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Foto vom Erdaufgang: Bewusstseinsbildung auf einen Blick

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Erdaufgang über dem Mond, aufgenommen von dem Astronauten William Anders aus der Raumkapsel Apollo 8 am 24. Dezember 1968 bei der vierten Umkreisung des Mondes (Quelle: NASA)

Heiligabend 1968 hatte das Fernsehen die Weihnachtsbotschaft der drei Astronauten übertragen, die den Mond in einer engen Raumkapsel umkreisten. Ihre Worte klangen in unseren Ohren ein wenig pathetisch, wir verstanden, dass der Triumph im Wettrennen mit den Russen auch eine Art Weihnachtsgeschenk an die Amerikaner war, das über die Turbulenzen des Jahres – Tet-Offensive der Vietcong in Vietnam, Studentenrevolte, die Ermordung erst Martin Luther Kings, dann die Robert Kennedys, Aufstand in den schwarzen Ghettos – hinwegtrösten sollte. Damals, in vordigitalen Zeiten, erschien das Foto aus dem Fenster der Raumkapsel erst Tage später, das Magazin «Life» veröffentlichte es in der Neujahrsausgabe auf einer Doppelseite, der «Whole Earth Catalog»1 der sog. Gegenkultur Kaliforniens setzte es auf die Titelseite, die NASA stellte das Bild lizenzfrei zur Verfügung, und es wurde überall tausendfach abgedruckt. Dass es ikonische Bedeutung erlangte und zu einem der verbreitetsten Fotos der Geschichte wurde, liegt nicht nur an der kaskadenartigen Verbreitung, sondern auch daran, dass es unsere Welt in ungewohnter, ganz neuer Perspektive zeigt. Man sieht die Erde zugleich auf besonders realistische und besonders poetische Weise: Die Staatsgrenzen und Zonen, die beim Anblick jeder Weltkarte und jedes Schulglobus ins Auge fallen, sind wie auch die geometrischen Spuren der Längen- und Breitengrade unsichtbar. Man begreift, dass die Erde ein einziger Körper ist, ein zusammenhängender Organismus, und man ist von ihrer Schönheit überrascht. Sie schwebt über der kahlen Mondfläche in der Finsternis und scheint sich ins Sonnenlicht zu wenden. Etwas mehr als ihre Hälfte ist in Licht getaucht. Bis auf einen braunbeigen Fleck (mitten in Afrika) trägt sie blauweiss verquirlte Schmuckbänder: weiss die Wolken aus Wasser in der dünnen Schicht Gas über Land und Meer, blau das von Himmel und See gestreute Licht. Bei genauem Hinschauen nimmt man die dünne Schicht unserer Atmosphäre wahr, die bläulich über der Wölbung des Erdkörpers liegt und die das bisschen Luft abbildet, das uns am Leben hält.

Die Kopie der Aufnahme an der Wand meines Schreibzimmers ist immer noch ein Hingucker, der mich daran erinnert, dass unser Mutterplanet, schön wie ein Juwel, in der unendlichen Schwärze des sogenannten Alls treibt, ein winziges Inselchen im ungeheuren Universum. Der Whole Earth Catalog machte die Redewendung vom Raumschiff Erde populär, und einer der drei Astronauten von Apollo 8 sprach beim fünfzigjährigen Jubiläum des Fluges von der Bühne, auf der wir Menschen unser Stück aufführen.

Worum geht es in dem Stück? Und welche Rolle spielen wir? Auf solche Fragen gibt es viele Antworten, da ist nur ein Rauschen vernehmbar. Man möchte wünschen, dass das Skript wenigstens nicht auf die vollständige Demolierung der Erde hinausläuft. Schliesslich ist sie die einzige Heimat, die wir haben.

«Erdaufgang» kam gerade zur rechten Zeit, um zur Ikone der internationalen Bewegung zum Schutz der Umwelt zu werden, die sich in den 1960er- und 1970er-Jahren formierte. Das Bild führte genau die Einsichten vor Augen, die sich eben erst ins öffentliche Bewusstsein drängten – Einsichten in die wechselseitige Abhängigkeit der Lebewesen und ihres Zusammenwirkens mit der Umwelt. Indem die Atmosphäre als Medium dieser Lebensvorgänge sichtbar wurde, war es ein Beleg für das sprichwörtliche Bild, das mehr sagt als tausend Worte.

Und es traf auf eine Öffentlichkeit, die sich mitten in der Diskussion über Umweltprobleme befand.

Die Bewohnbarkeit der Erde (E-Book)

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