatte, was die Weissen den schwarzen Familien angetan haben. Die Kinder hatten es gesehen, wie ihre Väter und Mütter beschimpft, entehrt, geschlagen und abtransportiert wurden. Von da an hatten schwarze Kinder Angst vor weissen Männern, weil Kinder von solchen Männern nichts Gutes erwarteten. "Kinder müssen es erst sehen, wer da anders als der andere ist. Dann lernen sie das Unterscheiden. Doch bislang hatten sie wenig Grund dazu anzunehmen, dass weisse Menschen ein Herz für schwarze Kinder haben."

Sie warfen die durchschwitzte Op-Kleidung in den Wäschesack, zogen das Zivile an und wünschten sich gegen vier Uhr morgens eine gute Nacht. Dr. Ferdinand ging zum 'Outpatient department' zurück und vergewisserte sich dort an den eingenickten Schwestern, deren Köpfe auf übereinandergelegten Unterarmen über dem Thekentisch ruhten, dass es still war. So trat er den Rückweg an, nahm vor dem Ausgang die Sandalen von den Füssen in die Hand und stapfte wie ein Storch durch Pfützen und Matsch und hielt sich in Strassenmitte, wobei er in die grossen Pfützen trat, in die er auf dem Herweg schon getreten war. Er passierte den Kontrollpunkt am Dorfeingang, wo einer der Wachhabenden schläfrig den Kopf hob und ihm das Zeichen zum Weitergehen gab, während der andere auf einem Stuhl sass, dem der schnarchende Kopf über der Brust hing.

Dr. Ferdinand schloss die Tür der Wohnstelle auf, streifte die nassen, matschverspritzten Klamotten auf der Veranda ab und stieg unter die Brause, die er weit aufdrehte, um sich beim Säubern auch zu erfrischen, denn an einen Schlaf war um diese Zeit nicht mehr zu denken. Er zog sich die Unterhose an, machte sich einen Kaffee und ass zwei Scheiben Brot von der geschmacklosen Pappigkeit, die er mit Margarine bestrich. Er setzte sich an den Tisch, der in den Garten oder auf die Veranda gehörte, und schrieb den Brief nach Deutschland zu Ende. Dem Brief fügte er seine Erlebnisse des noch nicht überstandenen Wochenendes bei, indem er Kristofina erwähnte, die vom Blitz geschlagen wurde, der ihr rechtes Schienbein verkohlte und ihr nach fünf Stunden das Leben genommen hatte. Er schrieb vom abgemagerten Mädchen, dem er elf Steine aus dem Magen holte, und von der Frau aus Oshikuku mit dem schwarz verfärbten, toten Dickdarm. Er berichtete vom Gespräch mit Dr. Nestor und seinem Kindheitserlebnis, als ihm eine weisse Frau ins Gesicht schlug, weil er beim Tragenhelfen für eine ältere weisse Frau mit der vollen Kiste in der Tür eine weisse Frau berührte und nicht respektvoll zurückgetreten war, wie sich das für Schwarze gehört. Er beschrieb seine Gänge durch die stockfinstere Nacht, durch Pfützen und Matsch zum Hospital und zurück, wie er die Strassenmitte suchte und sich einige Male in Nähe der wassergefüllten Seitengräben wähnte, wie er den Kontrollpunkt am Eingang, beziehungsweise Ausgang des Dorfes passierte und beim wiederholten Passieren den Wachhabenden mit den Sandalen in der Hand erklärte, dass er Arzt sei, der dringend zum Hospital musste, um einen Notfall zu behandeln, die das andersherum nicht glauben wollten, dass ein Arzt das bei strömendem Regen in stockfinsterer Nacht zu Fuss tun musste und dazu noch barfuss machte. Ob die das in Deutschland verstehen können, das fragte sich am Ende des Briefes Dr. Ferdinand selbst, als er ihn "mit allen guten Wünschen und lieben Grüssen" abschloss.

Es war sechs Uhr geworden, und er las sich die beiden Gedichte, die er am vorangegangenen Abend verfasst hatte, noch einmal durch und fügte dem zweiten eine zweite Seite hinzu, in der er die Dinge genauer beschrieb, die einen Menschen einsam werden lassen, und warum die Liebe so bedeutsam ist. Da schob er sein Leben dazwischen. Was sonst sollte er dazwischen schieben, vielleicht die verrauchten Zigaretten, wie schädlich das Rauchen und andere Dinge sind, dass es Montagmorgen war, wo der Sonnenaufgang, wenn es ein Aufgang werden soll, noch aussteht? Von der Arbeit, die es hier ‘en gros’ gab, wollte er das Gedicht nichts wissen lassen, auch nichts von den miserablen Zuständen, unter denen er hier als Arzt zu arbeiten hat. Da schämte sich Dr. Ferdinand doch zu stark, als diese ‘Scheisse’ auch noch aufs Papier zu bringen. Damit sollte das Gedicht nicht beschmutzt werden.

Er zog sich an und sah, dass die Sonne durchbrach und die davonziehenden Wolken in ein rotviolettes Lichtmeer tauchte. Er hatte sich früh genug auf den Weg zum Hospital gemacht, so dass er sich Zeit liess und sich die Stellen auf der Strasse suchte, die er betreten konnte, ohne dass die Füsse, wie in den vergangenen Nächten, im Matsch versanken. Dabei hatte er die Strasse viele Male zu überqueren, um die stehenden Pfützen zu umlaufen, dass er sich in einer Schlangenlinie dem Hospital zubewegte, einige Male schlitterte und sich vor dem Wegrutschen an einem Pfahl noch halten konnte. Er passierte mit dem Deutschlandbrief den Kontrollpunkt am Ortausgang gegen halbsieben, wo der Wachhabende, der um vier Uhr auch hier stand, sich gegen die weisse Wand des Kontrollhäuschens lehnte, den Karabiner in der linken Hand hielt und freundlich grüsste. Dr. Ferdinand brauchte sich nicht ausweisen und erreichte das Hospital früh, als wenige Menschen auf dem Vorplatz in Decken gehüllt standen und andere vor der Rezeption warteten. Er wusch den Sand von den Füssen, zog sich die Sandalen an, ging in die Kantine, um ein Frühstück mit einem gekochten Ei zu nehmen und eine Tasse Kaffee zu trinken.

Dann ging er in die Säle, um die Patienten zu sehen, die er übers Wochenende operiert, reponiert und mit Gipsen versorgt hatte. Das abgemagerte Mädchen von fünf Jahren lächelte ihn an, dem er die elf Steine aus dem Magen geholt hatte. Es klagte nicht über Schmerzen, die ihr durch die Operation zugefügt wurden. Der Bauch war weich und die Temperatur im Normbereich. Die Tropfinfusion lief ordentlich. Die Frau, der er den schwarz verfärbten, übelriechenden Dickdarm entfernt und die letzte Dünndarmschlinge an den Mastdarm angeschlossen hatte, war dagegen in einem kritischen Zustand. Ihr Bauch war weich, doch die Temperatur war deutlich erhöht. Die Infusion lief, der die Antibiotika sechsstündlich hinzugegeben wurden. Die Patienten, denen er die Frakturen gerichtet und mit Gipsverbänden ruhiggestellt hatte, zeigten keine Besonderheiten. Sie lagen zufrieden in den Betten und warteten auf den Tag ihrer Entlassung.

Dr. Ferdinand trug seine Beobachtungen in die Krankenblätter ein. Dann ging er zur Intensivstation, um den Totenschein für Kristofina auszufüllen. Beim Ausfüllen des Totenscheins erinnerte er sich an die Psalme, die er ihr gelesen hatte, um ihr Mut zu machen, wobei er den letzten Psalm ihr hinterherschickte, weil sie bereits über die letzte Brücke gegangen war und das Leben hinter sich gelassen hatte.

Dr. Ferdinand betrat den Raum der Morgenbesprechung. Der Superintendent sass in gebügelter Majorsuniform hinter dem Schreibtisch und kritzelte auf einem Papier irgendwas herum. Dr. Ferdinand nahm seinen Platz an der fensterlosen Seite ein. Er musste den Kopf nach rechts drehen, wenn er das verbissene Gesicht des Superintendenten sehen wollte. Vor der militärischen "Machtübernahme" sass der zivile und gedanklich oft zerstreute Superintendent auf der linken Seite. Die Tür ging häufiger auf und zu, je näher es auf halb acht zuging. Die jungen Kollegen in den Leutnantsuniformen kamen pünktlich, setzten sich an der Fensterseite unter die ratternde Klimaanlage. Ihre Baretts steckten zusammengefaltet unter den rechten Schulterklappen mit den roten Längsstreifen und dem kleinen Goldstern. Sie betrachteten den Superintendenten in der Majorsuniform mit dem grossen Goldstern auf der Schulterklappe wie harmlose Jungens mit Respekt, wenn sein Blick über die eingenommenen und leeren Stühle streifte. Besonders artig blickte der "Leutnant des Teufels" ihm ins Gesicht. Der liess sein Auge nicht vom Major ab, als könne er ohne ihn nicht leben. Beide kannten sich im Teufelsspiel aus, der mit dem grossen Stern besser als der mit dem kleinen. Die pretorianische Schule hatte viele willige Schüler.

Die schwarzen Kollegen kamen spat und setzten sich neben Dr. Ferdinand an die fensterlosen Seite. Die beiden Matronen, die eine weiss und die andere schwarz und die Apothekerin sassen dem Majorsuperintendenten gegenüber, also dort, wo vor dem "Machtwechsel" Dr. Witthuhn hinter dem Schreibtisch sass. Sie schauten dem neuen Superintendenten geradeaus ins Gesicht, verfolgten das bedeutungsvolle Mienenspiel, sahen ihm auf und zwischen die breiten Schulterklappen mit dem grossen Stern auf jeder Klappe und verglichen es womöglich mit den zivilen Schultern des Vorgängers, wo gestreift Erhabenes mit aufgesetzten Goldsternen nicht, dagegen Flecke und Einrisse am Nahtansatz der Ärmel zu sehen waren.

Doch die Gleichgültigkeit beim Betrachten der aufgesetzten Majorsmimik war damals, zu den Zeiten des letzten Zivilen, noch mit einer grösseren Aufmerksamkeit und Anteilnahme verbunden, weil damals das Hospital noch nicht so verrottet war, die Massstäbe der ärztlichen Ethik noch nicht über Bord geworfen wurden, die weisse Matrone den Teamgeist beschwor, und alle an eine Besserung der Arbeitsverhältnisse noch glaubten, und einige hart dafür arbeiteten. Dass es ganz anders kam, das hatte mit der Politik zu tun, die von der Pyramidenspitze der weissen Macht verordnet wurde, wo es für die Schwarzen immer schlechter bestellt war, bis hin zu den schwarzen Patienten, denen eine ordentliche ärztliche Versorgung nicht zugemutet, ja hinter dem Rücken der Scheinheiligkeit der aufgehobenen Rassentrennung förmlich abgesprochen wurde. Politisch gesehen sollte das Hospital untergehen, sollte badengehen, wo es nichts zu baden gab, sollte wie eine Krebsgeschwulst von innen heraus verfaulen und zerfallen.

Von aussen gab es keine Rettung, auch wenn zum Schein ständig Versprechungen gemacht und mit tödlicher Sicherheit nicht eingehalten wurden. Den Schwarzen sollte ein für allemal klargemacht werden, dass sie aus eigener Kraft nichts auf die Beine bringen, nichts halten und erhalten können. Nach den weissen Denkkategorien waren die Schwarzen nicht reif, ihre Dinge in die eigenen, schwarzen Hände zu nehmen. In der weissen Denkweise spielte es keine Rolle, dass die Schwarzen es auch nicht konnten, weil ihnen alles verboten blieb, was mit Recht und Chancengleichheit zu tun hatte. An diesem Wahnsinn, an dem das System der weissen Blindheit und Enthirnungsstarre krankte, wurde festgehalten ohne jede Rücksicht auf die Belange und Nöte der Menschen mit der schwarzen Haut. Es war ein militär-strategischer Teufelskreis, bei dem die Administration ihrer Verantwortung für das Hospital quasi enthoben war, obwohl die Arschlöcher in der Verwaltung noch nie die Verantwortung ernsthaft ins Auge gefasst und wahrgenommen hatten.

Im Gegenteil, durch die militärische Besetzung des Hospitals fühlten sich die Schreibtischtäter mit Erleichterung enthoben, weil sie nun ungestörter ihren Privatgeschäften nachgehen konnten, wo Gelder für Schulen und Fahrzeugersatzteile kassiert wurden, die nie gebaut wurden, beziehungsweise als Fahrzeug längst verschrottet war. Um den Krebszerfall, die Verrottung des Hospitals von innen heraus zu beschleunigen, wurden Menschen ‘eingebaut’, die in ihrer verheerenden Wirkung vorausberechnet und auf dem weissen Prüfstand getestet wurden. Da war der skrupellose Leutnant, "der Leutnant des Teufels", der in der Vertarnung eines Arztes ins Hospital gepflanzt wurde, um den Kollegen nachzuspionieren, sie mit falschen Behauptungen anzuschwärzen, damit denen, die noch das Gute im Sinn hatten, endlich das Handwerk zu legen.

Denn das ärztliche Verhalten, das sich am Kodex der ärztlichen Ethik ausrichtet, war aus militärischer Sicht untragbar. Das liess der Rassenwahnsinn nicht zu. So gab es die gemeinen Gespräche, wie die beim ärztlichen Direktor, zusammen mit Dr. Hutman und dem zivilen Superintendenten, wo die politisch anrüchige und verdreckte Niedertracht in das scheinheilige Gewand der verblödeten Bürokratie eingehängt und mit dem treuherzig-verschlagenen Augenaufschlag des Draufhauens bis zur galligen Widerwärtigkeit vermakelt wurde. Sie hatten es im Sinn, hinter der Tarnung des vorgetäuschten Disziplinarverfahrens die standhaften Kollegen zu verlisten, die sich nicht verpissten, weil ihnen die Not der Menschen am Herzen lag, der sie sich nicht so leicht entziehen wollten.

Wären die Weissen nur ein wenig gescheiter, sie würden das böse Spiel nicht spielen, denn die Zeichen des Umbruchs standen hoch am Horizont, und sie wussten, dass sie genug Dreck am Stecken hatten. Dennoch setzten sie weiter aufs Böse und seine gemeinen Listen, bauten das Verdorbene in jedes Gespräch ein. Das war das Hochkalkül ihres dümmlichen Denkens. Es war ihre Absicht, weil sie ausser weiss nichts anderes sehen wollten und nicht sahen. Sie waren verflucht, weil sie es taten, was "der Leutnant des Teufels" auch tat, als miese, verlängerte Ohren derjenigen hinterhältig zu fungieren, die in den höheren Etagen böse grübelnd sassen und das ihnen zugeteilte Mehrsagen hart missbrauchten. Sie alle waren skrupellos im Verdrehen der Dinge, weil sie es nicht anders konnten. Sie waren die Verräter und Charakterschweine, die sich dem System aus Gründen der leichten Bereicherung längst und blind verschrieben hatten. Sie alle waren die aufgeblasenen Bälle des Teufels, die keine Bedenken hatten, die die Menschen verachteten und, wenn es sein musste, was niemals sein durfte, totschlugen.

Diese Typen sassen stiernackig und bequem auf den erhöhten Stühlen und in den Sesseln der hochgeschraubten Ansprüche des Persönlichen, ohne dafür wirklich und hart arbeiten zu müssen. Sie sassen, je höher es ging, hinter leeren, hochpolierten Schreibtischen und hielten den vergoldeten Füllfederhalter zur Unterschrift eines weiteren Vernichtungspapiers schon in der Hand. Sie waren sich ihrer Sache umso sicherer, je weniger sie dachten, und das Weniger im Denken fiel ihnen leicht. Dann war hinter ihnen der hochgehängte, goldrahmig eingefasste Präsident im Grossformat mit dem pretorianischen Blick, der keinen Zweifel an der Kompromisslosigkeit zuliess. Da brauchte man sich im Sessel nur zu drehen. Ein Blick in das Gesicht des Höchsten genügte, und die Zweifel waren behoben. So waren sie alle Bälle des Teufels, und sie spielten sich die Bälle gegenseitig zu. Mit dem Teufel waren sie gut gefahren: sie bekamen ein hohes Gehalt für wenig Arbeit, sie bekamen Haus-, Auto- und Pensionszulagen, und jedes Jahr erhöhte sich das Gehalt mit den höheren Lagen. Sie hatten ein gutes Leben und genossen es reichlich.

Weisse Kinder besuchten die besten Schulen, dann die Universitäten, die Türen des Lebens standen ihnen weit offen wie sonst nirgends in der Welt. Die besten Krankenhäuser warteten auf weisse Patienten. Mehr gab die erste Welt in Europa und Amerika auch nicht her. Das nahmen die Weissen für sich in Anspruch und verwehrten die Vorzüge denen, deren Hautfarbe sandfarben oder schwarz war. Ihnen nahmen die Weissen die Menschenrechte ab, die herab bis zur Behandlung der Patienten ging. Die Weissen raubten den Schwarzen die menschliche Würde bis zur letzten Faser und Feder. Nun war es zu spät, als die Rassenverrannten begriffen, dass die dunkle Hautfarbe nicht dümmer ist als die weisse. Sie wussten es, dennoch verstiessen sie gegen das bessere Wissen über Jahrhunderte hinweg. Sie alle haben sich schuldig gemacht am Unrecht, das nur sie begünstigte, ohne dass sie am Aufbau einer menschlichen und menschenwürdigen Gesellschaft auch nur einen Finger gekrümmt hatten. Sie exponierten das Weiss und hoben es so hoch in den Himmel, dass sie weiss beteten.und weiss starben. Sie achteten nicht auf die andern und ‘vergassen’, dass es denen dreckig ging, weil sie sie schlugen und an Ketten legten, deren Schmerzenskrümmung sie bei der Stromfolter als zur Sache gehörig betrachteten, ihnen das Leben zur Hölle machten und noch beim Anblick schwarzer Waisenkinder in ihrer armseligsten Hilflosigkeit keine Miene verzogen. Sie wussten es, wem eigentlich das Disziplinarverfahren wegen der charakterlosen Schweinereien über Generationen hinweg zu gelten hatte, wenn es um Menschen und die Wahrheit ging. Da können sie sich trotz Scheinheiligkeit und Dummstellerei nicht mehr rausreden. Sie sind die Menschenverächter, egal in welchen Uniformen sie stecken. Sie können sich verstecken, verstellen und tarnen, aber wegdrücken können sie sich nicht, da sie die Werkzeuge des Teufels waren.

Dr. Witthuhn kam als Letzter. Er setzte sich an die fensterlose Seite zu den zivilen Kollegen der unterschiedlichen Hautfarbe, als der Superintendent in gebügelter Majorsuniform, und ausgeschlafen mit wichtiger Miene über die Swapokämpfer elaboriert, die als Patienten getarnt im Hospital unterschlüpfen, die Patienten und das Pflegepersonal indoktrinieren und eine Gefahr für die Sicherheit darstellen. Er hätte Beweise dafür, dass die Zahl dieser Insurgenten in den letzten Monaten deutlich zugenommen habe, dass es keinen Krankensaal gäbe, wo sie nicht wären und Unruhe stifteten, wo sie um Anhänger für den Kampf gegen das System werben. "Das kann ich als Superintendent nicht tolerieren, dass das Hospital zum Umschlagsplatz für eine Ideologie wird, die die Zerstörung zum Ziel hat. Wie kann die Ordnung gewährleistet sein, die für die Arbeit am Patienten unabdingbar ist, wenn hier eine Ideologie Fuss fasst, die die Menschen aufwiegelt und durch ihre zersetzende Tätigkeit nur Unfrieden und Chaos schafftt." Er rieb sich die Nase, holte sein gebügltes Taschentuch aus der Tasche, entfaltete es mit Überlegung und schnäuzte kräftig hinein.


Der Weg nach Afrika

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