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4. Türkeireise

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Bei einem kurzen Klinikaufenthalt, wegen einer chronischen Mandelentzündung, der Arzt meinte diese unnützen Dinger müssen raus, habe ich einen türkischen Gastarbeiter als Zimmergenossen: Ali Sentürk. Wir verstehen uns sehr gut. Bei der Einschätzung der Schwestern sind wir uns weitgehend einig: "Nachtschwester-Beißzange, Schwester Hilde - sehr schön ......"

Eines Tages macht er mir ein Angebot: "Du mit mir in die Türkei fahren!" Ich antworte nach kurzer Überlegung: "Ich kann nicht in die Türkei reisen. Ich Schüler und nix Geld!" Ohne zu zögern kontert er: "Du nix bezahlen, du mit mir fahren!" Nun, so ein Angebot bekommt man nicht jeden Tag. Um Zeit zu gewinnen antworte ich: "Da muss ich erst meine Eltern fragen". Das versteht er natürlich, Adressen werden ausgetauscht. Nachdem ich zuerst mich, dann meine Eltern von der Einmaligkeit Land und Leute in der Türkei kennen zu lernen überzeugt hatte, besuche ich Ali Sentürk und sage zu.

Zu Beginn der Sommerferien reisen wir mit einem VW Passat ab. Vorne sitzen Ali und seine Frau Selin, hinten sitzen Sohn Cemal (10 Jahre), die kleine 6-jährige Tochter Aylin und ich. Der 18 jährige Sohn Hamit fährt nicht mit. Cemal liest Comic in türkischer Sprache, während Aylin mit ihren Puppen spielt. Dabei werden auch meine Oberschenkel als Ablage benutzt. Die kleine mit ihren dicken schwarzen Zöpfen und ihren braunen Augen spielt Familienszenen nach: Puppe ausziehen, baden, wieder anziehen, Schule, dabei vergisst sie völlig ihre Umgebung und die engen Verhältnisse im Auto. Ihre ständig wiederkehrenden Berührungen auf meinem Schoß sorgen allerdings für eine gewisse Spannung in meiner Hose. Eigentlich wollte ich mit dem Studium des Reiseführers Türkei beginnen, aber es überkommen mich erotische Phantasien. Am liebsten würde ich jetzt allein mit ihr im Wagen sitzen, die Vorhänge zuziehen, sie knuddeln und noch mehr... "Reiß dich zusammen" ,ermahne ich mich selbst, du wirst dich doch beherrschen! Undenkbar! Ich bin doch kein Pädophiler? Davon abgesehen würde ich dann wohl mit durchschnittener Kehle irgendwo im Straßengraben landen. Zum Glück möchte Aylin auch mal am Fenster sitzen, beim nächsten Halt werden die Plätze getauscht, Cemal sitzt in der Mitte. Aylin streckt ihren Kopf zum Fenster hinaus, der Wind spielt mit ihren Haaren. Genüsslich kneift sie die Augen zusammen. Nicht lange dann pfeift sie ihr Vater wieder zurück ins Auto.

Es werden nur kurze Pausen gemacht. Beine vertreten, strecken. Mutter packt Essensachen vom Gepäckraum in die Tasche, die sie während der ganzen Fahrt zwischen den Beinen hat. Gegessen wird während der Fahrt. Zum Trinken gibt es abwechselnd Tee oder Limonade. Ich setze gleich am Anfang durch, dass ich meinen Becher selbst verwalte; die anderen werden jedes Mal eingesammelt und in anderer Reihenfolge wieder ausgeteilt. In der Nacht wird auf einem Parkplatz ein paar Stunden geschlafen. Selin und Ayla im Auto, wir Männer bauen ein Drei-Mann-Zelt auf und liegen auf Luftmatratzen.

Nach 3 Tagen erreichen wir Istanbul. Ali verkündet stolz: "Jetzt sind wir gleich da, nur noch etwa 40 km Kilometer" Er nimmt sich vor, mir die Altstadt zu zeigen. Mutter geht zum Markt, die Kinder müssen trotz Protest mit, Einkaufstüten schleppen.

Begonnen wird der Rundgang an der Hagia Sophia, die Kaiser Konstantin der Große im 4. Jh. als christliche Kirche in Auftrag gab und die im Jahre 537 von Kaiser Justinian eingeweiht wurde. Sie gilt als der schönste Sakralbau der frühen Christenheit und eine der bedeutendsten Schöpfungen der byzantinischen Kunst. Mit ihrer imposanten Kuppel und herrlichen Mosaiken hinterlässt der Bau einen unvergesslichen Eindruck.

In unmittelbarer Nähe besichtigen wir die Blaue Moschee. Sie wurde im 17 Jh. für den Sultan Ahmet erbaut und ist mit ihren sechs Minaretten eine der schönsten imperialen Moscheen der Stadt. Bemerkenswert ist die harmonische Anordnung der Kuppeln und die Innenverkleidung mit überwiegend blauen Kacheln.

Ein unbedingtes Muss ist der Hippodrom. Er war früher Schauplatz für sportliche Spiele und Zentrum des öffentlichen Lebens des byzantinischen Konstantinopel. Während unserer Besichtigung sehen wir den Ägyptischen Obelisk, die Schlangensäule und den Deutschen Brunnen, ein Geschenk von Kaiser Wilhelm II.

Ali`s Favorit ist die Sokullu Mehmet Pascha Moschee. Sie stammt aus dem 16. Jh. und ist mit ihren wunderbaren Kacheln an Gebetsnische und Kanzel eine der schönsten osmanischen Moscheen der Stadt.

Als wir zurückkommen stehen die anderen schon gelangweilt um das Auto herum. Die Kinder mit gesenktem Haupt und Schmollmund.

Nachdem Ali die Ladung begutachtet und verstaut hat, fahren wir in Richtung Osten um den Ömerli-Stausee herum nach Kömürlük. Dort hat Ali`s Vater einen kleinen Bauernhof mit ein paar Schafen und Hühnern. Neben dem Bauernhaus entsteht ein Bungalow nach westlichem Stil. Der Rohbau ist fertig, das Dach ist gedeckt. Die Türen und Fenster sind aber noch provisorisch mit Bretter und Folie verschlossen. Ich bekomme meinen Schlafplatz im geplanten Gästezimmer. Dort wurde eine aufblasbare Matratze und ein alter Holzschrank aufgebaut. Der Boden ist noch roher Beton. "Im alten Wohnhaus ist es für Gäste etwas zu eng" meint Ali. Das Badezimmer im Gästetrakt ist natürlich auch noch nicht fertig. An der Wand wurde der Putz mit wasserfester Farbe gestrichen und ein gebrauchtes Waschbecken montiert. Aus dem Hahn kommt kaltes Wasser, warmes Wasser serviert Großmutter am frühen Morgen in einem Aluminiumeimer. Mittags isst man bei der Hitze wenig. Mal einen Kuchen oder Süßigkeiten mit türkischem Honig. Abends gibt es meistens Fleisch vom Grill mit Gemüse und Salat und schon wieder Süßspeisen, die aber den Zucker oder den türkischen Honig so konzentriert haben, dass ich nur wenig davon essen kann. Gegrillt wird auf der Terrasse des neuen Hauses. Im Wohnbereich sind Biergarnituren und Lichterketten aufgebaut. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es diese häufigen üppigen Festmahle nur wegen mir gibt. Zum Abendessen kommen dann Verwandte und Nachbarn. Die meisten bringen Zutaten zum Essen oder Getränke mit. Der Ablauf eines solchen Festes hat für mich immer das gleiche Muster: Zuerst das Essen, dabei entstehen die ersten Gespräche. Anschließend gibt es Getränke, auch alkoholische. Die Lautstärke nimmt zu, so dass man sein eigenes Wort kaum noch versteht. Ali meint zu mir: "Eigentlich ist Alkohol für Muslime verboten. Aber Allah sieht nicht alles, außerdem hat er ja auch den herrlichen Wein geschaffen!" Gegen später setzt die Musik ein. Eine tragbare Radio-CD-Einheit plärrt am Lautstärke-Limit flotte türkischen Rhythmen. Die jungen Leute beginnen unter dem spärlichen Licht zu tanzen. Meist Jungen und Mädchen in getrennten Gruppen. Manchmal ist auch ein älterer Herr dazwischen. Das geht dann bis nach Mitternacht. Ich verschwinde vor dem Ende der Veranstaltung in mein Gästezimmer, das sich zum Glück im Obergeschoss am anderen Ende des Hauses befindet. Die kleinen Kinder, wie Cemal und Aylin sind schon nach dem Essen nicht mehr zu sehen, keine Ahnung, ob die schon ins Bett mussten oder ein eigenes Programm veranstalten. Für mich ist so ein Abend sehr langweilig. Ich verstehe kein Wort türkisch, wenn mich Leute ansprechen muss ich immer mit den Schultern zucken. Tanzen kann ich auch nicht. Ich würde mich auch nicht getrauen, ein Mädchen anzusprechen oder sie zum Tanz aufzufordern. so muss ich schon am frühen Abend gegen das Gähnen ankämpfen.

Eines Tages, um die Mittagszeit, sagt mir Ali, sein Vater möchte sich mit mir unterhalten, er werde als Dolmetscher fungieren. Also setzen wir uns zu viert, Ali`s Mutter ist auch dabei, im Kreis unter einer Markise vor das alte Haus.

Großvater: "Du bist doch Christ! Du mir erklären, weshalb Christen mit gespaltener Zunge reden?

Euer Jesus lebte in Armut, bei euch überall Geldgier - Wir leben in Armut!"

Ich nicke und er fährt fort: "In Bibel steht wie in Koran von Leben in Keuschheit, ihr habt Sexkultur, überall halb nackte Mädchen und Frauen, schmutzige Filme. In euren Familien ist es genauso: Freunde gehen ein und aus. Jeder treibt es mit jedem!"

Jetzt blickt mich Ali an und wartet auf eine Antwort.

"Nach christlichen Moralvorstellungen gehört Sex nur in die Ehe und hinter verschlossene Türen. Aber wir sind ein freies Land! Nicht alle halten sich daran und der Staat greift nur ein, wenn jemand ausgebeutet wird, wenn es gegen den Willen geschieht oder bei Sex mit Minderjährigen"

Opa erwidert:"Freiheit nennst du das, wenn Mädchen Körper zur Schau stellen oder verkaufen!

Anderes Beispiel. Jesus predigt Nächstenliebe. Das ist gut, gilt auch bei uns. Aber was ist mit Feindesliebe? Das ist doch total gegen die Natur. Kann mir doch nicht alles gefallen lassen! Der Islam ist ehrliche Religion. Rache muss sein, dann ist wieder alles in Ordnung. Allah will Ordnung. Gut - manchmal bei Kleinigkeiten kann man auch sein barmherzig. Muss man nicht immer rächen. Allah ist auch barmherzig."

Ich werfe ein:"Nach einer Vergeltung kommt wieder die nächste von der anderen Seite, das geht doch immer so weiter..!"

Sofort fällt mir Opa ins Wort: "Ihr habt doch auch die Rache. Feindesliebe predigen und Rache üben - das ist Doppelmoral der Christen. Ihr immer redet von sanften leidenden Jesus, dabei habt ihr genauso viele Kriege und Morde wie Muslime."

Nach einer Denkpause fährt Opa fort: "Euer Jesus ist bestimmt guter Prophet gewesen, steht ja auch im Koran, aber nicht gut genug. Deshalb ist das Christentum in Auflösung. Oder was meinst du?"

Ich denke jetzt muss ich etwas weiter ausholen. Opa gibt mir auch sichtlich Zeit dazu.

"Das Neue Testament ist eindeutig gegen Gewalt" beginne ich, "Jesus selbst hat sich ohne Gegenwehr unschuldig ans Kreuz schlagen lassen. Seinen Jüngern hat er verboten zum Schwert zu greifen. Auch die ersten Christengemeinden haben sich nicht mit Waffen verteidigt. Viele sind den Märtyrertod gestorben."

"Christliche Märtyrer sind ausgestorben", meint Opa, "muslimische gibt es noch, viel zu viele - arme Jungen!"

Ich fahre fort:" Die christlichen Tugenden sind: Glaube an Gott, Hoffnung auf Gottes Handeln und die Wiederkehr Christi, Liebe von Gott und für den Nächsten, aber auch Weisheit im Leben, Gerechtigkeit gegen jedermann, Tapferkeit gegen Leid, Angst und Tod und Mäßigung im Lebensstil d.h. nicht zu viel fressen, saufen, fluchen, Sex und Geld. Auch das Bewusstsein, dass Menschen fehlbar sind gehört dazu."

Sofort wendet Opa ein: "Und wo sind diese perfekten Christen? Ich sehe nur Gegenteil!"

" Sie sind über alle Kontinente verstreut. Über die liest du ganz wenig in der Zeitung und erfährst auch nichts im Fernsehen. Sie treffen sich in kleinen Gemeinden, arbeiten häufig in Krankenhäusern und Missionsstationen, unter den Armen", ergänze ich, "und sie vereint der Glaube an Jesus Christus den Sohn Gottes, der ihr Leben bestimmt."

"Allah, oder Gott, hat keinen Sohn" sagt Opa bestimmend, es gibt nur Propheten vom großen und einzigen Allah, Jesus ist einer davon. Mohammed ist aber der letzte Prophet.

Ich sage dir Beispiel: Du findest von deine Opa ein Testament. Später findest du ein anderes, das ist abgeändert. Welches ist gültig?"

"Das mit dem neuesten Datum," erwidere ich.

"Richtig", fährt Opa fort, "der Koran ist jünger als die Bibel der Christen. Also gültig! Das gültige wird sich durchsetzen. Es allein hat Segen. Deshalb haben Muslime auch mehr Kinder als Christen. Wenn die meiste Menschen im Haus des Islam sind und sich die muslimische Brüder nicht mehr streiten, dann gibt Frieden!"

Jetzt schaut mich Ali an. Als ob er denkt: So jetzt hat er dich!

Etwas kleinlaut erwidere ich: "Manche Muslime meinen ihren Glauben mit Gewalt und Einschüchterung verbreiten zu müssen."

Opa lächelt siegessicher: "Das sind nur die Ungeduldigen. Jugend ist ungeduldig. Ich kann warten bis der Siegeszug des Islam die Welt erobert hat. Wenn Allah es gefällt werde ich es vielleicht auch nicht mehr erleben." Dann steht er auf greift nach seinem Spazierstock und geht von dannen.

Die nächsten Tage geht mir immer wieder der Gedanke durch den Kopf: Sollte Gott der Allmächtige tatsächlich mehrere Testamente verfasst haben. Sind daraus die unterschiedlichen Weltreligionen entstanden? Und welches soll das letztgültige sein? Es gibt auch Testamentfälscher! Gültig, so reift bei mir eine Gewissheit heran, ist sicherlich jenes, das dein Herz berührt. Mit dem du in Resonanz kommst. Du musst danach suchen. "Suchet so werdet ihr finden ..."

Zum Glück habe ich mir einiges zum Lesen mitgebracht, denn im Grunde ist es immer wieder auch etwas langweilig hier. Solche Gespräche wie gestern sind selten. Ali hat viel zu tun. Manchmal nimmt er mich zu Besorgungen mit, manchmal auch nicht. "Muss weg - viel Arbeit, nichts für dich - du hast Urlaub" sagt er dann. Vielleicht schätzt er auch meine handwerklichen Fähigkeiten richtig ein. Betonbau oder Fließen legen ist nicht so mein Ding.

Eine gewisse Abwechslung bringen die Kinder. Ihnen beim Spielen zuzusehen ist gute Unterhaltung. Am Spätnachmittag erscheinen öfters auch drei ältere Enkeltöchter vom Großvater. Sie dürften so zwischen 16 und 19 Jahre alt sein. Immer top chic gekleidet. Natürlich in langen Röcken und mit einem Kopftuch, das aber eher die schönen Haare betont als verdeckt. Die Kleider sind farbenprächtig und mit Stickereien verziert. Ob die Gesichter geschminkt sind kann ich aus der Distanz nicht sehen. Jedenfalls allemal eine Augenweide diese Grazien. Ab und zu werde ich von ihnen zu einem Ballspiel aufgefordert, meistens Federball. Was auffällt: Die Mädels sehen einem nicht ins Gesicht. In Gegenwart von mir und vermutlich allen Männern ist ihr Haupt gesenkt. Beim Spiel fixieren sie den Ball bzw. den Federballschläger, aber nie die Augen, was ich von mir nicht behaupten kann. Ins Gespräch komme ich mit ihnen nicht nur wegen meiner fehlenden Türkischkenntnisse nicht, sondern wegen der ausgeprägten Schüchternheit. Die einzige Kommunikation ist "Hallo" von mir und Gekicher der Mädchen.

Besuch in Esenceli am Ömerli-Stausee

Am Sonntag fahren wir, Ali mit Familie, Opa und Oma zum Ömerli-Stausee. Er ist das Trinkwasserreservoir von Istanbul und von daher sehr sauber. Ali kennt ein verborgenes Uferstück in der Gegend von Esenceli. "Hier haben Selin und ich uns kennengelernt, schön einsam hier, du verstehst", flüstert mir Ali zu. Teppiche werden ausgebreitet, Teller und Tassen verteilt. Es gibt Picknick. Das Geschirr wird anschließend an einem kleinen Steg gespült. Wir brechen zu einen Spaziergang am See entlang Richtung Esenceli auf. Opa und Oma kommen nicht mit, sie haben es sich auf Campingstühlen am Steg gemütlich gemacht und beobachten den See. Es ist ein Rundweg von etwa 2 Stunden. Er führt auf dem Rückweg oberhalb des Sees durch den Wald.

"Siehst Du die Häuser und die Mauer herum?" fragt mich Ali und zeigt nach oben. "Das ist Villa von Deutschem, besser du sagen Schloss dazu" meint Ali, "er fährt Auto mit Duisburger Nummer."

Ich frage nach:"Arbeitet der hier oder in Istanbul?"

"Nein", meint Ali, "er macht Urlaub. In einem Nebengebäude wohnt ein türkischer Mann und eine Frau, die sind angestellt und das ganze Jahr hier, aber niemand kennt sie. Man sagt in der Villa werden arme Mädchen von der Straße in Istanbul aufgenommen. Deutscher hat viel Geld und zahlt alles."

Die drei Wochen sind fast um. Am letzten Tag lädt mich Opa wieder zu einem Gespräch ein, in dem er sich zu mir auf die Bank setzt und Ali herbeizitiert.

"Gefallen dir die drei Mädchen, mit denen du Ball spielst?" beginnt er, "du kannst eine haben. Ali soll bei nächsten Besuch als Brautwerber mit Familie verhandeln."

Ich bin entsetzt, reiße mich aber zusammen und antworte: "Ich kenne die Mädels doch gar nicht, da kann ich doch keinen Heiratsantrag machen!"

"Dein Herz muss sprechen, das reicht. Das andere ist Verhandlungssache" erwidert Opa.

"Verhandlungssache" - mir bleibt die Spucke weg - "bei uns geht das so: Erst lernt man sich kennen und lieben, dann kommt der Heiratsantrag!" erwidere ich.

Opa wieder mit einem erhabenen Lächeln im Gesicht: "Wo halten die Ehen länger, bei euch oder bei uns? Die junge Leute haben keine Erfahrung. Können gar nicht wissen was ist auf Dauer gut."

Nach einem Atemholen fährt er fort: "Ich dich kenne, du bist guter Mensch. Und ich kenne meine Enkel. Ich kann dir sagen ob das passt. Also überlege es dir gut. Gutes Angebot, gute Frauen. Und denk daran türkische Frauen sind treu, nicht so selbstsüchtig wie die deutschen. Dafür sind auch die türkischen Männer gut zu Frauen. Eine gute Frau ist Besitz wie ein Edelstein. Man passt auf, wirft ihn nicht achtlos weg, man behandelt ihn gut."

Kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert. Ali sagt diesbezüglich auch nichts mehr. Packen ist angesagt. Am nächsten Morgen ist Abfahrt.

In der Mittagspause habe ich die Gelegenheit mit Ali allein zu sprechen. Selin ist am Essen richten.

"Sag mal Ali, du kennst doch beides, die westliche und die östliche Einstellung zu Frauen. Was würdest Du bevorzugen?"

"Wenn ich entscheiden müsste, die östliche! Ist doch nix mit dauernd Partnerwechsel. Jeder und jede betrügt jeden. Keine Sicherheit und Gefühle fahren Achterbahn. Macht kaputt oder stumpft ab. Männer jagen jedem Rock nach, kein Wunder bei der kürze, machen sich lächerlich. Deshalb sagen viele Muslime von deutschen Frauen sind Huren. Natürlich nicht laut."

"Aber Ali" entgegne ich "bei uns herrscht sexuelle Selbstbestimmung. Wenn zwei erwachsene Menschen sich einig sind und kein Dritter beteiligt ist. Wo ist da etwas verwerfliches?"

"Opa hat schon recht", meint Ali weiter, "Frau ist wertvoller Besitz. Gibt man nicht weg. Frau ist auch dankbar, wenn sie hat guten Mann. Dadurch wächst sehr tiefe Liebe. Könnt ihr euch gar nicht vorstellen mit eurer oberflächlichen Sex-Liebe. Haben in muslimischen Ländern auch weniger Probleme mit Aids- Allah sei gelobt- als in christliche Länder."

"Dafür hat die Frau wenig Rechte in eurer Gesellschaft", entgegne ich, "Männer bestimmen, Frauen müssen dienen. Und wenn sie einen schlechten Mann haben, den sie sich nicht mal selbst aussuchen konnten, so müssen sie ein Leben lang leiden."

Empört entgegnet Ali: "Das ist falsch. Frau bestimmt viel in muslimische Familie. Man muss sie bei guter Laune halten sonst geht es dem Mann schlecht. Einige verfallen dem Alkohol oder Drogen, wenn Ehe schlecht. Und Frauen sind heute auch an Hochschulen, sogar Professoren. Nur eines würde ich ändern: Bei Partnerwahl müssen die Jungen mehr mitbestimmen können. Soll nicht sein, dass Eltern alleine bestimmen wer wen heiratet. Ist sonst wie kaufen und verkaufen."

Wenn wir schon so offen reden fällt mir noch eine Frage ein: "Weshalb lässt Mohamed eigentlich die Vielehe zu? Das ist doch extrem frauenfeindlich!"

Ali erklärt: "Das ist doch klar! Früher gab es viele Kriege, gibt wenig Männer, und viel Frauen, sind unversorgt. Deshalb Vielehe gut. Heute nicht mehr notwendig. Musst du zwei Frauen bei Laune halten. Allah verschone mich!"

Zufrieden entlasse ich Ali, der sich jetzt um das Fahrzeug kümmert.

Die Rückreise ist wieder genauso organisiert wie die Hinreise. Verpflegung für unterwegs. Geschlafen wird im Auto bzw. im Zelt.

Aylin ist nicht mehr so verspielt. Eher schlecht gelaunt und nervt. Deshalb reicht ihr Mutti Schulhefte nach hinten. Jetzt tut sie so, als ob sie lesen würde. Im Grunde schmollt sie nur so vor sich hin.

Schwingungen und Wellen

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