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2. Taufe
ОглавлениеMit der Zeit bekomme ich den Wochen Rhythmus mit. Genauer gesagt ich erkenne den Sonntag als einen völlig anderen Tag als die übrigen. Morgens wird lange geschlafen. Niemand hat Eile. Alle ziehen besondere Kleidung an. Mutti macht sich schön. Dann verschwindet sie allerdings in der Küche. Trotzdem hat sie mehr Zeit für mich. Vor allem Papi, den man werktags kaum sieht, hat Zeit für mich. Nachmittags, nach dem Mittagschlaf geht es spazieren, zum Spielplatz oder man fährt mit dem Auto weg.
Der heutige Sonntag beginnt aber schon sehr seltsam. Morgens früh aufstehen. Überall Hektik. Besuch kommt schon am frühen Morgen. Ich werde in einen Schlafsack gepackt, der dick gepolstert ist. Das Kissen ist angenäht und aus sehr feinem Material. Blumenschmuck wird an der Decke befestigt. Man fährt mit dem Auto in die Stadt. Dort geht es in eine Kirche, ein Raum so groß, dass unser ganzes Haus darin Platz hätte. Vater Mutter und die Verwandten sitzen in der ersten Reihe. Ich lande auf dem Schoß von Tante Amalie. Sie lächelt mich an und zwinkert mit den Augen. Plötzlich erklingt Musik. Zuerst leise, wie Vogelstimmen, dann gesellen sich immer mehr Töne hinzu, es wird immer lauter. Dumpfe Schallwellen dröhnen durch den Raum, mein Kissen beginnt zu beben. Die Schallwellen rasen von einer Wand zur anderen, können aber nicht hinaus, da die schweren Steinquader an den Wänden undurchdringlich sind. Die gefangenen Wellen verstärken und vermischen sich. Eine sehr bedrohliche Situation entsteht. Ich möchte auch hinaus. Aber Mutti sitzt drei Plätze weiter und Tante Amalie macht keine Anstalten zu gehen. Aus Verzweiflung fange ich an zu weinen. Tränen rinnen über meine Wangen. Die Tante beginnt mein Bettchen zu wiegen, was aber die Situation überhaupt nicht entspannt. Ich werde lauter - bis man mich weiter gibt zu Mutti. Mutti drückt mich an ihr Herz, mit den Lippen berühre ich ihren Busen, der bei dem Festkleid nicht ganz so verdeckt ist, wie sonst. Ihr Atem ist ganz ruhig, ich fühle ihn an ihrer Brust. Das aufrecht gestellte Kissen auf der einen und der warme weiche Körper von Mutti auf der anderen Seite halten die Schallwellen weitgehend ab. Der wohlbekannte Duft von Mutti lässt ein heimeliges Gefühl entstehen, trotz der feindlichen Umgebung. Ich beginne mich zu beruhigen und fange an zu dösen.
Unvermittelt ändert sich die Situation. Ich werde wieder zu Amalie gereicht, alle stehen auf und gehen nach vorne zu einem Wasserbecken. Ein Mann in seltsamer Kleidung singt mit seiner hohen Fistelstimme Worte. Bedrohliche Worte. Auch die hallen durch den Raum. Vorsichtshalber beginne ich mit Weinen. Hat doch vorhin so gut geklappt. Wieder reagiert die Tante nicht. Der Mann wendet sich mir zu, greift in das Wasserbecken und schüttet eine Hand voll Wasser über meinen Kopf, selbst das Kissen wird feucht. Worte, Töne und mein Geschrei vermischen sich. Es hat gewirkt, ich lande wieder bei Mutti und fühle mich geborgen.
Später draußen erklärt mir Mutti: "So Maxi jetzt bist du getauft, brauchst nicht weinen, das ist doch dein Ehrentag. Guck alle sind gekommen, wegen dir." Tatsächlich alles versammelt sich um mich. Dann geht es mit den Autos weiter. Allmählich meldet sich auch mein leerer Magen. Aber schon kommen wir in ein Haus, wo es deutlich nach Essen riecht. Alle setzen sich an lange Tische und Mutti gibt mir die Flasche. Dann legt sie mich in den Wagen und ich brauche nicht lange, bis ich mich wieder in der anderen Dimension befinde.
Der Tag wird tatsächlich ein Festtag für mich. Alle wollen mit mir spielen. Viele Geschenke gibt es zu erkunden. Es wird ein sehr kurzweiliger Tag.