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3. Kindheit

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Kleine Kinder sollten, nach allgemeinem Brauch, so bald wie möglich aus dem Elternschlafzimmer verbannt werden. Einesteils, weil sonst Gewöhnung eintreten könnte und man die Balgen dann nicht so schnell wieder los wird. Zum anderen sollten die Kinder nicht mit dem Liebesleben der Erwachsenen konfrontiert werden.

Ich bekomme daher das Nebenzimmer vom Elternschlafzimmer. Meine Mutter kann durch die Türe hören, wenn Gefahr im Verzug ist. So wache ich einmal nachts auf und möchte das Licht anknipsen. Dabei verliere ich die Orientierung und falle über die Bettlade aus ungefähr 1,5 m Höhe auf den Stubenboden. Sofort ist meine Mutter zur Stelle und bringt mich besorgt wieder zu Bett.

Aber Kinder wachen zuweilen nachts auch ohne Grund auf. Eines nachts höre ich durch die Türe aus dem Elternschlafzimmer seltsame Geräusche. Ein Klatschen wie von Ohrfeigen aber andauernd. Mutter und Vater stöhnen und schnappten nach Luft. Sind die in einen Streit geraten? Mir wird unheimlich zu mute. "Lieber Gott, gib dass sich Mutti und Vati wieder vertragen!" Da, nach bangen Minuten, die Erlösung. Freundliche Stimmen und lachen sind zu vernehmen. Das Gebet wurde erhört, sie vertragen sich wieder. Gott sei Dank. Beruhigt kann ich weiterschlafen.

An langweiligen Tagen entdecke ich dann die Schaukelschwingung. Stunden kann man in diesem im Flur aufgehängten Plastiksitz verbringen. Mit der Zeit entdecke ich dann die Selbstanregung der Schwingung, sowie eine Drehschwingung (Torsion) die zur Verdrillung der Seile führt.

Die Kinderschaukel wird später durch die Schiffschaukel auf dem Jahrmarkt ersetzt. Das erste Mal mit meinem drei Jahre älteren Cousin ist überhaupt kein Genuss. Er hat den Ehrgeiz immer höher zu schwingen. Ich bekomme Angst, kauere mich auf die Bank und halte mich krampfhaft am Sitz fest. Sehnsüchtig warte ich auf das Glockenzeichen und den Eingriff der Bremse. (Zuviel Genuss auf einmal kann auch Angst machen). Nach diesem Erlebnis habe ich es vorgezogen alleine zu schaukeln. Am schönsten wäre es, ab einer bestimmten Höhe sich einfach in die Gondel zu legen, die Augen zu verschließen und gemächlich, träumend hin und her zu schwingen, bis die Zeit um ist. Das geht aber nicht. Die Zuschauer erwarten Mut, bis an die Grenze zu gehen. Einfach nur genießen ist mädchenhaft, nichts für Jungen. Auch die anderen Stationen, das Planetenrad, die Achterbahn gehen an die Angstgrenze.

Ein Problem für alle Eltern ist: Wie bringt man die Kinder frühzeitig ins Bett. Morgens sollten sie ausgeschlafen sein und die Erwachsenen wollen wohl auch mal ihre Ruhe haben bzw. Dinge bereden oder tun, die nichts für Kinderohren bzw. -augen sind. So ist das auch bei uns ein ewiger Kampf ums zu Bett gehen. Durch einen einfachen Trick habe ich einen Trumpf in der Hand, den ich allerdings nicht zu oft ausspiele: Meine Mutter ist immer der Meinung, dass ich zu wenig esse. Wenn ich also genau an dem Punkt, an dem die Geduld der Mutter zu Ende geht eine heiße Schokolade mit einem Stück Hefezopf bestelle, so kann ich die Bettgehzeit stressfrei locker um eine halbe Stunde ausdehnen.

Schon bald fällt mir aber eine noch viel genialere Lösung ein. Meine Freundin Laura hat dieses Problem nicht. Ihre Eltern sind sehr großzügig. Sie darf sogar nach dem Abendessen noch mal weg. Das Problem ist nur, ich muss zum Abendessen heim und dann ist Ausgangssperre. Nun ist mein Schlafzimmer im Erdgeschoss des Hauses und zusätzlich noch auf der von Hof und Straße abgewandten Seite. Zudem steht in der Nähe meines Fensters die Regentonne. Also verabrede ich mich an einem lauen Sommerabend, an dem die "Zu-Bett-geh-Zeit" noch im hellen Tag liegt mit Laura zum Spieleabend. Brav gehe ich nach der ersten Aufforderung zu Bett. Mutter gibt mir einen Gutenachtkuss: "Wirst müde sein vom vielen herumtoben, schlaf gut." Kaum ist sie aus dem Zimmer, öffne ich mein Fenster und Laura klettert herein. Wir spielen noch eine Stunde "Fang den Hut". Das passiert jetzt immer öfters. Mutti ist zufrieden, schöpft aber keinen Verdacht. In mein Zimmer schauen die Eltern immer erst, wenn sie selbst zu Bett gehen, und das ist kurz vor Mitternacht. So dass wir die Zeit nach und nach ausdehnen. "Was sagen deine Eltern, wenn du so spät nach Hause kommst?" frage ich Laura. Sie antwortet: "Die freuen sich wenn ich komme und wundern sich nur, dass deine Eltern mich nicht früher heimschicken!" Klar dass Brett- und Kartenspiele zu zweit mit der Zeit langweilig werden. So ergibt es sich, dass wir gegen später beginnen unsere Körper zu erkunden. Gewisse Unterschiede zwischen Mann und Frau kenne ich schon aus Gesprächen mit älteren Freunden. Auch hat man schon mal durch das Schlüsselloch die Schwester beobachtet. Aber so aus der Nähe und in aller Ruhe hatte ich noch keine Gelegenheit. Laura hat zwar noch keinen erkennbaren Busen, aber auffällig ist der fehlende Penis, dafür die Hautspalte, durch die sie wohl pinkeln muss - nicht leicht vorstellbar. Berührungen werden ausgetauscht. In wechselnden Rollen ist jeder mal der Forscher oder der Genießer. Vorsichtig und scheu erkunden die Finger die Umgebung zwischen Bauchnabel und Oberschenkel. Jetzt bin ich doch etwas irritiert: Frau hat zwei Körperöffnungen in der Scheide!

Auf der Suche nach Naschmittel habe ich im Schlafzimmer der Eltern einen Vibrator entdeckt. Schönes Gefühl auf der Haut. Muss ich unbedingt Laura zeigen. Er bereichert unsere Nachspielzeit enorm. Der gesamte Körper wird einbezogen. Die Schwingungen senden Wellen durch den ganzen Körper. Ein unbeschreibliches Hochgefühl entsteht. Hoffentlich vermissen die Eltern das Gerät nicht.

Selbstverständlich sind unsere Treffen streng geheim. Nicht mal dem besten Freund würde ich davon erzählen. Trotzdem meine ich, dass ich das neu erworbene Wissen um die verborgenen Merkmale der Mädchen meinem Freund Martin nicht vorenthalten sollte. Also überrede ich Laura dazu, sich auch Martin mal zu zeigen. Zunächst will sie das nicht. Als Kompromiss handele ich aus, dass sie nur ihr Hinterteil entblößen muss. Martin ist sofort begeistert von meinem großzügigen Angebot und ich gewinne deutlich an Respekt. Wir treffen uns in unserer Hütte am Bach. Laura stülpt ihren Rock hoch und zieht das Höschen nach unten. Dann beugt sie sich nach vorne unten und stützt sich mit den Händen ab. Martin ist ganz nahe dran und staunt nicht schlecht. Vielleicht aus Stolz oder aus einem Überlegenheitsgefühl heraus spreizt Laura auch noch ihre Beine, soweit es das Höschen an den Fesseln erlaubt. Ich weiß nicht welcher Teufel mich reitet, aber plötzlich zupfe ich eine Brennnessel, die zur Türe hereinragt und halte sie Martin hin. Dieser nimmt sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und streicht damit zwischen Lauras Beine. "Aua", brüllt Laura und dreht sich um. Wortlos zieht sie sich an und verschwindet.

Von nun an ist mein Vertrauensverhältnis zu Laura nachhaltig gestört. Spielen in der Öffentlichkeit ja, aber keine Besuche durchs Fenster und keine Intimitäten mehr.

Strategiespiele

Mädchen werden jetzt immer uninteressanter. Stärke und Selbstverteidigung ist das Thema der Dorfjugend. Zu diesem Zweck basteln Martin und ich aus Holzbrettern und Latten Schwerter und Dolche. Mit ein paar Hühnerfedern als Kopfschmuck sind wir richtige Indianer: Mutig und unbezwingbar. Leider fehlt es an einem geeigneten Feind, dem man Respekt beibringen könnte.

Plötzlich kommt uns der Gedanke: Udo, ein Nachbarjunge, könnte mal eine Abreibung vertragen. Er ist immer frech und versteckt sich bei Gefahr hinter dem Rockzipfel seiner Mutter. Also beschließen wir das Kriegsbeil auszugraben und in Indianermanier auf das Nachbargrundstück zu schleichen, um Udo zu überraschen. Während wir in leicht gebückter Haltung ums Haus schleichen, nähert sich von hinten unbemerkt die Mutter von Udo. Blitzschnell entreißt sie mir mein edles Schwert, legt mich übers Knie und versohlt mir kräftig den Hintern. Schreiend vor Schmerz renne ich zurück zu unserem Hof. Martin ist dem Massaker entgangen. Schlimmer als der Schmerz ist aber die Schande, mit den eigenen Waffen geschlagen zu sein, und das von einer Frau!

Mutter hat mich gleich in Empfang genommen und meinen schmerzenden Hintern untersucht. Striemen und ein leichter Bluterguss, ist ihre Diagnose. Sie erwägt Protest bei der Nachbarin einzulegen, oder gar die Polizei einzuschalten. Schnell beschwichtige ich meine Mutter und betone, dass alles nicht so schlimm sei und auch nicht mehr so weh tue. Ganz im innersten sagt mir eine Stimme, die Strafe sei doch gar nicht so ganz unverdient.

Später baut man dann Pistolen- und Gewehrattrappen. Im Dorf werden Strategiespiele veranstaltet. Wir teilen uns in zwei "verfeindete" Mannschaften und treiben uns in den Scheunen und Hecken des Dorfes herum. Jeder, der einen "feindlichen" Spielkameraden sieht, muss sofort und laut rufen: "Peng - du bist tot!" Was dann zum Spielausschluss führt.

In unsrer Phantasie werden die Waffen Wirklichkeit. Eine Gänsehaut läuft einem über den Rücken, wenn man ein verdächtiges Geräusch hört. Das "Peng -...." des Gegners führt fast zu einem Herzstillstand, so intensiv haben wir uns in das Kriegsspiel vertieft. Wir kennen bald jede Scheune von innen. Grundstücksgrenzen lösen sich auf. Die Bauern kümmern sich überhaupt nicht um uns, da Diebstahl oder Sachbeschädigung nie vorkommt.

So nach und nach werden die Waffen immer schärfer. Zuerst Pfeil und Bogen, dann die selbst gebaute Armbrust. Klar dass man mit so gefährlichen Waffen nicht mehr gegeneinander kämpfen kann. Unsere Eltern warnen uns, dass ein Treffer ins Auge lebenslangen Schaden nach sich ziehen kann. Dieses Gleichgewicht des Schreckens führte zu einer Sublimierung. Das Kämpfen wird durch sportlichen Wettkampf ersetzt: Wir schießen auf Scheiben oder auf Vögel, wobei dazu die Treffsicherheit nicht ausreicht.

Kater Mikesch

Ein schöner Zeitvertreib, wenn mal wieder überhaupt nichts los ist, ist der Umgang mit der Hauskatze. Man kann sie zwar, im Gegensatz zu einem Hund, nicht dressieren, aber für ein wenig Futter lässt sie sich überall hinlocken oder ist sofort zur Stelle, wenn man nach ihr ruft. Von klein auf an Menschen gewöhnte Katzen sind auch sehr verschmust. Wenn sie satt sind, streichen sie einem ums Bein, sitzen ausdauernd auf dem Schoß und schnurren. Haben sie Hunger, fangen sie an zu betteln.

Besonders angetan hat es mir ein völlig verwilderter, herum streunender Kater. Ich nenne ihn Mikesch. Er schleicht sich täglich zum Futternapf und frisst die Reste unserer Hauskatzen. Sobald man aber in seine Nähe kommt nimmt er Reißaus. Er ist weiß mit grauen Flecken, hat einen relativ großen Schädel und eine breite Schulter. Der restliche Körper ist dünn, der Bauch eingefallen. Diesen Burschen zu zähmen setzte ich mir zum Ziel. Sein unbändiger Hunger wird mir dabei behilflich sein. So oft ich Zeit habe reichere ich die Reste im Futternapf mit einigen Happen von Delikatessen an und warte in einiger Entfernung auf sein Kommen. Als er erscheint, fixieren mich zuerst seine grünen Augen, dann blickt er zum Futternapf. Keiner rührt sich. Nun weiche ich demonstrativ etwas zurück und er traut sich zum Futter. Während er hastig frisst, dabei aber immer wieder nach mir schaut, bleibe ich regungslos stehen. In den nächsten Tagen halte ich die Distanz aufrecht, aber dann beginne ich diese von Tag zu Tag zu verringern, wobei ich mich sofort zurückziehe, wenn ich merke es wird zu viel. Nach einigen Wochen bin ich auf Knien etwa eine Körperlänge entfernt. Er frisst nach wie vor hastig und verschwindet sofort wieder. Nun möchte ich ihn berühren. Langsam strecke ich ihm meinen Arm entgegen, er weicht aus. Tage später erreicht mein Zeigefinger sein Fell am Rücken. Sofort zuckt er zusammen und rennt davon, obwohl noch genügend Futter vorhanden ist. Ob er wohl überhaupt noch einmal kommt? Beim nächsten Mal lasse ich ihm wieder Zeit, um ihn beim übernächsten Mal wieder mit meinem Finger zu konfrontieren. Hungrig frisst er weiter und biegt seinen Körper weg. Aber dann erreiche ich seinen Kopf. Ich beginne vorsichtig den Hals an der Seite zu kraulen. Es herrscht eine Spannung zwischen Hunger und geschehen lassen. Bevor er mit dem Fressen fertig ist ziehe ich mich etwas zurück, so dass er sich gemächlich davonschleichen kann. Jeder Fluchtreflex sollte vermieden werden.

Eines Tages ist es soweit, er beginnt das Kraulen zu genießen, wenn auch nur wenige Sekunden. Nun ist er besiegt.

Abwechseln mit Streicheleinheiten und Wurststückchen bringe ich ihn in wochenlanger Kleinarbeit dazu, dass er an meinem Körper hinaufklettert und sich genüsslich auf meine Schultern legt. Das geht so lange, bis er so viel Vertrauen hat, dass ich mit ihm in dieser Position sogar mit dem Fahrrad fahren kann. Mikesch ist mein Zirkuslöwe.

Wir werden unzertrennlich. Jede freie Minute verbringe ich mit Mikesch, mal mit Dressur, mal einfach zum entspannen. Dann liegen wir auf dem Sofa, er auf meinem Bauch. Wärmewellen werden ausgetauscht, die Herz und Atemfrequenz erspürt und über allem liegt das zufriedene Schnurren.

Mäuse- und Vogeljagd

Bei der Bergung von Strohballen auf dem Feld fällt mir auf, dass in diesem Jahr unter jedem zweiten Ballen eine Feldmaus sitzt. Die Mäusepopulation schwankt von Jahr zu Jahr. In diesem Jahr scheinen es besonders viele zu sein. Was liegt näher, als Mikesch daran zu beteiligen. Ihn mit aufs Feld zu nehmen funktioniert nicht. Katzen sind ortsgebunden. Er würde sich auch weigern Traktor zu fahren. Deshalb muss die Maus eben der Katze gebracht werden. Entfernt man den Strohballen, so versucht sich die Maus zu verdrücken. Wenn kein Loch in der Nähe ist, nimmt sie den nächst besten Unterschlupf. Diesmal steckt sie unter einem kleinen Haufen Stroh, aber nur mit dem Kopf. Es ist wie bei kleinen Kindern, die sich die Augen zuhalten und rufen:"Such mich!" Jetzt muss ich das Tier nur beherzt direkt hinter dem Kopf am Fell packen, sonst dreht es sich um und zwickt. Es gelingt mir! Ich erwische die Maus und habe das Fell zwischen Daumen und Zeigefinger. Nun weiß ich nicht, ist es die behinderte Atmung oder ein Reflex (sowohl Katzen als auch Mäusekinder werden so getragen), jedenfalls ist sie starr vor Schreck. Schnell laufe ich zum Traktor und verstaue sie im Werkzeugkasten. Zu Hause angekommen rufe ich Kater Mikesch und schleppe ihn an den Kerker. Zunächst hat er Angst vor der fremden Umgebung. Mit allen vier Beinen wehrt er sich, als ich ihn in die Öffnung des Werkzeugkasten schieben will. - Bis die Maus den Fehler macht und sich bewegt. Sofort schießt er nach vorne in den Kasten und schnappt sich die Maus. Er springt vom Traktor und verspeist sie in einer ruhigen Ecke des Hofes. Von nun an bringe ich fast täglich Beute mit. Manchmal auch mehrere Mäuse. Mikesch muss auch nicht mehr gerufen werden. Sobald der Traktor in den Hof einfährt und ich darauf sitze springt er auf und lauert am Werkzeugkasten.

Nun ist die Ernte vorbei. Es gibt keine Mäuse mehr von mir. Mikesch muss wieder selber jagen oder eben hungern. Da fällt mir eine neue Futterquelle ein. Auf dem Hof gibt es viele Spatzen. Die gelten als Schädlinge, weil sie Getreide fressen, allerdings nur das herum verstreute, für das sich niemand interessiert. Da sie zu dem oft in Schwärmen auftreten werden sie zur Landplage erklärt: "Nur ein toter Spatz ist ein guter Spatz!" Meine Leidenschaft für das Luftgewehrschießen hatte nun endlich auch noch einen Nutzeffekt. In einem Maschinenschuppen, der etwas abseits vom Hof liegt, lege ich mich auf die Lauer. Gegenüber ist ein Zwetschgenbaum und ich brauche nicht lange zu warten, da sitzt ein Sperling direkt vor meiner Flinte. Ich drücke ab, der Vogel fällt wie eine Stein vom Baum. Stolz präsentiere ich die Trophäe Kater Mikesch. Nach kurzer Zeit hat er die Nahrungsbeschaffung durchschaut. Sobald ich mit dem Gewehr im Schuppen verschwinde sucht er schon den entsprechenden Baum. Peng! Und Mikesch fängt die Beute auf. Wehe wenn ich mal danebenschieße. Dann sieht mich Mikesch mit seinen grünen Augen vorwurfsvoll an: "Du Flasche hast wieder mal nichts getroffen!" Unter den Vögeln hat sich das natürlich auch mit der Zeit herumgesprochen, so dass immer seltener welche auf den Bäumen rund um den Schuppen zu sehen sind. Im Hofraum ist das Schießen aber zu gefährlich.

Nun fällt mir auf, dass sich sehr viele Spatzen im Hühnerstall aufhalten. Dort fressen sie, zum Unmut meiner Mutter, das Legekorn für die Hühner. Ich schleiche mich an und ziehe die Türe zu. Nun muss ich noch die beiden kleineren Öffnungen für die Hühner schließen und die Spatzen sitzen in der Falle. In Ruhe besorge ich mir ein Kistenbrett und dringe in den Hühnerstall ein, dabei entwischen natürlich einige Spatzen. Die übrigen fliegen aufgeregt hin und her. Treffsicher klatsche ich Spatzen im Flug mit dem Brett. Dabei brechen sie sich meist das Genick und sind sofort tot. Mikesch hat wieder eine üppige Futterquelle und der Verlust an Legekorn wird deutlich weniger. Denn nach so einer Vernichtungsaktion meiden die Spatzen den Hühnerstall für einige Tage. Ich bemerke, dass sich in mir etwas grundlegend geändert hat. Die Spatzen werden nicht mehr nur sportlich gejagt; es baut sich ein Hass gegen die armen Kreaturen auf. Wie im Rausch schlage ich im Stall nach den umherfliegenden Vögeln. Es geht mir auch nicht mehr nur um Futter für den Kater. Das geht so bis ich eines Tages den Kater an der Vernichtungsaktion direkt beteiligen möchte. Ich schleppe ihn in den Hühnerstall, er wehrt sich dagegen, aber ich bin schneller als er entweichen kann. Nun sitzt er da. Unmengen von Vögeln schwirren über seinem Kopf. Instinktiv greift er sich einen mit den Krallen und beginnt ihn zu verzehren. Das geht natürlich zu langsam also beginne ich wieder meine Vernichtungsaktion mit dem Brettstück. Nun lässt Mikesch von seiner Beute, drängt sich an die Ausgangstüre und beginnt zu Miauen. Da bemerke ich, dem Kater wird das zu grausam. Er verbirgt sein Angesicht ob dieser Brutalität. Was bin ich doch für ein erbärmlicher Mensch! Wieso bin ich so begierig diese armen Kreaturen auszulöschen?

Nun fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Das war ja die gleiche Strategie, die einst ein Adolf H. mit seinen Getreuen bei Menschen vollzogen hatte! Herbeiführung einer Endlösung. Mein Körper zittert, Schweißausbruch. Tagelang verstecke ich mich, dann kommt der Entschluss: In den Ferien besuche ich ein Jugendcamp der Gruppe "Holiday for Jesus". Mutter, gut evangelisch, konnte dem nur zustimmen.

Freizeit

Es ist nach Angaben der Veranstalter eine kleine Freizeit. Es sind gerade mal die Mindestanzahl von 12 Teilnehmern: 4 Jungen und 8 Mädchen im Alter von 16 bis 19 Jahren. Der Leiter ist Alfred, ein Versicherungskaufmann aus Essen. Wir treffen uns in Bozen in Südtirol und sind in einer kleinen Pension in Mehrbettzimmern untergebracht. Ich komme am Sonntagabend mit dem Zug an. Einige kamen mit dem Privat PKW. Anfangs komme ich mir etwas unsicher und einsam vor, da ich niemanden kenne. Die anderen erinnern sich an frühere gemeinsame Freizeiten oder kommen aus der selben Gemeinde. Aber für Alfred war das überhaupt kein Thema: Wir gehören alle zu seiner "Familie" und vor allem zu Jesus. Schnell stellt sich eine Vertrautheit unter den Teilnehmern her. Alfred hat schon die Zimmerbelegung parat - weibliche und männliche Teilnehmer getrennt, versteht sich. Gegen 19 Uhr gibt es ein einfaches Abendessen. Anschließend trifft man sich im Gemeinschaftsraum. Das Programm der Woche: Bergwandern, Besuch eines Erlebnisbades und Sonntag Gottesdienst mit Abschluss. Das Frühstück wird serviert aber für das Abendessen muss ab morgen die Gruppe selbst sorgen. Man merkt dass Alfred das alles schon mehrmals geplant hat. Jeder zieht ein farbiges Bonbon und schon sind die 4 Kochgruppen a 3 Personen festgelegt. Dann teilt er eine Rezeptsammlung von ca. 20 Menüs mit Einkaufsliste und Zubereitungshinweisen aus. Jede Gruppe sucht sich zunächst eines aus. Wir wählen Linsen mit Nudeln und Wiener Würstchen. Katja, eine Schwäbin, meint das müsse Spätzle heißen, aber das sei zu aufwändig wir nehmen Spätzle Nudeln aus der Packung. Eine lustige Diskussion über Zutaten entsteht. "Hat jemand eine Lebensmittelallergie" fragt Alfred in die Runde. "Ja ich mag keinen Fisch" ruft eine Teilnehmerin. Alfred erwidert: "Da können wir keine Rücksicht nehmen. für dich gibt`s dann an diesem Abend eben Spiegelei! So, die ersten 4 Tage sind gesichert, lasst mal hören." Dann bestimmt er die Reihenfolge der Kocheinsätze, zu denen auch das das Einkaufen gehört.

Nach dieser Arbeit in Kleingruppen setzen wir uns in einem großen Kreis zur Vorstellungsrunde.

Das Thema der ersten Bibelarbeit war aus Matthäus 6 Vers 26: "Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?"

Sofort schießen Wellen durch meinen Körper. Gott oder Jesus liebt die Vögel - ich habe sie sinnlos getötet - eine schwere Sünde!

Aber Alfred spricht gar nicht über die Tiere sondern meint das Gleichnis bezieht sich auf uns Menschen. Wir sollen uns nicht zu viele Gedanken über unser Leben machen: Was sollen wir anziehen, die roten Zahlen auf unserem Konto, die kleinen Wehwehchen. Und unser Leben soll sich schon gar nicht nur mit dem Anhäufen von Reichtum beschäftigen. Schätze im Himmel sollen wir sammeln und das sind die Beziehungen zu Gott und den Menschen. Leben wir im Heute. Was kann ich für meinen Nächsten heute tun. Für das Morgen sorgt unser Vater im Himmel.

"Wer's glaubt wird selig" denke ich. Aber dann bedrückt mich doch noch die Beziehung zu den Tieren. "Stehen in der Bibel auch Regeln für den Umgang des Menschen mit den Tieren? Gilt da auch das Liebesgebot", frage ich Alfred im Anschluss an die Bibelarbeit unter vier Augen. "Relativ wenig! Im Alten Testament in der Schöpfungsgeschichte und die Rettung aus der Sintflut in Noah's Arche, fällt mir spontan ein" erwidert Alfred. "Im Neuen Testament werden Tiere nur als Gleichnisse für Menschen erwähnt.".Ich hake nach: "Dann hat Jesus nichts mit Tierschutz am Hut! Wäre doch schade bei den Problemen heutzutage!"

"Es gibt Schriften, in denen erzählt wird, dass Jesus in seiner Jugendzeit Vögel aus Käfigen befreit habe und sogar einen toten Vogel zum Leben erweckt haben soll, aber diese Schriften sind in der Theologie nicht anerkannt, da man deren Herkunft und Entstehungsalter nicht nachweisen kann" erklärt Alfred hinter vorgehaltener Hand, "wir werden uns in den Bibelarbeiten mit dem Menschen und seiner Beziehung zu Gott beschäftigen. Das ist das Hauptproblem diese Erde. Das Tierreich regelt sich selbst."

Und da war er bei der Frage, die sich durch die ganzen Tage ziehen wird: "Wie ist dein Verhältnis zu Jesus? Hast du ihm dein Leben übergeben?"

Da kann er von mir keine Antwort erwarten. Mein Leben gestalte ich selbst. Alles schleifen lassen und auf Entscheidungen von Gott oder Jesus warten, wie naiv ist das denn? Dieser permanente Erwartungsdruck von Alfred und der Mehrheit der Teilnehmer empfand ich als das einzig negative dieser Freizeit. Ansonsten war es eine ausgesprochen tolerante fröhliche, ja herzliche Gemeinschaft, die ich dabei erlebt habe.

Schwingungen und Wellen

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