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Heute Nacht habe ich geträumt, ich wäre allein mit Mama. Wir waren in der Stadt, sie hat mich an der Hand genommen, wir sind über Zebrastreifen gegangen, Rolltreppen hinunter und wieder hinauf. Und im Traum war ich mir ganz sicher, dass wir auch allein sein werden, wenn wir wieder nach Hause kommen. Ich bin mir ganz sicher, dass es in meinem Traum keinen Papa gab. Mir war ganz leicht zumute, ohne Sorgen, ich kann es gar nicht näher beschreiben. Und dann, als ich wach wurde, war es wie ein Schock für mich, dass ich mich in meinem Zimmer fand, Papa nur durch eine Wand von mir getrennt. Ich habe vor Wut geheult und mir die Decke wieder über den Kopf gezogen. Wie schön es ohne Papa wäre.

Ich beobachte Papa jetzt regelmäßig. Was er tut, wohin er geht, welche Wege er benutzt, welche Geräte. Wie viel er trinkt. Und es dauert nicht lang, bis mir gute Ideen kommen. Papa ist nicht besonders vorsichtig. Genauer gesagt, er missachtet so ziemlich alle Sicherheitsvorschriften, die man sich vorstellen kann. Ich lese die nämlich. An jeder Maschine steht genau, was man tun darf und welche Schutzkleidung man braucht und so weiter.

Zuerst denke ich an die Jauchegrube. Viele Bauern sind schon in die Jauchegrube gefallen und ertrunken, vor einiger Zeit erst habe ich darüber in der Zeitung gelesen. Bei uns in der Nähe ist letzte Woche ein Pferd in eine Jauchegrube gefallen, und es hat Stunden gedauert, bis die Feuerwehr es daraus befreien hat können. Ich habe selbst bei der Befreiung zugeschaut, zuerst musste die Besitzerin das Tier beruhigen, dann erst konnte ihm der Tierarzt eine Betäubungsspritze setzen. Und als es schließlich ganz apathisch war, sind Feuerwehrleute hineingeklettert und haben ihm ein Geschirr angelegt. Danach hat man es mit der Seilwinde herausgezogen.

Unsere Jauchegrube war früher mit einem Gitter abgedeckt, aber da ist mir ein Zufall zu Hilfe gekommen. Papa ist nämlich vor einiger Zeit mit dem Traktor drübergefahren, und der war zu schwer, deshalb ist das Gitter eingedrückt worden, sodass man gar nicht mehr darüberfahren konnte. Jetzt liegen nur mehr Holzbretter drüber. Papa hat stundenlang geflucht, weil ihm ein neues Gitter zu teuer ist. Und schuld war natürlich nicht er selbst, sondern Mama, die ihm das Gitter eingeredet hat, obwohl er es nicht wollte. Und natürlich der Verkäufer, der ihm das falsche, aber viel zu teure Gitter aufgeschwatzt hat. Und danach die Landwirtschaftskammer, der Bauernbund und zuletzt die Regierung, weil sie sich ständig so blöde Vorschriften ausdenken wie gesicherte Gitter über der Jauchegrube.

Wenn ich also gegen Abend, wenn Papa schon einiges getrunken hat, die Bretter ein wenig beiseiteschiebe, sodass sie nur noch auf einer Seite aufliegen, ohne dass man das wirklich merkt, dann könnte Papa in die Jauchegrube abstürzen. Allerdings könnte das auch Walter oder Tobi oder Mama passieren. Das wäre das Risiko dabei. Und das zweite Risiko ist, dass Papa womöglich noch schreien könnte, bevor er untergeht. Dass ihm jemand heraushilft, wie dem Pferd, oder dass zu wenig Jauche drinnen ist und er stehen kann. Man müsste also den Zeitpunkt genau abpassen. Also beobachte ich Papa und die Jauchegrube. Tatsächlich steigt er auf dem Weg in den Stall oder heraus meistens auf die Abdeckbretter. Obwohl er auch bequem daran vorbeigehen könnte, aber er tut es nicht. Außerdem stelle ich fest, dass Papa, wenn er sich abends auf den Weg in den Stall macht, oft schon schwankt. Er ist nicht mehr so sicher auf den Beinen und unaufmerksam. Man müsste sich also einen Abend aussuchen, an dem die Grube gut gefüllt ist. Und dafür sorgen, dass er vielleicht ein wenig mehr als sonst trinkt. Aber dann bleibt immer noch das Problem, dass auch jemand anderer auf die gelockerten Bretter treten könnte. Ich beschließe, noch einige Zeit über die Idee nachzudenken und Papa weiterhin zu beobachten.

Natürlich ist mir klar, dass das nur Fantasien sind. Fantasien eines bösen Menschen, der seinen Vater loswerden will. An so etwas darf man eigentlich gar nicht denken. Aber ich kann es nicht verhindern, dass sich mein Kopf ständig ein Leben ohne Papa ausmalt. Und darüber nachdenkt, was man anstellen müsste, damit Papa tatsächlich nicht mehr da ist. Ich weiß, dass es verboten ist, dass es nie geschehen wird, aber ich kann meinem Kopf das Denken nicht verbieten. Immer, wenn ich es versuche, denkt er sogar noch mehr.

Schön langsam beginne ich auch zu begreifen, warum Papa ins Bad wollte, als ich drin war, und warum Walter sich an mir gerieben hat. Geahnt habe ich es natürlich, aber die Ahnung ist nun zur Gewissheit geworden. Wir haben nämlich in der Schule Sexualkundeunterricht. Ich muss fürchterlich aufpassen, denn wenn die Biologielehrerin uns die Wandbilder mit den Geschlechtsteilen zeigt, werde ich feuerrot im Gesicht, ohne dass ich eine Chance habe, das zu kontrollieren. Für eine Stunde in der Woche werden Buben und Mädchen in diesem Unterricht getrennt, und da fällt es mir etwas leichter, mich zu entspannen. Obwohl ich nicht verstehen kann, wie die anderen Mädchen es anstellen, völlig frei über ihre Periode zu sprechen oder Fragen zu stellen, wie das mit dem Geschlechtsverkehr oder der Selbstbefriedigung geht. Ich halte mich dann einfach zurück und passe auf.

Und ich bin ja nicht blöd. Ich sehe mir jetzt auch die Zeitung genauer an. Da ist immer wieder von Kinderschändern die Rede und von Kindesmissbrauch. Mehrmals in der Woche sogar. Es scheint nicht ungewöhnlich zu sein, dass Väter und Brüder ihre Töchter und Schwestern missbrauchen wollen oder es sogar tun. Es heißt immer, dass die Männer die Mädchen „missbrauchen“ oder „sich vergehen“ an ihnen. Nie steht genau dort, was damit gemeint ist. Aber ich glaube, es geht darum, dass Walter und Papa ihren Penis in meine Scheide stecken wollen.

Die Einsamkeit des Bösen

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