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1 Lernen, dass alles zusammenhängt Wie Lebewesen fruchtbaren Boden erzeugen: Erinnerung an einen Versuch, im Unterricht eine Ahnung davon hervorzurufen, dass alles Leben miteinander verbunden ist

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Ende April 2019, die Sonne brennt vom Himmel, aber unter dem Halbschatten der Blattschirme ist das Flanieren im Buchenwald eine Freude, auch wenn es überraschend steile Hänge hinaufzusteigen gilt im Drawehn, einer Moränenlandschaft, die der Gletscher des Saale-Glazials vor 120000 Jahren beim Abschmelzen in der norddeutschen Tiefebene zurückgelassen hat. Das Licht glänzt von den hellgrünen Blättern, die entlang der Zweige aus den Knospen herausdrängen. Gegen die Sonne gehalten, erscheinen sie lichtdurchtränkt und verlockend zart. Ich pflücke eines ab und ertaste seine seidige Beschaffenheit zwischen den Zähnen mit der Zunge, der Geschmack, anfangs grasartig, changiert beim Kauen angenehm zu einer leichten Säure.

Wie oft bin ich während der Jahrzehnte meines Lebens durch Buchenhallen gegangen, vor fünfzig Jahren als Lehrer habe ich über den Waldboden hin Ausschau nach Stellen für Bodenproben gehalten. Leichte Senken und Wannen, in denen sich die Blattstreu des Herbstes sammelt und Jahr für Jahr übereinander in Schichten ablagert, versprechen Schichtenmuster wie aus dem Bilderbuch. Gräbt man sie mit einem senkrechten Spatenstich auf, so sind die einzelnen Schichten sauber und separat zu erkennen: Obenauf liegt die lockere Blattschicht vom Vorjahr, mit beigefarben und bräunlich verwelkten, aber deutlich noch individuell erkennbaren Blättern, darunter eine matratzenartige Schicht aus weniger bröckeligen, zusammengepressten Blattresten, die sich kaum noch als einzelne aus dem Kuchen herauslösen lassen. Unter diesen helleren Oberschichten breitet sich eine dunklere Masse von annähernd torfartiger Beschaffenheit, ein wenig krümelig und so feucht, dass beim Zerreiben zwischen Daumen und Zeigefinger eine Schmierspur an den Fingern bleibt. Die am tiefsten unter den anderen liegende Schicht bildet meist einen ziemlich dünnen Horizont aus schwarzem Humus, in dem keine Spuren der alten Blattstreu mehr auszumachen sind. Und am schönsten – ich empfand das Schichtbild damals als eine Art didaktisches Kunstwerk – ist der Kontrast dieser schwarzen Erde zum strahlend weissen Sanduntergrund, auf dem sich die Bodenbildung schrittweise abspielt.

Hier im Drawehn mit seinen Moränensanden bietet sich ein ähnlicher Anblick wie damals auf den Sandsteinböden im Hessischen Bergland, wo ich Anfang der 1970er-Jahre meine Schulklasse in den Wald führte, um den Kindern zu zeigen, dass fruchtbarer Boden durch den Blätterfall zustande kommt – Stellt euch die Masse von Millionen Tonnen von Blättern vor, die jeden Herbst von den Bäumen fallen! –, durch die allherbstlichen Blätterberge und durch die vielen Pilze und Tiere, die diese Blätter zersetzen und fressen und dabei in kostbaren Humus verwandeln.

Auf die mit Zeitungspapier abgedeckten Tische im Klassenzimmer schütteten die Kinder die Bodenproben, die sie mit Schäufelchen abgegraben und in Plastikbeuteln mitgebracht hatten. Ich erinnere mich an das Pilzaroma des kräftigen Waldbodengeruchs, der sich alsbald im Raum ausbreitete und die Atmosphäre des Unterrichts dem Thema entsprechend unterlegte. Die Kinder sortierten das, was zu jeder Schicht gehörte, und ordneten es von oben nach unten als Sequenz oder von links nach rechts als Narrativ. Mit Lupen untersuchten sie zahlreiche kleine Lebewesen, die sich in den Proben bewegten, von bekannten wie Regenwurm, Assel und Ameise zu unbekannten Nematoden (dünnen weissen Würmchen), Hundertfüsslern (flink schlängelnden Räubern) und Saftkuglern (sehr breiten, auffälligen Tausendfüsslern, die sich igelartig zusammenrollen). Zusammengenommen gaben diese Lebewesen nur den winzigsten Ausschnitt des vielfältigen und massenhaften Bodenlebens wieder. Die Kinder zeichneten sie, so gut sie konnten, und hielten den Ablauf der Zersetzung von Buchenblättern mit Hilfe von Klebfilmstreifen oder Klebstiften auf Papier fest.

Damals, als junger Lehrer, war ich von der Vorstellung begeistert, dass bereits Zehn- bis Zwölfjährige mit den Grundzügen wissenschaftlichen Arbeitens vertraut gemacht werden können, und es schien mir damals bereits notwendig, Schulunterricht als Mittel gegen die zunehmende Zerstörung der natürlichen Umwelt aufzufassen. Deshalb wollte ich den Kindern vor Augen führen, wie alle Lebewesen miteinander verbunden sind und wie zwischen ihnen und ihrer Umwelt – Boden, Wasser und Luft – ein Austausch und eine Wechselwirkung bestehen.

Die Bewohnbarkeit der Erde (E-Book)

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