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Ricketicketack
III

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In dem Dorfe Westmal1 stand eine kleine Schmiede, in welcher vier Männer mit verschiedenen Schmiedearbeiten beschäftigt waren, der Meister nämlich und drei Gesellen. Sie unterhielten sich, soviel das Geräusch der Hämmer und Feilen zuließ, über Napoleon und seine großen Thaten. Einer der Gesellen, dessen linker Hand zwei Finger fehlten, begann just eine Erzählung aus dem Kriege in Italien, als zwei Männer zu Roß vor der Thüre der Schmiede anhielten, und einer derselben ihnen zurief:

»Heda, Mannen, mein Pferd muß beschlagen werden!«

Die Gesellen beschauten sich neugierig die zwei Fremden, welche nun von ihren Pferden absaßen. Man sah wohl, daß Beide Kriegsleute waren; einer von ihnen hatte eine mächtige Schmarre quer übers Gesicht liegen und trug ein rothes Bändchen im Knopfloch; der andere, obgleich ebenfalls in feiner Bürgerkleidung, schien ihm doch untergeordnet; er hielt das Pferd am Zaume und frug:

»An welchem Fuß, Colonel?«

»Vorn, links, Lieutenant,« antwortete der andere leicht. Während einer der Gesellen dann das Pferd nahm und es in den Nothstall führte, trat der Colonel in die Schmiede, sah sich nach allen Seiten um und nahm nun dieß, dann jenes Werkzeug zur Hand, wie wenn er es als eine alte Bekanntschaft hätte begrüßen wollen. Bald schien er gefunden zu haben, was er suchte; in der einen Hand hielt er eine schwere Zange, in der andern einen Hammer, und beschaute beides mit so sonderbarem Lächeln, daß die Gesellen gaffend und verwundert umherstanden.

Inzwischen war das Eisen in’s Feuer gelegt, der Blasbalg ächzte und ein sprühender Funkenkranz umgab die glühenden Kohlen. Die Gesellen standen, die Vorhämmer in der Hand, am Ambos, bis der Meister das Eisen aus dem Feuer nahm; dann begann das Zuklopfen.

Der Colonel hatte offenbar seine Freude daran; seine Züge belebten sich so, als hätte ihm die schönste Musik in’s Ohr gerauscht. Als aber das Hufeisen vom Ambos genommen wurde, um auf den Huf des Pferdes genagelt zu werden, da schaute er gar verächtlich drein, nahm die Zange mit dem Eisen aus der Hand des Meisters und legte es von neuem in’s Feuer, indem er sprach:

»So nicht. Was macht ihr da für ein grobes Eisen, Baas?2 So, lustig Jungens! Zugeblasen!«

Während einer der Knechte ehrerbietig folgte, warf er den Rock aus und entblößte seine nervigen Arme. Bald stand das Eisen in weißer Gluth, er nahm es, wie der besteingeübte Feuerwerker,3 drehte es noch einigemale, legte es auf den Ambos, und rief dann heiter den Gesellen zu:

»Aufgepaßt, Mannen. Ich geb’s Maaß. Wir wollen da mal ein Hüfchen schmieden, wie des Kaisers Pferde keine bessere tragen. So, nun paßt aufs Lied:

Ricketicketack,

Ricketicketu.

Eisen warm,

Hoch den Arm,

schlaget zu,

Ricketicketu.


Ricketicketack,

Ricketicketu,

Stahl in Gluth,

Herz voll Muth,

schlaget zu,

Ricketicketu.


»Da nun beschaut euch einmal das Hüfchen.«

Die Knechte besahen sich das hübsche und leichte Hufeisen mit gaffendem Munde und wie verstummt. Der Baas allein schien an etwas anderes zu denken und schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf, wie Jemand, der über eine Sache nicht einig mit sich selbst ist. Er trat dem Fremdlinge näher, der seinen Rock schon wieder angezogen, doch wie genau er ihn auch in’s Auge faßte, er schien ihn doch nicht zu erkennen.

Schnell war nun das Pferd beschlagen und es stand schon wieder vor der Schmiede, des Reiters wartend. Der zog zwei Napoleonsd’or aus der Tasche, legte sie auf den Amboß und drückte jedem der Gasten4 freundlich die Hand:

»Einer für den Baas – einer für die Gasten. Trinkt alle dafür einmal auf meine Gesundheit.«

Nachdem er dieß gesprochen, schwang er sich auf’s Pferd und ritt mit seinem Begleiter weiter in’s Dorf hinein.

Kaum waren die beiden Fremdlinge um die Ecke, als die Gesellen alle den Meister mit fragenden Blicken beschauten.

»Colonel, Colonel!« brummte einer von ihnen vor sich hin. »Ich sag und bleib dabei, der Kerl ist ein Schmied oder er ist es gewesen. Ich mein sicherlich, ihr müßt ihn kennen, Baas.«

»Das heißt,« antwortete der Baas, »ich hab in meinem ganzen Leben nur einen Menschen gekannt, der mit so viel Geschick ein so leicht und fein Hufeisen konnt schmieden. Und ich müßt mich sehr betrügen, wenn der Colonel nicht der Karl van Milgem wär, wißt ihr – doch nein ihr wißt’s ja nit, den die Leut immer den Ricketicketack genannt haben.«

»Wie, das sollt der lustige Schmied von Westmal sein?« frug einer der Gesellen. »Hab viel von dem Karl Ricketicketack schwätzen hören, doch’s war eben ein Lauflapp, ein Trunkert, der’s ganze Dorf in die Wirre konnt bringen. Nein, nein, der Colonel sieht allzusehr wie ein trefflich!5 Mann aus. Das ist rein unmöglich.«

Der Baas setzte sich auf den Ambos, wie einer, der erzählen will, und sprach zu den Gasten:

»Mannen, unser Taglohn ist doch schon doppelt verdient, und darum wollen wir’s Werk ein wenig ruhen lassen. Der Colonel ist wahrhaftig Karl van Milgem. Will euch doch seine Geschichte in der Kürze erzählen, dann könnt ihr selber urtheilen. Vor ungefähr sechzehn Jahren wohnte hier in derselben Schmied ein junger Kerl, der war mit der schönsten Bauernmaid aus der Gegend von Moll getraut, und die zwei sahen einander so gern, daß das ganze Dorf drüber verwundert stand. Das war denn der Karl van Milgem, von dem ich euch sprechen wollt. Der arbeitete von Morgens früh bis Abends spät, daß ihm der Schweiß von der Stirne lief und sang dabei den ganzen, lieben, langen Tag das artige6 Liedchen, welches der Colonel so gut konnt, und darum nannte man ihn so unter sich den Karl Ricketicketack. Er war stets fröhlich, witzig in all seinen Reden und es kam nie ein Wort aus seinem Mund, welches nicht hätte lachen machen. Auch war in ganz Westmal keine Seel so sehr von aller Welt geliebt, als der lustige Schmied. Er war schon ein paar Jahre getraut, hatte aber noch keine Kinder; da meinte er endlich, doch noch Vater zu werden. Nun kannt seine Freude keine Grenzen mehr, das Ricketicketack hörte den ganzen Tag nicht auf, und hier und da kamen die Leut in Angst, der Karl möchte von sinnen kommen, denn vor lauter Freud war weder Halten noch Binden an ihm. Da kam denn auch zuletzt der Tag und er wurd Vater, aber ach Armer! seine gute Frau stand nit mehr auf. Sie liegt auf’m Kirchhof begraben, da wo das eisern Kreuzchen steht. Von dem Augenblick an war Karl nicht mehr derselbe, wie vorher; er ließ den Hammer neben dem Amboß unangerührt liegen, zündete kein zweimal in der Woch sein Feuer an und begann zu trinken, als hätt er sich umbringen wollen. All seine Liedchen waren vergessen und er führte ein so schlecht Leben, daß er ein Scandal für’s ganze Dorf wurde. Wenn er dann betrunken nach Haus kam, dann ging er zu Werk wie ein Rasender, doch die Magd, welche bei ihm wohnte und das Kind pflegte, die wußt ein gut Mittel, ihn zur Ruh zu bringen. Sie gab ihm sein Töchterchen auf den Schooß, und wie trunken Karl auch war, wenn er sein Kind sah, dann war’s, als wenn ein Zauber über ihn gekommen wär. Dann lachte er so fröhlich wie zuvor, setzte das Mädchen auf seine Knie, spielte Pferdchenreiten mit ihm und sang das alte Liedchen Ricketicketack. Daß der Karl je ein ganz schlechter Mann war, glaub ich nicht; ein jeder wußt genugsam, daß der Tod seiner Frau die Ursach von seinem Verdruß und seiner Trunkenschaft war, denn jedesmal, wenn er über den Kirchhof und an dem eisernen Kreuz vorbei mußt, und wär er so trunken gewesen, daß er nicht auf seinen Beinen stehen konnt, dann liefen ihm die hellen Thränen aus den Augen, daß Jedermann es sehen konnt. Darum hatte man auch groß Mitleid mit ihm, und die Nachbarn versorgten das Kind mit Allem, ohne daß er’s wußt. Das Leben dauerte drei Jahr, da wurde Karl plötzlich krank und mußte zu Bette liegen, und das ziemlich lang. Seine Freunde hatten ihm während der Zeit – und der Pastor nicht weniger – so tapfer zugepredigt, daß er von der Trunksucht ganz genesen schien. Dafür hatte er sich ein ander Ding in den Kopf gesetzt. Er wollte das Dorf verlassen, wo das Grab seiner Frau ihm zu oft in die Augen fiel, und ohne einer Menschenseel zu sagen, wohin er wollt, geht er und verkauft seine Schmiede, wie sie weht und dreht, an meinen Vater, Gott hab ihn selig, nahm auf einen frühen Morgen sein Kind mit sich über die Haide und blieb weg, ohne daß man seitdem, weder von ihm noch von seinem Kinde mehr was gehört hätte.«

»Ah, der Colonel ist Karl Ricketicketack, da ist kein Zweifel an,« rief einer der Gesellen.

»Sicherlich, der und kein anderer,« sprach der Baas. »Er nahm manches von dem Geräth in die Hand und beschaut’s; alles nun, was ich und mein Vater gemacht oder gekauft haben, das legte er gleichgültig wieder hin; das aber was von der Schmiede Ricketicketack’s über blieb, das besah er mit einer Art von Aufregung, ihr müßt’s doch gemerkt haben, wenn ihr die Augen offen hattet; und dann seine Aussprach, ganz kempensch, seine Schnelligkeit im Schmieden und vor Allem sein Liedlein. Ja, ja, das ist ein Bursch aus unserm Dorf, setz meinen Hals dran . . . wer sollt das sagen, und nun ein Colonel, ein wahrhaftiger Colonel!«

Während die in der Schmiede also über ihren Karl Ricketicketack plauderten, waren die beiden Fremdlinge in der Herberge zur Krone angekommen, hatten ihre Pferde zu stall gebracht und selber etwas gegessen. Dann verließ der Colonel die Herberge und ging zu Fuß der großen Straße nach bis zu dem Hause des Gemeindeschreibers. Da wurde er in ein Stübchen geführt und mußte ziemlich lange warten, bis der Herr Gemeindeschreiber vom Felde heimkehrte, und unter tiefen und feierlichen Bücklingen in die Kammer trat. Er sprach:

»Herr Colonel van Milgem, euer unterthänigster Diener. Ihr wollt allergnädigst entschuldigen, daß ich . . . «

Doch der Colonel ließ ihm keine Zeit zu langen Höflichkeiten und Förmlichkeiten, faßte freundlich seine Hand und sprach:

»Wohlan denn, Freund, was habt ihr vernommen? Ist mein Kind entdeckt?«

»Nein, Herr Colonel, noch nicht,« entgegnete trübselig der Secretarius.

»Weh mir dann!« seufzte der Kriegsmann, mit der Hand verzweiflungsvoll an die Stirn schlagend. »Sollte ich denn alle Hoffnung aufgeben müssen?«

»Herr Colonel,« sprach der Secretarius, »geliebet meinen Bericht zu hören und ihr werdet finden, daß wir, ferne davon, alle Hoffnung zu verlieren, vielmehr nahe daran sind, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Ihr habt mir bei eurem letzten Besuch genug Geld hiergelassen, daß ich keine Kosten sparen mußte, und ihr mögt glauben, daß ich nichts versäumt habe, eure Gunst und die gelobten tausend Franken zu gewinnen. Höret nun, was man mir gesagt hat. Als Karl van Milgem (und der Secretarius verbeugte sich bis fast zur Erde) mit seinem vierjährigen Kinde aus Westmal fortzog, sagte er Niemanden, wohin er gehen würde; wußt es auch vielleicht selbst nicht vor großem Leid und Betrübniß. Nun habe ich aber von euch vernommen, und das ist mir auch durch meine Nachforschungen bestätigt worden, daß er zu Weelde, oberhalb Turnhout, sein Kind einem alten Schulmeister anvertraute; Peter Drießens hieß er, und wohnte mit seiner Frau einsam und abgesondert draußen vorm Dorfe. Dem gab er das Kind und ein klein eisern Kistlein, worin er das Verkaufsgeld von seiner Schmiede hatte verschlossen, und das die beiden Alten im Falle der Noth mochten öffnen, damit das Kind und sie selbst nicht Gebrechen leiden an irgend etwas. Dann ist er nach Holland gezogen und hat da, denkt man, bei den Franzosen unter Pichegrü Dienst genommen. Jedenfalls sah er sich seitdem nicht mehr nach seinem Kinde um; so erzählte man mir wenigstens in Weelde und die Leute, welche mir das sagten, hatten Peter Drießens selbst noch gekannt.«

»Die Leute wissen nicht, was sie sagen, Freund,« fiel der Colonel ein. »Ich schrieb selber zweimal aus Egypten, um Nachrichten über das Kind zu erhalten, doch die Briefe blieben ohne Antwort, und als ich nach Klebers Tod nach Frankreich zurückkehrte und nun hoffte, selber etwas Näheres darüber erfahren zu können, als ich mit klopfendem Herzen die Haide durchtrabte, um es zu sehen, und dem Orte nahte, wo des Alten Hütte gestanden hatte, fand ich nur einen Haufen Asche. Da brach mir das Herz fast; was ich da fühlte, das kann ich euch unmöglich beschreiben, Secretarius. Glücklicherweise hörte ich von den Bauern, daß Drießens mit der kleinen Monika sich gerettet hätte und weggezogen wäre, um sich hier und da ein Almosen zu erbetteln.«

»So ist es, Herr Colonel. Die Frau des Schulmeisters verbrannte zu Pulver und Asche; er allein, das Monikachen auf dem Rücken und ein klein eisern Kistchen unterm Arm, entkam dem Brande, bekam dann einen schönen Bettelbrief und machte sich mit dem Kinde auf den Weg, um in den Dörfern Hilfe und ein Unterkommen zu suchen. Ich weiß aus guter Hand, daß man ihn mit der kleinen Monika bettelnd gesehen hat zu Meerhout, zu Olmen, zu Balen und zu Moll; da wurde er krank und starb. Erst seit gestern, weiß ich, daß da sein letztes Stündlein schlug; der Gemeindeschreiber von Moll, mein werthester Herr Collega, schickte mir seinen Todesschein und fügt dabei, man habe in den Taschen des armen Schulmeisters nichts gefunden, was auf die Spur des Kindes führen könnte, wonach ich, wie er wohl weiß, ohne Kisten und Kasten suche. Von dem eisernen Kistchen spricht er auch nicht. Glaubt ihr, Herr Colonel, daß der Drießens so schlecht gewesen sein könnt, dem Kinde vielleicht ein Leides zu thun, oder es in der Haide, oder im Walde zurückzulassen?«

»Oh nein, nein,« rief der Colonel. »Er war mein Lehrer, und ist stets mein Freund geblieben, mein bester Freund. Als der Vater mit dem Kinde zu ihm kam und ihm sagte, daß er nach Holland wollte, um, wie man meint, unter Pichegrü Dienst zu nehmen, bat er selbst, daß der Vater Monika bei ihm sollte in Kost thun, sowohl um seine alten Tage zu erheitern, als auch zum Besten des Kindes, welches anders unter fremde Hände gekommen wäre. Ich bin versichert, Secretarius, daß er das Kind irgendwo bei guten Leuten hat gelassen, und denen auch das eiserne Kästchen gegeben hat.«

»Das ist auch meine Meinung, Herr Colonel, und da meine Nachforschungen mich vermuthen lassen, daß Monika sich zwischen Rethy und Meerhout befinden muß, so bin ich Willens, morgen nach Moll zu gehen und alle umliegenden Dörfer und Pachthöfe zu durchsuchen.«

»Brav, Freund Secretarius, thuet also, eure Mühe wird nicht sonder Belohnung bleiben. Ich habe noch einige Tage Zeit und will sehen, ob ich euch nicht dabei helfen kann. Heute Abend schlafen wir zu Lichtaert, und morgen gegen Mittag sind wir gleichfalls bei dem Secretarius der Gemeinde Moll, um mit euch zu überlegen, was wir weiter machen sollen. Sparet kein Geld, Freund, nehmet euch einen gemächlichen Wagen und ermüdet euch nicht nutzlos. Bis morgen denn und gebe Gott einen glücklichen Ausschlag!«

Mit den Worten stand der Colonel auf, drückte des Gemeindeschreibers Hand und kehrte zur Krone zurück. Eine Stunde später trabten zwei Reiter auf der Straße hin, welche nach Lichtaert führt.

1

Ein Dorf, eine Stunde von Antwerpen, an der Landstraße nach Turnhout mitten in der Haide gelegen.

2

Meister.

3

Der Geselle, der das Eisen im Feuer dreht und wendet.

4

Gesellen.

5

brav.

6

sonderbare

Abendstunden

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