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Ricketicketack
VI

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Eines Nachmittags stand Jan wieder vor der Buche. Er schien schwach und hinsiechend; das frische Roth in seinem Gesichte war grauen, transparenten Tönen gewichen; seine Augen schwammen, wie die eines sinnlosen, und mißmuthig lehnte sein Haupt auf der linken Schulter.

Schon hatte er länger als eine halbe Stunde so gestanden, ohne sich zu rühren, als hinter ihm zwischen den Erlen die abgefallenen Blätter der Bäume unter eines Menschen Tritt raschelten; er wandte sich um, es war der alte Pfarrer von Desschel. Sichtlich kostete es ihn Mühe, seinen Zügen einen heiteren Ausdruck zu geben; den Geistlichen ehrerbietig grüßend, versuchte er gar zu lächeln, doch dieß Lächeln zeugte um so mehr von dem Weh und dem Schmerz, die sein Inneres bewegten.

Der Pfarrer wies mit der Hand auf’s Gras, Jan zum Niedersitzen einladend; dann nahm er ihn bei der Hand, sah ihn tief mitleidig an und sprach in recht väterlichem Tone zu ihm:

»Jan, Jan, hältst du also dein feierlich Versprechen? Noch immer unter der Buche? Du willst also, daß deine Mutter ihre Drohung bewahrheite und den Baum umhaue?«

Bei den Worten zitterten die Glieder des jungen Bauern krampfhaft, und den stechenden Blick fest auf den Geistlichen geheftet, rief er:

»Was, den Baum? die Buche umhauen? Ich schlüge den Arbeitern den Kopf ein . . . «

Das wunderte den guten Pfarrer nicht wenig; er dachte, durch wiederholten Rath Jan’s Betrübniß bereits halb getilgt zu haben, er glaubte, der Arme habe den Gegenstand derselben schon fast vergessen. Mit recht väterlicher Stimme fuhr er fort:

»Jan, mein Sohn, das sind sündige Worte, die du da sprichst. Deine Mutter hat das so gesagt und du weißt, daß ihre Worte nicht just ein Evangelium sind. Daß du aber, der du doch mit Gefühl und Verstand begabt bist, dich durch solch nichtige Dinge, durch einen sinnlosen Traum zu einer Drohung zu morden verführen lassen kannst, das begreife ich nicht und das thut mir leid. Hab ich denn verdient, daß du mir so antwortest? . . . «

»Vergebt mir,« sprach Jan mit wahrhafter Reue; »ich weiß, daß ihr nichts verlanget und wünschet, als was mir vortheilhaft und zu meinem Besten ist, doch in meinem Herzen steckt etwas, worüber ich mir selbst keine Rechenschaft geben kann, was mehr Macht hat, als, eure Worte und mein Wille.«

»Höre, Jan, es steht geschrieben, wer die Gefahr liebt, der kommt darin um; so ist’s auch mit dir, mein Junge. Wenn du nicht Alles in deinen Träumereien suchtest, die deinen Körper doch ganz und gar aufreiben, wenn du arbeitetest, wie ehedem, wie es deine Pflicht ist, dann würdest du bald die Ursache deines Schmerzes vergessen; Gesundheit und Muth würden dir wiederkehren, und du könntest wacker für deine kranke Mutter arbeiten. Dagegen aber bringst du deine Zeit müßig unter dem Baume, oder auf dem Sandberge zu, und wirst dadurch nicht nur ein großer Sünder, weil du deine Pflichten gegen Gott und gegen deine Mutter nicht erfüllest, sondern bist dazu noch ein Narr, der sich mit der Hoffnung auf unmögliche Dinge quält, und sein ganzes Leben einem eitlen Traume opfert.«

»Ho, ich habe noch lange nach ihrer Abreise gearbeitet und kam hierhin nur nach den Arbeitsstunden. Da hoffte ich noch, daß ich sie vergessen könnte, doch sie war ja überall bei mir. Am Pfluge hörte ich ihren Namen, auf der Tenne sangen die Flegel mir das Ricketicketack, und überall hörte ich nur Monika rufen. Wozu doch nützte mir die Arbeit? Wußt ich, was ich that? Es half mir Alles nicht. Mein Schlaf selbst war nur ein helleres Leben, dann hatte ich Trost, sah sie, sprach mit ihr, aber ich hatte keine Ruhe. Nun kann ich beim besten Willen nicht mehr arbeiten; ich bin schwach und krank.«

Der Pastor schüttelte den Kopf und schwieg eine Weile; dann faßte er aufs Neue des Jünglings Hand und frug:

»Nun, Jan, du mußt mir jetzt sagen, ob das so fortgehen soll oder nicht. Es ist gewiß, und das weißt du auch, daß Monika nicht wiederkommen wird – und käme sie, dann wäre es noch ärger; sie ist jetzt ein reiches Mädchen und du bist ein gewöhnlicher Bauernjunge. Deine Krankheit ist also eine Narrethei.«

»Kann ich sie denn vergessen, Herr Pastor?«

»Wünschest du das in der That?«

»Ich wünsch es aus Herzensgrund, denn seit lang sind meine Träume bitter, wie Galle, und mein Herz ist voll von Verzweiflung.«

»Wohlan, dann beweise einmal, daß du Muth hast und genesen willst. Erfülle den Wunsch deiner Mutter und folge meinem Rath: Geh nach Mecheln.«

»Da stürbe ich, Herr Pastor.«

»Warum?«

»Oh, warum? Vor einigen Monaten war ich zu Brüssel und mußte acht Tage dort bleiben, und was hab ich geweint während der Zeit! Was hab ich da ausgestanden!«

»Ich begreife dich nicht.«

»Nun ich will’s euch sagen. Als ich zurückkehren durfte, ging ich Nacht und Tag ohne zu ruhen durch. Als der Wind mir zuerst wieder den Geruch der Schaddenfeuer zutrug, da erst athmete ich auf; im ersten Tannenbusche warf ich mich auf die Kniee nieder und dankte Gott, daß ich meine Nadelbäume wiedersah, das erste Haidekraut habe ich vor Entzücken gegessen, und als ich hierhin kam, ging ich zuerst zu der Buche und sprach mit nassen Augen zu den Wachholdersträuchern, als hätten sie mich verstanden. Und ihr wollt, daß ich sechs Jahre von der Haide fern bleiben soll? Unmöglich.«

»Mein Sohn, ich weiß, warum du die Haide mehr denn jemand anders liebst, doch die Ursache davon just müssen wir zu heben trachten. Das Studium wird mehr als körperliche Arbeit das Bild, welches dich verfolgt, aus deinem Geiste vertreiben, und die Ueberzeugung, daß du bestimmt bist, ganz dem Dienste Gottes geweiht zu werden, wird dir helfen, die weltlichen Träume zu überwinden. Noch andere Gründe will ich dir anführen, welche auch wohl geeignet sein mögen, dich auf bessere Gedanken zu bringen. Jan, du tödtest dich selbst, so du dich durch unaufhörliches Jammern aufreibst. Meinst du denn, Gott könne dir die sündige Thorheit vergeben, wenn du bis zu deinem Tode darin beharrst? In deinem eitlen Traumleben denkst du nur einer Sache, kein Gedanke an Höheres, an himmlische Dinge steigt aus deinem Herzen mehr auf, oder nennst du das beten, was du etwa mit dem Munde sprichst, während dein Inneres die Gottheit höhnt, da du ein Menschenbild, selbst in dem Tempel des Herrn anbetest? Denkst du wohl daran, daß ein Grab deiner wartet, daß du deine Seele dem Bösen überlieferst, daß das ewige Feuer der Lohn deiner Gottlosigkeit werden muß?«

Der Ernst, mit welchem der Pfarrer diese Worte zu dem armen Jan sprach, hatten dessen Gemüth tief getroffen. Er meinte wohl, der Geistliche habe ihm schreckliche Wahrheiten gesagt, und erbebte innerlich bei der gräßlichen Drohung der Hölle. Eine Zeitlang stand er sprachlos da und blickte starr vor sich hin, dann erhob er das Haupt, wie jemand, der gewaltsam einen Entschluß faßt und sprach:

»Wohlan denn, Herr Pfarrer, ich will nach Mecheln gehn.«

»Morgen?« frug der Pastor hocherfreut.

»Morgen bereits?« frug der junge Bauer halb erschrocken.

»Morgen für immer?«

»Nein Jan, sprich doch nicht so dumm. Du kannst mehr denn einmal im Jahre deine Mutter besuchen, und während der Ferien hast du Zeit genug, deine Haide zu durchwandeln. Und dann, wenn du einmal Priester bist, kannst du leicht in einem Dorfe der Kempen9 angestellt werden, und dann kannst du dein Leben recht friedlich und ruhig auf der Haide hinbringen. Morgen gehst du, nicht wahr?«

»Nun ja denn, morgen; so sei es,« rief Jan mit so schneidender Stimme, daß der Ruf das ganze Gebüschchen durchdrang.

»Morgen, morgen!«

Eine halbe Stunde später ging er an der Hand des Pfarrers dem Hofe zu.

9

Kempen heißt die große Haide, welche den Norden von Belgien bildet.

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